Hoffnung und Verzweiflung – Leben an der Urquelle
Unter Hoffnung verstehen wir landläufig eine zuversichtliche Erwartungshaltung. Hoffnung (engl.: hope) hat etymologisch mit hüpfen zu tun (mittelhochdeutsch: hoppen). Zuversicht hat mit sehen zu tun und wird im Englischen mit confidence übersetzt anstatt mit expectation (von lat.: spectare = sehen). Erwartung ist engl.: waiting for. Und schon befinden wir uns im Dschungel eines linguistischen Chaos.
Das lateinische Verb für hoffen heißt: sperare, das entsprechende Substantiv: spes. Das Gegenteil davon, die Distanz von hoffen, ist im Lateinischen desparatio (engl.: despair); sinnvollerweise sollte die lateinische Sprache das Substantiv speratio anstelle von spes anbieten. Hiermit sei das noch nicht existierende Wort eingeführt.
Sperare und spirare, hoffen und atmen, sind eng miteinander verknüpft und nur durch eine minimale Vokalverschiebung voneinander zu unterscheiden. Das lateinische Verb despirare (vom Atmen Abstand nehmen) gibt es leider (inkonsequenterweise) nicht. Wir kennen lediglich inspirare und exspirare (ein- und ausatmen, Inspiration und Exspiration).
Der Mensch ist auf Hoffnung angelegt, stets verbunden mit dem Atem des Kosmos, der immerwährend verfügbar ist.
Die Verzweiflung ist die Abkehr, die Trennung von dem kosmischen Atemgeschehen. Und die Zuversicht, welcher der Engländer mit confidence bezeichnet (lat.: fides = Glaube, Vertrauen) ist der gemeinsam mit dem Urgrund, der Lebensquelle verbundene Vertrauenszustand.
Das Wort „Zweifel“ leitet sich vom althochdeutschen „zwifal“ ab und setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, aus „zwei“ und dem althochdeutschen „faldan“ (falten; altisländisch „fel“). Dieses „zweigefaltet“ besagt demzufolge, dass etwas zwei Seiten, zwei Ansichten hat, dass das „Eins-Sein“ aufgehoben ist und damit seine Eindeutigkeit eingebüßt hat. Gebräuchlich sind heute noch die Begriffe: „einfältig“, „zwiefältig“, „dreifaltig“, „vielfältig“. Der Verlust der Eindeutigkeit eröffnet die Möglichkeit zu mehr- bzw. vieldeutigen Interpretationen. Eindeutigkeit vermittelt das Gefühl von Sicherheit, von nicht zu hinterfragender Gültigkeit, während im Freiraum unterschiedlicher Erklärungsmöglichkeiten Entscheidungen notwendig werden. Das Wesen des Menschen beruht auf der Freiheit, sich entscheiden zu können, auf der der Freiheit innewohnenden Notwendigkeit, sich entscheiden zu müssen. Das Dasein des Menschen besteht aus einer Aneinanderreihung von zu treffenden Entscheidungen. Diese Fähigkeit aber auch diese Bürde unterscheidet ihn von allen anderen Lebewesen.
Getrieben vom Bedürfnis nach Sicherheit
sucht der Mensch den Schutz und die Aufgehobenheit in der Anonymität einer fragwürdig legitimierten Mehrheit. Dort, wo Freiheit nicht gelebt wird, entsteht notgedrungen Abhängigkeit. Eine gewisse Perfidie zeigt sich darin, dass die Systeme in unterschiedlich verführerischer Weise Freiheit, Schutz und Sicherheit zu vermitteln versuchen, dass sie dabei aber nicht das Wohl des Einzelnen im Auge haben, sondern Abhängigkeit, Gefolgschaft und nicht zuletzt den eigenen Vorteil. Dies ist eine Gefahr, die jedem System immanent ist, sei das System politisch, wirtschaftlich, kulturell oder religiös geprägt.
An der Quelle, im Seinsgrund ist ständig Hoffnung und Leben. Wer ur-sprünglich lebt, wird ständig von hoffen und atmen (sperare & spirare) genährt.
Der Weg bis zum tiefsten Wesensgrund mag über Strecken der Verzweiflung gehen, aber die Suche nach dem Leben lohnt sich.
Lao Tse „Tao Te King“, Kapitel 29:
„Willst du die ganze Welt besitzen?
Glaubst du, dass du die Welt verbessern kannst?
Ich glaube nicht, dass das möglich ist.
Das Universum ist heilig, so wie es ist.
Du kannst es nicht besser machen.
Wenn du es versuchen würdest,
du würdest es zerstören.
Und wenn du versuchst,
es festzuhalten und zu besitzen,
dann wirst du es verlieren.
Denn:
Die einen führen, die anderen folgen.
Die einen atmen leicht, die anderen schwer.
Die einen sind stark, die anderen schwach.
Die einen zerstören, die anderen werden zerstört.
Darum vermeidet der Weise Übertreibung,
Überspanntheit und Überheblichkeit.“
22.10.2020
Roland R. Ropers
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:
Mystiker und Weise unserer Zeit
von Roland R. Ropers
Sie sind Künstler, Wissenschaftler, politische Aktivisten, Mönche die von Gott erfüllten Menschen, die auch heute etwas aufleuchten lassen von der tiefen Erfahrung des Ewigen. Und oft sind sie alles andere als fromm.
> Jetzt ansehen und bestellen <<<
Für Artikel innerhalb dieses Dienstes ist der jeweilige Autor verantwortlich. Diese Artikel stellen die Meinung dieses Autors dar und spiegeln nicht grundsätzlich die Meinung des Seitenbetreibers dar. Bei einer Verletzung von fremden Urheberrecht oder sonstiger Rechte durch den Seitenbetreiber oder eines Autors, ist auf die Verletzung per eMail hinzuweisen. Bei Bestehen einer Verletzung wird diese umgehend beseitigt. |
Hinterlasse jetzt einen Kommentar