Freundlichkeit mit sich selbst
Wie eine Auszeit für Eltern ein erster Schritt sein kann um wieder freundlicher mit sich selbst zu sein.
Der Wichtigkeit von „Freundlichkeit mit mir selbst“ bin ich zunehmend begegnet, seit ich Kinder habe. Es ist zu einer langen Reise geworden diese „Freundlichkeit mit mir selbst“ aufrechtzuerhalten.
Ich kam einer Kraft auf die Spur, die mich ständig davon abzuhalten schien: Entwicklungstrauma.
Entwicklungstraumen können als noch unverarbeitete Wunden in der Kindheit beschrieben werden, welche auf unser Erleben und Verhalten im Erwachsenenalter noch belastend wirken.
Da man aufgrund der Komplexität die Zusammenhänge zwischen Kindheit und Erwachsenenalter oft nicht eindeutig nachvollziehen kann, tappt man in dieser Entfremdung oft betroffen im Dunkeln.
Wenn man die Komplexität der darunterliegenden Mechanismen mal beiseite lassen möchte, kann man die Widersacher der „Freundlichkeit mit sich selbst“ auch einfacher zu beschreiben versuchen:
Man ist grundsätzlich erst mal so freundlich mit sich selbst, wie Menschen freundlich zu einem waren als man noch heranwachsend war. Wie mich die anderen früher behandelten, so behandle ich mich meist heute noch. Ich „bin“ also heute oft noch damit identifiziert, wie ich damals von meiner Umwelt in den ersten Jahren gesehen und gespiegelt wurde. Eine solche Identifikation könnte lauten: „Ich bin nicht liebenswert, wenn ich nicht einverstanden bin.“ oder „Ich habe es nicht verdient, dass für mich gesorgt wird.“ oder „Es liegt an mir, wenn etwas nicht gut läuft.“ oder „Nur wenn ich mich richtig anstrenge, bin ich liebenswert.“ usw.
Oft werden Eltern an den Grundfesten ihrer (Fehl-)Identifikation erschüttert,
wenn die Kinder sie aus der gewohnten Fassung bringen und die Eltern ihre Gelassenheit verlieren.
Was irgendwann im Nachhinein vielleicht als wertvollste Chance seines Lebens gesehen werden könnte, sieht mitten im Geschehen oft noch ganz anders aus. Dann passiert nämlich vielleicht erst einmal, dass man nicht mehr weiss, was man tun soll. Man spürt, dass etwas nicht stimmt, weiss aber oft nicht, wie man dieser Unstimmigkeit begegnen soll.
Nun gibt es selten genau in jenem Moment eine Hilfestellung, die einen unterstützt um innezuhalten und nachzuspüren, geschweige denn die Situation als Chance zu sehen.
Das Leben geht oft rasant schnell weiter an diesen Stellen, man überreagiert und sieht sich im Nu ein Verhalten an den Tag legen, welches ganz und gar nicht dem entspricht, was ein „guter Vater“ oder eine „gute Mutter“ unserer Meinung nach tut.
Das Bild des „guten Vaters“ oder der „guten Mutter“ passt spätestens dann nicht mehr zusammen mit dem Verhalten, welches man bei sich selbst gegenüber den Kindern beobachtet.
Genau NACH solchem Verhalten geschieht dann die Ver-wirrung, welche eigentlich viel eher eine Ent-wirrung einleiten kann, wenn man den Zustand VOR solchem Verhalten genauer erforscht.
Genau da ist nämlich ein wertvoller Moment, wo eine alte Erinnerung in unserem Körper – oder genauer gesagt: gespeicherte Information in unserem Nervensystem – lebendig wird und ehe wir es bemerken schon Überhand nimmt und unser Verhalten (ohne uns?) steuert. Wir schauen uns zu, wie wir das tun, was wir niemals tun wollten: wir schreien unser Kind an, beschimpfen es, beschämen es oder geben ihm auf irgendeine Art das Gefühl anders sein zu müssen, also falsch zu sein.
Was aber gäbe es zu sehen, wenn wir VOR diesem Verhalten innehalten könnten?
Würden wir sehen, dass höchst wahrscheinlich alles, was sich da in uns gerade jetzt abspielt, etwas mit einer selbst erlebten Not in der Vergangenheit zu tun hat?
Und was gäbe es zu sehen, wenn wir darüber hinaus noch unsere inneren Dialoge NACH dem Verhalten wahrnehmen würden? Würden wir vielleicht hören, wie wir uns selbst innerlich beschämen und über uns urteilen wie schlimm das ist was wir gerade mit unserem Kind gemacht haben?
Wie abwegig wäre es da in diesem Moment „Freundlichkeit mit sich selbst“ zu pflegen? Gewohnheitsmässig wohl für die meisten von uns sehr abwegig, wage ich zu behaupten…
So würden wir uns bei genauer Betrachtung NACH dem Verhalten vor einem doppelten Scherbenhaufen befinden: der eine Haufen ist das Resultat dessen, was sich im Aussen mit unserem Kind abspielt und der andere Haufen ist das Resultat dessen, was sich in unserem Inneren mit uns selbst abspielt.
