
Transvision und Transparenz
Wir sind ständig damit beschäftigt, unser Leben zu begrenzen (griech.: „horizein“) und spekulieren gleichzeitig auf eine imaginäre jenseitige Welt, die es gar nicht gibt. Der Transhorizont befreit uns aus der Jenseitsfalle.
Wir können nicht einen Weg betreten, den wir nicht vor unseren Augen haben. Der Weg wird zur Transvision, wenn ich ihn als transhorizontal erfahre.
Revision (Zurückschauen), Prävision (Vorausschauen), Television (in die Ferne schauen) sind uns geläufig. Nur der Transvisionär erkennt die verwandelte Form am Transhorizont, die Transformation jenseits aller Begrenzung.
Die Transparenz (lat.: transparere = auf der anderen Seite erscheinen) ist das Ergebnis der Wahrnehmung der Wirklichkeit.
„Wer jenseits aller Begrenzungen
die Urquelle des Seins tief in sich erblickt,
sieht das gesamte Universum in allen Dingen.
Der unendliche Kosmos scheint durch alles hindurch“.
(Roland R. Ropers)
Transparenz ist nicht identisch mit Durchsichtigkeit (lat.: diaphanum).
Jeder ist bestrebt, das so genannte andere Ufer zu erreichen. Durch Überqueren eines Flusses gelange ich vom diesseitigen zum jenseitigen Ufer. Bin ich am jenseitigen Ufer angelangt, erfahre ich augenblicklich diesen Ort als diesseits und das Ufer, von dem ich gerade gekommen bin, wird zum Jenseits. In diesem ständigen Wechselprozess von diesseits und jenseits vollzieht sich das Leben.
Transvision ist ein kontemplativer Akt, ein integratives Schauen zweier Erscheinungen (Diesseits und Jenseits) in einer Subjekt-Objekt-Verschmelzung.
Es handelt sich um einen Erkenntnisakt eines Wissenden, der die Polarität von Geburt und Tod überschritten (transzendiert) hat und im Zustand der Transvision die Wirklichkeit, das immerwährende ewige Leben, schaut. Transvision und Transzendenz führen zur Erfahrung von Immanenz der in jedem innewohnenden, immanenten heiligen Quelle, dem Ursprung allen Lebens.
„Gedanken über das Jenseits kann man sich nur im Diesseits machen.“
(Karl Valentin)
Der innewohnende Geist (Sanskrit: Atman) wird erfahren als „der innere Lenker“, als „das, wodurch diese ganze Wirklichkeit erkannt wird“ (Brihadaranyaka Upanishad 3.7.3; 4.5.15).
In allen spirituellen Traditionen können wir einen Verwandlungsvorgang feststellen:
das Gebet als Hinwendung zum göttlichen Du wird durch die Kontemplation als Versenkung in das göttliche Selbst vertieft und über die Ich-Du-Struktur hinaus in die mystische Erfahrung der All-Einheit verwandelt. Diese Einheitserfahrung entfaltet sich in dem tieferen Bereich des intuitiven Bewusstseins, in der innersten Kammer des Herzens. Hier wird Gott weder als Du noch als Selbst erfahren, sondern das Göttliche als der alles tragende, belebende und durchdringende Geist. Hier wird es deutlich, dass der Geist betet.
Von Sören Kirkegaard (Kopenhagen 1813 – Kopenhagen 1855) stammen die bemerkenswerten Gedanken zum Beten:
„Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht nur Schweigen ist, sondern Hören.“
Einswerden mit dem Geist ist Erkenntnis und Liebe, (griechisch: Gnosis und Agape, Sanskrit: Jnana und Bhakti. Die ekstatische Erfahrung des betenden Geistes in uns ist die Erfahrung des gestaltenden Geistes um uns.
Wir blicken auf ein krisenhaftes Jahr 2024 zurück mit einer einzigartigen Inflation von Gipfel-Konferenzen wie nie zuvor in der Geschichte der letzten Jahrhunderte. Das englische Wort „summit“ hat die Doppelbedeutung für den höchsten Punkt eines Berges und die höchste Form von Macht. Das Wort „summit“ kommt von lat.: „summum“ (das Höchste).
Auch spirituelle Wegwanderer sprechen von „Gipfel-Erfahrungen“ (engl.: „peak experiences“).
Diese sind allerdings nicht durch eine anstrengende Bergbesteigung zu erreichen, sondern im Wesentlichen durch die Geröllbeseitigung von blockierenden Unterbewusstseins-Schichten, um in das Innerste Universum, das inwendige Königreich Gottes vorzudringen, wo jeder von uns seit ewigen Zeiten beheimatet und sicher aufgehoben ist. Für diesen Weg nach innen benötigt man sehr erfahrene Wegbegleiter, die um das Mysterium der „geistigen Freiheit“ wissen.
Eine der wichtigsten Textstellen im Neuen Testament:
„Das Königreich Gottes ist inwendig in Euch!“
(Lukas 17, 21).
Wir werden uns von überholten Gottesvorstellungen und theologischen Lehrmeinungen verabschieden müssen.
Die Orientierung kommt nicht mehr von Wissenschaftlern, sondern von Wissenden & Weisen.
Jeder von uns erlebt zur Zeit auf verschiedene Weise Höhen und Tiefen eines Transformations-Tsunamis.
Die Verbundenheit mit wunderbaren Menschen im engsten Familien- und Freundeskreis ist ein unschätzbarer Reichtum. Jeder hat nach seinen Kräften dazu beigetragen, dass der „homo oriens“ die peripheren Kräfte von egomanischen Supermächtigen in Gelassenheit und Freude überlebt.
„Ohne aus der Tür zu treten,
kannst du die Wege der Welt kennen.
Ohne aus dem Fenster zu schauen,
kannst du die Wege des Himmels kennen.
Je weiter du gehst, desto weniger weißt du.
Die Weisen wissen, ohne zu reisen,
benennen, ohne zu sehen,
wirken, ohne zu handeln.“
(Lao Tse „TAO TE KING“, Kapitel 47)
31.01.2025
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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