Der Tarotgarten der Niki de Saint Phalle
Tarot hat im Laufe seiner Geschichte viele Künstler zu wunderbaren Werken inspiriert.
Das größte – sowohl in seiner Ausdehnung als auch in seiner Intensität – ist Il Giardino dei
Tarocchi, der Tarot-Garten. Er liegt etwa eine Autostunde von Rom entfernt, in der südlichen Toscana.
1979 begann die damals bereits durch ihre Schießbilder und die Riesenskulptur Hon international bekannte Künstlerin Niki de Saint Phalle mit dem Bau des Gartens, der fast 20 Jahre dauern sollte.
Seit ich vor über 20 Jahren von dem Garten erfuhr, war es ein großer Wunsch, ihn zu besuchen. Im Mai dieses Jahres habe ich mir diesen Wunsch erfüllt.
Durch ein großes Rundbogentor betritt man den Garten – und es ist das Tor zu einer magischen Welt, die sich hier vor der Besucherin auftut.
Das erste, das durch die Bäume blitzt, ist der Hügel der Hohepriesterin und des Magiers.
Indem man dem Weg folgt, an deren Ende diese beiden Skulpturen zu sehen sind, gelangt man auf einen Platz, der erfüllt und umgeben ist von den Skulpturen des Gartens. Die Herrscherin, die Gerechtigkeit, der Turm, die Stärke, die Sonne sind sofort zu erkennen.
Der Schritt stockt, der Atem bleibt einen Moment lang weg, so beeindruckend ist dieses Ensemble. Die Magie dieses Ortes erschlägt einen beinahe.
Klugerweise stehen am Rande dieses Platzes Bänke, so dass man sich niederlassen und staunen kann. Der Hügel des Magiers und der Hohepriesterin mit dem Rad des Lebens dominieren den Platz.
Das Wasser plätschert die Treppe beruhigend herab, und das ist auch gut so, denn die aufgerissenen Münder der Hohepriesterin und des Magiers wirken schon etwas beunruhigend. Es ist wie ein Ruf, der tief in die eigene Seele dringt und weiter in diesen phantastischen Garten lockt.
Beide Arcana sind ist diesem Hügel mit Wasserfall und Auffangbecken vereint und bilden die spirituellen „Eltern“ des Parks. Im Wasserbecken steht das Rad des Schicksals, eine Installation von Jean Tinguely, ihr langjähriger Lebenspartner.
Ich wende mich dann zur linken Seite, zu der Figur der Stärke.
Eine luftig-leicht gestaltete Frauenfigur mit zarten Blautönen dekoriert führt an einer unsichtbaren Leine einen Drachen.
Diese eher zarte Figur strahlt aber soviel Präsenz und innere Kraft aus, dass es der Leine gar nicht bedarf. Die Frau beherrscht das Ungeheuer durch ihre innere Kraft. Der Drache ist grün, rot blau – einfach bunt, mit großen weißen Zähnen und sieht von der einen Seite sehr mächtig und massiv aus. Geht man um ihn herum stellt man aber fest, dass der Drache löchrig ist, er ist ein Papiertiger!
Niki de Saint Phalle sah die Karte als einen Aufruf zur Entwicklung der inneren Kräfte, indem man sich seinen Dämonen stellt. Und möglicherweise lautet ihre geheime Botschaft „Wenn du genau hinschaust, schrumpfen die Dämonen!“
An dem Bildwerk der Kraft vorbei steige ich eine kleine Treppe hinauf, die mich zum tempelartigen Bau der Mäßigkeit führt. Eine kleine Kuppelkonstruktion trägt den Engel der Mäßigkeit, der wieder ganz in Nikis Tradition der Nanas gestaltet ist. Im Inneren ist diese Kuppel eine Kapelle, die mit Blumenmotiven geschmückt und vielen Spiegeln ausgekleidet ist. Sie enthält eine schwarze Madonna, davor ein kleiner Altar mit verblichenen Bildern: JeanTinguely ist mit dabei, die anderen konnte ich nicht identifizieren. Ein Ort der Einkehr und des Gedenkens. Hier fühlte ich mich sehr mit Niki de Saint Phalle verbunden, es ist, als würde sie mir über die Schulter schauen. Eine weitere intensive Erfahrung, diesmal aber in einem geschützten Raum.
Von hier aus geht es noch ein kleines Stück höher zu Plastik des Mondes.
Nach der Geborgenheit der Kapelle sieht man hier in die weite Landschaft der Toscana. Zwei große, hundeartige Tiere schnappen (oder spielen sie Fangen?) nach einen Krebs, der wiederum ein dem Himmel zugewandtes Gesicht trägt. Der Hinterkopf ist eine Mondsichel. Der Kopf scheint nicht zu bemerken, was unten vorgeht. Ein schönes Bild für die Bedeutung der Karte: Das Unbewusste und Unklare, das, was der Verstand eben nicht mitbekommt, ist hier wunderbar ausgedrückt.
