Bienen und Schmetterlinge ernähren die Welt – Nicht Gifte und Pestizide!
Leseprobe aus dem Buch “Wer ernährt die Welt wirklich?” – Das Versagen der Agrarindustrie und die notwendige Wende zur Agrarökologie
von Vandana Shiva
In ihrem Buch „Wer ernährt die Welt wirklich?“ enthüllt Vandana Shiva anhand von Daten, Zahlen und Fakten, wie uns der derzeit eingeschlagene Weg der Agrarindustrie in den Abgrund führt. Dem stellt sie das natürliche, organisch und biologisch arbeitende System der Natur entgegen. Die einzelnen Kapitel beleuchten dabei jeweils die Propaganda und Werbe-Narrative der Industrie und im Gegensatz dazu die Lösungen der ökologischen Landwirtschaft, wie sie von 500 Millionen Landwirten praktiziert wird. Dabei handelt es sich um eine Landwirtschaft, die den Bezug zum Leben und die Ehrfurcht vor ihm und den natürlichen Kreisläufen der Natur noch nicht verloren hat und die es zu verteidigen gilt. Erfolgreiche Landwirtschaft kann nur mit der Natur betrieben werden, nicht gegen sie!
„Bio ist kein »Ding«; es ist kein Produkt. Es ist eine Philosophie, eine Denk- und Lebensweise, die auf dem Bewusstsein beruht, dass alles miteinander verbunden ist und alles in einer Beziehung zu allem anderen steht. Was wir essen, wirkt sich auf die biologische Vielfalt, den Boden, das Wasser, das Klima und die Landwirte aus. Was wir dem Boden und dem Saatgut antun, wirkt sich auf unseren eigenen Körper und unsere Gesundheit aus.“
Vandana Shiva
Bienen, Schmetterlinge, Insekten und Vögel bringen Pollen von einer Blüte zur anderen, befruchten Pflanzen und ermöglichen ihnen die Fortpflanzung. Ohne Bestäuber würden sich die meisten Pflanzen nicht fortpflanzen, und ohne Pflanzenvermehrung wäre unsere Nahrungsmittelversorgung bedroht. Der Zyklus des Saatguts, sei es für die Bäume in den Wäldern oder für die Nutzpflanzen, die unsere Nahrung sind, beruht auf Bestäubungszyklen.
Ökologisch artenreiche Systeme bewahren nicht nur Bienen und Bestäuber, die uns ernähren, sondern regulieren auch Schädlinge durch ein natürliches Gleichgewicht zwischen Schädlingen und Fressfeinden. Sie unterstützen eine Fülle von natürlichen Feinden, die die Explosion von Schädlingspopulationen verhindern. Industrielle Monokulturen hingegen sind ein Festmahl für Schädlinge, weil es keine biologische Vielfalt gibt, die die ökologischen Funktionen der Schädlingsregulierung erfüllt.
Das industrielle Paradigma von Wissenschaft und Landwirtschaft beschreibt die Schädlingsbekämpfung als einen Krieg. In einem Lehrbuch zur Schädlingsbekämpfung heißt es: »Der Krieg gegen Schädlinge ist ein andauernder Krieg, den der Mensch führen muss, um sein Überleben zu sichern. Schädlinge (insbesondere Insekten) sind unsere Hauptkonkurrenten auf der Erde.«
Schädliche Pestizide auf dem Vormarsch
In den letzten vier Jahrzehnten haben wir einen drastischen Anstieg des Einsatzes von Pestiziden erlebt, die ihren Ursprung in der chemischen Kriegsführung haben. Pestizide sind nicht nur verheerend für das Ökosystem und für nützliche Bestäuber, sondern auch für unsere Gesundheit. Und da Konzerne, die Schädlingsbekämpfungsmittel herstellen, oft auch im Geschäft mit Arzneimitteln und Saatgut tätig sind, werden diese Chemikalien skrupellos als sichere »Medikamente« für Pflanzen und als wichtig für die Versorgung der Menschen vermarktet. In Ländern, in denen die Bauern eher arm und ungebildet sind, war es schwierig, diese um sich greifende gefährliche Vermarktung von Giftstoffen zu verhindern. Darüber hinaus blieb der Einsatz von schädlichen Pestiziden angesichts der großen Geldsummen, die im Agrobusiness zu verdienen sind, seitens der Regierungsbehörden ohne Widerspruch, obwohl sie die Menschen eigentlich vor Schaden bewahren sollen.