Eine höchst unangenehme Situation, welche für die meisten Eltern zum Alltag gehört, oft gar täglich mehrmals. Weil es aber dermassen unangenehm oder gar masslos überfordernd sein kann sich dieser Situation alleine zu stellen, geht man im Alltag weiter, vergisst und verdrängt es so schnell und gut wie möglich und versichert sich, dass es ja normal ist überfordert zu sein, wenn man Kinder hat. Das kann dann von vielen Menschen auch so bestätigt werden und gut ist. Weiter geht’s.
Das ist unter den gegebenen Umständen tatsächlich ganz „normal“ und Teil unserer Kultur geworden.
Und doch muss es ganz und gar nicht so bleiben.
Wir können heute die guten Gründe für unser Verhalten neu kennenlernen und sie in Verbindung bringen mit unserer eigenen mehr oder weniger verletzten Beziehungs- oder Bezogenheitsmöglichkeit.
Wir können lernen zu sehen, dass wir oft nicht freundlich mit uns selbst sind und dass auch das gute Gründe in der Vergangenheit hat, die wir heute neu betrachten und in neuer Verbindung mit anderen Menschen revidieren können.
Es war sehr oft die Wahl für Bindung und Sicherheit, die wir als heranwachsende Menschen getroffen haben, als wir noch abhängig von der Fürsorge anderer waren. Wir haben uns höchst intelligent im Innen und im Aussen an ungünstige Situationen angepasst und uns perfekt damit im Einklang organisiert, um unsere Überlebenschancen zu erhöhen. Dies gilt es zu wertschätzen als ganz grundlegend lebensbewahrende Kraft in uns.
Und da wir überlebt haben, ist dieser Kampf als erwachsene Menschen auf der Ebene des Nervensystems nun eigentlich vorbei – auch das dürfen wir bewusst anerkennen und uns neu ausrichten.
Heute haben wir neue Möglichkeiten, um tiefer zu sehen und verstehen wo unser Verhalten sich ohne erwachsenes Zutun manchmal einfach abspielt. Wir haben neue Hilfsmittel zur Verfügung, um diesen Selbstläufern auf die Spur zu kommen, uns selbstfreundlich mitzunehmen und wieder die Führung für unser Verhalten zu übernehmen. Wo wir fassungslos werden, darf eine neu begriffene Fassung aus Erkenntnis, Lernen und Freundlichkeit mit sich selbst entstehen. So gelingt es mehr und mehr unsere Kinder vor unseren eigenen Verletzungen zu bewahren und den Entwicklungstrauma-Kreislauf zu unterbrechen.
Sich eine Auszeit zu gönnen kann ein erster Schritt sein um sich Raum für Erkenntnis, Lernen und Freundlichkeit mit sich selbst zu erschliessen.
Wir wissen heute, dass ein Nachreifen junger, in unserer Entwicklung vernachlässigter oder unbeantworteter Anteile im Erwachsenenalter möglich ist.
In der Begleitung von Eltern während Auszeiten, Eltern-Coachings oder Therapien widmen wir uns der Entspannung, Selbstwahrnehmung und unangestrengten Selbstverbindung. Durch inspirierende Impulse aus der Elternarbeit ist auch ganz konkret für den Alltag immer wieder Hilfreiches dabei. Allerdings liegt der Fokus in der Leichtigkeit des Seins, in dem die eigene Intuition und darin wiederum die elterliche Fürsorge und Kompetenz ganz natürlich ihren Platz haben.
02.01.2025
Estherina De Stefano
www.imago2.ch
Estherina De Stefano
Klinische Psychologin (Master of Science Universität Zürich), Eltern-Coach nach TransParents (Transformational Parenting, transparents.net), NARM™ Practitioner zur Heilung von Entwicklungstrauma nach Dr. Laurence Heller
Ich biete 1:1 Beratungen online oder in meiner Praxis vor Ort in Degersheim (Schweiz) an. Zudem gibt es immer wieder Eltern-Auszeit-Angebote, die ich an schönen Orten in gemütlichen Räumen anbiete. Ich lasse mich auch gern für Eltern-Gruppen einladen, die sich für einen Wandel in der Kinderbegleitung interessieren. Eine Gruppenbegleitung ist online oder je nach Möglichkeit auch vor Ort bei den Menschen möglich, die mich einladen.
Für begleitete online-Trainings kann ich www.transparents.net sehr empfehlen. Diese Arbeit hat meinen Alltag als Mutter und Eltern-Begleiterin grundlegend verschönert. Mehr findest du auf meiner Webseite: www.imago2.ch – Ich freue mich auf dich!
mehr erfahren: https://imago2.ch/hintergrund