Lasst uns über den Tod sprechen

Lasst uns über den Tod sprechen Leben und Tod stehen sich gegenüber

Lasst uns über den Tod sprechen – am besten mit einer Prise Humor

Leben und Sterben gehören zusammen. Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit begleitet uns Tag ein Tag aus. Doch Gedanken daran, was das wirklich bedeutet, schieben wir gerne so weit wie möglich von uns weg. Beim Thema Tod verdrängen wir besonders gut. Und schweigen besonders gern. Bis der Zeitpunkt kommt, an dem das nicht mehr geht.

Leben, Sterben und Tod liegt so nah beieinander

Ich selbst war im fünften Monat mit meinem Sohn schwanger, als mein Vater an Krebs starb. Leben, Sterben, Tod – auf einmal war offensichtlich, wie nah alles beieinander liegt. Aber deshalb in Angst erstarren, die Lust am Leben verlieren? Das entsprach so ganz und gar nicht meiner Natur. Viel mehr bestärkte mich das Erlebte darin, meine Vorstellung vom Sterben und Tod aufzuschreiben.

So ist der Tod in meinem Roman „Und der Tod fragte sich, ob er (un)endlich ist“ eine Person. Zwar tritt er zwischendurch auch als der schwarz gekleidete Sensenmann auf, aber nur, weil er es muss. Vielmehr ist der Tod ein ziemlich netter Kerl mit feinem Sinn für Humor, der sich selbst hinterfragt und eigentlich nur einer von uns sein will. Und der uns so eine ganz neue Perspektive auf unsere Endlichkeit ermöglicht.

Eines vorneweg: Über den Tod humorvoll zu sprechen bedeutet nicht, dass das Thema ins Lächerliche gezogen wird. Der „Boandl Kramer“, wie die Hauptfigur in Anspielung auf meine bayerische Heimat heißt, ist kein Klamauk-Typ, kein Comedian oder gar Kasper. Das darf er auch nicht sein, sonst würde er an Glaubwürdigkeit verlieren. Aber durch seine sympathische Art fällt es leichter, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich Schritt für Schritt mit dem Gedanken anzufreunden, den Prozess des Sterbens in unser Leben aufzunehmen.

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod nimmt Ängste

Für mich verhält es sich mit dem Tod wie mit der Politik oder den Finanzen: Wir müssen uns damit beschäftigen. Ob jetzt jemand die Grünen, FDP, SPD oder CDU wählt, ist wurscht – Hauptsache, er oder sie hat sich eine Meinung darüber gebildet.

Mit dem Tod ist es genauso.

Ob jemand im Sarg oder in der Urne, von einem Priester oder freien Trauerredner bestattet werden möchte, ist egal. Hauptsache, die Person hat die eigenen Wünsche formuliert und so für Klarheit gesorgt. Es will doch kaum einer, dass die Hinterbliebenen dann dastehen und überlegen, was man wohl gewollt hätte.

Und vielleicht gibt es da ja auch noch Ungelöstes, Unausgesprochenes im eigenen Umfeld, das geklärt werden soll? Ist es nicht eine heilsame Vorstellung, wenn das gelingt? Keine Schuldgefühle bei den Zurückgebliebenen, kein rückblickendes Bereuen über das eigene Nicht-reden-Wollen. Schieben wir das Thema also nicht weg, sondern setzen wir uns damit auseinander.

Mich erinnert das immer ein bisschen an den guten alten Ehevertrag. Denn auch den schließen wir in guten Zeiten, um den Rosenkrieg – sollte es je zu einer Trennung kommen – zu vermeiden. Wenn wir uns jetzt in eben diesen guten Zeiten befinden, psychisch stabil sind und keinen direkten Trauerfall verarbeiten müssen, dann ist doch jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich mit dem Tod zu befassen. Und Dinge, mit denen man sich beschäftigt, verlieren oft an Kraft. Plus: Es nimmt einem die ein oder andere Angst.

