Verachtung, Geringschätzung und Mobbing
Was ist Verachtung?
Verachtung ist ein Ausdruck empfundener Überlegenheit gegenüber Menschen oder menschlichem Verhalten und beinhaltet grundsätzlich das Element der Herablassung. Verachtung wird vom Verachtenden tendenziell als positives Gefühl wahrgenommen, das jedoch gelegentlich im Nachhinein in Scham oder Reue münden kann (während der aktiven Phase des Verachtens wird Verachtung zunächst als positiv empfunden, in der späteren Reflexion (nach Bewertung) jedoch gegebenenfalls als negativ).
In der Wissenschaft werden Wut (Zorn), Angst, Ekel, Trauer und Verachtung zwar in der Regel als negative Emotionen betrachtet, diese Klassifizierung berücksichtigt die speziellen Umstände jeder einzelnen emotionalen Episode jedoch nur unzureichend, da die Verachtung für den Verachtenden einerseits eine Positivemotion ist, für den Verachteten jedoch andererseits eine als negativ wahrgenommene Emotion darstellt.
Eine besondere Form der Verachtung ist die Verachtung gegenüber beruflich vorgesetzten oder sozial höhergestellten Personen als ein Mechanismus, mit dem hierarchisch untergeordnete Personen sich selbst und anderen suggerieren möchten, dass sie dessen ungeachtet nicht unterlegen sind bzw. dass ihnen diese Unterlegenheit gleichgültig ist.
Variationen und Kopplungen der Verachtung
Verachtung ist häufig mit Normverletzungen sowie dem Missbrauch von Überlegenheit und vermeintlicher Souveränität und der Überbetonung der eigenen Identität und Autorität verbunden. Die Wahrnehmung von Souveränität hängt dabei von Persönlichkeitsmerkmalen, dem Prinzip der Ähnlichkeit (entsprechen die Werte und Eigenschaften einer anderen Person den eigenen?) und dem Habitus ab.
Verachtung ist oft mit Abscheu, Ekel, Empathielosigkeit oder Hass verbunden. Sie tritt häufig parallel zu Zorn auf und kann in diesem Kontext einen verbergenden Charakter haben (den Zorn nicht zeigen wollen). Die Geringschätzung ist eine moderate Form der Verachtung, bei der das bewusste oder unbewusste Gefühl der eigenen Überlegenheit gegenüber dem als minderwertig empfundenen Wert eines anderen Menschen oder dessen Eigenschaften und Handlungen ausgedrückt wird.
Geringschätzung ist ebenfalls mit Ekel, Zorn, Überheblichkeit oder Schadenfreude gekoppelt. Geringschätzung ist auch verbunden mit Konkurrenzdenken, Mitleidlosigkeit, Macht-, Status- und Hierarchiestreben, Hybris (Genussgefühl der eigenen Überlegenheit), Arroganz, Respektlosigkeit, Vorurteilen, Konflikten, dem Selbstbild sowie emotionalem Kontrollverlust oder Gefühlskälte.
Schadenfreude ist eine Positivemotion, die sich am Schaden anderer, bevorzugt unliebsamer Menschen, zeigt. Obwohl Schadenfreude in der westlichen Kultur als niederes Verhalten gilt, zeigt sich gelegentlich bei negativ besetzten Themen ein kurzes Lächeln (Mikroausdruck), welches versteckte Freude signalisiert.
Auswirkungen von Verachtung und Mobbing
Geringschätzung und verachtende Haltung können als isolierende, ausgrenzende und abwertende Machtdemonstrationen oder Bestrafungen wesentliche Formen des Mobbings darstellen. Das menschliche Nervensystem reagiert nämlich auf Verachtung und Mobbing ähnlich wie auf eine körperliche Bedrohung (Angst vor sozialem Ausschluss). Schädliche Auswirkungen sind soziale Isolation, Angstzustände und Depression.
Mögliche Reaktionen von Mobbingopfern reichen daher von Scham, Angst, Rückzug und Schul- oder Berufsverweigerung bis hin zu Selbstmord. Das Mobbing seinerseits reicht hierbei von Hänseleien und Ausgrenzungen bis hin zu konkreter physischer Gewalt. Durch physische Gewalt hervorgerufene Emotionen sind normalerweise heftiger als diejenigen, die mit psychischer Gewalt provoziert werden, was mit der Nähe zum evolutionären Urthema zu tun hat, bei dem eine physische Gefahr sehr viel wahrscheinlicher war als eine Bedrohung durch Worte.
