Ruf nach Leben und die Wuchtigkeit der Antwort

Der Ruf nach Leben Eine Frau tanzt wild in der Natur

Der Ruf nach Leben und die Wuchtigkeit der Antwort

Meine Arme bewegen sich rhythmisch hin und her. Die Knochen, die Muskeln und das Gewebe werden durch Vibrationen belebt. In diesem Schütteltanz lasse ich Präsenz in meine Arme fließen und öffne mich zu spüren, was dadurch sichtbar wird. Und was spüre ich? Nein, es ist nicht die Ektase der freien Tänzer oder die Weichheit meines Seins. Als erstes, wenn ich wirklich in die bewusste Verkörperung anfange einzutauchen, begegne ich einer spirituellen Leblosigkeit.

Wild tanzen und schütteln als äußerliche Bewegung ist eine Sache. Sie belebt, sie macht Spaß und erinnert uns an vergangene Tage ungestümer Kindheitsträume. So kann ein Interesse an Verkörperung entstehen. Wirklich Bewusstsein in den Körper einströmen lassen, ist eine ganz andere Sache.

 

Der Ruf weist den Weg der Zuwendung

Ich will nicht nur meinen Arm schütteln, sondern ich will den schüttelnden Arm spüren. Ich will ihn beheimaten. Es geht nicht um eine äußerliche Bewegung, sondern um das innerliche Bewohnen der Bewegung. In diesem Einströmen des Gewahrseins in den Körper findet Selbstbegegnung statt. Eine Selbsterforschung für wagemutige Entdecker der vielseitigen Landschaftspfade hin zum erwachten Bewusstsein. Darin begegne ich einem Arm, der innerlich leblos ist und energetisch dünn unter den äußerlichen Bewegungen herumfliegt. Eine intime Selbstberührung in dem inneren Geflecht meines Wesens findet statt. Wo wilde Wuchtigkeit des Lebens pulsieren kann, finde ich taube Verstummung. Ich spüre, ich bin da nicht präsent, dort wohnt meine Seele noch nicht.

Und dieser Moment ist ein Triumph. Endlich spüre ich, wo ich mich nicht mehr spüre. Ich werde mir meiner Unbewusstheit bewusst. Lebendigkeit wird an den Orten der Leblosigkeit geborgen. So gibt es nichts daran zu ändern. Ich schüttle mich weiter, schüttle die Taubheit, lass die Verstummung sich bewegen. Bleibe genau an diesem intimen Lebendigkeitspunkt präsent. Atmen, schütteln, spüren. Die Verkörperung meiner Arme beginnt. Wo bisher eine äußerliche Bewegung stattfand, geht ein innerlicher Raum mit dem Potential seelischer Verkörperung auf.

Nun bröckeln die Schichten der Taubheit und ein zartes Zittern strömt aus den Knochen und Gelenken. Vergangene Momente, wo energetische Überwältigung zu Handlungsunfähigkeit führte, suchen nach Befreiung, Durchlebung und Gehör. Jetzt bin nicht mehr ein Ich, was den Arm schüttelt. Der Arm beginnt sich aus sich selbst herauszubewegen – Bewusstsein trifft Energie, Gewahrsein befüllt den Körper. Die festgehaltenen Energien unter der Taubheit brechen hervor und fragen nach Berechtigung zum Sein. Sie werden sein gelassen. Nun können meine Arme endlich die Bewegungen, deren Vermeidung einst zum somatisch-spirituellen Einschlafen geführt hat, vollenden. Das Zittern wird größer, gelangt an die Hautoberfläche, wo Schauer entlangziehen. Wellen von Wut, eine Rückerinnerung an Kraft. Fäuste formen sich und die Arme boxen in den Raum. Mein ganzer Körper stimmt mit ein. Durch die Beine fließen Energien zur Erdung, die einst versagte Stimme ertönt wieder und die zusammengezogen Muskeln um die Bauchorgane lassen Schmerzen und Ekel los. Aus dem Schattentanz wird eine Liebeserklärung.

Bedingungslose Präsenz im Kontakt mit der Energie im Körper.

Der Ruf nach Leben Eine Frau tanzt wild in der Natur
KI unterstützt generiert

Es spielt keine Rolle, welche Energie, welche Bewegung, welche Vibrationen – Bewusstsein ist da. Das Ich, was kontrollieren und entscheiden wollte, welche Energie sich wo wie verkörpern darf, ist kurzzeitig aufgehoben. Der ewige Raum des Seins wird offengelegt und die verdrängten Energien, Empfindungen und Wahrheiten werden mit Aufmerksamkeit beschenkt. Die ungehaltene Energie findet Halt im Bewusst-sein. Endlich umarmt und gehalten. Die eine Frau und der eine Mann, Energie und Bewusstsein, vereint. Ein Moment der Hingabe. Ich liebe dich, du Leben in mir, genauso wie du durch mich strömst. Ich will dir meine Treue schenken – nicht mehr das Leben außerhalb von mir suchen, sondern mich dem Leben, so wie es mir die Schöpfung übergibt, zuwenden.

