Raimon Panikkar – Der immerwährende Klang des Kosmos

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Der immerwährende Klang des Kosmos – Raimon Panikkar

In einer Vollmondnacht verfasste ich vor vielen Jahren im spanischen Gebirgsdorf Tavertet in englischer Sprache meinen Hymnus auf unseren Freund Raimon Panikkar, der zu den großen Universalgelehrten und Weltweisen des 20. Jahrhunderts gehört. Eine begeisterte Literaturkennerin hatte meinen Text entdeckt und eine deutsche Übersetzung gemacht.

roland-ropers-TAVERTET Blick auf Can Felo und VIVARIUM
Das katalanische Bergdorf Tavertet, 120km nordwestlich von Barcelona, ist umringt von atemberaubender Landschaft: Felsen ragen rund 900 m über den Tälern auf, bilden massive Gebilde, in denen Felsrillen, den sogenannten Cingles, die man entlangwandern kann, während unter einem der Abgrund gähnt. Oben rechts im Bild das ehemalige Haus „Can Feld“ von Raimon Panikkar.

Raimon Panikkar

(1918 – 2010)
Universalgelehrter & Weltweiser

Höre den ewigen und omnipräsenten Klang,
der uns überall umgibt.
Heiße die dynamische Stille willkommen,
wo immer Du atmest, verweilst oder gehst und schweige!
OM –  unser Wohnort, unsere ursprüngliche Quelle,
sie erfülle Dein Leben mit unendlicher Liebe
und positiver Energie.
Sie enthüllt die alles umgebende faszinierende Schönheit
in jeder Kreatur. 
Dies zu erkennen ist Deine Aufgabe und Pflicht, ein Leben lang.
Inmitten der Stille fühlst Du wie der Wind, Dein göttlicher Geist, in Deinem tiefsten Inneren über Deine Verstandes-kraft hinausweht.
Die kosmische Harmonie und Wirklichkeit sind so nah.
Mein Freund, nähere Dich dem göttlichen Zentrum in Dir,
das zugleich die Wohnung Gottes ist.
Lass Deine Unruhe, Deine Tränen und Spannungen los.
Kehre um und genieße Dein großartiges Gleichgewicht, das Dich stetig gesund erhält in der immerwährenden Gegenwart.
Lass alle Zwänge und Extreme hinter Dir.
Finde Frieden und verwirkliche Deine Träume.
Erschließe Dir Deine innere Mitte, damit  GOTT  oder wen immer Du zu treffen wünschst, eintreten kann, um in Deinem leeren Schloss die unendliche Fülle wiederzuentdecken.
Erfahre Sunyata und Nirvana als Ananda,
als die reine Glückseligkeit.
Die Vergangenheit ist vergangen, die Zukunft ist morgen.
Einzig das Leben im Hier und Jetzt ist ohne Sorgen und Leiden.
Alle tätigen Spekulationen sollten aufhören und sich auflösen.
Das Paradies findest Du weder in der Vernunft, noch im Aufstellen von Plänen oder Überlegungen, sondern allein in diesem Moment, jetzt.
Lass Dich von beständiger Glückseligkeit inspirieren
und in Besitz nehmen.
Geh mit Gottvertrauen und ohne ein Ziel auf dem Weg voran, dann wirst Du die Gelassenheit Deiner Seele genießen können.
Die unendliche Suche nimmt ein Ende, wenn das Bewusstsein für das einzig wahre Jetzt vorhanden ist.
Sei achtsam und wache, allein im Hier und Jetzt, dann musst Du weder fliehen noch ausbrechen.
Dann bist Du wirklich zurückgekehrt und bei Dir angekommen.
Dank sei Gott, Du warst nie allein.     
Atman, Ruach, Pneuma, Spirit.
Atme ein – atme aus – und begrenze Dich niemals selber.
Bleibe in der Inspiration, sei kreativ und ausgewogen.
Befreie Dich von allen Bindungen und Ritualen der Hingabe.
Berühre und umarme das weite Universum.
Singe und tanze immerzu.
Hör nie auf zu lieben.
Jauchze!
Die Leichtigkeit des Lebens, die Gabe der Liebe wird Dich über alle Mauern tragen und Dich durch alle Konflikte und dualistischen Beziehungen führen in das Reich von Kontemplation und Aktion,
wo Du die Erfahrung von  ADVAITA machen kannst.
OM  SHANTI  OM  – der schönste Klang.
Gehe im Rhythmus des Lebens und der Atmung.
Erkenne: es gibt keinen Tod!
Es gibt weder vorher noch nachher.
Erfasse nur diesen einen Augenblick, je länger umso mehr.
Unzählige Worte hast Du transformiert und in Deinem Herzen erneuert.
Dies, lieber Raimon, gehört zu Deinen genialen Gaben und Deiner einzigartigen Kunst.
Welch ein Tag, an den wir uns immer erinnern werden und den wir nie vergessen!
Voller Ehrfurcht betrachten wir den Mond, dessen strahlenden Segen wir empfangen. 

