Angst vor dem Tod und Sterben

Strandkunstwerk auf der Insel Poel

Angst vor dem Tod und Sterben-SteinmaskeAngst vor dem Tod, auf Tuchfühlung mit dem Sterben

Im tibetanischen Buddhismus wird ein besonders großes Augenmerk auf den Tod gerichtet. Für manche mag das etwas makaber wirken, für mich jedoch war es ein sehr angenehmes Aha-Erlebniss, als ich zu diesen Lehren gefunden habe: Endlich wird dieses so wichtige Thema nicht mehr tot geschwiegen.

Der Tod betrifft uns alle. Es erwischt jeden von uns früher oder später und wenn man um sich blickt, sieht man, dass selbst unser Leben bereits ein ständiges Entstehen und Vergehen ist. Obwohl (oder weil) der Tod so allgegenwärtig ist, bemühen wir uns stets ihn zu ignorieren. Wir möchten die Illusion des ewigen Lebens aufrechterhalten. Und wenn schon nicht unser Körper lebendig bleiben wird, so zumindest unsere Erinnerung, unsere Werke, unser Name…

Auch als Gesellschaft tun wir unser Bestes, um dem Tod möglichst nie in die Augen blicken zu müssen. Jugend und Schönheit wird in den Medien zum höchsten Gut stilisiert, unsere Häuser und unsere Infrastruktur werden stets erneuert oder ersetzt, tote Tiere sieht man kaum, schwerkranke Menschen werden weggesteckt und Leichnahme werden von Profis weggeräumt. Es ist sogar illegal, seine verstorbenen Angehörigen zu Hause zu belassen – die Tradition der Aufbahrung gehört quasi schon der Vergangenheit an. In anderen Ländern läuft das nicht ganz so. Vielleicht weil sie das Geld nicht haben, um die Illusion der ewigen Jugend so vehement aufrechtzuerhalten, aber auch, weil die Mentalität generell eine andere ist, und der Tod noch nicht so stark verdrängt wurde.

Ein großer Schock – Tod

Natürlich stirbt immer mal wieder jemand in unserem Umfeld. Spannend (und auch traurig) finde ich, dass wir meist schockiert und überrascht darauf reagieren. Ich will nicht sagen, dass man nicht trauern darf, aber überraschen sollte uns der Tod nicht. Denn wir wissen, dass jeder von uns sterben wird, nur der Zeitpunkt des Todes ist unklar. Um in Gleichmut leben und den Tod vielleicht auch zur Befreiung unseres Geistes nutzen zu können, sollten wir uns auf ihn vorbereiten. Dafür müssen wir den Tod zu unserem stetigen Begleiter machen und uns mit ihm anfreunden. Solange wir versuchen, den Tod von uns fern zu halten, wird er uns ewig fremd bleiben und uns auch jedes mal auf’s Neue schockieren.

Angst = Motivation

Ich glaube niemandem, der mir sagt, er hätte keine Angst vor dem Tod. Natürlich haben wir Angst vor dem Sterben – wir wissen ja nicht, was danach mit uns passiert! Die Auflösung, das Nichts – wie soll man diesen Ideen cool gegenüber stehen? Nimmt man das Thema Tod auf die leichte Schulter und sagt, es tangiert einen nicht, dann hat man sich vermutlich noch nicht ausreichend mit der Realität des Todes auseinandergesetzt.

Ich persönlich hätte auch gerne in Ignoranz des Todes weitergelebt, aber vor einigen Jahren (kurz vor der Geburt meines ersten Sohnes), ist mir meine Sterblichkeit plötzlich so richtig bewusst geworden – nicht nur als Konzept, sondern als gefühlte Realität. Eines Nachts ist die volle Angst plötzlich in mir hochgestiegen und seit dem taucht diese Angst auch immer wieder auf – vorwiegend nachts, wenn alles schläft. Diese Angst gibt mir aber auch die Motivation, mich mit meiner Sterblichkeit auseinanderzusetzen, was mir wiederum hilft die Geschehnisse und Dinge in diesem Leben in Perspektive zu setzen und als nicht so wichtig anzusehen.

Der tibetanische Yogi Milarepa1 wurde auch von dieser Angst angetrieben:

„In Angst vor dem Tod, flüchtete ich in die Berge. Ich meditierte immer wieder über die Ungewissheit der Stunde meines Todes und eroberte die Festung der unsterblichen, unendlichen Natur des Geistes. Jetzt ist alle Angst vor dem Tod aus und vorbei.“ 2

Was bleibt bestehen?

Wie alle spirituellen Lehren sagen, gibt es einen Teil in uns, der auch nach dem Tod bestehen bleibt und wenn wir uns dieser unsterbliche Natur in uns gewahr werden und uns voll mit ihr identifizieren, können wir ganz frei von der Angst vor dem Tod werden – wie es Milarepa beschreibt. Natürlich ist das einfacher gesagt als getan – ich kann von mir nicht behaupten, dass ich auch nur annähernd soweit wäre –, aber wir sollten uns trotzdem dran halten. Lass uns nicht dauernd wegschauen, sondern nehmen wir die weisen Worte zu Herzen und fassen wir im Bewusstsein, dass es in uns etwas Unsterbliches gibt, all unseren Mut zusammen und blicken dem Gesicht des Todes direkt in die Augen. Vielleicht werden wir dann sogar erkennen, dass der Tod gar nicht unser Gegner ist, sondern nur ein weiterer Ausdruck des Lebens selber…


  1. Jetsün Milarepa (* 1040; † 1123), war ein tantrischer Meister und Begründer der Kagyü-Schulen des tibetischen Buddhismus. (Wikipedia Artikel)
  2. Von mir ins Deutsche übersetzt, basierend auf folgender englischen Version: „In horror of death, I took to the mountains – again and again I meditated on the uncertainty of the hour of death, capturing the fortress of the deathless unending nature of mind. Now all fear of death is over and done.“

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25. Juli 2015
Sean
(c) Sean Grünböck
www.gruenboeck.at

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Sean GrünböckSean Grünböck
Es ist mir ein Anliegen, im Alltag mit all seinen Höhen und Tiefen präsent zu bleiben und die tiefere Verbindung mit unserer inneren Geistesnatur auch Abseits von Meditationskissen, Seminaren und Retreats aufrecht zu erhalten.

Zu diesem Thema schreibe ich Artikel und singe Lieder.
Den sonntäglichen Artikel sowie das kommende Album gibt’s auf gruenboeck.at
SEAN GRÜNBÖCK: Leise-Schreiber, mit Bedacht-Komponierer, Tief-Singer und Buddha-Meditierer, Yoga-Verrenker, Web-Gestalter, Langsam-Läufer und Dreifach-Vater.

P.S.: Vielleicht interessieren Dich auch meine Lieder ‑„Weich wie Wasser“, von dem du ein Video auf YouTube sehen kannst

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