Meine Religion ist Mitgefühl

Feuer und Wasser

Meine Religion ist Mitgefühl Feuer und WasserWer ist hier böse? Meine Religion ist Mitgefühl.

Was für eine Frage…

Natürlich bist Du böse!
Und ich auch.

Alle sind wir böse…

Unser Faible für’s Kategorisieren…

Gerne unterteilen wir die Welt in Nullen und Einsen. In dieser Hinsicht funktioniert unser Geist wie ein Computer: Alles muss kategorisiert werden. Dadurch bestätigen wir das Gefühl, festen Grund unter unseren Füßen zu haben.

„Die ist krank – ich gesund.“
„Der ist unfreundlich – ich wohlerzogen.“
„Und böse sind sowieso nur die anderen!“

Aber wenn man etwas ehrlicher in sich hineinschaut, dann sieht man, dass die Unterscheidung nicht so einfach zu treffen ist. Wir tragen alle möglichen Aspekte in uns drinnen – die Frage ist nur, wie stark sie ausgeprägt sind und ob wir sie ausleben oder nicht. Wenn wir unseren Geist trainieren (durch Meditation zum Beispiel), heisst es nicht, dass sofort alle negativen Gedanken verschwinden. Aber so können wir Raum um die Gedanken schaffen, damit wir uns nicht mit ihnen identifizieren und nicht unbedingt das Gefühl haben, sie gleich in die Tat umsetzen zu müssen. Die Fähigkeit seine Gedanken und Emotionen klar zu betrachten und, auch wenn es innerlich turbulent ist, äußerlich ruhig zu bleiben und trotzdem seine Taten und Wort weise zu wählen – das ist der wirkliche Unterschied zwischen einer „bösen“ und einer „guten“ Person.

Wenn man sieht, dass man keine Kontrolle über seine Gedanken und Emotionen hat und wie schwierig geistige Disziplin ist, erkennt man auch, dass man die „Bösen“ nicht zu schnell verurteilen sollte – denn man ist selber gar nicht so anders als sie. Diese Toleranz ist umso wichtiger, wenn wir äußeren Frieden wollen.

Was die Gesellschaft braucht

Damit viele Menschen unterschiedlichen Bewusstseinsgrades möglichst harmonisch miteinander leben können, braucht es Gesetze. Und es ist leider auch notwendig, Gesetzbrüche mit Strafen zu ahnden – die meisten Menschen, würden auf ein einfaches „Nein“ nicht hören. Und Menschen, die für sich selbst und andere eine zu große Gefahr sind, müssen wir leider auch wegsperren…

Aber jenseits von der Ordnung, die wir in der äußeren Welt zu schaffen versuchen, müssen wir auf die Ordnung in uns selbst achten. Das heisst, wir müssen ehrlich in uns hinein schauen und alle Aspekte unseres Geistes anerkennen. Und wir müssen tolerant anderen Menschen gegenüber sein und erkennen, dass sie fühlende Menschen sind – genau wie wir.

„Meine Religion ist Mitgefühl.“

Das sagt der Dalai Lama. Und er sagt auch immer wieder, dass wir Menschen uns ähnlicher sind, als wir es uns oft vormachen. Wir alle haben einen sehr ähnlichen Körper. Wir leben auf demselben Planeten. Wir haben dieselben Bedürfnisse: wir wollen lieben und geliebt werden, wir wollen geborgen sein und wir alle wollen glücklich sein.

Ein verwirrter Geist kann diese Bedürfnisse leider pervertieren und im Extremfall auch Menschen töten, im Glauben, dass das zu seinem Wohlbefinden beitragen wird. Aber natürlich schadet sich dieser Mensch damit selbst. Auch deswegen, sollten wir Mitgefühl mit den sogenannten „bösen“ Menschen haben.

