Empathie und Hochsensibilität – Wo liegt der Unterschied?
Hochsensibilität und Empathie – Stellen Sie sich vor, Sie hätten kein Mitgefühl, keinerlei Empathiefähigkeit.
Es wäre Ihnen egal, wie es ihrer Freundin ginge, die Ihnen schluchzend erzählt, dass ihr Ehemann sie verlassen wird.
Es würde Sie nicht tangieren, wenn ihrem Partner eine schwere Vase auf den Fuß fiele und er sich vor körperlichem Schmerz windet.
Wahrscheinlich ließe es Sie völlig kalt, wenn Ihr Kind von Husten geschüttelt und fiebrig im Bett liegen würde.
Im Gegenzug könnten Sie sich nicht mit ihrem Freund freuen, der eben von der Schwangerschaft seiner Partnerin erfahren hat und es wäre Ihnen einerlei, dass Ihre Mutter im Lotto gewonnen hätte.
Sie könnten über den Schmerz und die Pein Ihres Gegenübers hinwegsehen, sich aber auch nicht mitfreuen und mitfiebern.
Und wie sähe es mit der Empathie für Ihr Mittagessen aus?
Auch da wäre es Ihnen piepegal, wie es dem Hähnchen zeit seines Lebens ergangen wäre und auf welche Art und Weise es geschlachtet wurde, um als Nuggets auf Ihrem Teller zu landen.
Oder ist Ihnen das sowieso egal?
Da könnte die Theorie der sog. Spiegelneuronen wirksam sein:
Das Tier, das Sie tot auf dem Teller haben, löst in Ihnen keine Gefühle mehr aus, weil es Ihnen seine Gefühle und Gedanken nicht mehr spiegeln, also übertragen kann.
Empathie ist eine menschliche Eigenschaft, die uns dazu befähigt, uns in andere Personen und Lebewesen einzufühlen.
Mit Empathie können wir Gedanken, Gefühle und Beweggründe unseres Gegenübers auf emotionaler und gedanklicher Ebene erfassen.
Hochsensible Menschen werden oftmals als Empathen bezeichnet – durch ihre tiefe und intuitive Art der Wahrnehmung zählt Einfühlungsvermögen zu den größten Stärken ihrer Begabung Hochsensibilität.
Das Wort Empathie kommt aus dem Griechischen „empathia“ und bedeutet soviel wie Einfühlung. Der deutsche Philosoph Rudolf Hermann Lotze führte den Begriff Empathie erstmals 1848 auf, das Ehepaar Strachey übersetzte Freuds Einfühlung ins englische „empathy“. Die Geschichte der genauen Entstehung des Wortes ist (noch) nicht endgültig geklärt.
Der Begriff Empathie umfasst Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Verstehen.
Lange Zeit wurde in Fachkreisen davon ausgegangen, dass Einfühlungsvermögen eine anerzogene menschliche Eigenschaft ist. Fakt ist aber, dass bei allen Säugetieren – also auch beim Menschen – bereits bei der Geburt eine natürlich vorhandene Empathie zwischen Mutter und Neugeborenem da ist.
Der Verhaltensforscher und Zoologe Frans de Waal geht davon aus, dass die evolutionär angelegte menschliche Fähigkeit zur Empathie Voraussetzungen zu unserem moralischen und sozialen Umgang beherbergt. Zudem haben weitere Verhaltensforscher Studien zu empathischem Verhalten von Tieren durchgeführt, die Folgendes nahelegen:
Hunde zeigen empathisches Verhalten sowohl untereinander als auch dem Menschen gegenüber. Primaten, Raben, Mäuse und Ratten verhalten sich unter ihresgleichen mitfühlend.
In Unternehmen setzen Führungskräfte mittlerweile auf die Schulung ihrer Mitarbeiter zum Thema Empathie und Verstehen des Gegenübers. Es zählt zu den sog. soft skills, die auf wertschätzende Kommunikation und sensible Konfliktlösungen abzielen.