 

Raimon Panikkar wurde am 3. November 1918 in Barcelona/Spanienroland-ropers-ROSES-2005 Raimon-Seminar

als Sohn eines indischen Hindu-Vaters und einer spanischen römisch-katholischen Mutter, der Älteste von 3 Brüdern und einer Schwester geboren. Die Mutter war Pianistin und hatte gelegentlich zusammen mit Pablo Casals  (1876 – 1973) musiziert.

Er hatte drei Doktortitel, einen in Philosophie an der Universität Madrid 1946, nachdem er in Bonn/Deutschland (Chemie und Philosophie, 1937 – 1939) und Madrid studiert hatte. Er hatte bereits in Barcelona Abitur gemacht und floh mit seinen Eltern, die einen englischen Pass hatten, während des Spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1936  nach Siegburg in der Nähe von Bonn. In kürzester Zeit erlernte er die deutsche Sprache und musste erneut sein Abitur am Jesuitengym-nasium St. Aloysius  in Bonn-Bad Godesberg ablegen, um studieren zu dürfen. Für den damals 18-jährigen Raimon völlig problemlos.

Zu seinen Professoren gehörte der berühmte Neo-Thomist Xavier Zubiri.

Der Titel seiner Dissertation lautete “El Concepto de Naturaleza. Análisis Histórico e Metafisico de un Concepto”, wofür er den “Menéndes y Pélayo-Preis” erhielt.

Er hatte einen zweiten Doktortitel in Chemie, ebenfalls von der Universität Madrid, den er 1958, nach einem Studium in Bonn und Madrid, erwarb. Der Titel seiner Doktorarbeit war: “Ontonomia de la Ciencia. Sobre el Sentido de la Ciencia y sus Relaciones con la Filosofia”.

Anschließend studierte er Theologie an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom, wo er 1961 den dritten Doktortitel erwarb und als Dissertation eine Studie vorlegte, die später als Erstausgabe des “Unbekannten Christus im Hinduismus” veröffentlicht wurde. Raimon Panikkar war Mitglied der ersten liturgischen Kommission für das Zweite Vatikanische Konzil, 1962 – 1965, unter Kardinal Giacomo Lercaro, und der ersten römischen Synode während des Pontifikats von Papst Johannes XXIII.

Er war eng mit Indien verbunden. 1966 wurde er für sein Buch L`India mit dem spanischen Nationalpreis für Literatur geehrt.

Raimon Panikkar gehörte zu dem dreiköpfigen Empfangskomitee,

welches S.H. XIV. Dalai Lama im Jahr 1959 nach seiner Flucht aus Tibet in Sarnath, Indien, willkommen hieß. Sie verbrachten viele Monate gemeinsam in Rumtek und wurden im Laufe der Jahre enge Freunde.

Raimon Panikkar war von 1955 – 1960 “Government of India Senior Research Fellow” für indische Philosophie an der Universität von Mysore und Varanasi (Benares) und hielt sich von 1964 -1966 für weitere Forschungen erneut in Indien auf. Von 1952 – 53 war er Professor für Geschichte für Studenten aller Fakultäten für das “Studium Generale” der Universität von Madrid.