Aber Pestizide bekämpfen keine Schädlinge, sondern bringen sie vielmehr hervor. Schädlinge nehmen mit der Anwendung von Pestiziden zu, weil nützliche Arten getötet werden und Schädlinge gegen Chemikalien resistent werden. Befürworter des Agrobusiness haben argumentiert, dass es in jüngster Zeit verstärkten Schädlingsbefall gegeben habe, der bekämpft werden müsse. Aber in Wirklichkeit bedrohen sowohl Pestizide als auch GVO – die als vermeintliche Alternativen zu Pestiziden konzipiert wurden – unsere natürlichen Systeme der Schädlingsregulierung: die Bestäuber. Ausbrüche von Schädlingsbefall sind Symptome eines Systems, das aus dem Gleichgewicht geraten ist. Anstatt das Ungleichgewicht durch die Einführung weiterer tödlicher Gifte zur Schädlingsbekämpfung zu verschlimmern, müssen wir das natürliche Gleichgewicht von Bestäubern und Schädlingen wieder herstellen, um so auch die Gesundheit und den Nährwert unserer Nahrung sowie ein nachhaltiges Leben in unseren Ökosystemen wieder herzustellen.
Heute werden in der Landwirtschaft weltweit bis zu 1.400 Pestizide eingesetzt.
Pestizide lassen sich in fünf Kategorien einteilen: Herbizide, die zur Vernichtung unerwünschter Pflanzen und Unkräuter eingesetzt werden; Insektizide, die zur Vernichtung von Insekten und anderen Gliederfüßern verwendet werden; Rodentizide, die zur Bekämpfung von Mäusen und anderen Nagetieren eingesetzt werden; Fungizide, die zur Vernichtung von Pilzen verwendet werden; und Molluskizide, die gegen Weichtiere eingesetzt werden.
Idealerweise sollten diese Pestizide nur auf den Zielorganismus wirken. Allerdings wirkt nur ein Prozent des versprühten Pestizids auf die Zielorganismen, der Rest breitet sich im Ökosystem aus und wirkt auf alle Organismen. Pestizide sind hochgradig unspezifisch und für viele Nicht-Zielorganismen, einschließlich des Menschen, toxisch. In einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1990 heißt es: »Es gibt kein Segment der Allgemeinbevölkerung, das vor der Exposition durch Pestizide und potenziell schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen geschützt ist, wenn auch die Entwicklungsländer und Hochrisikogruppen in allen Ländern eine unverhältnismäßig große Last tragen.«
Die Herstellung und Verwendung von Pestiziden nimmt kontinuierlich zu.
Regelmäßig werden neue Chemikalien auf den Markt gebracht, und das System der Registrierung und Kontrolle von Pestiziden durch die Regierungen ist überaus fehlerhaft und kann im Einklang mit den Interessen der Unternehmen manipuliert werden. Die Zunahme ist vor allem im Globalen Süden zu beobachten: Der Einsatz von Pestiziden wächst mit einer Rate von fünf bis sieben Prozent pro Jahr. Pestizide finden sich heute in unseren Flüssen, im Grundwasser, in der Muttermilch, im Boden, in der Nahrung und in der Luft. Die meisten Pestizide und industriellen Gifte gelangen über die Nahrung in den menschlichen Körper. Wir alle sind Pestiziden ausgesetzt und tragen messbare Mengen dieser schädlichen Chemikalien in unserem Körper. Die vollen Auswirkungen dieser Pestizide, die wir über unsere tägliche Ernährung zu uns nehmen, sind nicht vollständig geklärt, aber Studien zeigen, dass die schädlichsten Auswirkungen bei Kindern auftreten, die im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht mehr Pestizide zu sich nehmen.
