Botschaften der Hornissen

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Botschaften der Hornissen

Ein Lied des Sterbens?
„Der Kampf ist vorbei“, sagte die sterbende Hornisse zu mir.
Auch für sie ist der Kampf vorbei. Nicht der ihres Lebens oder ihres Wesens, nein, das ist hier nicht gemeint.

Ihr Kampf um meine Aufmerksamkeit.

Schon öfter klopfte sie spät abends an mein Fenster. Dann, wenn Ruhe einkehrte und die Nacht begann, den Tag abzulösen. Dong, dong. Meine Hündin hat es immer zuerst gehört und mir Bescheid gesagt, dass da am Fenster etwas vor sich geht.

Dann war eine Weile nichts zu hören, bis sie mich erneut besuchte und mehrere Abende in Folge an mein Fenster klopfte. Immer zur selben Zeit. Tagsüber sah ich sie nie. Jedenfalls flog sie mit Karacho gegen die Fensterscheibe, knallte ab, flog an den obersten Rand des Fensters, und sauste dann wieder hinunter und dagegen. Dong, dong. Eine Hornisse ist groß.

Einmal fing ich sie mit einem Glas und ließ sie an der anderen Seite des Hauses hinaus. Am nächsten Abend war sie natürlich wieder da. Am Abend darauf wurde mein innerer Ruf so stark, mich einer Thematik zu widmen, mit allem, was mich mein Leben bisher gelehrt hatte. Ich konnte es einfach nicht weiter verschieben. Nicht, weil die Not so groß war, eher weil ich wusste, JETZT ist DER Zeitpunkt. Weiteres verschieben wäre demnach ungünstig gewesen. Ich glaube, es ist dieses klare Spüren, das sich irgendwann Bahn bricht, nachdem viele Erfahrungen der anderen Richtung gemacht wurden.

Und so folgte ich meinem inneren Ruf und setzte mich am späten Abend noch hin. Danach, zur gewohnten „Hornissenzeit“ war nichts von ihr zu sehen oder zu hören. Die Nacht war bewegend, es gab einiges zu verarbeiten.

Am Morgen öffnete ich die Balkontür, und im selben Moment fiel die Hornisse von irgendwo oben hinunter und landete auf dem Balkonboden. Ich schaute sie mir an. Sie bewegte die Vorderbeine, als ob sie sich putzte, die hinteren Beine schienen den Geist schon aufgegeben zu haben, zuckten, und dann lag sie regungslos da, den Kopf wie abgelegt auf dem Boden.

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Wird sie etwa sterben, hier, vor meinen Augen?

Intuitiv setzte ich mich hin, nahm mein Schreibbuch und begann zu schreiben. Wenn sie stirbt, vielleicht will sie noch etwas sagen. Sie begann, sich wieder zu bewegen, schwerfällig zu krabbeln, manche Gliedmaßen zuckten oder schienen nicht mehr intakt zu sein. Wie zart doch Hornissenbeine sind.

Wieder lag sie regungslos da. Ich beobachtete sie. Was ist mit ihr, kann ich ihr helfen, wie?

„Nein“,
ertönte es nun von ihr,
„schau mich genau an,
dafür bin ich hier.
Wir leben und wir sterben,
das alles gehört zum werden.
Studiere meinen Körper,
und sieh, was ich dir zeige,
und glaube nicht,
dass ich leide!“

Ich schrieb die Zeilen auf und als ich wieder aufschaute, sah ich sie nicht mehr. Denn plötzlich war sie flink wieder los gekrabbelt! Alle Gliedmaßen waren wieder gerade, nichts zuckte. Sie konnte alles bewegen und kletterte mehrmals über Blätter hinweg, wie, um es mir zu zeigen. Was für ein Schauspiel!

Sie hatte sich regeneriert, vor meinen Augen.

Das Lied des Werdens

„Der Kampf ist vorbei“, sagt sie mir wieder,
„stehe auf, und strecke deine Glieder.
Erkunde die Welt,
und schau, was sie alles erhellt.
Wir alle arbeiten zusammen.
Auch du hast mir heute eine Ehre erwiesen,
ein Mensch, der mich wirklich sieht,
das wollte ich mal genießen!
Das kommt selten vor, und wird doch immer mehr,
sage das den Leuten, denn es ist nicht schwer!
Deutet nicht mit dem Kopf, sondern bezieht euer ganzes Wesen mit ein,
zieht keine voreiligen Schlüsse, denn manchmal kann es überraschend sein!
Du dachtest, ich singe dir ein Lied des Sterbens,
oh nein, dies ist das Lied des Werdens.
Lasst euch von euren höheren Instinkten führen,
ruht im Sein, dann können wir euch berühren.
Wir sind das kleine Volk, und doch so unendlich viele.
Wir danken dir für dein Lauschen,
lass dich von der Vielfalt des Lebens berauschen!“

Ich klappte mein Buch zu und schaute auf. Ich konnte sie nirgends entdecken. Kann sie etwa auch wieder fliegen?

„Wie heißt du?“, rufe ich ihr im Stillen nach.

„Müsst ihr Menschen denn immer alles benennen? Henriette kannst du mich nennen….“

Aus einer wurden viele

Ein paar Tage später bemerkte ich plötzlich mehrere Hornissen, die emsig zwischen den Bäumen vor dem Haus und dem Dach des Hauses hin und her flogen. Sie hatten sich doch tatsächlich eine Nebenstelle im Dach gebaut. Wenn sie durch das Licht der Nachmittagssonne fliegen, sehen sie aus wie goldene Feen. Ich habe keine Erfahrung mit Hornissen, und so bat ich sie um eine Botschaft und lauschte …

Die Weisheit der Hornissen

„Wir sind sehr groß, und wo wir sind, da ist was los.
Wir tun niemandem etwas zuleide, wir brauchen nur eine Bleibe.
Wir haben unsere Flugbahnen, stört sie nicht, da müssen wir euch warnen.
Wo wir „gesehen“ werden, bauen wir gern ein Nest, denn wir sind friedlich, wenn man uns lässt.
Eure Räume und Körper interessieren uns nicht,
doch was wir unwiderstehlich finden, das ist Licht.
Wir fühlen uns wohl, wenn die Sonne scheint,
doch am dunklen Abend sind wir oft an euren Fenstern vereint.
Es irritiert uns, euer künstliches Licht,
und wir verlieren unsere klare Sicht.
Doch auch wir lernen, mit euch zusammenzuleben,
denn eine jede Art kann der anderen etwas geben.
Alle zusammen entwickeln wir uns weiter.
Das haben wir so gewählt,
zu lieben und zu lassen, das ist das, was zählt.
Es grüßt euch ein Stamm der Hornissen,
gern teilen wir mit euch unser Wissen.“

26.09.2023
Melanie Ackermann,
Autorin vom blauen Buch der Weisheit
www.melanieackermann.de

 


Melanie-Ackermann-Portrait-2021Melanie Ackermann

… meine Krone streckt sich in den Himmel, mein Herz öffnet sich – und erzählt.
Mein Schreiben ist etwas, …

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3 Kommentare

    • Liebe Daniela, herzlichen Dank für deinen Kommentar, über den ich mich sehr freue. Und die Hornissen natürlich auch, denn die meisten Wörter haben sie natürlich ausgewählt. Liebe Grüße, Melanie

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