Die erste westliche ZEN-Meisterin
Brigitte D’Ortschy, geboren am 31. Mai 1921 in Berlin; gestorben am 9. Juli 1990 in München-Grünwald – nur 2 Tage nach dem Tod des legendären deutsch-japanischen Jesuiten und ZEN-Meisters Hugo Makibi Enomiya-Lassalle Tod (1898 – 1990). Sie war eine deutsche Architektin, Übersetzerin, Journalistin und Autorin; die erste deutsche ZEN-Meisterin, bekannt unter dem Namen Koun-An Doru Chiko Roshi, Shoshike der Sanbo Kyodan Linie, Kamakura/Japan.
Brigitte D’Ortschy wuchs in Berlin auf.
Als Heranwachsende beschäftigte sie sich mit der Lektüre von Angelus Silesius, Meister Eckhart, Teresa von Ávila und Chuang-tzu. Nach dem Abitur studierte sie Architektur in Berlin und Graz. Ein Schwerpunkt ihrer Studien waren die soziologischen und psychologischen Aspekte des Bauwesens. 1945 erhielt sie ihr Diplom als Architektin und Ingenieurin.
Von 1947 bis 1950 arbeitete Brigitte D’Ortschy als Forschungsassistentin an der Technischen Universität München im Bereich Geschichte der Baukunst und Archäologie. 1950 wurde sie in die USA gesandt, um Erfahrungen auf dem Gebiet der Stadt- und Landesplanung für den Neuaufbau des Nachkriegs-Deutschland zu sammeln. An der University of North Carolina schloss sie ihre weiterführenden Studien ab und arbeitete für die Planning Commission von Philadelphia. In dieser Zeit lernte sie Frank Lloyd Wright (1867 – 1959) kennen.
1951 wurde sie Mitbegründerin der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung und arbeitete in der Stadt- und Landesplanung.
1952 wurde auf ihre Initiative hin die Ausstellung „60 Jahre Lebende Architektur“ über das Werk von Frank Lloyd Wright nach München ins Haus der Kunst geholt. 1953 lud Frank Lloyd Wright sie ein, in seinem Architekturstudio in Taliesin West (Arizona/USA) zu arbeiten. Das Gedankengut von Frank Lloyd Wrights „Organic Architecture“ half ihr, die japanische Kultur in ihren Wesenszügen zu erfassen.
Als sie 1954 nach Europa zurückkehrte, übernahm sie die Leitung von Organisation und Design der deutschen Abteilung der „Triennale“ in Mailand. Es folgten Ausstellungen in Hälsingborg (Schweden), Mailand, Israel, Berlin und München sowie Bauvorhaben von privaten Auftraggebern, Vorträge und Artikel für die Fachpresse.
1960 reiste sie nach Israel und bereitete eine Ausstellung über Kunst und Handwerk Israels vor. Neben ihrer Arbeit pflegte sie Kontakte zu Religionsphilosophen und Naturwissenschaftlern. Zu dieser Zeit las sie das Buch „ZEN in der Kunst des Bogenschießens“ von Eugen Herrigel, das in ihr ein Gefühl für die Wertigkeit Japans erzeugte.
Wie kaum ein anderer Europäer ist Eugen Victor Herrigel nicht nur intellektuell, sondern auch durch eigene Erfahrung in den Geist und die Praxis des ZEN eingedrungen. Er kam am 20. März 1884 in Lichtenau/ Baden zur Welt und starb am 18. April 1955 in Partenkirchen. An jenem 18. April 1955 starb in Princeton/USA der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein im Alter von 76 Jahren.
Mit seinem weltweit bekannten 95-Seiten-Buch „ZEN in der Kunst des Bogenschießens“
hatte Eugen Herrigel ein Standardwerk der westlichen ZEN-Literatur geschaffen, dessen Lektüre zu einem Schlüsselerlebnis für zahllose Künstler, Intellektuelle und Suchende auf dem geistigen Weg geworden ist. Eugen Herrigel wirkte als Professor für Philosophie in den 1920-er Jahren in Japan und begann 1926 ein intensives Training in der Kunst des Bogenschießens bei dem Shado-Meister Awa.
Herrigels gleichnamiges Buch erzählt von einer Erfahrung, die sein Leben nachhaltig verändern sollte. Es ist ein authentischer Bericht, der mehr über die japanische Mentalität und Geistesschulung verrät, als es je ein bloß informierender Ratgeber könnte. Er vermittelt auf einmalige Weise, worum es im Kern bei der ZEN-Praxis geht.
Bis zum Jahr 1963 arbeitete Brigitte D’Ortschy als freie Architektin und schrieb für Fachzeitschriften,
Verlage und die allgemeine Presse und arbeitete für die Bavaria Film GmbH München.
