Das verlorene Paradies – Macht der Würde

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Das verlorene Paradies – Macht der Würde

von Anna Gamma

Leseprobe aus dem Buch “Die Macht der Würde – Vision einer erneuerten Kultur der Partnerschaft”

Es ist mir wichtig, zu Beginn auf ein paar wesentliche Schwierigkeiten in der Darstellung und Interpretation jener vergangenen Kulturepoche (nochmals) hinzuweisen:

 Texte zur prähistorischen Zeit der menschlichen Kulturgeschichte
müssen per se immer Hypothesen bleiben, weil damals der Mensch noch keine Schrift kannte. Die vielfältigen Auslegungen der archäologischen Funde zeugen allesamt von einem mehr oder weniger expliziten Welt- und Menschenbild der Interpreten, insbesondere davon, wie sie die
Frauenfrage klärten.

  Quelle der Interpretationen sind neben Kult- und Kunstzeugnissen auch Gegenstände für den alltäglichen Gebrauch wie Kleidung, Möbel, Gefäße etc. Sie sind Zeugnisse für die Realität, in der die Menschen damals lebten.

  Mit der Erfindung der Schrift entwickelte sich die Geschichtsschreibung. Auch wenn es uns nicht gefallen mag, ist sie tendenziös, denn sie wurde meistens aus der Sicht von männlichen Siegern geschrieben. Mindestens eine Perspektive, nämlich die der Frau, wurde systematisch außer Acht gelassen.

  Im Weiteren liegen jeder geistigen Auseinandersetzung persönliche, lebensgeschichtliche Erfahrungen zugrunde. Es gibt sie nicht, die sogenannte Objektivität, und auch nicht die „eine“ Wahrheit, obwohl seit der Aufklärung die westliche Wissenschaft die Außensicht der Dinge zur einzig wahren Erkenntnis der Wirklichkeit erklärte. Eine Kehrtwende leiteten im letzten Jahrhundert Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen ein, die nach den kleinsten Partikeln der Materie suchten und den Weltraum erforschten.

Der Physiker Hans-Peter Dürr bringt die neue Sicht auf Wahrheit und Wirklichkeit prägnant auf den Punkt: „Es ist grob unzulässig und falsch, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit mit der Wirklichkeit schlechthin gleichzusetzen. Genau dies passiert jedoch, wenn wir wissenschaftliche Erkenntnisse als allumfassend betrachten.“ Die Außensicht habe nur begrenzte Gültigkeit. „Sie ist nur vergröbertes Abbild einer tieferen Wirklichkeit, deren Züge sich uns besser durch Innensicht offenbaren.

Damit dürfte klar geworden sein, dass dieselben Einschränkungen bezüglich Objektivität auch meine Ausführungen betreffen. Meine Sicht auf die Hochblüte der Kultur jener vergangenen Zeit bleibt ebenso subjektiv gefärbt. Ich orientiere mich neben meiner „Innensicht“ in der Darlegung an
Forschungen von Frauen, die in den vergangenen Jahrzehnten großartige wissenschaftliche Arbeiten geschrieben und damit Bahnbrechendes geleistet haben.

In der prähistorischen Zeit standen Frauen im Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Sie waren die Schöpferinnen einer hohen Zivilisation, in der das Kunstschaffen in Europa einen ersten Höhepunkt erreichte. Obwohl Frauen im öffentlichen Leben die bedeutendere Rolle spielten, waren die Männer nicht unterdrückt. Das Erstaunlichste jener Zeit jedoch ist, dass wohl keine Kriege geführt wurden.

So wurden beispielsweise auf Kreta keine Befestigungsmauern rund um die Tempelbezirke, den staatlichen wie religiösen Machtzentren, vorgefunden, die vor feindlichen Übergriffen hätten schützen müssen. Zudem wurden nur wenige Waffen entdeckt. In keinen der kunstvollen Darstellungen finden sich Kampfszenen oder ein kriegerisches Motiv.

