Diesseits und Jenseits sind nicht zwei – Das Neue Bewusstsein
Erinnerungen an den Jesuitenpater, ZEN-Meister und Mystiker
Hugo Makibi Enomiya-Lassalle S.J.
(1898 – 1990)
„Möglicherweise brauchen die Menschen ein zweites Hiroshima, um endlich aufzuwachen!“
(Frankfurter Buchmesse, 4. Oktober 1986)
Auf einer großen Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1986 hatten der legendäre Jesuitenpater Hugo Makibi Enomiya-Lassalle, der das Inferno von Hiroshima am 6. August 1945 in unmittelbarer Nähe er- und überlebt hatte, zusammen mit mir das Buch „LEBEN im neuen Bewusstsein“ vorgestellt. Der Deutsch-Japaner Enomiya-Lassalle war damals fast 88 Jahre alt. Seine Worte von damals klingen geradezu prophetisch. Das Buch wurde in 9 Sprachen übersetzt und erschien in hohen Auflagen.
Am eindrucksvollsten meiner vielen Begegnungen mit dem ZEN-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle sind mir unsere Gespräche über die Überwindung der Dualität in Erinnerung geblieben. Immer wieder betonte er dabei die Integration der raum-zeitbedingten, phänomenalen und der raum-zeitfreien, transzendenten Welt als eine voneinander untrennbare Erfahrung der Wirklichkeit. Das zu einseitige Bemühen um das Jenseits betrachtete der weise und erfahrene Meister als gefahrenvolle Täuschung und Trennung.
Es ging ihm nicht um den Wechsel von Positionen:
hier und drüben, vorher und nachher, gut und böse, Christ und/oder Buddhist, sondern um die ganzheitliche Erfahrung des Lebens in Fülle (siehe Johannes 10,10) im Hier und Jetzt, in jedem einzigartigen Augenblick. Das Leben nach dem Tod war für ihn kein Gegenstand von Diskussion und Spekulation. Für ihn war die Erfahrung der ewigen geistigen Wiedergeburt in jedem Augenblick von immenser Bedeutung.
Der Geist des Kosmos (Sanskrit: Atman) war immer, ist immer und wird immer sein, ohne Anfang und Ende, unmanipulierbar und frei von Projektionen.
Enomiya-Lassalle war in dieser Hinsicht sehr klar und ließ sich niemals in spekulative Diskussionen ein.
Er sprach so überzeugend aus der Tiefe des unmittelbaren Seins und übertrug an den Schüler die hohe Qualität des ungeteilten Daseins im Augenblick der Begegnung. Enomiya-Lassalle hatte mich wiederholt ermuntert, bei dem Benediktinermönch Dom Bede Griffiths (1906-1993) im Sat-Chit-Ananda Ashram Shantivanam, Süd-Indien das Geheimnis von Advaita (Sanskrit: Nicht-Dualität) intensiv zu studieren und zu erfahren.
Mit dieser Empfehlung hatte er mir ein unschätzbares Geschenk gemacht. Bede Griffiths, der bedeutende Mönch und Mystiker des 20. Jahrhunderts hat mir auf wunderbarste Weise dann die Präsenz Gottes in der Gegenwart vermittelt und mir für die Nicht-Dualität von Diesseits und Jenseits die Augen geöffnet.
Mit dem ZEN-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle S.J. (1898 – 1990), dessen Schüler ich war, hatte ich zahllose Gespräche über seine Gedanken über ein dringend notwendig neues Bewusstsein für die Menschen.
Im November 1954 hatte er in Hiroshima die Weltfriedenskirche erbaut, die mit einem Bach-Orgelkonzert von Wilhelm Kempff (1895 – 1990) musikalisch eingeweiht wurde. Pater Lassalle wurde Ehrenbürger von Hiroshima und wurde der mutige Pionier, die ZEN-Meditation für Christen in die Welt zu bringen – gegen den massiven Widerstand der römisch-katholischen Kirche. Sein geistiger Lebensweg war und ist mir stets ein Vorbild gewesen.
Er machte sich große Sorgen um die Zukunft der Menschen.
Für sein von mir herausgebrachtes Buch „Wohin geht der Mensch?“ hatte der berühmte deutsche Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 – 2007) ein beeindruckendes Vorwort geschrieben.
Pater Lassalle war oft sehr betrübt, dass nur wenige Menschen seinen Gedanken zum „Neuen Bewusstsein“ folgen konnten/wollten. In seiner sehr klaren Handschrift schrieb er anlässlich der Frankfurter Buchmesse am 4. Oktober 1986, die wir gemeinsam besuchten, im Alter von fast 88 Jahren in das mit meiner Hilfe neu überarbeitete 550-Seiten-Buch „ZEN und christliche Mystik“:
„Herrn Roland Ropers zum Zeichen der Dankbarkeit für seine großartige Mitarbeit in meinem Bemühen, der Menschheit das neue Bewusstsein verständlich zu machen.“
„Wenn alle ich-dirigierte geistige Tätigkeit eingestellt wird, kommt eine andersartige Tätigkeit zum Zuge.“(H.M. Enomiya-Lassalle)
Herbert von Karajan & Enomiya-Lassalle
Als wir am Sonntag, 25. August 2002 bei den Salzburger Festspielen eine der letzten Aufführungen von Mozarts „Die Zauberflöte“ besuchten, in der die mit uns eng freundschaftlich verbundene „Koloratur-Königin“ Diana Damrau die „Königin der Nacht“ in faszinierender Strahlkraft sang, liefen wir auf dem Weg zur Felsenreitschule über den „Herbert von Karajan Platz“; der in der Mozartstadt geborene wie auch gestorbene Star-Dirigent des 20. Jahrhunderts Herbert von Karajan (1908 – 1989) war 10 Jahre jünger als der ZEN-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle. Beide starben im Sommer-Monat Juli – Karajan 81-jährig am 16. Juli 1989, Lassalle 91-jährig am 7. Juli 1990.