Nach ihrer Ankunft in Japan traf Brigitte D’Ortschy den ZEN-Meister Yasutani Hakuun Ryoko Roshi (1885 – 1973) und begann im April 1964 im Fukusho-ji in Tokio und im Mokuso-in in Kamakura mit ihrer ZEN-Schulung bei ihm. Sie selbst lehrte an den Universitäten Waseda, Yokohama und Tokio. In ihren Essays beschäftigte sie sich mit der alten japanischen Kultur und deren ZEN-Künsten. Sie durchlief die komplette Koan-Schulung, schloss diese 1972 ab und erhielt Inka Shomei, das Siegel der Bestätigung zur ZEN-Lehrbefähigung.
Yasutani Hakuun Roshi gab ihr den Namen „Doru Chiko Daishi“ und damit seine Dharma-Nachfolge. Im Jahr 1973 fand die Hasan-Sai-Zeremonie mit Yamada Koun Roshi (1907 – 1989) statt. Dabei erhielt sie seine Dharma-Nachfolge und er gab ihr den Namen Koun An Roshi.
Andere Beiträge von Roland Ropers
Philip Kapleau (geboren am 20. August 1912 in New Haven/Connecticut, gestorben am 6. Mai 2004 in Rochester/USA) wuchs in einer Arbeiterfamilie auf. Als junger Mann studierte er Jura und arbeitete anschließend mehrere Jahre als Gerichtsreporter in verschiedenen Gerichten Connecticuts. Dies machte er so gut, dass er 1945 zuerst zu einem Haupt-Berichterstatter der Nürnberger Prozesse berufen wurde und im Anschluss daran über die Tokioter Prozesse berichtete. Die Beschäftigung mit den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs berührte ihn sehr tief und ließ eine tiefe Spiritualität in ihm erwachen, die sein weiteres Leben prägte.
Brigitte D’Ortschy übersetzte das Buch von Philip Kapleau in die deutsche Sprache.
Die teilweise in Kanbun geschriebenen alten Originaltexte übersetzte sie ins Englische, um ihre deutsche Übersetzung so originalgetreu wie möglich zu halten. Der ZEN-Klassiker „Die drei Pfeiler des ZEN“ erschien erstmals im Jahr 1969.
Ab 1973 hielt Brigitte D‘Ortschy mit Yamada Koun Roshi die ersten ZEN-Sesshins in Deutschland und gründete 1975 ihr eigenes Zendo in München-Schwabing und später München-Grünwald. Das Zendo wuchs zu einer Gemeinschaft von ZEN-Schülern aus aller Welt. Sie wirkte halb verborgen und schützte ihr Zendo und ihre Schüler vor der Öffentlichkeit, um eine intensive ZEN-Schulung zu gewährleisten.
Gemäß ihrer Auffassung „Spirituelle Schulung ist immer umsonst“ lehrte sie kostenlos. Unter dem Pseudonym „Michael Mueller“ veröffentlichte Brigitte D’Ortschy ein Teisho über das Koan „MU“. Bis zu ihrem Tode 1990 verbrachte sie die Wintermonate in ihrem Hanare (Gartenhaus) in Kita-Kamakura und schulte sich weiter. Zusammen mit Yamada Koun Roshi übersetzte sie aus den chinesischen und japanischen Originalen grundlegende Schlüsseltexte des ZEN-Buddhismus. So wie Yasutani Hakuun Roshi als der Wegbereiter des ZEN in den USA gilt, so gilt Koun An Roshi als erste westliche ZEN-Meisterin mit Schülern aus aller Welt.
Im Herbst 1986 besuchte ich zusammen mit meinem ZEN-Meister H.M. Enomiya-Lassalle seine ZEN-Gefährtin Brigitte D’Ortschy in München-Grünwald.
Zum 90. Geburtstag des Ehrenbürgers von Hiroshima, Hugo Makibi Enomiya-Lassalle, am 11. November 1988, brachte ich einen Text-Bildband heraus „Mein Weg zum ZEN“.
Auf meine Bitte hatten ihn zahlreiche Personen gewürdigt, darunter auch Philip Kapleau. Der japanische ZEN-Meister Yamada Koun Roshi schrieb: „Pater Lassalle ist für mich der Meister im Leben!“
05.05.2022
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
Alle Beiträge des Autors auf Spirit Online> Jetzt ansehen und bestellen <<<
Für Artikel innerhalb dieses Dienstes ist der jeweilige Autor verantwortlich. Diese Artikel stellen die Meinung dieses Autors dar und spiegeln nicht grundsätzlich die Meinung des Seitenbetreibers dar. Bei einer Verletzung von fremden Urheberrecht oder sonstiger Rechte durch den Seitenbetreiber oder eines Autors, ist auf die Verletzung per eMail hinzuweisen. Bei Bestehen einer Verletzung wird diese umgehend beseitigt. Wir weisen aus rechtlichen Gründen darauf hin, dass bei keiner der aufgeführten Leistungen oder Formulierungen der Eindruck erweckt wird, dass hier ein Heilungsversprechen zugrunde liegt bzw. Linderung oder Verbesserung eines Krankheitszustandes garantiert oder versprochen wird. Alle Inhalte des Magazins sind kein Ersatz für eine Diagnose oder Behandlung durch einen Arzt, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker. |
Hinterlasse jetzt einen Kommentar