Man darf deshalb ohne Übertreibung annehmen, dass die Menschen ein Jahrtausend lang in einer friedlichen, herrschaftsfreien Epoche lebten. Christa Mulack schreibt dazu: „Die bis dato gefundene Wiege der menschlichen Kultur entstammt somit dem weiblichen Bewusstsein, das sich im Mutterrecht niederschlug und so ein weitverbreitetes kulturelles Gemeinwesen schuf, von dem unsere Zeit nur noch als von einem ‚Paradies‘ oder ‚Reich Gottes‘ träumen kann.“

Bei solchen Aussagen könnte man leicht einer Retroromantik verfallen. Doch davon soll hier nicht die Rede sein. Vielmehr möchte ich dazu anregen, die Vorstellung einer befriedeten Völkergemeinschaft nicht als Illusion hinwegzufegen, sondern das unmöglich Erscheinende als Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen. Warum sollte unsere hoch entwickelte Zivilisation solche gesellschaftlichen Zustände nicht wieder aufbauen können?

Carola Meier-Seethaler, die Erkenntnisse aus der Ethnologie in ihre Arbeit miteinbezieht, schreibt ausführlich über die Gesellschaftsordnung in matrizentrischen Gemeinschaften. Im Paläolithikum, der Altsteinzeit, waren diese Gemeinschaften in Clans organisiert, die keine institutionalisierten Machtpositionen aufwiesen. Entscheidungen wurden im Kollektiv getroffen, wenngleich die Stimme von erfahrenen, älteren Clanmitgliedern, meistens Frauen, mehr Gewicht hatten. Die bzw. der Dorfälteste hatte keine Verfügungsgewalt, konnte also keine Befehle erteilen. Ihnen blieben allein ein Vorschlagsrecht und ein überzeugendes, vorbildliches Verhalten.

Im Neolithikum, der Jungsteinzeit, veränderte sich die Gesellschaftsordnung. Diese Entwicklung lässt sich sehr gut am Beispiel von Kreta aufzeigen. Auch wenn die kretische Schrift immer noch nicht entziffert ist, lässt sich aufgrund der zahlreichen Bilder und Symbole der Großen Göttin in den Tempelpalästen die „Theakratie“, das sakrale Königinnentum, als eigentliche staatsbildende Gesellschaftsstruktur erkennen. Dabei hatte die Oberpriesterin bzw. Königin eine zentrale Rolle inne. Gleichwohl herrschte zwischen den Geschlechtern keine Über- und Unterordnung.

Obwohl Frauen eine hohe ökonomische, soziale, kulturelle und religiöse Stellung einnahmen, war die Gesellschaftsordnung auf gleichberechtigte Partnerschaft ausgerichtet. Dieses Faktum zeigt sich insbesondere im Umgang mit der Sexualität. In matrizentrischen Gesellschaften spielte die Sexualität eine ganz andere Rolle als in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Die Menschen hatten eine natürliche Beziehung zur Sinnlichkeit und Sexualität. Männer wie Frauen genossen zudem große sexuelle Freiheiten. So war die polygame Ehe durchaus die Regel, wobei Frauen wie Männern die gleichen Rechte zustanden, und sie mehrere Partner bzw. Partnerinnen haben konnten.

Die selbstverständliche Einstellung der Kreter zur Sexualität hatte, so vermutet u. a. Riane Eisler, Konsequenzen. Sie schreibt: „Im Verbund mit ihrer Begeisterung für Sport, Spiel und Tanz, mit ihrer Kreativität und Lebensfreude trug offensichtlich auch ihre liberale Einstellung zur Sexualität zu der im allgemeinen friedlichen und harmonischen Atmosphäre bei, von der das Leben auf Kreta durchdrungen war.“

An anderer Stelle macht sie darauf aufmerksam, und ich stimme mit ihr darin überein, dass die Menschen jener Zeit nicht idealisiert werden dürfen. So schreibt sie: „In Kreta existierte – dies muss einmal mehr betont werden – keine ideale Gesellschaft, kein utopisches Gemeinwesen. Es war eine durch und durch reale, menschliche Gesellschaft mit allerlei Problemen und Unvollkommenheiten: … Die Erklärung und Bewältigung von natürlichen Vorgängen erfolgte mithilfe animistischer Glaubensvorstellungen und durch Sühnerituale.“ Der animistische Weltbezug zeigt sich insbesondere in der Naturverbundenheit und der Bewältigung von zerstörerischen, furchterregenden Naturkräften durch spezielle Zeremonien. Die Welt, der Kosmos und der Mensch wurden als Einheit und Ganzheit erfahren.