Wellen durchströmen mich – mal zart, mal kraftvoll, mal prickelnd, mal spitz und mal lustvoll. In diesen Prozessen zeigen sich Traumata in ihrer vollen Erfahrung. Es offenbaren sich angenehme und unangenehme Wahrheiten. Das ureigene Erleben bahnt sich den Weg zurück und weist auf Talente und Wesentliches hin. Schicht um Schicht blättern sich Geschichten vergangener Tage und Menschenleben aus dem Nervensystem.

Zusammenhänge des Lebens werden erfahrbar und Einsichten entstehen.

Erst wenn das eine Leben in diesem individuellen Körper Platz nimmt, kann ich erkennen, wozu diese Inkarnation in der Schöpfung dienen kann. Das Leben, das ich bin, erinnert sich wieder an seine eigene Lebendigkeit. Ich höre auf zu träumen und zu suchen. Ich erlerne wieder, was es heißt, Leben zu sein.

So oft höre ich die Rufe nach wahrhaftigem Leben jenseits des Funktionierens, nach Gott, nach frei fließender Lebendigkeit. Ach ja, dieses schöne volle pralle Leben. Doch wer ist bereit für die Antwort außerhalb der Vorstellungen? Denn sie kommt mit Wahrheiten, die wir verdrängen wollen, und mit Empfindungen, die wir verurteilt haben. Sie zeigt auf, wo wir ignorant sind und wo wir uns in Egodenkweisen verrannt haben. Sie reißt uns aus dem spirituellen Snoozemodus und legt unsere Süchte, Verdrehungen und Selbstbilder frei.

Wenn das Licht des Lebens strahlt, werden die Schatten sichtbar.

Genau in diesen Erfahrungen, sei es in der Praxis zuhause oder auf den Alltagsstraßen, findet die Begegnung mit dem Leben, nach dem wir rufen, statt.

Die Antwort offenbart die immense Wuchtigkeit von Leben, eine energetische Realität, die sich weit über unsere kühnsten Träume erstreckt. Dafür gilt es erst einmal bereit zu werden. Hohe Schwingungen und intensives Erleben bedarf ein waches, reguliertes Nervensystem. Schrittweise können wir lernen, dieser energetischen Intensität des Lebens gewachsen zu sein. Und so schüttle ich mich weiter, trainiere das lebendig sein und die Verwirbelung dessen, was ich dachte zu wissen. Welle um Welle in die Verkörperung hinein. Wir müssen das Leben nicht suchen und das Leben kommt aufgrund unserer Rufe nicht, um uns zu retten. Es kommt, um uns an uns selbst zu erinnern. Es kommt, um unsere Innenwelt wieder zu erwecken, um die unbewusste Unordnung aufzuräumen und Platz für das göttliche Sein zu schaffen.

Jeder Ruf nach Leben, der sich vor dem tiefgreifenden, intimen und herausfordernden Prozess verschließt, entspringt einem mentalen Traum von einem fremden Leben. In dem Atemzug, in dem der Ruf nach außen ertönt, wird gleichzeitig das wahre Leben in uns negiert. Wir gehen uns selbst fremd. Wir wollen dann genau von dem, wonach wir rufen, gerettet werden – unsere innewohnende Lebendigkeit. Niemand muss spirituell gerettet werden. Ganz im Gegenteil: die radikale Zuwendung zum eigenen, unterdrückten Leben ist die Antwort auf den Ruf. Wir dürfen lernen das Leben zu sein, das wir sind! Wir dürfen heilen und erwachen.

21.01.2024
Sara Gnanzou
https://tiefbewegtblog.wordpress.com/

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Sara GnanzouTanoe-Gnanzou-Profil

Die Sehnsucht nach Lebendigkeit führte Sara Gnanzou zunächst zu Reisen durch die Welt, einem interdisziplinären Philosophiestudium und Tätigkeiten im Beratungs- und Choachingbereich. Seit 2020 widmet sie sich der spirituellen Lebensforschung. In Ihre Arbeit fließen neben tantrischem Wissen und westlicher Philosophie auch die Körper- und Traumaforschung mit ein. Durch das Teilen ihrer Forschungserkundungen durch Wort und Bild möchte sie unterstützend dazu inspirieren, das eigene Sein zu erforschen und die Lebendigkeit erblühen zu lassen.

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