Helfersyndrom Sucht nach Bestätigung: Zwischen Empathie, Spiritualität und Selbstwert

Helfersyndrom einer Frau

Das Helfersyndrom und die Sucht nach Bestätigung: Zwischen Empathie, Spiritualität und Selbstwert

Menschen, die sich in übermäßiger Weise für andere aufopfern, oft auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse, werden häufig als “Helfersyndrom”-Betroffene bezeichnet. Auf den ersten Blick erscheint dieses Verhalten altruistisch und von Mitgefühl geleitet. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass das Helfersyndrom oft von einem inneren Bedürfnis nach Bestätigung und Anerkennung getrieben wird. Dies führt zu einer problematischen Dynamik, die sowohl für die Betroffenen als auch für ihr Umfeld belastend sein kann.

Dieser Beitrag betrachtet die psychologischen, spirituellen und kulturellen Aspekte des Helfersyndroms, untersucht die Verbindung zwischen missverstandener Empathie und Selbstwertproblemen und gibt Einblicke, wie Coaching und Bewusstwerdung helfen können, diesen Kreislauf zu durchbrechen.

Das Helfersyndrom: Definition und psychologische Wurzeln

Der Begriff “Helfersyndrom” wurde von dem deutschen Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer geprägt. Es beschreibt ein Verhaltensmuster, bei dem Menschen ihre Identität und ihren Selbstwert hauptsächlich über das Helfen anderer definieren. Dabei geraten oft ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen in den Hintergrund.

Typische Merkmale des Helfersyndroms

  1. Aufopferung: Helfer*innen setzen häufig ihre eigenen Wünsche, Gesundheit und Lebensqualität aufs Spiel, um anderen zu helfen.
  2. Unfähigkeit, “Nein” zu sagen: Betroffene fühlen sich oft schuldig, wenn sie nicht helfen, selbst wenn dies unvernünftig oder schädlich für sie selbst ist.
  3. Sucht nach Bestätigung: Die Anerkennung und Dankbarkeit anderer wird zur Hauptquelle des Selbstwertgefühls.
  4. Übernahme von Verantwortung: Sie fühlen sich für das Wohlergehen anderer übermäßig verantwortlich, auch wenn dies über ihre Rolle hinausgeht.

Psychologische Ursachen

Helfersyndrom einer Frau
KI unterstützt generiert

Das Helfersyndrom hat oft seine Wurzeln in der Kindheit. Menschen, die in dysfunktionalen Familien aufgewachsen sind, entwickeln häufig eine übersteigerte Empathie, um emotionale Sicherheit zu schaffen. Wenn das Kind nur dann Zuwendung oder Anerkennung erhält, wenn es “hilft” oder sich besonders “brav” verhält, kann sich ein Glaubenssatz entwickeln: “Ich bin nur wertvoll, wenn ich gebraucht werde.”

Dieses Muster kann sich im Erwachsenenalter manifestieren, indem das Bedürfnis nach Bestätigung durch Helfen und Aufopferung kompensiert wird.

Die Sucht nach Bestätigung: Ein Kreislauf von Geben und Nehmen

Helfer*innen empfinden oft ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung, das in einem Kreislauf von Geben und Anerkennung gefangen ist. Dies führt jedoch selten zu langfristiger Erfüllung.

Warum Bestätigung süchtig macht

  1. Neurobiologische Aspekte: Anerkennung aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn, ähnlich wie andere Süchte. Die Ausschüttung von Dopamin vermittelt ein kurzfristiges Gefühl von Glück und Wert.
  2. Selbstwertkompensation: Menschen mit einem instabilen Selbstwertgefühl nutzen Bestätigung, um innere Unsicherheiten zu überdecken. Dieses Gefühl hält jedoch oft nur kurz an und muss ständig erneuert werden.
  3. Externe Validierung: Anstatt den eigenen Wert innerlich zu spüren, hängt er von externen Faktoren – der Dankbarkeit anderer – ab.

Die negative Dynamik

Das Streben nach Bestätigung kann paradoxerweise dazu führen, dass Helfer*innen von ihrem Umfeld ausgenutzt werden. Sie ziehen Menschen an, die bereit sind, diese Dynamik zu nutzen, was ihre Selbstzweifel weiter verstärkt.

Missverstandene Empathie: Wenn Mitgefühl zu Belastung wird

Empathie ist eine der schönsten menschlichen Fähigkeiten, doch in ihrer übertriebenen oder missverstandenen Form kann sie destruktiv werden. Helfer*innen überschreiten häufig emotionale Grenzen und übernehmen Verantwortung für Gefühle oder Probleme anderer, die nicht ihre eigenen sind.

