
Leise sein ist eine Gabe –
wie Zartbesaitete zu mehr Selbstvertrauen finden
Autorin und Fachfrau Nicole Lindner verrät Tipps, wie Zartbesaitete zu mehr Selbstvertrauen finden. Vielen feinfühligen Menschen widerstrebt es, sich beruflich in den Vordergrund zu drängen. Nicht selten haben die Betroffenen Angst, nicht gut genug zu sein oder den Ansprüchen nicht zu genügen. Um sich nicht zu blamieren, halten sie sich lieber bedeckt und verpassen dadurch so manch vielversprechende berufliche Chance. Das muss nicht sein. Feinfühlige haben viel zu bieten – trotz und gerade wegen ihrer ruhigen Ader. Mit diesen Tipps stärken Zartbesaitete ihr Selbstvertrauen.
Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor?
Es ist Montagnachmittag. Sie sitzen gemeinsam mit ihren Kollegen und dem Chef in einer Teamsitzung und behandeln zum hundertsten Mal das hausinterne Qualitätsmanagement. Dabei ist es so wie oft: Jeder der Anwesenden bringt sich ein, im Team herrscht eine – bisweilen sogar recht hitzige – Debatte, welche jedoch in der Vergangenheit schon manches Mal gewinnbringende Ergebnisse brachte.
Auch Sie wissen ganz genau, durch welche Maßnahmen die hausinternen Abläufe zu optimieren wären, halten sich jedoch zurück.
Das wirkt auf ihre Kollegen und den Chef höchst wahrscheinlich vor allem eines: Unbeteiligt, ja vielleicht sogar ein bisschen gelangweilt. Doch damit tut man Ihnen Unrecht, denn das genaue Gegenteil ist der Fall: Während der ganzen Diskussion rumort es in Ihnen und Sie sind voll mit dabei. Ihr schlaues Gehirn arbeitet, reflektiert, wägt ab und bringt Minute um Minute Optimierungsvorschläge hervor, nur finden diese einfach nicht den Weg über Ihre Lippen.
Das ist sehr schade, denn dabei ist es in Wirklichkeit so:
Sie haben tolle Ideen, die Sie gerne einbringen möchten. Sie möchten sich beteiligen, die Firma voranbringen und mit ihren Vorschlägen Neues schaffen. Ja, sogar unbedingt! Doch trotz all dieser wunderbaren Gründe bringen Sie sich zu wenig ein. Der Grund dafür ist einfach: Für Sie gibt es auf dieser ganzen Welt nichts Schlimmeres, als sich vor einer größeren Runde zu präsentieren und Ihre Meinung zu äußern. Zu groß ist die Gefahr, sich zu blamieren, rot anzulaufen oder gar belächelt zu werden.
Mögliche Gedanken in dieser Situation könnten sein: „Ach, das kann ich doch nicht vorschlagen. Die anderen werden mich sicher für unfähig halten“.
Oder: „Wieso sollte ausgerechnet mein Vorschlag hier etwas voranbringen? Ich habe da viel zu wenig Erfahrung.“. Möglicherweise denken Sie auch: „Wenn ich jetzt etwas Falsches sage, blamiere ich mich bis auf die Knochen.“
Die Folge: Sie beteiligen sich nicht an der Diskussion oder stapeln tief. So werden viele hilfreiche Impulse von Feinfühligen gar nicht erst eingebracht und die Richtung geben vor allem die Lauten an – also diejenigen, die sich gerne in den Vordergrund drängen und vor Selbstbewusstsein nur so strotzen.
Was könnte der Grund sein, dass zartbesaitete Menschen sich manchmal scheuen,
offen hinter dem zu stehen, woran sie glauben?
Meiner Erfahrung nach ist es vor allem Angst. Zum Beispiel die Angst, nicht gut genug zu sein. Die Angst, nicht zu genügen. Oder die Angst, mit möglichen Bedenken am Ende als der große Spielverderber da zustehen. Das kann zu Ausgrenzung führen, im schlimmsten Fall sogar zu Einsamkeit – etwas, womit wohl niemand gerne konfrontiert sein möchte. Ein Weg, um dies zu vermeiden, ist eine gesunde Form der Selbstliebe.
Selbstliebe zu praktizieren scheint etwas Selbstverständliches zu sein, ist es jedoch bei vielen (übrigens nicht nur zartbesaiteten!) Menschen nicht. Das ist oft ein längerer Weg und es braucht Mut, ihn zu gehen. Sicherlich fragen Sie sich an dieser Stelle, woher diese so häufig vertretenen Ängste und Befürchtungen kommen könnten.
Vielleicht ahnen Sie es ja schon, aber eine mögliche Antwort findet sich – wie so oft – in der Kindheit. Viele sensible Menschen hören in dieser prägenden Zeit leider häufig Sätze wie:
- „Ach, sei doch nicht immer so still“,
- „komm doch bitte mehr aus dir heraus“,
- „sag doch auch mal was“
- oder „na, was grübelst du denn schon wieder?“
- usw.
