Magische Drachengeschichte

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windmuehle-drachen-millMagische Drachengeschichte – Am Windmühlen Cafe – Here Be Dragons

Oberhalb von meinem Fenster löste sich ein oval förmiger Teil der Zimmerwand und des Daches auf und der Himmel wurde sichtbar.

Dieses kleine Stück von zusätzlicher, übersinnlicher Doppelverglasung gab mir einen erhabenen Blick und erlaubte mir, mühelos über die Baumwipfel und Hausdächer hinweg zu sehen.

Im scharfen Kontrast zu dem grauen, trüben Märztag, der durch mein konventionelles Fenster die Stirn runzelte, war dieser neue Ausschnitt des Himmels hell und klar. Es war ein Fenster zum Himmel einer anderen Welt. Ich spähte vorsichtig in das Cölinblau, dass sich eben vor mir aufgetan hatte.
So weit, so gut.

Doch dann sah ich es. Eine schlangenartige Gestalt mit gezackten Flügeln, die sich zu beiden Seiten auffächerten. Es war nur eine Silhouette in der Ferne.
Und doch der sich zwischen zwei riesigen, ledrigen Segeln windende Körper war unverkennbar.

Nur ein Drache kann so unansehnlich aussehen.
Nur ein Drache kann gleichzeitig so schön sein.
Nur ein Drache kann so mühelos und unbändig voller Freude mit der Macht des Sturms spielen.

Ich schaute dem magischen Schauspiel übersinnlicher Anmut eine Weile verzaubert zu.
Dann kehrte ich widerwillig und mit gemischten Gefühlen in die gewohnte Umgebung meines Wohnzimmers zurück.

Es ist immer ein Privileg, wenn man in die mysteriösen, zauberhaften Ebenen höherer Welten blicken darf.

Die Beobachtung dieses hinreißenden Tieres, dass mit dem Wind spielte wie mit einem Spielzeug, enthielt jedoch eine Botschaft, die mir nicht entging.
Vor allem deswegen nicht, weil mein einziges Fortbewegungsmittel mein altes, klappriges Fahrrad und meine ebenso alten, klapprigen Beine waren.

Ich schaute auf den Bildschirm meines Laptops. Er schaute mit diesem nervigen „das hätte ich Dir auch sagen können“– Blick zurück. Ich seufzte und klickte auf den Wetterbericht.
„ Morgen Sturmböen aus südlicher Richtung“ bestätigte er.

Warum hatte ich mir überhaupt die Mühe gemacht nochmal extra nachzuschauen? Schließlich wusste ich doch, dass Drachen den Wind lieben.

Am nächsten morgen machte ich mich früh auf den Weg. So würde ich dem Schlimmsten entgehen können. Mit etwas Glück, hatte ich dann auf der Heimfahrt den Wind im Rücken. Ein Feind, der zum Freund wurde und mich auf den fünf Meilen meines Nachhausewegs antrieb.

Ich erreichte den Supermarkt ohne Anstrengung. Ich stellte fest, dass es dort neuerdings praktische Metallschleifen gab, die halb über, halb unter der Erde lagen und wie erstarrte Edelstahlwürmer aussahen. Dort band ich meinen treuen Drahtesel neben all den anderen fest. Fahrradfahren schien gerade populär zu werden. Außer dem Fahrradständer, gab es noch eine andere willkommene Ergänzung zum Supermarkt.

Ein brandneues Café

Ursprünglich war es mal eine Windmühle gewesen. Man hatte die Flügel entfernt, jedoch das alte, kegelförmige Gebäude als robustes, historisches Denkmal stehen lassen.
Das Café befand sich innerhalb der runden Mauern, dehnte sich aber auch auf den Bereich aus, der früher vermutlich zum Be- und Endladen, sowie zum Lagern verwendet wurde.
Ich fragte mich welch ruhig schlafende Geschichte in Vergessenheit gebaggert worden war, um für das neue Gebäude Platz zu machen.
Das nannte man Fortschritt.

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Ich persönlich hatte keinen Grund zur Klage und setzte mich an einen Tisch, der neben einem der großen Fenster stand.
Ich hielt meine Kaffeetasse mit den Händen umschlossen und entspannte mich um die Aussicht zu geniessen. Mein drittes Auge schaute auf die alte Methodistenkirche gegenüber.
Auf ihrem Dach flatterte eine lange Fahne in den Farben der Chakras. Die rollenden, windgestreichelten Wellen liefen mit dem Dachfirst endlos um die Wette.
Das gelbe Band in der Fahne, schien unverhältnismäßig größer als die anderen zu sein.
Regenbogenfarben sind immer schön, aber diese hier waren etwas verblichen. Ich spürte Ermüdung.
Vielleicht brauchte die Gemeinde junge, frische Energie?