„Die höchste Macht, die hier das Universum regiert, ist die göttliche Mutter, die ihrem Volk das Leben gibt, es mit materieller und spiritueller Nahrung versorgt und ihre Kinder selbst im Tod nicht verlässt, sondern sie wieder aufnimmt in ihren kosmischen Schoß.“ (Siehe dazu auch den Abschnitt „Das verloren gegangene Erbe“, S. 42.) Himmel und Erde waren Phänomene, die weder beherrscht, geplündert noch ausgebeutet werden durften. Vielmehr erlebten sich die Menschen tief verbunden mit dem Strom des Lebens, vertrauensvoll eingebettet in den natürlichen Rhythmus der Natur, von Jahreszeiten und von Geburt und Tod. Die Heiligkeit aller Wesen des Kosmos und das allumfassende Verwobensein kennzeichnete ihre Grundverfassung. Zu meinem Erstaunen leuchtet diese Sicht in der modernen Biologie und Physik wieder auf. Die Trennung zwischen Natur und Mensch gibt es nicht. Wir sind ungetrennt und unvermischt Teil eines kosmischen Gewebes.

Wir sind im Tiefsten All-Ein. So schreibt der Physiker Hans-Peter Dürr: „In der Quantenphysik gibt es das Teilchen im klassischen Sinne nicht mehr, d.h., es existieren im Grunde keine (kleinsten) zeitlich mit sich selbst identischen Objekte … Mit der Nichtexistenz von lokalisierbaren, abtrennbaren Objekten gibt es keine Möglichkeit mehr, von Teilen, im Sinne von Bestandteilen, zu sprechen. Die Welt ist ein nicht-auftrennbares Ganzes, ein Nicht-Zweihaftes, eine Adualität…, ein Kosmos, der alles mit allem unauflösbar, irreduzibel verbindet.

Die prähistorische, „paradiesische“ Zeit nahm nach und nach ihr Ende. Carola Meier-Seethaler beschreibt diese Entwicklung in kurzen Worten: Es erfolgte ein „Wandel von einer relativ freien und egalitären Gesellschaft zu einer immer stärker hierarchisch strukturierten, und ebenso der Wandel vom sakralen Königtum mit seiner beschränkten Macht zu einer immer autokratischeren und aggressiveren Königsherrschaft. Parallel dazu oder leicht phasenverschoben verläuft der mythologische Umbruch von der matrizentrischen Religiosität zur patriarchalen Theologie und die Ablösung des matrizentrischen durch das patriarchale Familiensystem.

Die These, dass diese Hochblüte menschlicher Kultur durch räuberische, gewaltsame Eroberungen ein schreckliches Ende fand, wird inzwischen allgemein anerkannt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Bücher von Carola Meier-Seethaler, Maria Gimbutas und Riane Eisler. Sie haben diese tragische Entwicklung ausführlich beschrieben. Die aus Deutschland stammende Psychologin Carola Meier-Seethaler und die US-amerikanische Kulturhistorikerin Riane Eisler haben nicht nur ausführlich die prähistorische Kultur und ihren Niedergang beschrieben. Ihr Herzensanliegen gilt der heutigen Zeit und einer erneuerten Kultur der Partnerschaft. Ihnen werde ich in den beiden folgenden Abschnitten das Wort leihen.

