Bildschirm oder Beziehungspflege? Menschliche Kommunikation im Wandel der Zeit

Bildschirm oder Beziehungspflege

Bildschirm oder Beziehungspflege? Die menschliche Kommunikation im Wandel der Zeit

Die Ursprünge menschlicher Kommunikation

Die menschliche Kommunikation ist eine hochkomplexe Angelegenheit, deren Ursprung viele Millionen Jahre bis zu den Anfängen der Menschwerdung zurückreicht. Zu ihren bewussten und unbewussten Ausprägungen gehören unzählige Kommunikationsformen und Signalsysteme wie Mimik, Gestik, Blickaustausch, Körperbewegungen, Körperhaltungen, Distanz- und Raumverhalten, die Stimme oder die Gesamtheit sprachlicher Eigenschaften und Eigenarten.

Auch Faktoren wie Emotionen, Erwartungen, Gangarten, Gerüche, Grundeinstellungen, Gruppenverhalten, Identitäten, Körperinszenierungen, Motivationen, Persönlichkeitsmerkmale, Rangordnungen, Selbstbilder, Selbstinszenierungen, Signalerkennungen, Signaldeutungen, Territorialverhalten, unabgeschlossene Episoden, Verhaltensbeobachtungen, Vorwissen, Wahrnehmungen oder Zugehörigkeiten beeinflussen das menschliche Miteinander seit Urzeiten.

Moderne Kommunikation und ihre Herausforderungen

Die limitierte moderne Kommunikation über Telefon oder Video erfordert von den Menschen eine adaptive Reaktion, also die organisatorische Anpassung unserer Vorbereitung, unserer Gesprächsführung und unseres Verhaltens an die im Vergleich zur Urzeit veränderte Situation, weil uns wichtige Informationen fehlen, die uns in einem persönlichen Gespräch ansonsten ganz selbstverständlich zur Verfügung stünden.

Nicht umsonst gibt es in vielen Unternehmen Weiterbildungen zum souveränen Umgang mit Telefonkunden, weil die Stimme ein starker Aufmerksamkeitserreger ist, Emotionen transportiert werden und die Balance zwischen den Gesprächspartnern beibehalten werden muss. Auch innerhalb einer limitierten modernen Kommunikation gelten schließlich Grenzen und Regeln wie Professionalität, Norm- und Moralvorstellungen oder Individualdistanzen, die eine Beziehung entwickeln oder hemmen können.

Doch inwiefern unterscheiden sich diese von denen einer persönlichen Kommunikation? Die stark limitierte Kommunikation per Video und Telefon widerspricht unserer ursprünglichen Kommunikationserfahrung als soziale Wesen, was unbewusst zu Verunsicherung führt. Verunsicherung tritt oft im Zusammenhang mit Erfahrungen auf, die Gewohnheiten in Frage stellen und aufgrund ihrer Andersartigkeit Widerstände hervorrufen. Entscheidungsfindung, die ja ein wesentlicher Teil der Kommunikation ist, ist natürlich von multiplen Faktoren abhängig.

Wir benötigen also, um Entscheidungen treffen zu können, mit denen wir uns wohlfühlen, eine maximale Menge an Informationen. Genau die aber steht uns in limitierten Situationen nicht zur Verfügung, was zu Unwohlsein und Stress führt. Unwohlsein und Stress wiederum führen zu Entscheidungsschwierigkeiten, weil die Netzwerke von Angst und Entscheidungsfindung sich im Gehirn stark überschneiden.

Die Kommunikation in Geschäftsbeziehungen

Ob eine Geschäftsbeziehung erfolgreich wird oder nicht, hängt, da es in komplexen Systemen keine wenn/dann-Logik, sondern vielmehr eine Vielzahl von wenn/dann-Konstellationen gibt, von inkommensurablen Faktoren ab, die sich nicht allein auf die Frage von nah und fern bzw. persönlich oder digital beschränken lassen.

Was wir aber vorhersagen können, ist, dass eine Geschäftsbeziehung, die ausschließlich aus digitaler Fernkommunikation besteht, nicht dieselbe Tiefe und Intensität des Vertrauens erreicht wie eine Geschäftsbeziehung mit regelmäßigen persönlichen Treffen. Das Phänomen des Vertrauens, also die Frage, wem oder was wir warum vertrauen oder eben nicht vertrauen, hat sich im Laufe der Zivilisationsgeschichte verändert und ist im Digitalzeitalter zu einem globalen Thema geworden.

Zu Beginn der Menschheitsgeschichte reduzierte sich das Vertrauen zunächst auf die direkte physische Umgebung unserer Mitmenschen. Im Digitalzeitalter entsteht die unnatürliche Herausforderung, Vertrauen mittels des Mediums Bildschirm auslösen zu wollen. Aber überall dort, wo Vertrauen und Beziehungsentwicklung eine wichtige Rolle spielen, sollte man im Vorfeld bewusst abwägen, ob persönliches Zusammensein ggf. zielführender als anonyme Fernkommunikation ist.