Unsere Endlichkeit hat auch schöne Seiten

Lasst uns über den Tod sprechen Leben und Tod stehen sich gegenüber
KI unterstützt generiert

Apropos Angst: Ich frage mich oft, ob es wirklich der Tod ist, vor dem wir Angst haben. Denn Todesangst, das glaube ich, muss man nicht haben. Unsere Endlichkeit hat doch auch schöne Seiten. Mal überspitzt formuliert: Mit 248 Jahren muss ich mich nicht mehr mit den Neuheiten der Technik befassen und auch nicht mit Dingen rumschlagen, die ich schon tausend Mal gesehen habe. Im Lauf der Menschheitsgeschichte wiederholt sich dann ja doch einiges immer wieder …

Und noch ein Beispiel, das wohl jede Mutter nachvollziehen kann. Wenn wir ewig leben würden, bekommen wir nicht nur die gut gemeinten Erziehungs-Tipps von der Oma zu hören, sondern auch von der Ur-Oma, Ur-Ur-Oma usw. So schön Familie ist – aber diese Konstellation würde wahrscheinlich nicht dazu beitragen, dass Friede in der Familie herrscht.

Und mal ganz ehrlich: Wie belanglos wären denn etliche Ereignisse, die unser Leben so besonders machen, wenn sie sich immer wiederholen könnten?

Andere Ängste werden auf den Tod projiziert

Historisch betrachtet rührt die Angst vor dem Tod viel mehr daher, dass andere Ängste auf den Tod projiziert wurden. Hat man früher in einem Familienverbund gelebt und der Vater, sprich Ernährer, ist plötzlich gestorben, hatte man ein Problem.

Wer übernimmt den Hof?
Wer versorgt die Familie?

Der Verlust eines Menschen bringt Veränderungen mit sich – und diese sind meist der eigentliche Grund für unsere Angst. Das Beispiel mit dem Tod des Ernährers lässt sich (leider) auch in die heutige Zeit übertragen, denn die finanzielle Unabhängigkeit der Ehefrau ist 2024 noch längst nicht Normalität. Stirbt also der Mann, fällt auf einmal nicht nur die Liebe weg, sondern in vielen Fällen auch derjenige, der mehr verdient und sich zudem um den gesamten Finanzbatzen gekümmert hat. Natürlich erzeugt das Angst.

Es schadet nicht, einen Plan zum Thema Sterben zu haben

Und natürlich spielt in diese Gemengelage auch die Ungewissheit hinein, wie der Sterbeprozess an sich ablaufen wird und was nach dem Tod kommt. Die Einzigen, die davon berichten könnten, leben nun mal nicht mehr.

Ich sitze gerade mit Anfang 40 hier und weiß auch nicht: Ist es morgen vorbei oder werde ich fast 100 Jahre alt?

Falls ja, in welcher Verfassung bin ich dann?

Und wenn ich sterbe, sterbe ich an einer Krankheit, die mir Schmerz und Leid bringt oder wache ich einfach nicht mehr auf?

Diese Fragen kann einem vorab keiner beantworten, aber auch hier gibt es Rat – sofern man sich damit beschäftigt. Im Buch taucht zum Beispiel ein sogenannter Letzte-Hilfe-Kurs auf, in dem man sich gemeinsam mit anderen mit dem Sterben und Möglichkeiten der Vorsorge befassen kann.

Die Ängste, die wir mit dem Tod verbinden, sind somit andere als die Angst, die wir in unserem Kopf erschaffen und dann mit dem Etikett „Todesangst“ versehen. Schaffen wir es, diese Ängste zu minimieren, können wir den Tod deutlich leichter in unser Leben lassen. Das heißt jetzt aber nicht, dass man sich jeden Tag dem Thema Sterben widmen soll oder gar muss. Nur: Einen Plan, eine Strategie zu haben, schadet nicht.