Befreiung zur Partnerschaft

Carola Meier-Seethaler entfaltet ihre Sicht als „Befreiung zur Partnerschaft“ entlang den verschiedenen Lebensbereichen: individuell, familiär, politisch und kulturell. Darin beschreibt sie zunächst den Mangel an Freiheit in der Partnerschaft und zeigt anschließend Perspektiven einer befreiten Partnerschaft. Auf der individuellen Ebene fordert sie die Gegenseitigkeit auf geistiger, emotionaler und sexueller Ebene für Frau und Mann. Die Voraussetzung dafür ist menschliche Reife, die unabhängig macht von alten Rollenzwängen, die erkannt und überwunden werden müssen.

Im familiären Bereich zeigt sie die Schwächen im Modell der Kleinfamilie auf, aber auch wie das Fehlende ergänzt werden kann. Dazu ist Transformation notwendig, die einmal mehr auf der persönlichen Ebene beginnt, dem Verständnis von Vater- und Mutterrollen jenseits des Patriarchats. Sie spricht in diesem Zusammenhang von partnerschaftlicher, gegenseitiger Elternschaft. Damit die neue Familie gelingen kann, sind strukturelle Änderungen notwendig im Familien-, Arbeits- und Staatsrecht. Dieses Anliegen ist nur auf der politischen Ebene zu lösen. In diesem gesellschaftlichen Bereich fordert Meier-Seethaler mit klaren Worten die Gleichstellung von Mann und Frau. Obwohl ihr Buch am Ende der 1980er-Jahre veröffentlich wurde, bleiben ihre Überlegungen aktuell, wenn sie im Kapitel „Befreiung zur Partnerschaft“, die politische Ebene reflektierend, mit der Feststellung beginnt: „Patriarchat und Demokratie sind zwei Dinge, die sich prinzipiell entgegenstehen.“ Im Mittelpunkt ihres Diskurses steht die mangelnde Gleichstellung von Mann und Frau im familiären, wirtschaftlichen und politischen Bereich.

Ihre Vision für die Politik basiert auf einer herrschaftsfreien Verbundenheit. Wohl sind Schritt für Schritt in den vergangenen Jahren diesbezüglich einige Errungenschaften erreicht worden. In Krisenzeiten, wie beispielsweise in der Zeit der Corona-Pandemie, entlarvt sich in vielen Ländern, dass die alte Herrschaftsform der Unterdrückung und Menschenverachtung noch in vielen Menschen tief verankert und machtvoll wirksam ist.

Ich schrieb dieses Kapitel, als in der Zeit der Corona-Pandemie diktatorische Regimes neuen Zuspruch gewannen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass auch andere Stimmen gehört werden, Stimmen, in deren Mittelpunkt nicht die Bewahrung der eigenen Machtposition steht, sondern die Freude daran und das Engagement dafür, dass das Leben lebendig bleibt. „Solange wir die patriarchale Grundidee, nur durch Herrschaft und Planung von oben ein Gemeinwesen schaffen zu können, nicht verabschieden, wird der Circulus vitiosus nicht zu beenden sein, wonach eine Gewaltstruktur nur eine andere ablöst. Herrschaft und Kalkül sind aber nicht die einzig möglichen Organisationsformen für menschliches Zusammenleben. Es gibt ungeschriebene Gesetze der Solidarität, und es gibt eine gewaltlose und uneigennützige Autorität, die von jedem kompetenten Wissen und Handeln und von jedem durch das Leben gereiften Menschen ausgehen kann.

Im Kulturschaffen, von den Geisteswissenschaften bis zur Literatur, Architektur und Malerei, plädiert Carola Meier-Seethaler für die Aufhebung der rationalen Distanz zum Gegenüber bzw. für die Aufhebung der patriarchalen Trennung von Geist und Materie, von Gefühl und Verstand. Dieses Tun versteht sie als zentralen schöpferischen Akt. Kunst wird sich aus ihrer Sicht daran messen müssen, „ob sie taub macht für den Aufschrei der Unterdrückten und gleichgültig gegenüber den Zerstörungen des Lebens oder ob sie Kräfte freisetzt, die sich der realen Utopie einer solidarischen und glücklicheren Welt annähern.