Freundliche Insekten leiden
Angesichts der Tatsache, dass nur ein Prozent einer Pestizidanwendung auf den »Zielschädling« wirkt, ist die Wirkung auf freundliche Insekten und Bestäuber drastisch. Bestäuber tragen wesentlich zu unserer Ernährungssicherheit und zur Agrarwirtschaft bei.
Honigbienen zum Beispiel bestäuben einundsiebzig der einhundert häufigsten Nutzpflanzen, die 90 Prozent der Welternährung ausmachen. Weltweit wird der Beitrag der Bienen zur Nutzpflanzenproduktion auf umgerechnet 200 Milliarden Dollar geschätzt. Jeder vierte Mundvoll Nahrung auf der Welt wird durch die ökologischen Beiträge der Bestäuber produziert. Die von Insekten bestäubten Nutzpflanzen in den Vereinigten Staaten werden auf einen Wert von 20 Milliarden Dollar geschätzt. Dennoch werden Bienen und Schmetterlinge, die unverzichtbare Nahrungsmittelproduzenten sind, durch das Arsenal von Giften getötet, die die Grundlage der industriellen Landwirtschaft bilden.
Von 1985 bis 1997 sank die Zahl der Honigbienenvölker auf dem Ackerland der USA um etwa 57 Prozent. Pestizide waren weitgehend für diese Veränderung verantwortlich. Das Immunsystem der Honigbienen wird durch die Einwirkung von Pestiziden geschwächt, und so werden sie anfälliger für natürliche Feinde. Die Exposition gegenüber Pestiziden kann auch ihre Fortpflanzung und Entwicklung stören. Bestäuber sind eine wesentliche natürliche Dienstleistung, die den Bauern zur Verfügung gestellt wird, und ohne ihre Existenz ist unsere Ernährungssicherheit bedroht.
Der Krieg gegen die Schädlinge ist weder notwendig noch wirksam.
Schädlinge werden reguliert, wenn zwischen den verschiedenen Komponenten in einem landwirtschaftlichen System ein Gleichgewicht herrscht, und Artenreichtum ist unser bester Freund beim Umgang mit diesen Problemen. Er funktioniert auf zwei Ebenen.
Erstens entstehen Schädlinge nicht, wo Vielfalt herrscht, denn in einem System ist kein einziges Insekt oder Unkraut ein »Schädling«. Ein ökologisches Gleichgewicht durch biologische Vielfalt ist der beste Schädlingsbekämpfungsmechanismus, und freundliche Insekten wie Marienkäfer, Weichkäfer und andere Käfer, Spinnen, Wespen und die Gottesanbeterinnen tragen alle dazu bei.
Die biologische Vielfalt ermöglicht Systeme der integrierten Schädlingsbekämpfung wie das Push-Pull-System, bei dem eine Pflanze die Aufgabe hat, Schädlinge anzuziehen, während eine andere die Aufgabe hat, sie abzuwehren. Diese Technik wird von Tausenden von Bauern in ganz Ostafrika angewandt, die Silberblatt-Desmodium (eine Futterleguminose) mit Mais, Napier und Sudangras zusammen anbauen. Die vom Desmodium produzierten Aromen wehren Schädlinge wie den Mais-Stammbohrer ab (Push), während die von den Gräsern produzierten Düfte den Stammbohrer anziehen (Pull) und ihn anregen, seine Eier statt im Mais im Gras abzulegen.
Im Gegenzug produziert das Napiergras eine gummiartige Substanz, die die Larven des Stammbohrers einfängt, so dass nach dem Schlüpfen nur wenige von ihnen bis ins Erwachsenenalter überleben und so ihre Anzahl reduziert wird. Länder auf der ganzen Welt wenden Systeme der integrierten Schädlingsbekämpfung an, die auf der biologischen Vielfalt beruhen. In Indonesien arbeitete die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) mit der Regierung zusammen, um Feldschulen für Bauern einzurichten, in denen integrierter Pflanzenschutz gelehrt wird. Dies gilt weithin als eines der erfolgreichsten Beispiele für die Verringerung der Abhängigkeit von Pestiziden durch biologische Vielfalt.