Das vermittelt ihnen das Gefühl, nicht gut genug zu sein,
ja irgendwie nicht in die vorherrschende Norm der aufgeschlossenen Gesellschaftsfähigen zu passen. Läuft das über Jahre und Jahrzehnte wird sich das Gefühl im ungünstigsten Fall verfestigen. Am Ende formt sich daraus ein (unbestritten absolut wunderbarer und mit vielen tollen Gaben gesegneter!) Mensch, der jedoch gelernt hat, dass er mit seiner ruhigen Art die anderen nicht unbedingt in Begeisterung versetzt.
Die Folge: Talente und Fähigkeiten werden zu wenig gewürdigt, die Betroffenen fühlen sich oft klein und bleiben unter ihren Möglichkeiten. Tja, gäbe es da nicht die soeben erwähnte Liebe zu sich selbst, die einem aus dieser verzwickten Situation heraushelfen kann.
Selbstliebe – ein großes Thema.
Nicht wenige meiner Kunden leiden darunter, sich nicht genügend zu lieben. Dabei hat Selbstliebe meines Erachtens viel mit Selbstvertrauen zu tun. Denn ist es nicht so: Wenn ich mich selbst liebe, vertraue ich mir und bin fähig, meinen eigenen (beruflichen) Weg zu gehen – auch, wenn das manchmal vielleicht nicht derjenige ist, den alle anderen wählen.
Wenn ich mich selbst liebe, bin ich in der Lage, Widerstände zu überwinden und für das, was ich bin und was ich vertrete offen und respektvoll einzustehen. Das bedeutet, dass ich mich nicht verbiegen oder verstecken muss. Vielleicht werde ich das nicht immer und zu jeder Zeit schaffen, aber immer häufiger. Dabei nehme ich mich mit all meinen Gaben, Schwächen und Grenzen an und mache das Beste daraus. Gleichzeitig bin ich ein wertvoller Kollege und Mitarbeiter, dessen ehrlicher Rat, Reflexionsvermögen und Genauigkeit geschätzt wird. Wäre das nicht eine wünschenswerte Vorstellung für jeden sensiblen Menschen?
Falls Sie diese Vorstellung ebenso wie mich begeistert,
gehen Sie den ersten Schritt auf diesem vielversprechenden Weg. Er lautet:
1. Führen Sie sich Ihre Schätze vor Augen
Sie sind ein Mensch mit Stärken und Schwächen, das ist Fakt. Dabei spielt es erst einmal keine Rolle, ob Sie sensibel gestrickt sind oder nicht, denn jeder Mensch ist anders. Unabhängig davon gibt es spezielle Gaben, von denen gerade Feinfühlige oft profitieren. Die Aufgabe ist es, sich genau diese immer wieder vor Augen zu führen und damit an Selbstvertrauen zu gewinnen.
Schauen Sie sich also nachfolgende Fähigkeiten an und fragen Sie sich, welche besonders auf Sie zutreffen könnten:
Ruhige Menschen sind oft sehr verantwortungsbewusst, kreativ sowie gute Denker und Problemlöser. Nicht selten haben sie vielseitige Interessen und erledigen die ihnen anvertrauten Arbeiten gewissenhaft. Durch ihr strukturiertes und genaues Arbeiten sowie das übergeordnete Denken bringen sie komplexe Sachverhalte auf den Punkt und schaffen dadurch Klarheit bei allen Beteiligten. Mit ihren Mitmenschen gehen sie grundsätzlich sehr einfühlsam um, man schätzt sie sehr als gute Ratgeber und Zuhörer. Darüber hinaus haben leise Menschen eine taktvolle, rücksichtsvolle und zugewandte Art, die vor allem im Zweierkontakt gut ankommt. Und das ist wohlgemerkt nur ein Bruchteil dessen, was sie zu bieten haben.
Die große Gefahr: Vieles davon wird von Feinfühligen als „selbstverständlich“ betrachtet, weil sie sich dafür oft gar nicht großartig anstrengen müssen. Doch das ist ein Irrtum! Stärken sind Stärken, weil sie einfach da sind und es eben keiner großer Anstrengung bedarf, sie einzusetzen – eine wichtige Erkenntnis, die zartbesaitete Menschen sich gerne immer wieder bewusst machen dürfen.
Der zweite Tipp zu mehr Selbstbewusstsein:
2. Akzeptieren Sie sich so, wie Sie sind
Sie sind so, wie Sie sind, das ist nun einmal so. Nur, wenn sie das vollumfänglich annehmen, werden Sie an Selbstsicherheit gewinnen und können akzeptieren, dass es sowohl laute als auch leise Menschen auf dieser Welt und im Berufsleben gibt. Jeder hat seinen Platz und bringt sich mit seiner Art und seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft ein, das ist normal und sogar wünschenswert. Sollten Sie daran zweifeln, machen Sie sich zum Vergleich bitte folgendes klar: Auch ein Orchester besteht aus vielen unterschiedlichen Menschen bzw. Instrumenten und bringt gerade deswegen so einzigartige Melodien hervor.