Eine mögliche Zukunft der Partnerschaft

Das Schlusskapitel des Buches „Kelch & Schwert“ trägt den Titel „Der evolutionäre Durchbruch: eine Zukunft in Partnerschaft“ und Riane Eisler beginnt es mit der zentralen Aufgabe der Menschheit, die heute ansteht, nämlich: „zwischenmenschliches Zusammenleben so zu organisieren, dass das Überleben der Art und die Entwicklung unserer einzigartigen Potenziale gewährleistet bleibt.“ Damit diese Aufgabe gelingen kann, seien ein neues Realitätsverständnis, eine neue Wissenschaft und Spiritualität, eine neue Politik und ein neues Wirtschaftsverständnis notwendig. Riane Eisler zeichnet mit klaren, scharfen Strichen die Denkmuster der Weltanschauung in der dominatorisch geprägten Gesellschaft nach. Sie fußen auf der „Unterwerfung und Ausbeutung der Natur“ und einem „Der-Mann-herrscht-die-Frau-wird beherrscht

 Schema. Das Neue bricht an, wenn immer mehr Menschen von innen her verstehen, dass wir unmittelbar mit unserer Mitwelt verbunden sind, und es gipfelt in dem Bewusstsein, „dass wir und unser Schicksal aufs Engste mit allen anderen Menschen verbunden sind.“

In der Wissenschaft zeigt sich das Neue in neuen Denkmodellen, die insbesondere durch die Erkenntnisse der modernen Physik, nämlich dass alles mit allem verbunden ist und nichts unabhängig vom Ganzen existiert, an Bedeutung gewonnen haben.

So wird das mechanistisch, logisch-rationale Denken ergänzt und teilweise auch abgelöst durch einen holistischen Ansatz, indem aus dem Erfassen der Ganzheit Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstaunlicherweise sind es gerade jene Wissenschaften, die in der Epoche der Aufklärung die Trennung zwischen Wissenschaft und Spiritualität einleiteten, die nun an der Überwindung dieser Kluft besonders intensiv beteiligt sind: Physik und Biologie. So nahm die Zahl der Veröffentlichungen in den letzten Jahrzehnten zu, in denen Menschen, die in den Naturwissenschaften bewandert sind, und solche, die tiefes spirituelles Wissen einbringen, gemeinsam zu Worte kamen.

Der Physiker Werner Heisenberg bringt diese Entwicklung mit den Worten auf den Punkt: „… der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet GOTT .“
Auf politischer Ebene, so Riane Eisler, weisen inzwischen Futurologen den Weg. Sie sprechen davon, dass wir, um große regionale und globale Katastrophen zu vermeiden, eroberungsorientierte Wertvorstellungen aufgeben müssen zugunsten eines Geistes aufrichtiger, freier Partnerschaft. Kooperation statt Konfrontation und Krieg, Bewahrung der Natur statt Ausbeutung der Ressourcen, Sorge für die zukünftigen Generationen statt kurzfristiger Profitgier. Ein Wandel steht an, ein Wandel der tief greifenden Art, wie jener der Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling. Ein uraltes Symbol für die transformativen Kräfte, das einst der Großen Göttin zugesprochen wurde.

Ein Plädoyer für die Partnerschaft

Obwohl ich nicht bis ins Detail mit den Darstellungen von Riane Eisler und Carola Meier-Seethaler übereinstimme, bin ich in vielem mit ihnen einig. So fasse ich die für mich zentralen Thesen zur erneuerten Partnerschaft kurz zusammen. Sie sind nicht neu, sie sind bereits vielfältig beschrieben worden. Trotzdem möchte ich sie hier wiedergeben, mehr noch, uns an sie wieder erinnern, damit sie mehr und mehr unseren ganz konkreten Alltag bestimmen:

Partnerschaft ist ein anderes Wort für Liebe. Liebe beschränkt sich nicht auf die Beziehung zwischen Mann und Frau, denn Liebe ist die Ur-Matrix allen Seins. Mit den Worten des Physikers Brian Swimme: „Um uns der Liebe zu nähern, müssen wir mit unserem kosmischen Umfeld beginnen, dem erwachenden Universum, in dem wir uns befinden. Dieses ‚Reich des Seins‘ ist letztlich unsere Heimat. Alle Lebewesen haben diese Heimat gemein, auch die Menschen.