Man folgt dem Pfad weiter und kommt zur Herrscherin. Sie ruht wie eine Sphinx im Garten eingebettet und ist über und über mit farbenfrohen Mosaiken geschmückt. Blau und Rosé sind frontal die vorherrschenden Farben. Hier hat Niki de Saint Phalle gewohnt, während der Gartens gebaut wurde. Man betritt einen vollkommen mit Spiegelmosaik ausgestalteten Raum, in dem es keine gerade Wand gibt, nur organische Formen, und kommt direkt auf einen großen Tisch zu. Ich kann mir gut vorstellen, wie Niki hier mit Ihren Mitarbeitern gesessen, gespeist, geplant hat. Es gibt eine Küche, in der ebenfalls alles verspiegelt ist bis auf die Arbeitsfläche aus Marmor.
Ihr Bett steht frei auf einer Empore. Das Bad ist mit einer Dusche in Form einer Schlange ausgestattet. Insgesamt macht die Wohnlandschaft trotz aller Mosaike und Kunstwerke doch irgendwie einen spartanischen Eindruck, sie ist auf das Wichtigste beschränkt. Es gibt große, runde Fenster, die das Tageslicht hereinlassen, aber nur zum Teil geöffnet werden können. Alles ist offen, ohne Türen, bis auf das Bad.
Im Inneren der Herrscherin befinden sich das Gericht als Wandmosaik in die Spiegel eingelassen und der Wagen, als eine Plastik im Eingangsbereich.
Über einen kurzen Weg erreicht man die Burg des Herrschers.
Ein kreisförmiger Säulengang trägt verschiedene Aufbauten, einen bunten Turm, den Turm aus dem Tarot und eine Rakete. Über eine Treppe kann man nach oben steigen und hat hier wieder einen wunderbaren Blick in die toskanische Landschaft.
Jede einzelne Säule ist ganz eigen gestaltet in Form und Mosaik. In der Mitte befindet sich ein Brunnen mit fröhlichen Frauenfiguren, die aus ihren Mündern, Brüsten oder Händen Wasser speien.
Verlässt man die Burg des Herrschers, trifft man auf die Liebenden, die ein gemeinsames Picknick auf einer erhöhten Fläche halten. An den Liebenden vorbei gelangt man zu zwei Plastiken, die auf den ersten Blick nichts mit dem Tarot zu tun haben: Der Prophet und das Orakel.
Der Prophet ist von innen und außen verspiegelt, man kann sich hineinstellen. Seine Form ist kantig, schlicht und ruhig aufstrebend. Das Orakel ist von seiner Rückseite auch begehbar. Auf der Vorderseite winden sich über königsblaue Mosaiksteine rote Schlangen. Das Gesicht des Orakels ist nur angedeutet und ihre Augenhöhlen sind schwarz. Sie wirkt leicht bedrohlich und sehr mystisch. Von hinten kann man in die Figur hineintreten und die Hand in das geöffnete Maul einer Schlage legen. Wird sie zubeißen, wenn man man die Unwahrheit spricht?
Vom Orakel kommend, am Propheten vorbei, betritt man einen kleinen Platz, auf dem der Stern in einem Wasserbecken zu sehen ist. Die mit Spiegelmosaik geformte Plastik hat viele, kleinere Sterne auf ihrem Körper, und es sieht so aus, als würde sie auf dem Wasser stehen, wie es auch der Karte im Waite-Tarot zu sehen ist. Auch hier laden Bänke zum Verweilen ein, die wir dankbar annehmen. Übrigens gibt es eigentlich überall Sitzgelegenheiten, und das ist auch gut so, denn der Aufenthalt ist sehr intensiv.
Von diesem schönen ruhigen Platz gelangt man, am Eremiten vorbeikommend, zum Standbild der Gerechtigkeit. Der Eremit ist luftig, durchlässig, eine Schlange windet sich an seinem Stab empor. Wie es seiner Natur entspricht, steht er unauffällig am Wegesrand.
Die Gerechtigkeit ist eine große, schwarz-weiß gestreifte Frau.
Ihre Brüste, die gleichzeitig ihre Waage bilden, sind mit Spiegelmosaik geschmückt. Im Inneren befindet sich eine Maschine von Jean Tinguely, die die Ungerechtigkeit darstellt. Ein schweres eisernes Gitter mit einem Vorhängeschloss sichert den Durchgang.
Sobald man in die Nähe des Gitters kommt, wird setzt sich die Maschine in Bewegung, es ertönen seltsame Geräusche, verschiedene Skelettteile bewegen sich, metallene Räder kommen in Gang. Gut, dass hier nichts heraus kommt, denke ich mir.
