Digger’s Weide
Der alte Schäferhund lag mitten im Hof und begrüßte mich mit kaum mehr als einem kleinen Zucken seines rechten Ohrs, dann setzte er sein Mittagsschläfchen fort.
In seinen Augen war ich nur einer weiterer neuer Reitschüler, der mit quietschenden Stiefeln durch den Stall humpelte, nichts Aufregendes also.
„Sie sind aber früh“ rief die Reitlehrerin und zog eine Grimasse. „Gehen Sie sich die Pferde anschauen bis Sie dran sind, wenn Sie Lust haben“.
Ich überlegte ob sie deshalb so gereizt klang, weil ich schon dreimal nacheinander zu früh auftauchte oder ob die extra Arbeit während der Sommermonate ihr zusetzte. Was auch immer es war, es lohnte sich für mich sehr, früher zu kommen.
Im Gegensatz zum grellen Sonnenschein, war der Stall dämmrig und duftete wunderbar nach Stroh und frischem Pferdemist. Seit ich mit dem Reiten angefangen hatte, hatte ich mir schon zigmal ein Raumspray mit genau dieser Duftnote gewünscht.
Die Allee von Ställen lief bis zum hinteren Ende des Gebäudes ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit meinem Blick. Mein Auge konnte nicht anders als ihrem Galopp zu folgen, bis endlich die Symmetrie der Boxen durch einen vertrauten Kopf unterbrochen wurde, der wie ein Hacken über eine der Türen hing.
Ich brummte leise, „Hallo Pferdchen“ und ging auf ihn zu. Er war ein kraftvolles Tier und er hüllte sich in eine Schicht der Stille, die nur seine Achatstein-Augen unbedeckt ließ. Er trug in sich eine innere Weide und von dort aus betrachtete er, mit diesen Augen, die Welt.
Ich blieb stehen und holte tief Luft bevor ich mich zu ihm drehte. Meine Wurzeln schoben sich hastig durch den Betonboden nach unten. Etwas langsamer dann, tasteten sich ihre Ausläufer durch die begrabene Schicht von blinden Pflastersteinen einer längst vergangenen Zeit und fanden den Weg ins satte Erdreich.
Ich zog die Güte der Erde in mich ein und nahm sie als Begleiterin meiner Seele in meinen Atem auf, während ich mich umdrehte um die Reise zum stillen Digger anzutreten.
Seine runden Nüstern berührten meinen Boten mit der Zärtlichkeit eines Schmetterlings-flattern.
Da ich seine Bereitschaft spürte, strich ich mit der Rückseite meiner Finger langsam seinen Nasenrücken entlang und legte ihm dann meine Handfläche auf die Stelle seiner Stirn, von wo aus der Schmerz rief und auf diese Weise gingen wir dann, Seite an Seite, zu der Weide auf der er lebte.
Dort begrüßte uns der Schmetterling, nippte an einer goldenen Blume und schlug seine paradiesbunten Flügel auf und zu, ewig, unter der honigsüßen Sonne.
Dort standen wir zusammen unter unserem Baum und schmeckten den Duft der apfelfrischen Luft. Um uns das Grasgeflüster mit seinen kleinen, ausgeplauderten Geheimnissen und über uns der ganze Himmel zu einer himmlischen Freiheitskuppel gewölbt, in der allein die Vögel und die wind-gejagten Wolken spielten.
Die Lerche hing an ihrem unsichtbaren Zauberfaden über uns und warf Konfetti-Schauer von silbrigen Trillern herab, die rund um uns klingelten. Keiner der süßen Töne wurde verschwendet. Stattdessen kullerten sie um die verstreuten Tauftropenperlen und halfen ihnen die heilenden Kräuter zu unseren Füssen zu würzen.
Auch der Regen liebt Digger’s Weide; er bringt Juwelen. Sie hängen an freudetrunkenen Weißdornbeeren und springen vor wildem Vergnügen, wenn der Wind sie streift.
Und falls Regen sich vergisst (was immer dann passiert, wenn er mit Wind tanzen geht), hält er unterm Apfelbaum ein Plätzchen frei für den zerzausten Pferderücken und für die feuchten, angelegten Ohren. Dann kann er getrost und ohne Sorge wandern gehen, und seine Regentropfen-Brüder aus den Wolken pflücken und zu den Samen bringen die noch schlafen. Die Regentropfen-Brüder tanzen und hüpfen im Regenfass. Sie beleben alles und bringen erdgebundenen Geschöpfen wie Digger und seinesgleichen den Geschmack der hohen, reinen Wolken.
Die Weide riecht nach Heimat; ihr Duft klammert sich an Digger’s Rücken wenn er sich auf ihr wälzt und mit seinen Hufe in der uneingezäunten Weide des Himmels strampelt. Seine Mutter lebt auch auf dieser Weide, für immer verwoben mit ihrem Duft, wenn sie zusammen unterm Apfelbaum grasen.
Wir trennten uns wieder, Digger und ich. Ich ließ meine Hand sehr sanft über seine Nase hinuntergleiten und so standen wir und atmeten die Luft zwischen uns ein. Wir teilten uns das Geschenk des Atems und hielten ihn nie zu lange, denn unsere Körper wussten, so war der wiegende Tanz des Lebens.
Später kam die Reitlehrerin um mich abzuholen.
„Sie werden heute auf Digger reiten“ sagte sie und beäugte dabei meine beinahe neuen Reitstiefel.
Kritisch wanderte ihr Blick dann zu dem einzig anderen Reitutensil das ich hatte, meinem Reithelm, der an seinem Riemen achtlos von meiner Hand baumelte.
„Sie müssen ihn streng führen; er neigt dazu abzudriften“ warnte sie mich.
01.04.2018
© Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
www.themindofmishka.weebly.com
Carl Franz
Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
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