Die Arme des Himmels

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Die Arme des Himmels Sturm Carl Franz stormyDie Arme des Himmels

Das große, von den Gezeiten unterworfene Ästuar von Humber lässt sich ganz einfach auf der Landkarte finden.
Es wirkt wie ein hungriges Maul unter der hängenden Nase von Spurn Point an der Ostküste Nordenglands.
Hier kommt die Fähre aus Holland an und setzt ihren Weg durch das dunkle, schlammbeladene Wasser flussaufwärts fort, bis sie nach fünfundzwanzig Meilen die Stadt Kingston Upon Hull erreicht.

Das weiße Oberdeck und der Schornstein der Fähre wirkten fast wie eine Silhouette vor dem zerfetzten Wolkenhimmel als ich am Hafen ankam.

Der Wächter lehnte sich aus dem Fenster seines Häuschens.

„Sieht nach Sturm aus Carl,“ sagte er.
Ich bemerkte, dass wir schon beim Vornamen angekommen waren.
Er war offensichtlich dabei sich an den Anblick von Carl dem Wartungsmann zu gewöhnen, der schon wieder da war um die Kaffeemaschine zu reparieren.

„Wenn wir Glück haben sind wir die hohe Luftfeuchtigkeit los danach“ sagte ich.
Und dann, bevor ich mein großes Mundwerk bremsen konnte, fügte ich noch hinzu „Dave“.

Sein Gesichtsausdruck wechselte augenblicklich von entspannt und freundlich zu überrascht und misstrauisch.
Ich erinnerte mich, dass er mir seinen Vornamen eigentlich noch nie gesagt hatte. Ich hätte ihn natürlich von dem Buchstaben auf dem Namensschild erraten können, das ihm vom Hals baumelte und ich hoffte, dass er selber zu diesem vernünftigen Schluss kommen würde, bevor ich zurück kam.
Etwas unbehaglich fuhr ich durch die geöffnete Schranke. Ich spürte wie er mir hinterher äugte  bis ich die Ecke erreichte wo ich abbog um das Personalgebäude zu erreichen.

Die Kaffeemaschine wirkte fast in sich zusammen gesunken vor Niedergeschlagenheit als ich bei ihr ankam.
Wahrscheinlich würde sich jeder, der mit einem A4 Blatt vorm Gesicht auf das in großen, schwarzen Buchstaben „Kaputt“ gekrakelt wurde,  mit dem er in der Ecke vom Flur stehen muss, etwas ungeliebt fühlen.

Der Klang meines Schraubenschlüssels als ich mich ans Werk machte, weckte den Hausmeister. Er kam aus seinem Büro, wie immer, begleitet von seinem treuen alten Hund.
Er ließ die Schwingtür achtlos auf den armen Köter zurückschwingen.
Ich konnte nur staunen wie der alte Windhund seinen Körper mit Anmut und Leichtigkeit zu einem gedehnten S formte um sich durch die schnell kleiner werdende Spalte zu schlängeln, eine Art von Anmut und Leichtigkeit, die nur durch jahrelanges Üben erreicht wird.

Ich grüßte den Hausmeister bei seinem Vornamen, aber erst nachdem ich mein lückenhaftes Gedächtnis durchstöbert hatte und zu dem sicheren Schluss gekommen war, dass wir einander schon vorgestellt worden waren.

„Hi Jim“ sagte ich. Er grinste nur und grummelte freundlich.

„Verdammte Maschine ist schon wieder völlig verstopft. Reine Platzverschwendung das Ding.“

Ich zog die fremde Münze aus der unschuldigen Maschine und hielt sie ihm unter die Nase. Er beugte sich vor um sie wie Columbo zu inspizieren.

„Aha, französisch. Dieser Haufen hat doch einfach kein Heißgetränk verdient.“

„Cappuccino mit viel Zucker?“ bot ich an. Es war sein Favorit. Er lächelte.

„Passt! Es wird grad frisch hier. Ich glaub es gießt bald in Strömen.“

Er schauderte ein wenig um zu demonstrieren wie frisch es geworden war, und zog seine Jacke zusammen.

Ich gab ihm seinen Becher und nahm mir auch einen. Wir schlürften wortlos während er über die Sache nachdachte, die schon das letztes Mal nicht zur Sprache gekommen war.