Wie würde es sich anhören, wenn bei einem Konzert nur Pauken oder Trompeten zum Einsatz kämen?
Würden die Zuhörer den lieblichen Klang einer Violine nicht schmerzhaft vermissen? Das alles trägt zu einer prachtvollen Gesamtmelodie bei, das alles ist wichtig. So auch ein leiser Mensch in einer eher lauten Gesellschaft.
3. Neutralisieren Sie abwertende Glaubenssätze
Erinnern Sie sich noch an unser Eingangsbeispiel? Sie sitzen im Kreis Ihrer Kollegen und haben eine wunderbare Anregung zur Verbesserung des Qualitätsmanagements. Trotzdem hadern Sie mit sich, ob sie diese den anderen überhaupt mitteilen sollen. Zu leise könnte ihre Stimme sein, zu sehr könnten sich ihre Wangen vor Aufregung färben. Weil Ihnen das peinlich wäre, wagen Sie erst gar keinen Versuch.
Sehr schade – sowohl für Sie als auch die Kollegenrunde, welche sicherlich von ihrem Vorschlag profitieren könnte.
An dieser Stelle lade ich Sie ein zu einem Perspektivenwechsel:
Stellen Sie sich einmal vor, Ihre beste Freundin wäre in dieser Situation und sie hätte dieselben Selbstzweifel wie Sie. Was würden Sie ihr sagen, um sie aufzubauen? Wahrscheinlich so etwas wie: „Mach dir bitte keine Sorgen. Das, was du in diese Runde einbringst, hat immer einen gut durchdachten und fundierten Hintergrund. Vertraue bitte darauf, dass deine Meinung nicht weniger wichtig ist als die der anderen. Selbst wenn du rot anläufst oder dich verhaspelst, schmälert das das Gesagte nicht. Stattdessen ist es so: Niemand ist perfekt und muss es auch nicht sein.“
Wenn Sie es schaffen, sich in jeglicher Angst- und Selbstzweifelsituation eine wohlmeinende Instanz zu erschaffen, welche Ihre selbstabwertenden Gedanken neutralisiert oder sie sogar in etwas Positives umwandelt, haben Sie schon sehr viel gewonnen.
Der vierte und letzte Tipp, um Ihr Selbstbewusstsein zu stärken:
4. Gehen Sie hin und wieder aus sich heraus
Sich zu akzeptieren wie man ist, heißt nicht, in seiner Entwicklung stehen zu bleiben und nur noch sein eigenes Ding zu machen. Gerade im Beruf können Feinfühlige viel von ihren lauteren Kollegen lernen und genauso umgekehrt. So haben ruhige Menschen beispielsweise häufig die Fähigkeit, sich voll und ganz auf ihr Gegenüber einzulassen und ihm mit ihrer tiefgründigen Art das Gefühl zu geben, gehört und verstanden zu werden – was ein eher forscher Zeitgenosse wahrscheinlich eher bewundern wird.
Dieser jedoch kann vielleicht einen brodelnden Konflikt konstruktiv ansprechen und offen klären – wohingegen der Zartbesaitete sich wahrscheinlich eher zurückzieht, sich aber von seinem aufgeschlosseneren Kollegen etwas abschauen kann.
Die Folge: Beide profitieren vom jeweils anderen – die Summe ergibt ein stimmiges Ganzes und verhindert, dass sich Extreme in nur eine Richtung bilden.
Liebe/r feinfühlige/r Leser/in, ich hoffe, ich konnte mit diesem Artikel dazu beitragen, dass Sie Ihre sensible Ader positiv betrachten und sich von möglichen beruflichen Problemen nicht entmutigen lassen.
Denken Sie bitte immer daran:
Wenn Sie sich so annehmen, wie sie sind, wird sich Ihr Selbstvertrauen (und damit auch Ihre Selbstliebe!) stärken. Dann können Sie alles schaffen, was Sie sich vornehmen – auf Ihre eigene ruhige Art und Weise. Hierfür wünsche ich Ihnen alles erdenklich Gute!
Feinfühligkeit trifft auf Berufsleben:
Wie Sie Beruf und Ihr Naturell in Einklang bringen können
von Nicole Lindner
Dieses Buch ist ein Mutmacher. Es motiviert Feinfühlige trotz einiger Herausforderungen zu ihrem Naturell und besonders zu ihrer empathischen Gabe zu stehen. Das große Ziel, Erfüllung und Zufriedenheit im Berufsleben zu finden, wird es immer wert sein.
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Über die Autorin Nicole Lindner
Nicole Lindner ist Sozialpädagogin und betreibt eine Onlineplattform für feinfühlige Menschen, die nach persönlicher und beruflicher Entwicklung streben.
In ihrem Buch „Feinfühligkeit trifft auf Berufsleben.
Wie Sie Beruf und Ihr Naturell in Einklang bringen können“
führt sie ihre Leser Schritt für Schritt in ein erfüllendes Berufsleben.
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