Weg vom Gift
Sowohl die Bio-Bewegung – hin zu einer chemikalien-, pestizid- und gentechnikfreien Landwirtschaft – als auch die Umweltbewegung – gegen die Klimazerrüttung – versuchen, eine giftfreie Welt zu schaffen. Der Imperativ, Gifte zu verbreiten, ist weder ein ökologischer Imperativ für die Wirkungsweise der Natur noch ein sozioökonomischer Imperativ für die Schaffung florierender Volkswirtschaften. Er ist vielmehr nur ein Imperativ für die Gewinne jener Unternehmen, die ihre Wurzeln in den Giftstoffen des Krieges haben. Diese Konzerne sind in der Folge sowohl von den Profiten als auch von einer militarisierten Denkweise und einem militarisierten Wissensparadigma abhängig geworden, das Gifte für die Schädlingsbekämpfung und damit für die Ernährung der Welt unerlässlich erscheinen lässt.
Aber wie wir gesehen haben, gibt es giftfreie Formen der Landwirtschaft, die nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich sind. Der Ausbruch aus dem Giftkreislauf ist entscheidend für den Schutz unserer Gesundheit und unserer biologischen Vielfalt, die durch Pestizide und pestizidproduzierende Pflanzen bedroht sind. Biodiversität und ökologische Prozesse sind der ausgeklügeltste und bewährteste Ansatz zur Schädlingsregulierung. Es ist an der Zeit für einen Paradigmenwechsel vom militarisierten Geist, der alle Arten als Feinde sieht, die ausgerottet werden müssen, hin zu einer Weltanschauung, die den Menschen als Teil einer Erdenfamilie betrachtet und Bestäuber und freundliche Insekten als unsere Co-Produzenten im Nahrungsnetz anerkennt.
Eigenverantwortung
Jeder einzelne von uns, kann ab sofort beginnen, beim Essen politisch zu sein. Denn eigentlich haben wir als Konsumenten die Macht und müssen nicht darauf warten, dass die Politik mitzieht. Weniger Fertigprodukte und Supermarktfood, dafür mehr regionale Produkte, Einkaufen bei Direktvermarktern, Verbrauchergemeinschaften, Netzwerken wie der Solidarischen Landwirtschaft, Genossenschaften, Ökodörfern, gemeinwohlorientierten Unternehmen: mit gutem Gewissen gesund genießen. Die Bewegung wächst!
In der deutschen Fassung des Buches „Wer ernährt die Welt wirklich?” Von Vandana Shiva sind einige Adressen und Initiativen aufgelistet, die all das bereits erfolgreich in die Tat umsetzen.
Über die Autorin Vandana Shiva
Vandana Shiva (* 5. November 1952 in Dehradun) ist eine indische Wissenschaftlerin, soziale Aktivistin und Globalisierungskritikerin.
Für ihr Engagement in den Bereichen Naturschutz, biologische Vielfalt, Frauenrechte und Nachhaltigkeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Ihr wurde 1993 der Right Livelihood Award – inoffiziell auch Alternativer Nobelpreis genannt – verliehen, weil sie die Themen Frauen und Ökologie in den Mittelpunkt des Diskurses um moderne Entwicklungspolitik gestellt hat.
Sie ist unter anderem Mitglied der Internationalen Organisation für eine Partizipatorische Gesellschaft (IOPS). Des weiteren ist sie Gründungsmitglied beim World Future Council.
Quelle: Amazon
Video: “Wer ernährt die Welt wirklich?” – Vandana Shiva
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Buchtipp:
“Wer ernährt die Welt wirklich?” –
Das Versagen der Agrarindustrie und die notwendige Wende zur Agrarökologie
von Vandana Shiva
In dieser Abrechnung der Wissenschaftlerin und Aktivistin Vandana Shiva wird eindrucksvoll dargelegt, wie die Agrargroßindustrie mit Chemie und Gentechnik den Planeten plündert, die Lebenswelt zerstört und unsere Gesundheit untergräbt. Und sie zeigt faktenreich und sachkundig auf, wer wirklich unsere Nahrungsgrundlage sicherstellt und wie wir den Hunger besiegen und unsere Nahrungssicherheit wieder herstellen können.
Zum Buch03.12.2021
Vandana Shiva
indische Wissenschaftlerin, soziale Aktivistin und Globalisierungskritikerin
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