Eine erneuerte Kultur der Partnerschaft sollte sich niemals nur auf das Paar von Mann und Frau begrenzen. Jede auf das Paar begrenzte Partnerschaft ist zum Scheitern verurteilt, da sie sich selbst einschließt und mehr und mehr an ursprünglicher Lebendigkeit verliert. Partnerschaft ist eine Grundhaltung allem Sein gegenüber. So verstanden, wird sie alle Gesellschaftsbereiche radikal verändern, im Kleinen wie im Großen, zwischen Menschen, Völkern, Nationen. Dies gilt auch für alle folgenden Thesen.

  Lebendige Partnerschaft entfaltet sich im Kontext eines atemberaubenden Entwicklungsprozesses, nämlich der Weiterentwicklung des Kosmos. Brian Swimme schreibt dazu: „Unser erwachender Kosmos ist der grundlegende Bezugsrahmen für alle Diskussionen über Werte, Sinn, Ziel und Grenzfragen aller Art.“ Und dazu gehört eben auch Partnerschaft. Damit eine Partnerschaft lebendig bleibt, müssen beide Teile an sich und an der Beziehung arbeiten. Dies bedeutet, in gewissen Phasen auch Mühsal anzunehmen. Die eigene Entwicklung und die der Partnerschaft in einem größeren Ganzen wahrzunehmen, kann beide Partner in schwierigen Zeiten entlasten und befreien.

  Partnerschaft gedeiht im lebendigen Raum zwischen den Paaren. Diese Auffassung findet ihre Korrespondenz in der modernen Physik. Sie fußt auf Forschungsergebnissen, die besagen, dass das grundlegende Element der Wirklichkeit eine Beziehungsstruktur ist. „Im Grunde“, so Hans-Peter Dürr, „dominiert die immaterielle Beziehung, reine Verbundenheit, das Dazwischen, die Veränderung, das Prozesshafte, das Werden, eine ‚Wirklichkeit als Potenzialität‘.“ In Krisenzeiten verfallen wir leicht in das Muster „Ich bin richtig, du bist falsch“ und kapseln uns dabei von den anderen ab. Verlagern wir den Fokus auf das Dazwischen, öffnet sich ein befreiender Raum, eben dieser Raum des Dazwischen, in dem die Problemlösung auf kreative Weise gefunden werden kann.

 Partnerschaft ist keine feste Größe. Sie ist wie alles Lebendige in jedem Moment neu. Die Quelle ist der leere, grenzenlose Raum der Stille, in dem der weite, klare Geist gründet. Dieser befähigt uns, alte Denkgewohnheiten und mentale Denkautobahnen zu erkennen, anzunehmen und loszulassen. Dann kann sich Wesentliches im Gegenüber zeigen. Das Besondere in diesem Prozess ist, dass wir auf geheimnisvolle Weise selbst wesentlicher werden. Davon lebt jede menschliche Partnerschaft, denn ein Ziel jeden geglückten Lebens heißt, immer mehr der Mensch zu werden, der in uns einzigartig angelegt ist.

  In jeder Partnerschaft ist die Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper und dessen Würde von grundlegender Bedeutung. Die beiden Psychologen Peter Campbell und Edwin McMahon schreiben dazu: „Ob wir es anerkennen wollen oder nicht, jeder und jede von uns ist eine integrale, lebendige Zelle innerhalb der Evolution eines größeren Ganzen, eines kosmischen Leibes. Dieses Bewusstsein reift allerdings nicht deshalb heran, weil wir etwas tun, sondern weil wir einer Ganzheit erlauben, im Innern unseres Selbst durchzubrechen. Innerhalb des Wissens, das unser Körper hat, reift die Einheit innerhalb der Menschheitsfamilie auf unserem Planeten … Das resultiert weniger aus dem Denken, sondern aus unserer Fähigkeit zur Resonanz.“

