Gabe an Mishka Woods

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Gabe an Mishka Woods Franz Carl edgewoodsGabe an Mishka Woods

Als ich den ersten Baum von Mishka Woods erreicht hatte, hielt ich inne und ließ meine Finger noch einmal über das zapfenförmige Figürchen gleiten, das in meiner Manteltasche verborgen lag.

Ich hatte die kleine Buddha-Statue vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt in North Cave, Yorkshire entdeckt.

Diese rundliche, kleine, lächelnde Figur eines Mannes, der ein schlichtes Gewand trug, war einfach unwiderstehlich. Ich brachte ihn mit nach hause und als meine Kinder ihn sahen, waren sie von der Einzigartigkeit seines Gesichtsausdruck bezaubert und nahmen ihn sofort in die Familie ihrer Spielfiguren auf. Und so kam er nie auf der Stelle des Fensterbretts zu stehen, welche ich für ihn auserkoren hatte.

Jetzt, nach so vielen Jahren, ging er erneut auf Wanderschaft. Er und ich, so schien es, waren dabei zu reduzieren.

„Wir brauchen ein neues Zuhause,“ sagte ich zu ihm, während ich um den Stamm des Baumes herum lugte an dessen Rückseite, wie ich wußte, eine große Baumhöhle versteckt lag.

Sie war wie ein länglicher, senkrechter Schlitz, der sich an der Basis einladend weitete. Es war eine geheime Stelle, so geheim wie Mishka Woods selbst, dachte ich, und das war vielleicht gut so.

Vor nicht allzu langer Zeit war dieses Wäldchen Teil eines viel größeren Waldes gewesen. In jenen Tagen waren die Äxte langsam, so langsam wie junge Bäume wachsen, und die beiden Diebeszwillinge, Mangel und Vernunft, lagen noch sabbernd und hilflos in ihrer vor-industriellen Wiege.

Aber Kinder wachsen und Mishka Woods hatte viel von sich hergeben müssen. In der Tat so viel, dass er fast bis auf ‘s Skelett ausgebeint war. Und dennoch lebt und atmet er noch immer. Seine Wurzeln sind nach zehntausend Tagen und Nächten des Gesprächs vernetzt wie eh und je und obwohl er sich kaum zu kleiden vermag, ist er großzügig zu allen, die ihn besuchen. Er bietet den Jungen, den Schwachen und den nistenden Liebenden bereitwillig Schutz. Er wiegt sie unter seinem zerschlissenen Sommerdach während des Tages und für die übernatürlichen Gäste breitet er gefällig die weiche, kühle Decke der Dämmerung auf dem Boden und auf allen, mit grünem samt gepolsterten Steinen aus. Er nährt auch das verfolgte, achtsame Reh, den schatten-verhüllten Fuchs und alle wachsamen Freunde des Abends. Ohne Ausnahme nährt er alle mit seiner Gabe des Immer-Sein und würde ich ihn bitten, würde ich ihn nur bitten, dann würde er auch mich nähren.

Ich berührte die kleine Figur in meiner Tasche (meinen alten Freund) und ging weiter, während ich den Blättern im sanften Wind lauschte. Diese wunderbaren, grün blitzenden Hände, streckten sich und fingen den vibrierenden Sonnenschatz ein. Ich schaute nach oben und sah wie alles in spielenden Gold- und Silberkaskaden nach unten fiel und setzte dann meinen Weg fort, tiefer in den Wald hinein, dort wo Auren die Äste um zitterten und sie mit lebenden Gazeärmeln bekleiden. Ich hörte das Summen seines Herzens, das mich sanft aus meinen angstvollen Träumen weckte, und ich vertraute noch einmal darauf, dass sich mein Auge öffnen würde wie eine Blüte am Morgen.

Mishka Woods lächelte, und als Geschenk an mich, ließ er einen Hirsch im Sprung den Weg überqueren, in der Stille seines Sommerlands. Eine wachsame Krähe bestand darauf die Barscheit meines Namens zu krächzen, misstrauisch bis ins Letzte. Der schlaue kleine Zaunkönig jedoch, kannte sehr wohl die Absicht meines Besuchs, und saß ganz in der Nähe mit einer Botschaft an mich.

Ich sah zwei schlanke Eichen rechts und links vom schmalen Pfad auf mich warten. Ihre beiden Auren überspannten den Weg und verschmolzen zu einer einzigen, und so entstand zwischen ihnen ein ovaler Spiegel in der Farbe des violetten Abendschleiers.

Ihn zu durchqueren hätte nichts weiter benötigt als wiederholte gedankenlose Bewegung. Ich hätte nur die routinierten mechanischen Bewegungen die meine Beine gewöhnt waren, fortsetzen müssen.

Dieser Teil meiner Reise verlangte jedoch viel mehr von mir. Ich streckte meine Hand aus um die Oberfläche der Aura zu berühren und genoss das prickelnde Gefühl in meine Fingerspitzen. Und dann spürte ich tiefer hinein und begann mit den Augen von Mishka Woods selbst zu sehen. Ich sah einen Fremden, einen Verirrten. Er stand dort allein und es war ihm nicht bewusst, dass dieses eine einzelne Wesen ihn schützend von allen Seiten umgab. Er konnte unter seinen, von Stiefeln betäubten Füßen, nicht die Wurzeln spüren, obwohl sie sein Gewicht mit dem zarten Netz ihrer verwobenen Finger trugen. Er bedankte sich nicht bei Bäumen und Büschen, die den Wind in eine Brise verwandelten, die eben über seine Wangen strich, und er versäumte es zu bemerken wie über ihm die Äste ihre Blätter als Schutz anboten gegen Wind und Regen.

Der Mann stand lange, lange still bis er auf einmal sehr müde wurde. Er ließ das Gestern von seinen Schultern gleiten.

Und so, entließ ich auf diese Weise die Vergangenheit und nahm nur das mit was ich wirklich besitze, nämlich die Gegenwart. Ich trat durch den zitternden Spiegel, hinein in die Zukunft. Dort entdeckte ich ein neugeborenes Kind. Ich nannte es, Leben.

Ich nahm es mit mir durch den Wald, und jeder Augenblick meines neuen Tags mit ihm war mir kostbar.

Es dauerte nicht lang, da war ich wieder dort angekommen wo meine Reise begonnen hatte, beim allerersten Baum von Mishka Woods, der jetzt zum allerletzten Baum geworden war.

Ich nahm das kleine Figürchen aus meiner Tasche und stellte es vorsichtig in die geheime Höhle wo es lächelnd und zufrieden saß.

Ich widmete meinen alten Begleiter Mishka Woods und allen Geistern des Waldes die im Namen des Allerhöchsten kommen, der die Liebe ist und der uns liebt egal ob wir richtig oder falsch sind.

18.03.2018
Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
www.themindofmishka.weebly.com

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Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
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