Festhalten, menschliche Gewohnheit mit spiritueller Dimension

Festhalten und gefangen sein in der eigenen Welt

Das Festhalten, eine menschliche Gewohnheit

Wenn Loslassen schwerfällt – Warum wir an Glaubensmustern und destruktiven Beziehungen festhalten. Ein spiritueller Blick auf innere Überzeugungen, Bindungen und die Kraft der Transformation. Im Leben jedes Menschen gibt es Momente, in denen er spürt, dass etwas nicht mehr passt. Eine Beziehung, ein Lebensstil, ein Gedanke – tief in uns wissen wir, dass Veränderung ansteht. Und doch halten wir oft daran fest. Woran liegt das? Warum lassen wir nicht los, obwohl uns etwas belastet oder sogar krank macht? Die Antwort liegt tief in unserer seelischen Struktur verborgen – in unseren Glaubensmustern und inneren Überzeugungen.

Aus spiritueller Sicht ist jeder Mensch ein Wesen auf einer Entwicklungsreise. Doch auf diesem Weg begegnen uns Hindernisse, die nicht im Außen, sondern in unserem Inneren wurzeln. Eines dieser Hindernisse ist das Festhalten an alten Glaubenssätzen. Sie sind oft unbewusst, wirken aber wie unsichtbare Fäden, die unsere Entscheidungen, Gefühle und Lebensumstände steuern.

Was sind Glaubenssätze – und wie entstehen sie?

Glaubenssätze sind tief verankerte Überzeugungen über uns selbst, andere Menschen und die Welt. Sie entstehen meist in der Kindheit, durch wiederholte Erfahrungen, Prägungen der Eltern oder durch kollektive Einflüsse wie Religion, Schule und Kultur. Sie sind wie unsichtbare Brillen, durch die wir die Realität betrachten – ohne zu merken, dass es auch andere Perspektiven gäbe.

Typische Glaubenssätze sind etwa:

  • „Ich bin nicht gut genug.“

  • „Ich muss leisten, um geliebt zu werden.“

  • „Liebe tut weh.“

  • „Veränderung ist gefährlich.“

Solche Überzeugungen speichern sich nicht nur im Verstand, sondern auch im emotionalen Gedächtnis. Dort wirken sie wie Programme, die unsere Lebensführung unbewusst lenken.

Spiritueller Kontext: Die Seele will wachsen – aber der Mensch hat Angst

Festhalten und gefangen sein in der eigenen Welt
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In der Tiefe unseres Wesens, jenseits des Egos, liegt unsere Seele. Sie strebt nach Erkenntnis, Ganzheit und Rückverbindung mit dem Ursprung. Auf diesem Weg möchte sie sich von allem lösen, was nicht ihrem höchsten Ausdruck entspricht – auch von blockierenden Glaubensmustern.

Doch der Mensch, gefangen im Ego-Bewusstsein, hat Angst vor dieser Wandlung. Das Ego liebt das Bekannte, selbst wenn es leidvoll ist. Es sehnt sich nach Kontrolle, Sicherheit, Vertrautheit. Und so hält es an alten Konzepten fest – wie an einem morschen Ast über einem Abgrund. Loslassen bedeutet Kontrollverlust. Und das fühlt sich bedrohlich an.

Warum halten wir an Dingen fest, die uns schaden?

Der Grund liegt oft in einer tiefen Verwechslung: Wir halten an destruktiven Beziehungen oder ungesunden Lebensweisen fest, weil sie unsere inneren Glaubensmuster bestätigen. Das gibt uns paradoxerweise ein Gefühl von Sicherheit.

Ein Beispiel: Ein Mensch, der glaubt, nicht liebenswert zu sein, zieht vielleicht immer wieder Partner an, die ihn schlecht behandeln. Er erkennt es, leidet darunter – und bleibt dennoch. Warum? Weil die destruktive Beziehung das vertraute innere Bild aufrechterhält. Sie spiegelt seine (verzerrte) Wahrheit wider. Das Loslassen würde bedeuten, dieses Selbstbild zu hinterfragen – und das fühlt sich für viele wie ein Identitätsverlust an.

Die Illusion von Kontrolle und die Angst vor dem Nichts

Ein weiterer Grund ist die Angst vor der Leere. Wenn wir etwas loslassen, wissen wir oft nicht, was danach kommt. Das Alte ist vertraut, das Neue unbekannt. Diese Leere empfinden viele Menschen als existenzielle Bedrohung – vor allem dann, wenn sie ihre Identität stark über äußere Umstände definieren.

„Wer bin ich ohne diese Beziehung?“, „Was bleibt, wenn ich diesen Job aufgebe?“, „Was, wenn ich mich irre?“ – Solche Fragen führen uns an den Kern unseres Daseins. Doch statt sie zu beantworten, flüchtet sich der Mensch oft in das Bekannte – und hält fest.

Kollektive Glaubensmuster – der Druck der Gesellschaft

Viele unserer Überzeugungen sind nicht individuell, sondern kollektiv geprägt. Die Gesellschaft gibt Normen vor, wie ein Leben auszusehen hat. Wer davon abweicht, gilt schnell als sonderbar, schwach oder gescheitert.

Ein Beispiel: Die Vorstellung, dass eine Beziehung lebenslang halten muss, führt dazu, dass viele Menschen unglückliche Ehen aufrechterhalten – aus Angst vor dem Urteil anderer oder aus Schuldgefühlen. Sie halten fest, weil sie tief verinnerlicht haben: „Scheitern ist schlecht.“ – Doch spirituell betrachtet ist das „Scheitern“ oft der Beginn echter Selbsterkenntnis.