Vor dem Bau der Gerechtigkeit steht das vielköpfige Monster, das den Gehängten beheimatet. Die Schlangenköpfe sind bunt und laut und viele, doch wenn man hinzutritt, hängt dort in einem stillen, verspiegelten Gemach der Gehängte von der Decke.
Er ist in der gleichen luftigen Technik gehalten wie der Eremit, allerdings ganz in Blau mit einem gelben Haarschopf. Sein Fuß ist an einem Seil mit einem Henkersknoten befestigt. Ein starkes Bild für das Grenzgängertum, welches der Gehängte ja auch symbolisiert.
Weiter geht es zum Hierophanten, einem riesigen Gesicht, in dem das dritte Auge auf der Stirn in Gold gearbeitet ist. Auf seinem Kopf kniet ein Pärchen, der Mann hält ein Dreifachkreuz, die Frau scheint es anzubeten. Seine großen Augen sind verschiedenfarbig; die Nase ist grün.
Unsere Reise, die buchstäblich durch das Tarot führt, führt uns jetzt in den abgelegensten Teil des Garten.
Hier finden wir den Tod, den Teufel und den Narren.
Natürlich ist aber Nikis Tod kein dürres Skelett, sondern eine üppige Frauengestalt in gold, rot und schwarz. Beinahe zärtlich streicht sie mit ihrer Sense über die am Boden liegenden Formen, die das Leben darstellen. Ihr Gesicht ist den Sterbenden zugewandt.
Das Pferd, auf dem sie reitet, ist schwarz, allerdings trägt es eine türkis- und königsblaue Schabracke. Da alles Leben aus dem Wasser kommt, und ohne Wasser nichts lebt, schließt sich hier für mich der Kreis: Ohne den Tod kein Leben.
In einer Nische für sich allein steht der Teufel. Er/sie ist Mann und Frau zugleich, ein Engel mit Raubtierfüßen. Mann und Frau stehen als kleine Figuren rechts und links neben ihm. Ihre leuchtenden Körper in rot und rosa sind von schwarzen Linien überzogen, auch sie haben Tierfüße. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn bedrohlich oder lustig finden soll. Ist das seine Versuchung?
Die letzte Figur in diesem Teil des Gartens ist die Welt.
Eine üppige, königsblaue Frauenfigur, in Gold gehüllt, tanzt auf einem goldenen Ei, das von einer Schlange umschlungen ist. Das Ei, ein uraltes Symbol für die Schöpfung, dreht sich langsam. Die Schlange symbolisiert Anfang und Ende sowie die Kraft des Wandels. Die majestätische Frauenfigur schien mir zu sagen: „So wandle durch die Welt: Tanzend, nicht schleichend!“
Das ist es, was den Garten so magisch macht. Jede einzelne Figur hat ihre Botschaft, die nur einmal von der Betrachterin gehört werden kann. Denn die Welt dreht sich weiter, und wenn ich wiederkehre, werde ich eine andere sein und neue Botschaften vernehmen.
Beim Verlassen dieses Gartenteils erst fällt mir der Narr auf, der ebenso luftig-leicht wie der Eremit und der Gehängte gearbeitet ist. Er scheint fröhlich-dynamisch eben erst aus dem Gebüsch gehüpft zu sein.
Der Weg führt nun unter dem großartigen Sonnentor hindurch wieder auf den Platz, den man zuerst betritt.
Auf einem großen blauen Bogen sitzt der Sonnenvogel. Ein Strahlenkranz umgibt seinen Kopf und seine Brust wird von der Sonne geschmückt. Beinahe erwartet man, mit Gold überschüttet zu werden, wie in dem Märchen von Frau Holle. Doch braucht es in diesem Garten kein materielles Geschenk. Die Reise durch das Tarot mit all seinen Botschaften und Impulsen ist ein wunderbares immaterielles Geschenk, das uns diese große Künstlerin gemacht. Ich weiß, dass ich wiederkommen werde, um erneut zu schauen und den geheimen Botschaften, die nur für mich sind, zu lauschen.
30.07.2024
Constanze Steinfeldt
https://constanzesteinfeldt.de/
Constanze Steinfeldt
Seit 1990 lebe und arbeite ich im Großraum Hamburg/Stade. Ich liebe das Meer und die Weite meiner norddeutschen Heimat.
Ich arbeite als Lebensberaterin mit den Tarotkarten und Runen. Und natürlich unterrichte ich Tarot und Runen von den Anfangsgründen bis hin zu den weit fortgeschrittenen Niveaus. Gelegentlich halte ich Vorträge oder biete Kurz-Kartenlegen auf ausgewählten Veranstaltungen an.
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