Wenn’s politisch nicht mehr geht…

In einem Interview sagte Daniel Barenboim, der Dirigent und Chef der Berliner Staatsoper, zum Israel-Palästina Konflikt:

„Das ist politisch unlösbar, das kann man nur menschlich lösen.“

Ich finde, mit dieser Aussage trifft er den Nagel auf dem Kopf. Um Konflikte zu lösen, müssen wir uns von der politischen Geisteshaltung des „Ich bin hier und du bist dort“ trennen, das kritische Denken etwas zurücknehmen und die Vergangenheit vergessen. Und wir dürfen uns nicht zu sehr darauf konzentrieren, was uns unterscheidet, sondern müssen uns als Menschen treffen und unsere Gemeinsamkeiten sehen. Nur wenn man sein Gegenüber als sich selber gleich ansieht, kann man sich wirklich in dessen Lage versetzen, nachgeben und echte Kompromisse eingehen.

Und das gilt natürlich nicht nur in der Weltpolitik, sondern auch in unseren ganz alltäglichen, persönlichen Auseinandersetzungen. Ja – eigentlich ist es dort noch viel wichtiger. Denn nur wenn wir diese Sichtweise „im Kleinen“ praktizieren und üben, werden wir in der Lage sein, sie auf größere Projekte anzuwenden.

Die Quintessenz ist wie immer: Wir müssen unseren Geist transformieren, um die Welt zu transformieren.

Sich selber als gering sehen – Respekt für andere kultivieren

Der zweiten Vers der 8 Verse des Geistestraining, von Geshe Langri Tangpa, sagt, dass wir uns selber zurücknehmen und Wertschätzung von anderen kultivieren sollen:

„Wann immer ich in Gesellschaft anderer bin, werde ich mich selbst als den Geringsten von allen sehen und aus der Tiefe meines Herzens andere als überlegen schätzen.“

Unsere Selbstverliebtheit ist der Quell des Unheils in uns. Solange wir an unserem kleinen Ich festhalten, können wir unserer Geistesnatur nicht erkennen und somit auch nicht fundamental Glücklich werden. Die Acht Verse sind Teil der Lojong Praxis, die uns helfen soll, diese Selbstverliebtheit zu lösen – um offener zu werden und zu erkennen, dass wir mehr sind, als nur das kleine Ego, mit dem wir uns normalerweise identifizieren. Und wenn wir diese Selbstverliebtheit abschwächen, werden wir ganz nebenbei auch noch friedfertigere Menschen und eher in der Lage sein äußere Konflikte zu lösen.

Vers 6 sollte ich hier auch noch erwähnen:

„Selbst wenn jemand, dem ich half oder in den ich große Hoffnung setzte, mich äußerst ungerecht behandelt, werde ich diesen Menschen als wahren spirituellen Lehrer sehen.“

Es geht darum, unsere Reaktivität äußeren Erscheinungen gegenüber zu reduzieren und jede Interaktion mit anderen Menschen für unser eigenes spirituelles Wachstum zu nutzen. Wir müssen erkennen, dass unsere Handlungen immer unser Kaffee sind – wir entschließen uns, etwas zu tun und dürfen nicht die Taten anderer als Rechtfertigung verwenden. Nur weil jemand anderer etwas „böses“ getan hat, rechtfertigt das nicht, dass wir es auch tun.

Lass uns also die Kette von Aktion und Reaktion mit dem scharfen Schwert unserer Erkenntnis durchschneiden und authentisch und friedvoll handeln!

23. Mai 2015
Sean
(c) Sean Grünböck
www.gruenboeck.at

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Sean GrünböckSean Grünböck
Es ist mir ein Anliegen, im Alltag mit all seinen Höhen und Tiefen präsent zu bleiben und die tiefere Verbindung mit unserer inneren Geistesnatur auch Abseits von Meditationskissen, Seminaren und Retreats aufrecht zu erhalten.

Zu diesem Thema schreibe ich Artikel und singe Lieder.
Den sonntäglichen Artikel sowie das kommende Album gibt’s auf gruenboeck.at
SEAN GRÜNBÖCK: Leise-Schreiber, mit Bedacht-Komponierer, Tief-Singer und Buddha-Meditierer, Yoga-Verrenker, Web-Gestalter, Langsam-Läufer und Dreifach-Vater.

P.S.: Vielleicht interessieren Dich auch meine Lieder ‑„Weich wie Wasser“, von dem du ein Video auf YouTube sehen kannst

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