Der Hund klappte sein schlaksiges Untergestell zusammen und setzte sich hinter ihn, während ich aufmerksam den Schaum auf meinem Kaffee untersuchte.

Seit meinem ersten Besuch vor einem Monat hatte ich seinen wachsenden Drang gespürt mir von der Sache zu erzählen. Seitdem war die Kaffeemaschine auf unerklärliche Weise dreimal verstopft gewesen. Und jedes Mal näherte sich Jim dem Punkt ein bisschen mehr, an dem er über die Sache sprechen konnte.
Ich fragte mich wie viele Gelegenheiten ihm das Universum noch geben musste.
Wie viele falsche Münzen trug es eigentlich heutzutage in der Tasche? Ich konnte ihn nicht drängen; er musste selbst entscheiden.
Also schaute ich weiter auf den Schaum, dann auf den Hund, dann wieder auf den Schaum.

Nach ein paar Ansätzen die sich in Gemurmel auflösten war er bereit. Der Windhund richtete sein Kopf auf, er hatte die Veränderung in der Atmosphäre gespürt.

„Weißt Du….“ er machte eine Pause um sich zu vergewissern dass ich zuhörte, räusperte sich und schaute mich noch einmal prüfend an bevor er weiter sprach.

„Weißt Du, Ich hatte einen Betrieb im Süden; ein gut laufendes Unternehmen, weißt Du.“ Ich nickte, sagte aber lieber nichts um seinen Entschluss nicht ins Wanken zu bringen.

„Ich hatte ein verdammt gutes Ding am Laufen. Ein wirklich verdammt gutes Ding.
Es war alles am Laufen und dann…..“
Er erzählte mir von dem verdammt guten Ding, dass er um die große Liebe seines Lebens herum gebaut hatte.
Und wie ihm alles auf einen Schlag in einem brutalen und unverständlichen Sturm entrissen worden war.

Er war nicht der Typ Mann, den man einfach in den Arm nehmen konnte, nicht nüchtern jedenfalls. Ich konnte nur sagen, dass es mir leid tat.

„Ja, so ist das Leben.“ sagte er und warf seinen leeren Becher in den Mülleimer.

„Bis dann.“

Der Windhund rappelte sich auf seine Giraffenbeine und folgte ihm zur Tür. Trotz seiner langen Stelzen, musste der Hund seine Schritte beschleunigen um mit dem leichteren und beschwingteren Schritt von Jim mit zu halten.
Aber diesmal schaffte er es nicht ganz.
Ich zuckte zusammen als die Tür dem Hund ins Gesicht schlug. Es machte ihm aber nicht das Geringste.
Er ging einfach durch sie hindurch, wie es Geistwesen zu tun pflegen.

Auf dem Weg zum Ausgangstor, konnten meine Scheibenwischer mit dem Regen kaum Schritt halten.
Die Arme des Himmels, so schien es, hatten ihre schwere Last in einer einzigen vertikalen Flut entlassen.
Die Schranke sprang etwas zu enthusiastisch auf und wackelte unsicher am höchsten Punkt hin und her, während der Regen voller Freude an ihren rot-weißen Kanten entlang tanzte.

„Fahr durch! fahr drunter durch!“ sangen die Tropfen.
Der Wächter winkte mich mit einem Grinsen durch.
„Hab Ihnen ja gesagt, dass es kommt“ schrie er gegen den Sturm.
Es fiel mir auf, dass er sein Namensschild in die oberste Tasche gesteckt hatte.

„Wiedersehen“ schrie ich zurück, nur wiedersehen, sonst nichts.

08.04.2018
© Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
www.themindofmishka.weebly.com

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Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
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5 Kommentare

    • Guten Morgen liebe Kerstin, lieben Dank für den Kommentar und wir – und der Autor natürlich – freuen uns sehr über dieses Lob 🙂
      HERZlichst,
      Heike

        • hallo Patricia,
          nach meinem Gefühl gibt es bei spirituellen Geschichten nichts ‘zu verstehen’ 🙂 Für mich ist es so, dass ich sie gern lese und reinfühlte, was sie mir sagen möchte. Und dies kann an einem Tag anders sein, als am nächsten…
          Und genau DAS finde ich so spannend daran. Ich stelle mir vor, dass es für jeden unterschiedlich sein kann.
          LG, Heike

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