Denn Körpersprache und Beziehung beeinflussen, je nach Kommunikationsmodell, die Kommunikation zu 70 bis 90 %. Darüber hinaus erhöht persönliches Zusammensein die Verbindlichkeit eines Gesprächs und dessen Verankerung im Gehirn, weil es eben doch einen erheblichen Unterschied macht, ob ich mit einem echten Menschen oder mit einem Bildschirm spreche.

Denken Sie in diesem Zusammenhang etwa an Themen wie erster Eindruck, Begrüßungsrituale, Bewertungsmechanismen, Beziehungsmanagement, Bindungen, Empathie, Handschlag, Körperkontakt, Typologie oder Sensorik. Als Folge der Digitalisierung und der regelmäßigen Beschäftigung mit Bildschirmen, Smartphones oder Tablets diagnostiziert die Wissenschaft daher eine Krise des vertieften Lernens, der Problemlösungskompetenz, der Sprache und der visuellen Vorstellungskraft.

Bildschirm oder Beziehungspflege?

Bildschirm oder Beziehungspflege
KI unterstützt generiert

Aus evolutionärer Perspektive haben persönliches Zusammensein und sterile Videokonferenzen auf kleinen Bildschirmen wenig gemeinsam. Videokonferenzen sind lediglich ein zusätzliches Tool zwischenmenschlicher Kommunikation.

Ein adäquater Ersatz für einen persönlichen Kontakt aber sind sie nicht, denn permanent zwischengeschaltete Bildschirme wirken in einer Beziehung wie eine Kommunikationshürde. Es ist leicht einzusehen, dass digitale Kommunikation, die in der heutigen Form erst seit einigen Jahren existiert, weder den Erwerb basaler Kommunikationsformen noch die Komplexität menschlicher Kommunikation befriedigend abbilden kann. Das ist in etwa so, als würden Sie den sterilen Vorgarten Ihres Reihenhauses mit dem Amazonas-Regenwald und all seiner Artenvielfalt vergleichen. Ein persönliches Gespräch ist im Beziehungsmanagement daher kaum zu ersetzen, insofern ist die digitale Kommunikation als ein zusätzliches Ausweichen auf die Nebenstrecke der Videokonferenz anzusehen.

Eine grundsätzliche Verhaltensänderung bei der Pflege bedeutsamer Geschäftskontakte rentiert sich langfristig kaum. Es empfiehlt sich dementsprechend, wichtige Kontakte nach Möglichkeit auch weiterhin persönlich wahrzunehmen, um eine maximale Menge an Informationen zu erhalten.

Hierzu ein konkretes Praxisbeispiel: Im letzten Herbst habe ich einen Vortrag an der Universität Verona gehalten.
Ich bin mit dem Zug quer durch Deutschland und Österreich bis nach Italien gereist. Am Vortragstag habe ich mit einem Professor der Universität Cambridge in der Altstadt von Verona zu Mittag gegessen. Wir haben über Klopstock und Erich Fried geplaudert, in der Sonne Bonbons gelutscht und gemeinsam Verona erkundet. Danach ging es quer durch Italien und Österreich zurück nach Deutschland.

Ich frage Sie, welche Videokonferenz könnte ein vergleichbares Beziehungsmanagement vermitteln? Keine, ganz egal, wie groß der Bildschirm ist.

Wer Anstand hat, ist klar im Vorteil

Zu den weltweit beliebtesten menschlichen Eigenschaften zählen Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft, Respekt und Authentizität. Dankbarkeit verbessert zwischenmenschliche Beziehungen, reduziert Konkurrenzdenken und wird als positiver Ausdruck unserer Kompetenz und unserer moralischen Haltung empfunden. Hilfsbereitschaft hat, besonders in Form von Empfehlungen, einen verbindenden Charakter.

Respekt wird von unseren Mitmenschen mit emotionaler Intelligenz und Empathiefähigkeit gleichgesetzt. Und Authentizität schließlich gilt als Ausdruck von Wahrhaftigkeit und wichtigster Faktor der Souveränität. Mit diesen menschlichen Eigenschaften werden Sie auch in sterilen Videokonferenzen jederzeit punkten können. Garantiert.

10.06.2025
Claus Eckermann
Sprachwissenschaftler und HypnosystemCoach®

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KurzvitaClaus Eckermann
HSC Claus Eckermann FRSA
Claus Eckermann ist ein deutscher Sprachwissenschaftler und HypnosystemCoach®, der u.a. am Departements Sprach- und Literaturwissenschaften der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel und der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung unterrichtet hat.
Er ist spezialisiert auf die Analyse von Sprache, Körpersprache, nonverbaler Kommunikation und Emotionen. Indexierte Publikationen in den Katalogen der Universitäten Princeton, Stanford, Harvard und Berkeley.

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