Verbale Demütigungen und Ablehnungen sind insofern leichter zu verlernen bzw. abzuschwächen als körperliche Demütigungen (demütigende Bestrafung). Haupttatorte für verächtliches Mobbing sind der Schulhof, der Schulweg, Freizeitbegegnungen und soziale Medien. Ein ganzheitlicher Ansatz, der Täter, Opfer, Zeugen, Art, Ort und Umstände des jeweiligen Mobbings berücksichtigt, ist insofern für die Beurteilung notwendig. Abschätziges Mobbing dient dem aggressiven Stressabbau, dem Schmieden von Koalitionen (Zugehörigkeit und Gruppenstärke) und der Zurschaustellung der eigenen Überlegenheit (Element der Verachtung).
Die Mimik der Verachtung
Asymmetrische, schiefe Gesichtsausdrücke (Eindruck des Mischlächelns aus positiven und negativen Elementen oder Anschein eines falschen Gesichtsausdrucks) signalisieren Verachtung oder scheinbare Überlegenheit. Geringschätzung, wie Verachtung, zeigt sich neben Augen und Nase durch die häufig leicht asymmetrisch hochgezogene Oberlippe. Es hat in der Regel keinen positiven Effekt auf andere und ist ein Anspruch auf Macht und Status.
Asymmetrisches Grinsen, schiefes Ansehen, verächtliche Blicke oder Augenrollen signalisieren immer Argwohn oder Infragestellen und sind universelle Ausdrücke von verachtender Haltung, Respektlosigkeit, Selbstzufriedenheit, Geringschätzung oder überlegenem Mitgefühl. Verachtung und Widerwillen haben ebenfalls vergleichbare mimische Signale und werden oft mit Ekel verwechselt. Verachtung und Vergnügen können jederzeit zu einem gemeinsamen Gesichtsausdruck verschmelzen, da Verachtung wie beschrieben in der aktiven Phase ein Positivgefühl ist.
Es löst den Impuls aus, auf etwas „herabzusehen“, was das gelegentliche Heben des Kinns erklärt. Studien aus der Paartherapie zeigen, dass regelmäßige verachtende mimische Signale (z.B. abfälliges Grinsen) in einer Ehe ernstzunehmende Indikatoren für bevorstehende Probleme oder Trennungen sind. Verachtung tritt in ehelichen Beziehungen immer dann besonders offen auf, wenn Überforderung und Problemorientierung beim Ehepartner empfunden werden. In Territorialsituationen, z.B. bei polizeilichen Befragungen oder angeschlagenen Boxern, soll der Ausdruck von Verachtung für das Gegenüber eine vermeintliche Überlegenheit oder Souveränität suggerieren. Menschen mit Dysmorphophobie sind krankheitsbedingt besonders empfänglich für die Wahrnehmung einer asymmetrischen Mimik bei sich und anderen.
Die Sprache der Verachtung
Cybermobbing ist eine moderne Form des verächtlichen Mobbings, bei dem soziale Netzwerke genutzt werden, um andere durch Lästerreden verächtlich zu machen oder zu beleidigen. Cybermobbing reicht von Kränkungen bis zu Belästigungen oder massiven Bedrohungen.
Studien zeigen, dass zwei Drittel der 14- bis 24-jährigen das Internet als einen Raum wahrnehmen, in dem Beleidigungen und Beschimpfungen häufig vorkommen. Hassrede (Hate Speech) umfasst daher verächtliche Äußerungen im Internet, die darauf abzielen, Einzelne oder Gruppen durch Sprache zu diskriminieren und abzuwerten (psychische Gewalt).
Typische Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Verachtung und ihren Kopplungen sind Herablassung, Geringschätzung, Missachtung, Überheblichkeit, Überbetonung der eigenen Identität und Autorität, Abscheu, Ekel, Arroganz, Ignoranz, Respektlosigkeit, Abfälligkeit, Überlegenheit, Hohn oder Spott.
Ein verächtliches Vokabular umfasst demzufolge eine Vielzahl von abwertenden oder herablassenden Begriffen und Phrasen wie z.B. „schäm’ dich“, „nichts wert sein“, „lächerlich sein“, „würdelos sein“, „hilflos sein“, „ein Versager sein“, „unzureichend sein“, „unterlegen sein“, „nutzlos sein“, „gewöhnlich sein“, „niedrig sein“, „schwächlich sein“ oder „armselig sein“. Die Neigung zu Mobbing ist oft mit der diffusen Angst verbunden, nicht auf der richtigen Seite zu stehen und darum lieber Täter als Opfer zu werden.
09.03.2025
Claus Eckermann
Sprachwissenschaftler und HypnosystemCoach®
Kurzvita
HSC Claus Eckermann FRSA
Claus Eckermann ist ein deutscher Sprachwissenschaftler und HypnosystemCoach®, der u.a. am Departements Sprach- und Literaturwissenschaften der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel und der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung unterrichtet hat.
Er ist spezialisiert auf die Analyse von Sprache, Körpersprache, nonverbaler Kommunikation und Emotionen. Indexierte Publikationen in den Katalogen der Universitäten Princeton, Stanford, Harvard und Berkeley.
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