Ich wünschte ihr, dass sie sie finden würde.
Meine Aufmerksamkeit wurde auf den gepflasterten Bereich direkt unter meinem Fenster gezogen. Etwas regte sich unter seiner Oberfläche. Die kleinen, dekorativen Pflastersteine begannen zu zittern und beben.

Sehr sonderbar.
Plötzlich wurden sie vom gezackten Rücken einer mächtigen, sich windenden Bestie durchschnitten. Eine Kette von rot und lehmfarbenen Sägeblatt-Knochen bäumte sich auf und versank wieder unter die Erdoberfläche.
Dann tauchte sie ein paar Meter weiter weg wieder auf und zerriss mühelos die frisch verlegten Betonplatten.

Das konnte nur eins bedeuten. Dort war ein Drache. Ich war überrascht. Also gab es auch Erddrachen? Ich fragte mich, ob er durch die neue Entwicklung gestört worden war. Ich dachte an die vielen Pfeiler, die man ihm in seine sumpfige Tieflanderde getrieben hatte. Sie waren höchst wahrscheinlich in seine uralte Erdheimat eingedrungen. Keiner im Gemeinderat hatte daran gedacht ihn um Erlaubnis zu bitten, bevor sie sein unterirdisches Schangri-La zerstörten.

Ich beschloss ihm eine geheime Opfergabe zu machen. Ich hatte nur noch einen halben Keks, der auf dem Rand meiner Untertasse balancierte und überlegte, was in aller Welt einen aufgebrachten Drachen beschwichtigen könnte.
Selbst wenn ich etwas gehabt hätte, was auch nur im Geringsten attraktiv für einen Drachen war, wie konnte ich es ihm überbringen, während ich im Café saß?

Da tauchte der Drache plötzlich wieder auf. Er streckte seinen Kopf und seinen langen Hals noch einmal aus der Erde hoch. Diesmal war er ganz nah am Fenster. Er schaute mich mit erstaunlich dunklen, weichen Augen einen Moment lang an.
Es war mitnichten die wilde Bestie, die ich erwartet hatte.
Ein junger Drachen vielleicht? Jedoch war dies kein sterbliches Geschöpf.

Ich grübelte vorübergehend über den möglichen Werdegang von Elementarwesen.
Solch ein Wesen konnte mühelos älter als die Windmühle sein, sogar wesentlich älter. Trotz alledem, zeigten ihn mir meine Sinne hartnäckig als jungen, verspielten kleinen Drachen.

Mein Herz trat in Resonanz und öffnete sich ihm mit der Energie von Zuneigung.

Sein Kopf schwankte vor mir in der Luft, als würde er die Wärme meiner Gefühle auskosten. Dann tauchte er anmutig durch Pflastersteine nach unten. Der massive Beton bot ihm keinerlei Widerstand sondern kräuselte sich wie Wasser.
Ich folgte ihm, hoffnungslos verzaubert, nach unten.

Er glitt mühelos durch die obere, grobe Schuttschicht und immer weiter nach unten, bis er das weiche, satte Erdreich darunter erreicht hatte. Hier schwebte ein alter Holzstamm in der dickflüssigen Erde: suspendiert in Raum und Zeit.
Er glitt darunter hindurch, und ließ seinen Sägeblatt-Rückrat absichtlich am schwarzen, torfgetränkten Balken entlang kratzen.

Er war verspielt, dieser Drache!
Völlig vereinnahmt, folgte ich seiner wirbelnden, Schlangenform in einer Abwärtsspirale zu einer großen eierförmigen Erdtasche. Es war sein privater Zufluchtsort, weit entfernt von den ahnungslosen Gästen, die oben im Café Kaffee und Kuchen genossen. Hier, in seiner vertrauten Umgebung, drehte sich der kleine Drache solange im Kreis bis er sich gemütlich zusammengerollt hatte.
Er hatte mich in sein Zuhause eingeladen. Meine Opfergabe hatte in der warmen Zuneigung für ihn bestanden, das war ihm genug gewesen.
Voll Dankbarkeit und Ehrfurcht kehrte ich zurück in die Betriebsamkeit des Windmühlen-Café.

17.06.2018
© Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
www.themindofmishka.weebly.com

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ranz-Carl-WiderCarl Franz

Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
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