Viele Künstler streben einen geistigen Weg an, weil sie hierfür naturgemäß besonders prädestiniert sind. Das galt sicherlich auch für Herbert von Karajan, der sämtliche Möglichkeiten wie Yoga u.a. zu beherrschen versuchte, sich aber nicht dem höchsten geistigen Prinzip völlig unterordnen wollte.
Immer wenn Herbert von Karajan in Japans Hauptstadt Tokyo dirigierte, bat er wiederholt in den Pausen den Jesuitenpater und ZEN-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle zu sich, um die wenige Zeit für ein spirituelles Gespräch zu nutzen.
Lassalle wusste von seinen vielen ZEN-Kursen,
dass Künstler leichter zur Erfahrung des Absoluten oder Göttlichen zu führen sind als andere Menschen. So empfahl er – der Pausenunterhaltung irgendwann überdrüssig — Herbert von Karajan, einen 7-tägigen strengen ZEN-Kurs in seinem eigenen Zentrum „Akikawa Shinmeikutsu“ (Die Höhle des göttlichen Dunkels) vor den Toren Tokyos zu besuchen. Karajan nahm sich eines Tages die Zeit – sehr gut vorbereitet –, denn er hatte das Standardwerk Enomiya-Lassalle`s „ZEN-Buddhismus“ (450 Seiten) Wort für Wort wie eine Partitur auswendig gelernt. (1985 hatte ich mit Enomiya-Lassalle dieses große Werk gemeinsam überarbeitet und erweitert; es erschien dann unter dem Titel „ZEN und christliche Mystik“, 550 Seiten, AURUM-Verlag Freiburg).
Gleich zu Ankunft in Shinmeikutsu begann Karajan auswendig vorzutragen und wollte dem Meister imponieren. Lassalle brach ab mit den Worten: „Was ich gestern gesagt und geschrieben habe, ist nicht von Interesse. Lassen Sie sich auf den Augenblick ein!“
In der Regel bekommen Schüler erst nach längerer Übungszeit ein Koan von ihrem Meister, eine paradoxe Fragestellung, die auf der intellektuellen Ebene nicht lösbar ist. Karajan drängte den Meister, ihm dennoch sofort ein Koan zu geben, und so saß er 7 Tage und 7 Nächte mit wenig Schlaf vor der nackten Wand der Meditationshalle mit dem klassischen Koan „Mu“ (Nichts).
In den Einzelgesprächen mit dem Meister, den so genannten „Dokusans“,
versuchte Herbert von Karajan dem erfahrenen ZEN-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle eine Lösung zu präsentieren, die aus dem Tiefsten seines Wesensgrundes kommen sollte. Trotz der großen Anstrengungen und Bemühungen hat Lassalle dem sonst in allen Bereichen überaus erfolgreichen Menschen Karajan die Erleuchtung nicht anerkennen können. Ein immer noch viel zu großes Ego stand offenbar als Hindernis im Wege. Einen Meister kann man weder täuschen noch beeindrucken. Von der Authentizität und Integrität eines Enomiya-Lassalle können viele Menschen lernen.
Ich hatte das Privileg, mit ihm sehr eng zusammenarbeiten zu dürfen. Erst nach seinem 85. Geburtstag haben wir begonnen, noch 6 Bücher zu machen, von denen einige zu Bestsellern wurden. Lassalle vertraute meiner „Schreibkunst“, die ihm nicht gegeben war. Er war Meister der ZEN-Praxis.
- Bild-Textband: „ZEN-Unterweisung“
- Bild-Textband: „Mein Weg zum Zen“
- „ZEN und christliche Mystik“
- „Leben im Neuen Bewusstsein“
- „ZEN und christliche Spiritualität“
- „Wohin geht der Mensch ?“ (Vorwort C.F. von Weizsäcker)
14 Tage nach seinem 91. Geburtstag bekam ich mit Datum von 29. November 1989 den letzten persönlichen Brief von Enomiya-Lassalle: „Vielen, vielen Dank für die Kostbarkeiten, die Sie mir von Fr. Bede Griffiths mitgebracht haben. Ich habe fast Lust, ihn nochmals zu besuchen. Alles Gute.“
Pater Lassalle hatte den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 noch erlebt; Herbert von Karajan war dieses Erlebnis nicht gegönnt.
Ende November 1989 war ich zwei Wochen zu Besuch bei Bede Griffiths, der damals 83 Jahre alt war, in seinem süd-indischen Ashram. Er war sehr interessiert zu hören, was sich in Deutschland ereignet hatte.
3 Tage vor seinem Tod am 7. Juli 1990 in Münster sah ich Enomiya-Lassalle zum letzten Male an seinem Krankenbett. Einen Tag nach meinem 45. Geburtstag fand am 12. Juli 1990 in Münster die Trauerfeier statt. Ich habe zusammen mit dem damaligen Bürgermeister von Hiroshima, Takeshi Araki, dafür gesorgt, dass seine sterblichen Überreste nach der Einäscherung in der Weltfriedenskirche ihre letzte Ruhestätte bekamen.
Copyright Fotos: Roland Ropers
06.10.2022
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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