Unterdrückung der Emotionen – Ist Wut nicht erleuchtet?

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frau wut furiousKategorisierung und Unterdrückung der Emotionen: Ist Wut nicht erleuchtet?

In den letzten Wochen wurde „Wut“ oft zum Gegenstand meiner Gespräche mit verschiedenen Menschen.
„Wut ist schlecht! Wer noch wütend wird, ist nicht erleuchtet“, hörte ich bei fast jedem Gespräch.
Ist das wahr? Was stimmt mit der Wut nicht? Und wer entscheidet, was gut und was schlecht ist?
In diesem Artikel möchte ich eine der wunderschönsten und mächtigsten menschlichen Emotionen in ein etwas anderes Licht stellen: Die Wut!

Die Kategorisierung der Dinge in „Gut und Böse“„Richtig und Falsch“ vereinfacht unser Leben so, dass wir uns nicht mehr mit den Hintergründen der Geschehnisse auseinanderzusetzen müssen. Wenn wir – zum Beispiel – voraussetzen, dass die Wut per Definition schlecht ist, dann brauchen wir uns nicht mehr damit zu beschäftigen, was Wut ist, warum jemand gerade wütend ist oder was diese Emotion uns mitzuteilen versucht.

Aber was, wenn die Wut gar nicht so schlecht wäre, sondern nur eine Emotion wie die Liebe oder der Hass, die Trauer oder die Freude, ohne jegliche Bewertung?

Und sind wütende Menschen per se nicht erleuchtet oder erleuchtete Menschen nicht wütend? Was hat das Eine mit dem anderen zu tun?

Die Kategorisierung der Emotionen dient aus meiner Sicht zu Manipulation und Kleinhaltung der Menschen, deren Ziel darin besteht, uns mit Schuldgefühlen zu plagen und aus uns emotional stumpfe Wesen zu machen. Indem eine Emotion als „schlecht“ bewertet wird, wird sie nicht aus der Welt geschaffen. Jedoch bewirkt diese vorprogrammierte Bewertung, dass jene Emotion bei ihrem Auftritt eine Reihe negative Gefühle mit sich bringt, so wie; Reue, schlechtes Gewissen, eine Steigerung der Wut usw. oder sie wird gleich verdrängt.

Die Unterdrückung der eigenen Emotionen ist kein gesunder Umgang mit sich selbst und wird sich über kurz oder lang auf der einen oder anderen Weise bemerkbar machen oder sich gar als körperlichen Beschwerden manifestieren. Der Weg zu einem gesunden Leben führt über die bedingungslose Selbstliebe und dazu gehört auch die Akzeptanz unserer Schattenseite – die Teile von uns, die gesellschaftlich, kulturell, aus religiösen Hintergründen oder durch kollektive Glaubenssysteme abgelehnt werden.

In der Spiritualität, die der individuelle Weg jedes einzelnen Menschen zu sich selbst beschreibt, gibt es keine Kategorisierung und Bewertung: Nichts ist gut, nichts ist schlecht. Alles ist, was es ist. Das ist der Weg der Akzeptanz, auf dem wir vor allem lernen, uns selbst so zu akzeptieren, wie wir sind. Wenn ich nun meine Wut unterdrücke, weil ich als erleuchtet gelten will, dann bin ich wahrscheinlich gar nicht erleuchtet, sondern ich versuche, durch das Unter-den-Teppich-Kehren meiner „schlechten“ Emotionen ein „guter Mensch“ zu sein und von „allen geliebt zu werden“, was widerum ein Zeichen mangelndes Selbstbewusstsein sein könnte.

Nun zurück zu der Frage, ob „Erleuchtete“ nicht wütend werden:

Nehmen wir Moses als ein Urbild des spirituellen Menschen: Nach vierzig Tagen „one-to-one-Meeting“ mit Gott persönlich kehrte er vom Berg Sinai zu den Söhnen Israels zurück. Das erste, was er dort entdeckte, war ein goldenes Kalb, das sie in seiner Abwesenheit gebaut und anbeteten. Ist Moses ruhig geblieben, nachdem er diese Szenen gesehen hatte? Hat er gesagt: „Ich, Moses der Erleuchtete, darf nicht wütend werden. Ich bleibe im Gottes Vertrauen, das alles aus einem guten Grund passiert, auch die Tatsache, dass mein Volk zur Götzenanbetung zurückkehrte“?
Er rastete so aus, dass er die Tafel mit den zehn Geboten – das Gottes Wort – auf den Boden haute und zerstörte. War Moses nicht erleuchtet oder nicht wütend?