Raimon Panikkar war ein enger Freund des französischen Benediktinermönchs Henri Le Saux (1910 – 1973), der im März 1950 zusammen mit dem französischen Priester Jules Monchanin den Sat-Chit-Ananda Ashram im süd-indischen Dorf Tannirpalli gegründet hatte. Henri Le Saux wurde bekannt unter seinem Namen „Swami Abhishiktananda“, der dem indischen Weisen Sri Ramana Maharshi (1879 – 1950) noch persönlich begegnet war. Im Frühjahr 1968 verließ Henri Le Saux den Ashram und pilgerte quer durch das Land. Im September 1968 übernahm der englische Benediktinermönch Bede Griffiths (1906 – 1993) die Leitung des Ashrams und machte „Shantivanam“, den „Wald des Friedens“ zu einem Begegnungsort der Weltreligionen. Raimon Panikkar war sehr häufig dort und sagte einmal über den Mystiker Bede Griffiths: „Er ist der einzige Mensch, dem ich begegnet bin, der keinen Schatten hatte!“.

Von 1962 – 1963 wurde Raimon Panikkar zum Professor für Religionssoziologie an der Internationalen Universität “Pro Deo” in Rom ernannt. Mit kleinen Unterbrechungen übersetzte er von 1964 – 1976 “The Vedic Experience” in seinem Haus in Varanasi am Flussufer des Ganges aus diversen Sanskrit-Dialekten ins Englische. Eine einzigartige Leistung.

Dieses herausragende Meisterwerk und Sammelwerk (ursprünglich fast 2.000 Seiten) ist kein Buch über indische Philosophie oder hinduistische Spiritualität. Es ist vielmehr ein Bericht über die vedische Offenbarung, die im Herzen des modernen Menschen nachklingen und wieder zum Bewusstsein kommen sollte.

Raimon Panikkar war von 1967 – 1971 Gastprofessor für vergleichende Religionswissenschaft an der Harvard University. Von 1971 – 1988 war er Professor für vergleichende Religionsphilosophie an der University of California, Santa Barbara/USA. Darüber hinaus war er Gastdozent an mehr als hundert Universitäten in aller Welt.

Zu den wichtigeren akademischen Meilensteinen, die seine illustre Karriere kennzeichnen,

gehört, dass Raimon Panikkar 1965 auf besondere Einladung der indischen Regierung als Dozent für indische Philosophie, Kultur und Religion in mehrere lateinamerikanische Länder berufen wurde.  Er war Generalredakteur der Indic Theological Monographs der Indian Theological Association und Autor von “A Manifesto for a Hindu-Christian Theology“, Jevadhara/Indien, 1979).

1966 war er Delegierter beim UNESCO-Kolloqium für Orientalistik in Buenos Aires (Argentinien); er ist Ehrenbürger von La Plata, Argentinien. Bei verschiedenen Gelegenheiten hielt er Vorlesungen an der Universität von Cambridge (England). 1973 war Panikkar der “William Noble” Lecturer an der Universität Harvard. 1975 hielt er die “Cummings Lectureship” an der McGill University, Montreal/Kanada. 1982 hielt er die “Presidential Lecture Series 1981” an der Duquesne University, Pittsburgh/USA sowie die “Fifth Annual Thomas Merton Lecture” an der Columbia University, New York. Im Jahr 1989 hielt er die renommierten Gifford Lectures in Edinburgh/Schottland, die in Buchform als “The Rhythm of Being” veröffentlicht wurde.

Kein geringerer als der bekannte deutsche Philosoph Martin Heidegger (1889 -1976) hat Raimon Panikkar wenige Wochen vor seinem Tode in gestochen-klarer Handschrift eines seiner letzten großen Gedanken unter der Überschrift SPRACHE gewidmet:

Wann werden Wörter
Wieder Wort?
Wann weilt der Wind weisender Wende?
Wenn die Worte, ferne Spende,
sagen–
nicht bedeuten durch bezeichnen
wenn sie zeigend tragen
an den Ort uralter Eignis
Sterbliche eignend dem Brauch —
wohin Geläut der Stille ruft,
von Früh — Gedachtes der Be-Stimmung
sich fügsam klar entgegenstuft.