Die spirituelle Dimension des Festhaltens

Aus Sicht der spirituellen Entwicklung ist das Festhalten kein Fehler, sondern eine Erfahrung. Jede Bindung, jeder Glaubenssatz, den wir nicht loslassen können, zeigt uns etwas über uns selbst. Sie weisen uns auf innere Wunden, unbewältigte Themen oder seelische Entwicklungsaufgaben hin.

Festhalten bedeutet: „Ich bin noch nicht bereit, mich in diesem Bereich wirklich zu befreien.“ Und das ist okay. Spirituelle Reife heißt nicht, alles sofort loslassen zu können. Sie bedeutet, das Festhalten bewusst wahrzunehmen – und liebevoll mit sich selbst zu sein.

Wie wir beginnen können, loszulassen

Loslassen ist ein innerer Prozess. Es beginnt nicht im Außen, sondern in der Bewusstwerdung. Erst wenn wir erkennen, was wir festhalten – und warum –, kann Wandlung geschehen.

1. Bewusstwerden:
Frage dich regelmäßig: Was glaube ich über mich? Über das Leben? Woher kommt dieser Glaube? Dient er mir noch?

2. Mitgefühl entwickeln:
Verurteile dich nicht für dein Festhalten. Es ist ein Teil deiner Geschichte. Betrachte es mit liebevoller Neugier. „Aha, interessant – ich glaube also, ich sei nicht wertvoll ohne diesen Menschen.“

3. Inneres Kind heilen:
Viele Glaubenssätze stammen aus der Kindheit. Indem wir mit unserem inneren Kind in Kontakt treten, können wir alte Wunden versorgen und neue, gesunde Überzeugungen entwickeln.

4. Spirituelle Praxis:
Gebet, Meditation, Achtsamkeit oder Rituale helfen, loszulassen und sich dem größeren Ganzen anzuvertrauen. Sie stärken das Vertrauen in das Leben – und damit auch in den Prozess des Wandels.

5. Unterstützung suchen:
Manchmal brauchen wir Begleitung – durch ein Coaching, eine Therapie oder ein spirituelles Gespräch. Ein liebevoller Spiegel von außen kann Wunder bewirken.

Das Geschenk des Loslassens

Wenn wir den Mut haben, Glaubenssätze oder Beziehungen loszulassen, die uns nicht mehr entsprechen, geschieht oft etwas Magisches: Es entsteht Raum – für Neues, Wahrhaftiges, Lebendiges. Loslassen ist nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Echtem.

Die Seele atmet auf. Der Mensch beginnt, sich selbst neu zu erfahren – jenseits von Rollen, Masken und alten Mustern. Und er erkennt: Das, was er losgelassen hat, war nie wirklich er selbst. Es war ein Bild, eine Idee, ein Sicherheitsnetz. Aber nicht sein wahres Wesen.

Spirituelle Weisheiten über das Loslassen

Viele spirituelle Traditionen lehren das Loslassen als zentrales Element des Wachstums:

  • Im Buddhismus ist „Anhaftung“ eine der Hauptursachen für Leid. Nur wer loslässt, wird frei.

  • Jesus lehrte, dass man das Alte zurücklassen muss, um das Reich Gottes zu erfahren.

  • Sufi-Mystiker wie Rumi sagten: „Versuche nicht, festzuhalten – das Leben ist ein Strom.“

Solche Lehren laden uns ein, dem Leben mehr zu vertrauen. Zu erkennen, dass alles, was geht, Platz macht für das, was wirklich zu uns gehört.

Fazit: Vom Festhalten zur inneren Freiheit

Festhalten ist menschlich. Loslassen ist göttlich. Auf unserem spirituellen Weg begegnen wir beiden Polen – und beide haben ihren Sinn. Der Schlüssel liegt nicht im Erzwingen, sondern im bewussten Erkennen.

Wenn wir unsere Glaubensmuster hinterfragen und bereit sind, sie loszulassen, beginnen wir, unser Leben neu zu gestalten. Nicht aus Angst, sondern aus Wahrheit. Nicht aus Mangel, sondern aus innerer Fülle. Und dann erfahren wir: Freiheit ist kein Zustand im Außen – sondern ein Seins-Zustand, den wir im Innersten schon immer in uns tragen.

Loslassen heißt, nach Hause kommen. Zu uns selbst. Zu unserer Seele. Zu dem, was war, bevor wir begannen, etwas festhalten zu müssen.

21.04.2022
Heike Schonert

HP für Psychotherapie und Dipl.-Ök.

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Heike SchonertPerlen Zauber Heike Schonert

Heike Schonert, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Diplom- Ökonom. Als Autorin, Journalistin und Gestalterin dieses Magazins gibt sie ihr ganzes Herz und Wissen in diese Aufgabe.
Der große Erfolg des Magazins ist unermüdlicher Antrieb, dazu beizutragen, dieser Erde und all seinen Lebewesen ein lebens- und liebenswertes Umfeld zu bieten, das der Gemeinschaft und der Verbindung aller Lebewesen dient.

Ihr Motto ist: „Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, uns als Ganzheit begreifen und von dem Wunsch erfüllt sind, uns zu heilen und uns zu lieben, wie wir sind, werden wir diese Liebe an andere Menschen weiter geben und mit ihr wachsen.“

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