Saltmarshe East Yorkshire

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So frei wie der weite HimmelSaltmarshe East Yorkshire

Eine schmale Straße quetscht sich verlegen durch das verschlafene Dörfchen von Saltmarshe in East Yorkshire. Die malerischen kleinen Bauernhäuser nesteln direkt am ruhigen Straßenrand.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße behindert ein hoher, grasbewachsener Wall die Sicht auf den Fluss; ein notwendiger Schutz gegen die Hochwasser der Ouse.

Ich erklomm den steilen Pfad, der auf den Damm hinaufführte. Oben gab es vermutlich einen guten Aussichtspunkt.
Ich wurde nicht enttäuscht. Von dort hatte ich einen fantastischen Blick auf die glitzernde Wasseroberfläche. Mein Auge folgte der schimmernden Biegung bis zum weit entfernten, klaren Februar- Horizont.

Es war wunderbar meditativ. Eine vorsorglich aufgestellte Bank bot mir einen bequemen Sitzplatz zum ausruhen.
Aber etwas zog sachte an mir. Am Ufer zitterten die flauschigen Rispen des Schilfrohrs tausendfach.
Ich ließ mich von ihrer flirrenden Erregung leiten und löste mich vom Fluss und seiner Liebesgeschichte mit dem Licht. Stattdessen kehrte ich zum grasbewachsenen Pfad des Damms zurück und glitt in eine andere Welt. In dieser Welt nahm ich ein Pferd wahr, das mich ruhig beobachtete.
Es war ein schöner, großer, hellbrauner Hengst, zäh und betagt.
Er machte einen Schritt nach vorn und pflanzte seine riesigen Hufe in die abgegraste Wiese. Sein Körper lehnte sich nach vorn als wollte er noch weiter, aber sein Kopf wurde abrupt zur Seite gezogen; festgehalten von etwas, das ihn unsanft zurück riss.
Es war ein dicker Strick, an dem sein Halfter befestigt war. Ich sah, dass die verwitterte Leine bis auf den Boden zu einem Holzpflock reichte.
Der alte Geselle hatte offensichtlich den Großteil seines Lebens am Flussufer verbracht. Sein Besitzer hatte ihn wohl während der Saison von einem Weideplatz zum nächsten bewegt.
Seine freundlichen braunen Augen prüften mich sanft und fragend.carl-franz-Saltmarshe-Spirit-Horse

Ich verstand. Er war diese Leine ein Leben lang gewohnt und hatte sie mitgebracht. Sie war Teil seiner Identität geworden, und auch jetzt war er noch immer ihr Gefangener.
„Du bist frei,“ flüsterte ich. „ Du bist ein Geistwesen. Du kannst tun und lassen was Du willst“
Er rührte sich nicht, sondern schaute mich stattdessen mit seinen Opal-Augen flehend an ihn zu befreien.
„Also gut,“ seufzte ich. „Wenn Du dermaßen davon überzeugt bist, dass Du es nötig hast von mir befreit zu werden, dann dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig“.
Ich ging auf ihn zu. Er schien auf einmal ziemlich nervös.
Ich überlegte ob in ihm schmerzhafte Erinnerungen geweckt worden waren. Mein Verdacht wurde bestätigt, als ich noch näher trat und er seinen Kopf abwehrend nach oben riss.

Offensichtlich würde er es mir nicht leicht machen. Mit metaphysischen Händen an dem metaphysischen Knoten eines metaphysischen Seils herumzufummeln, war schon an sich eine kniffelige Aufgabe. Ich hatte so etwas noch nie gemacht.
Und was, wenn er nicht bereit war mich in seine Nähe zu lassen?
Mir kamen Zweifel ob sich das Ganze überhaupt machen lassen würde.

Wenn ich jetzt noch viel länger über die beste Vorgehensweise nachgrübelte, würde mein Verstand das Problem automatisch an die analytische Abteilung meines Gehirns weiterleiten und dann würde ich in die dichtere Realitätsebene zurück gezogen werden und die Verbindung zu ihm verlieren.
Dieses Wesen hatte mir die Ehre erwiesen mich um Hilfe zu bitten.
Ich wollte es um keinen Preis aus dem Auge verlieren.

Da kam mir ein Gedanke. Dieses Pferd war ein Geistwesen; das war völlig klar (jedenfalls mir).
Deshalb, setzte ich meine Logik fort, war sein Halfter auch ein Geisthalfter.
Auf einmal wusste ich was ich zu tun hatte. Ich musste auf alle Fälle schnell und ohne zu zögern handeln.
Getan wie gedacht. In einem einzigen Schwung hob ich meine Arme bis über seine Ohren und führte sie dann abwärts über Nüstern und Maul. Es funktionierte. Bevor es zurückschrecken konnte, lag das Halfter mit dem Seil vor meinen Füßen auf dem Boden.

Einen Augenblick lang erstarrte das Pferd wie im Schock. Dann fuhr ihm der Schreck in die Glieder und es machte einen unerwarteten Satz nach vorne. Seine riesigen Hufe stiegen in die Höhe und es segelte direkt über mich. Ein lebendes Pferd hätte mich ohne Zweifel auf dem Boden zerschmettert. Ich wäre getötet worden. Aber dies war kein physisches Pferd sondern ein Geistwesen. Brust und Hufe gingen widerstandslos durch mich hindurch. Verschwommen sah ich sein hellbraunes Fell, dann war es verschwunden.

Ich wünschte ihm alles Gute und seinen wohlverdienten Frieden. Ich war gerade dabei aus der Welt des Geistes in die der Materie zurückzukehren, da geschah noch etwas.
Vor mir, hoch oben am Himmel, erschien ein wunderschönes, weißes Pferd. Es schlug mit seinen Hufen vor schierer Freude in die Luft.
Das königliche Tier galoppierte in riesigen, mühelosen Sprüngen auf mich zu.
Es donnerte direkt über meinen Kopf und verschwand in der Ferne.
Ich glaube es war seine Art mir Lebewohl zu sagen. Es war außerdem eine spektakuläre Belohnung für mich es so frei und uneingeschränkt zu sehen, so frei wie der weite Himmel selbst.

25.03.2018
(c) Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
Illustration von Emma Franz
www.themindofmishka.weebly.com

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Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
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