Für Professor R. Panikkar
und seine Studenten
Herzlich grüssend
18. März 1976   Martin Heidegger

Zahllos sind die großen Persönlichkeiten und Weggefährten des universal gebildeten kosmophilharmonischen Denkers und spirituellen Meisters, der in jeder Begegnung durch seine strahlende Lebendigkeit und befreiende Schönheit authentisch die Fülle der göttlichen Schöpfung, an der jeder Mensch aktiv beteiligt ist, widerspiegelte. In der völligen Durchdringung des Geistigen und Sinnlichen schuf Raimon Panikkar immer wieder aufs Neue durch die Atmosphäre des Schönen einen lebendigen Raum von Freiheit und Geborgenheit. Der deutsche Dichter Friedrich von Schiller hat dieses Phänomen als Freiheit in der Erscheinung bezeichnet.

Raimon Panikkar war einer der Hauptredner auf den Konferenzen „Art meets Science & Spirituality in a Changing Economy“ in Amsterdam im September 1990 und in Kopenhagen im Frühjahr 1997.

Er hielt einen der großen Festvorträge beim 100. Geburtstag des „Parlaments der Weltreligionen“ in Chicago/USA – August/September 1993.

Im Dezember 1994 UNESCO-Konferenz in Barcelona, an der auch der XIV. Dalai Lama teilgenommen hatte. Panikkars Vortrag: „Der Beitrag der Religionen zur Kultur des Friedens“.

Am 6. Juli 1995 hielt Raimon Panikkar in New Delhi am 60. Geburtstag des XIV. Dalai Lama den Festvortrag über „Zeit und Transzendenz“.

Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einer atemberaubenden Biografie.

Raimon Panikkars Beiträge, sowohl theoretisch als auch praktisch, zur Welt der Religion und der Wissenschaft sind Legion. Von der Geschichte und Phänomenologie der Religionen, Philosophie und Theologie über Kosmologie und Wissenschaftsphilosophie, vergleichende Studien, Indologie, Schriftexegese, Mystik  und Spiritualität bis hin zu Friedensforschung und Ökologie, interkultureller Hermeneutik und interreligiösem Dialog hat er in seinem intensiven sein Wissen, seine Erfahrung und seine Weisheit in über 50 Büchern und Hunderten von wichtigen Artikeln in sechs Sprachen niedergelegt.  Dies geschah nicht in der Isolation eines Elfenbeinturms, sondern inmitten von Lehrtätigkeiten, Vorträgen und seelsorgerischen Aufgaben sowie der Mitarbeit in einer Reihe von Organisationen, Bewegungen und Fachzeitschriften. Raimon Panikkar sprach 8 Sprachen fließend. In seiner Privatbibliothek in Tavertet befanden sich mehr als 50.000 Bücher.

25 Dissertationen wurden über sein weitreichendes Wissen verfasst.

 80 seiner Studenten hatten bei ihm promoviert, diverse wurden Universitätsprofessoren, u.a. in Harvard.

Sein gesamtes Werk wird in 16 Bänden „Opera Omnia“ in mehreren Sprachen sukzessive herausgebracht. Diverse Bände sind bereits erschienen.

An Raimon Panikkars 90. Geburtstag am 3. November 2008 in seinem Haus „Can Felo“ in Tavertet hielt sein Freund Roland R. Ropers den Festvortrag über „Wissenschaft & Spiritualität“.

Roland R. Ropers hat mit Raimon Panikkar auch das letzte große Gespräch (40 Manuskriptseiten – bis heute unveröffentlicht) geführt.

Unsere Familie war mit Raimon Panikkar sehr eng verbunden. Unser Sohn Benedikt wurde von ihm am 18. März 1990 getauft.

Unvergessliche Erlebnisse mit einem so wunderbaren Menschen.

Am 26. August 2010 starb Raimon Panikkar, einer der großen Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts, in seinem Haus im katalanischen Gebirgsdorf Tavertet. Ein Teil seiner sterblichen Überreste ist auf dem Friedhof von Tavertet begraben. Der andere Teil der Asche wurde in Varanasi (Benares) im Ganges verstreut.


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 24.06.2021
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de


Über Roland R. RopersRoland-Ropers

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
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Sie sind Künstler, Wissenschaftler, politische Aktivisten, Mönche die von Gott erfüllten Menschen, die auch heute etwas aufleuchten lassen von der tiefen Erfahrung des Ewigen. Und oft sind sie alles andere als fromm.

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