Laut Wikipedia werden drei Formen von Empathie unterschieden:
1. Emotionale Empathie, auch emotionale Sensitivität genannt:
Ihr liegt als Haupteigenschaft das Mitgefühl, also die Emotion zugrunde, sich in den anderen Menschen oder Lebewesen hineinzufühlen.
2. Kognitive Empathie oder Perspektivenübernahme:
Hier wird unterschieden zwischen einer äußerlichen und einer innerlichen Perspektivenübernahme. Der Mensch kann sich im Gegensatz zu anderen Lebewesen auch in die innere Erlebniswelt des Gegenübers hineinversetzen.
3. Soziale oder narrative Empathie:
Laut F. Breihaupt ist die gesellschaftliche Empathie die wichtigste Basis für eine soziale Gesellschaft.
Wir kommen also mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit alle als empathische Babys zur Welt.
Warum gibt es dann so große Unterschiede in unserem Einfühlungsvermögen untereinander und anderen Lebewesen, mit denen wir uns diese Welt teilen?
Eine Antwort darauf lautet: Der Umgang der Eltern oder ersten Bezugspersonen mit dem Neugeborenen, Kleinst- und Kleinkind trägt in hohem Maße dazu bei, die Empathiefähigkeit des Kindes zu erhalten. Gefördertes, behindertes oder gestörtes Einfühlungsvermögen geht demzufolge auf unsere ersten Jahre zurück.
Ich habe ein Beispiel:
Zwei Brüder im Alter von 5 und 7 Jahren – beide sind sensibel, mitfühlend und sehr tierlieb. Der Vater der beiden Kinder verhält sich verbal und körperlich aggressiv, seinem Umfeld, auch seinen Kindern gegenüber.
Den beiden Kindern wird suggeriert, dass Tiere keine Gefühle haben und dass es dazugehört, frisch gefangene Fische aus dem Fluss mit den eigenen Händen zu töten.
Unter Schluchzen und Zittern werden die Kinder angeleitet, gegen ihr natürliches Mitgefühl zu denken und zu handeln. Sie fangen an, ihre Gefühle und ihre Empathie zu unterdrücken, schlimmer noch: sie als unerwünscht anzusehen.
Was denken Sie, wird mit diesen Kindern passieren?
Hochsensible Kinder leiden unter diesen Erziehungsmethoden umso mehr, da ihre natürliche Empathiefähigkeit oftmals noch höher ist als bei einem anderen Kind.
Diese Kinder leugnen ihre Gefühle manchmal so lange, bis sie in den mittleren Erwachsenenjahren körperlich und seelisch erkranken.
Die Wahrnehmungsbegabung Hochsensibilität ist aller Wahrscheinlichkeit nach vererbt.
Statistisch gesehen sind geschlechterunabhängig 10-15% der Weltbevölkerung hochsensibel.
Hochsensible Menschen weisen neurologische Besonderheiten auf, die ihr Nervensystem empfindlicher und empfänglicher sein lässt.
Beispielsweise scheint der Thalamus, der als Filter im Gehirn fungiert, mehr Informationen und Reize an die Großhirnrinde weiterzuleiten. Zudem interagiert bei feinfühligen Menschen das Verhaltensaktivierungssystem zurückhaltender als das Verhaltenshemmsystem. Deshalb werden hochsensible Personen im Vergleich zu anderen oft als schüchtern und introvertiert wahrgenommen.
Was hat all das mit ihrer starken Empathiefähigkeit zu tun?
Die Forschung zu Hochsensibilität läuft auf Hochtouren und es ist anzunehmen, dass das mit der erhöhten Aufnahme und tiefergehenderen Verarbeitung von Informationen und Reizen (im Innen sowie im Außen) zusammenhängt.
Die Forschung lässt außerdem darauf schließen, dass eine ausgeprägte Empathiefähigkeit von der Selbstwahrnehmung abhängt.
Verstehen Sie also ihre eigenen Emotionen und Beweggründe und können Sie sich selbst gut einschätzen, dann sind Sie auch in der Lage, Ihr Gegenüber und Ihre Umwelt einzuschätzen und zu verstehen.