Ein weiteres Beispiel für „Erleuchtet-wütende“ unter uns liefert ein anders Urbild des spirituellen Menschen: Christus! Weil der Feigenbaum unfruchtbar war, fluchte er den armen Baum so, dass er trocknete und starb. War Jesus nicht erleuchtet oder nicht wütend?

Die heiligen Bücher liefern uns selbst ein wütendes Gesicht Gottes.

Die Sintflut und Zerstörungen jeglicher Völker, die gegen seine Gebote handelten, sieht nicht wie die Handschrift eines ruhigen und ausgeglichenen Gottes aus.
In der griechischen Mythologie gilt Lyssa gar als die Göttin der Wut, so wie die Furia für die Wutausbrüche in dem römischen Raum verantwortlich war. Damit bekommt die Wut sogar ein göttliches Gesicht und zählt zu Eigenschaften Gottes.

Ich denke, die obigen Beispiele reichen aus, um zu zeige, dass eine „Erleuchtung“ in keinem kausalen Zusammenhang zu der Wut steht. Ja! Auch Erleuchtete „dürfen“ mal wütend werden, weil sie unabhängig von ihrem geistigen Fortschritt ein Mensch bleiben und unsere Emotionen sind menschlich.

Wenn ich die Wut nun ganz nüchtern und ohne Bewertungen betrachte, sehe ich viel Potential in ihr:

Sie ist eine unserer mächtigsten und eindruckvollsten Emotionen, die uns ermöglicht, Dinge zu tun, zu denen wir in einer ruhigen Stimmung nicht fähig sind. Das waren die wütenden Menschen, die für Revolutionen und große Änderungen in der Geschichte gesorgt haben.

Daher treten Wut und Trauer in der Regel sehr nah beieinander auf, weil sie sich energetisch ausgleichen: Entweder verbringen wir eine Zeit lang in Traurigkeit, bevor wir wütend werden oder die Trauerphase sucht uns nach einem Wutausbruch heim. Zusätzlich besitzt die Wut eine reinigende Eigenschaft. Wie ein eruptierendes Vulkan bringt sie alles Gestaute und Unterdrückte in uns hoch und entsorgt es.

„Das Problem“ mit der Wut ist nicht die Wut selbst, sondern das, was wir aus ihr machen.

Wie bereits erwähnt, kann die Wut Zweck Seelenreinigung eingesetzt werden, bei der wir die Gelegenheit bekommen, alles Negative, Unterdrückte und Verdrängte loszulassen. Wenn ich nun mein Haus putzen möchte, sollte ich den gesammelten Abfall in die dafür gedachten Eimer entsorgen und nicht aus dem Fenster auf die Straße werfen.

Dasselbe gilt für die Reinigungsarbeit der Seele: Wenn ich meine Wut mit auf die Straße nehme und meine Mitmenschen damit beschmeiße, dann sollte ich mich wenigstens fragen, ob ich gerecht handele und wie es mir gefallen würde, wenn jemand dasselbe mit mir machen würde. Unsere Emotionen sind ein Teil von uns selbst und unsere eigene Verantwortung. Sie werden nur durch bestimmte Erreger in der Außenwelt aktiviert. „Tue anderen nicht an, was du nicht von ihnen angetan haben möchtest. Das ist das Wesentliche, und alles übrige ist Kommentar; und nun gehe hin und lerne“ (Talmud, Sabbat 31a), waren Gottes Worte an Moses, die als das grundlegende Gesetz der Tora bezeichnet werden.

Nachdem Gott sich in seiner Wut für die Vernichtung alles Leben durch die Sintflut entschieden und das Ergebnis seiner Arbeit gesehen und deren Folgen reflektiert hatte, merkte er, dass er vielleicht ungerecht gehandelt und übertrieben hatte. Denn er sprach zu Noah und seinem Nachkommen wie folgt: „Ich habe meinen Bund mit euch geschlossen. Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben“ (Gen 9,11).

Das ist der Unterschied zwischen dem bewussten und unbewussten Menschen: Der Erstere reflektiert, und lernt aus seinen Erfahrungen der Letztere nicht.

23.10.2021
Sara Sadeghi
https://www.peacestartsinyourheart.com

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Sara Sadeghi sara-sadeghi

Die 37-jährige Freiheitsliebhaberin arbeitet heute als zertifizierter Coach für psychische Gesundheit, Bewusstsein und Spiritualität und Energietherapeutin und hat bereits hunderte von Menschen mit ihrer Geschichte inspiriert und geholfen. In ihrem Buch „Das kleine, schwarze Fischlein – a diary“ berichtet sie über ihren Verwandlungsprozess von der Raupe in einen Schmetterling und über ihren Selbstfindungsprozess und die Herausforderungen, die ihr auf diesem Weg gestellt wurden.
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