Die Erfahrung der Einheit mit allem Sein, das Eingebundensein in den großen, kosmischen Werdeprozess schenkt Vertrauen ins Leben, mehr noch, schenkt die Erfahrung, dass das Leben es gut meint mit uns. Die tiefe Vertrautheit mit dem Strom des Lebens in unserem Körper stärkt die Bereitschaft, in jeder Verschiedenheit die Ergänzung zu finden.

  Gegenseitige Partnerschaft lebt von Kooperation. Die neurobiologische Forschung widerlegt eine der Grundannahmen Charles Darwins, nämlich dass die Auslese unter dem Druck des Überlebenskampfes die treibende Kraft in der gesamten evolutiven Entwicklung und damit auch der Menschheit sei.

Der Neurobiologe Joachim Bauer schreibt dazu: „Das natürliche Ziel der Motivationssysteme sind soziale Gemeinschaften und gelingende Beziehungen mit anderen Individuen, wobei dies nicht nur persönliche Beziehungen betrifft, Zärtlichkeit und Liebe eingeschlossen, sondern alle Formen sozialen Zusammenwirkens. Fürden Menschen bedeutet dies: Kern aller Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung und Zuneigung zu finden und zu geben. Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation ausgelegte Wesen.“ Ich bin überzeugt, dass diese wissenschaftliche Erkenntnis nicht nur für das Paar und den familiären Kontext zutreffend ist, sondern auch für größere gesellschaftliche Körper wie Nationen und die globale Gemeinschaft.

Jede innere oder äußere Mauer verhindert Partnerschaft. Und es gibt eine reale Alternative zu jeder Form der Aufrüstung und gewalttätiger, kriegerischer Auseinandersetzung, denn diese Alternative ist biologisch im menschlichen Körper angelegt.

  Die Haltung der Partnerschaft zeigt sich in der mitfühlenden Präsenz gegenüber allem Leiden in der Welt. Sie lässt uns im höchsten Maß kreativ werden, um menschwürdige Lösungen für die global anstehenden Probleme zu finden und umzusetzen.

  Partnerschaft schenkt Freiheit in der Bindung. Sie erfüllt sich in der Liebe zum Leben und an der Freude und Dankbarkeit am eigenen Sein. Diese Thesen können wir für uns selbst fortsetzen und erweitern. Wir können Dialoge führen mit anderen zu diesem Thema in der Gewissheit, dass in diesem Kontext „richtig“ und „falsch“ nicht angebracht ist. Vielmehr können wir uns an der Fülle und Lebendigkeit freuen, zu der uns die Vision der gleichberechtigten Partnerschaft von Mann und Frau, von Völkern und Nationen, von Mensch, Erde und Kosmos anregt.


Vita: Anna Gammakamphausen-anna-gamma-portrait

Anna Gamma, Dr. phil., Psychologin, Mitglied des Katharina-Werks, war von 2000 bis 2012 Geschäftsleiterin des Lassalle-Instituts. Sie erhielt 2003 von Niklaus Brantschen und Pia Gyger in der Glassman-Lassalle-Zen- Linie die Zen-Lehrbefugnis und wurde 2013 zur Zen-Meisterin ernannt. Anna Gamma ist eine gefragte Seminarleiterin, Executive Coach, Unternehmensberaterin, Referentin und Autorin.
Mehr unter: annagamma.ch

 


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Die Macht der Würde –
Vision einer erneuerten Kultur der Partnerschaft
von Anna Gamma

Wenn Frauen sich ihrer Würde wieder zutiefst bewusst werden, dann finden sie zu ihrer ureigenen Macht zurück. So können sie den Männern selbstbewusster und würdevoller begegnen. Dies führt zu einer grundlegenden Erneuerung der Partnerschaft zwischen Frau und Mann.

Details zum Buch

 

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