Den Tod eines geliebten Menschen aushalten

Nun kann man sich selbst auf sein eigenes Ableben vorbereitet haben und dennoch den Boden unter den Füßen verlieren, wenn ein geliebter Mensch stirbt.

„Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben“, brachte es einst Mascha Kaléko zu Papier.

Und auch mein „Boandl“ wird mit der Schwere solch eines Verlusts konfrontiert, wünscht sich sein neuer Bekannter Yuma doch, dass er (der Tod) einfach von dieser Welt verschwinden soll. Dann wäre Yumas geliebte Schwester nämlich noch hier.

In diesem Moment, wenn ein geliebter Mensch gehen muss, gibt es keine schönen Worte, die man sagen kann. Zu mir hieß es nach dem Tod meines Vaters oft, dass es für ihn ja vielleicht das Beste gewesen sei … Ich habe da nur bockig geantwortet: Nein, das ist nicht das Beste. Das Beste wäre, wenn er noch leben würde.

In so einem Moment bleibt die Zeit stehen. Man muss einfach durch und hat überhaupt keine Zeit und auch überhaupt noch nicht den Abstand, um über das Geschehene reflektieren zu können.

Mittlerweile, zehn Jahre nach dem Tod meines Vaters, kann ich sagen: Ich wäre nicht so gewachsen, wie ich es bin, würde er noch leben.

Am Tod eines geliebten Menschen wachsen

Mein Vater und ich hatten ein sehr enges Verhältnis. Auf einmal konnte ich ihn nicht mehr um Rat fragen, wenn mein eigenes Bauchgefühl nicht hundertprozentig eindeutig war. Ich musste selbst Entscheidungen treffen und war gezwungen, in Sachen reinzuwachsen, die ich sonst vielleicht umschifft hätte.

Das bewerte ich heute als positiv.

Vor fünf oder zehn Jahren – keine Chance! Wie gesagt: Zeit und Abstand sind nötig, um so etwas feststellen zu können. All die Momente, in denen ich denke, es wäre einfach schön, wenn er da wäre – das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Ich wäre selbst nicht so gewachsen, wie ich es bin, weil ich es schlichtweg einfach musste.

Langsamkeit in den Alltag integrieren

Leben und Sterben gehören zusammen.
Es gibt keine Garantie fürs Altwerden.
Das müssen wir akzeptieren.

Humor kann dabei helfen, die Furcht vor der Endlichkeit abzubauen. Und wer sich mit dem Tod beschäftigt, der zieht daraus auch Konsequenzen fürs eigene Leben. Der „Boandl“ ist beispielsweise mit einer BMW Isetta unterwegs und entdeckt so die Langsamkeit wieder. Ich fahre mit so einem Rollermobil übrigens auch gerne über die Landstraßen – maximal mit 80 km/h. Auf einmal sieht man Dinge, die einem in einem modernen Auto gar nicht auffallen würden.

Und genau das ist doch der Punkt: Wir rauschen teilweise durch unsere Tage hindurch und wollen manchmal sogar, dass sie möglichst schnell vorbei sind. Aber nur, wenn wir die Langsamkeit wiederentdecken und ihr eine Chance geben, haben wir die Zeit, zu überlegen, was wir überhaupt möchten. Am Ende des eigenen Lebens wollen alle gern sagen: Mensch, ich hatte ein schönes Leben. Nur halte ich das für unmöglich, wenn man einfach nur durchrauscht.

Charlie Reiß
28.05.2024


Zur Autorin

Charlie Reiß hat 2023 ihren Debütroman „Und der Tod fragte sich, ob er (un)endlich ist“ im Eigenverlag veröffentlicht. Darin beschäftigt sie sich auf leichte Weise mit einem vermeintlich schweren Thema und will dazu ermutigen, eine andere Sichtweise auf den Tod zu entwickeln  –  eine, die über das Traurige hinausgeht. Die zweifache Mutter wohnt im bayerischen Kulmbach.
Mehr Infos gibt es unter https://charliesleben.de.

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