Hochsensible Menschen haben oftmals einen überdurchschnittlich guten Zugang zu sich und ihren Gefühlen, vielleicht fühlen sie sich deshalb mühelos in andere ein.
Zudem wird besonders sensiblen Frauen und Männern zugeschrieben, dass sie sich stärker mit der Welt verbunden fühlen – sie können ganzheitlicher und holistischer denken. Diese Faktoren begünstigen Mitgefühl und soziale Intelligenz.
Es hängt auch bei hochsensiblen Personen davon ab, wie das Verhältnis zu den ersten Bezugspersonen war. Wächst ein hochsensibles Kind in einem dysfunktionalen Umfeld auf, kann die Empathiefähigkeit auch hier gestört und unterdrückt sein. Auch frühe Traumata kappen oftmals Verbindungen im Inneren, was das natürliche Mitgefühl untergraben kann.
Verloren gegangene Empathie kann aber anhand verschiedener Techniken und Übungen wieder erlernt werden.
Dazu gehören beispielsweise:
- aktives Zuhören
- achtsames und wertschätzendes Beobachten
- deuten von Körpersprache
- erlernen bestimmter Fragetechniken
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hochsensible Menschen mit ihrer Wahrnehmungsbegabung mit vielen anderen Potenzialen und Stärken eine erhöhte Fähigkeit zu Empathie aufweisen.
Die neurologischen Besonderheiten und weniger Filter in der Reizaufnahme bewirken, dass die hochsensible Person oftmals nicht mehr klar unterscheiden kann, wo die Grenzen zum Gegenüber liegen.
Die Gefühle und Stimmungen der anderer werden sozusagen als die eigenen empfunden und angenommen.
Empathie ist in unserer heutigen Gesellschaft des Höher-Schneller-Weiter leider Mangelware geworden.
Deshalb können (und da sehen Experten ihre größte Stärke) hochsensible Menschen mit Ihrer intuitiven Empathie wieder Vorbilder und Vorreiter sein:
- im täglichen Miteinander, im Privaten sowie im Arbeitsumfeld
- gegenüber unseren Mitlebewesen und
- nicht zuletzt im Umgang mit unserer Erde und ihren Ressourcen
Denn:
Empathie ist der erste Schritt zum Frieden. Hochsensibilität und Empathie!
Bevor sie Ihrer rauchenden Nachbarin den Tod an den Hals wünschen, fragen Sie sich, warum sie wohl süchtig nach Nikotin geworden ist. Bevor Sie ein Stück Fleisch essen, fragen Sie sich, weshalb Sie denken, das Recht dazu haben über dieses Leben zu bestimmen. Und bevor Sie das Flüchtlingskind verteufeln, fragen Sie sich, ob es gerne seine Heimat verlassen wollte.
Empathie ist der Schlüssel zum Verstehen und weit mehr als ein Soft Skill.
Mehr Mitgefühl kann unser aller Leben verändern – zum Positiven.
09.07.2019
Ilona Kofler
Spezialisiert auf Hochsensibilität und bietet dir durch individuelles Coaching, Vorträge, Seminare und Workshops Unterstützung
www.koflercoaching.com
Ilona Kofler
ist spezialisiert auf Hochsensibilität.
Nach 27 langen unglücklichen Berufsjahren im Dienstleistungssektor und im Buchhandel folge ich nach „Entdeckung“ meiner Hochsensibilität meiner wahren Berufung:
Menschen auf dem Weg zu sich selbst und zu mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu begleiten.
Meine feinfühlige Wahrnehmungsbegabung und hochsensible Intuition ermöglicht mir einen feinfühligen, empathischen und trotzdem objektiven Blick auf meine Klient*innen.
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Ich glaube, man sollte sich täglich eine halbe Stunde für sich Zeit nehmen, wo man an nichts anderes denkt. Sich hinsetzt, die Augen schließt, durchatmet und einfach seine Gefühle wahrnimmt.
..und stimmt: Empathie ist der Schlüssel zum Verstehen und weit mehr als ein Soft Skill.