Emotionale Abgrenzung fehlt

  • Mitfühlendes Helfen: Bedeutet, anderen zu helfen, ohne deren Emotionen vollständig zu übernehmen.
  • Mitleidendes Helfen: Führt dazu, dass Helfer*innen die Last der anderen spüren, was emotional und körperlich belastend sein kann.

Gefahren der Überempfindlichkeit

Betroffene des Helfersyndroms neigen dazu, Empathie falsch zu interpretieren. Sie fühlen sich verpflichtet, das Leid anderer zu lindern, auch wenn dies auf lange Sicht weder hilfreich noch gesund ist – für sich selbst oder für den anderen.

Spirituelle Perspektiven: Altruismus oder Egoismus?

In spirituellen Traditionen wird Helfen oft als Tugend und Weg zur Transzendenz angesehen. Doch auch in diesem Kontext kann die Grenze zwischen selbstlosem Geben und egozentriertem Handeln verschwimmen.

Hinduismus und Karma Yoga

Der Hinduismus lehrt, dass selbstloses Handeln (Karma Yoga) ein Weg zur Befreiung ist. Dabei wird betont, dass das Helfen ohne Erwartung einer Gegenleistung erfolgen sollte. Das Helfersyndrom hingegen wird oft von einer subtilen Erwartung begleitet: Dankbarkeit, Anerkennung oder die Bestätigung des eigenen Werts.

Buddhismus: Achtsames Helfen

Im Buddhismus wird Mitgefühl (Karuna) als zentral angesehen. Doch diese Praxis betont auch die Bedeutung von Achtsamkeit und emotionaler Abgrenzung. Der Dalai Lama sagt dazu:

„Mitgefühl bedeutet nicht, die Last eines anderen zu tragen, sondern ihm zu helfen, seine Last zu erkennen und loszulassen.“

Christentum: Zwischen Nächstenliebe und Selbstaufgabe

Im Christentum ist Nächstenliebe ein Grundpfeiler der Ethik. Doch auch hier wird Selbstaufopferung häufig romantisiert, was das Helfersyndrom fördern kann. Spirituelle Lehrer*innen warnen davor, dass wahre Nächstenliebe die Liebe zu sich selbst einschließt.

Kulturelle Unterschiede: Helfen als sozialer Wert

Die Wahrnehmung und Bewertung des Helfens variiert kulturell stark. In einigen Kulturen wird das Helfen idealisiert, während in anderen mehr Wert auf individuelle Autonomie gelegt wird.

Westliche Kulturen: Erfolg durch Helfen

In westlichen Gesellschaften wird Helfen oft mit sozialem Status verbunden. Besonders in sozialen Berufen wird ein hohes Maß an Aufopferung erwartet, was das Helfersyndrom fördern kann. Dies verstärkt die Tendenz, Selbstwert aus externen Leistungen zu ziehen.

Kollektivistische Kulturen: Pflicht zum Helfen

In kollektivistischen Gesellschaften, wie in vielen asiatischen oder afrikanischen Kulturen, ist Helfen oft eine moralische Pflicht gegenüber der Gemeinschaft oder Familie. Dies kann die Tendenz verstärken, eigene Bedürfnisse zugunsten anderer zu vernachlässigen.

Indigene Kulturen: Balance und Gegenseitigkeit

Viele indigene Kulturen betonen die Gegenseitigkeit im Helfen. Hier ist das Geben und Nehmen in einem natürlichen Gleichgewicht, wodurch die Gefahr von Überforderung minimiert wird.

Coaching und persönliche Entwicklung: Wege aus dem Helfersyndrom

Helfer*innen können lernen, gesündere Grenzen zu setzen und ihre Motivation zu hinterfragen. Coaching und persönliche Entwicklung bieten Werkzeuge, um diese Muster zu durchbrechen.

1. Bewusstheit entwickeln

  • Reflexion: Warum helfe ich? Suche ich Anerkennung, oder handelt es sich um echtes Mitgefühl?
  • Grenzen erkennen: Welche Opfer bringe ich, und was bedeutet das für meine eigene Gesundheit?

2. Selbstwert unabhängig von externen Faktoren stärken

  • Selbstakzeptanz: Erkennen, dass der eigene Wert unabhängig von äußeren Leistungen oder Anerkennung besteht.
  • Positive Selbstgespräche: Negative Überzeugungen über den eigenen Wert hinterfragen und ersetzen.

3. Nein sagen lernen

  • Helfer*innen sollten üben, klare Grenzen zu setzen, ohne sich schuldig zu fühlen. Ein authentisches „Nein“ ist oft gesünder als ein halbherziges „Ja“.

4. Unterstützende Beziehungen fördern

  • Beziehungen zu Menschen, die nicht nur nehmen, sondern auch geben, können helfen, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu ändern.

5. Spirituelle Praktiken integrieren

  • Achtsamkeitstraining: Hilft, emotionale Grenzen zu stärken und die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen.
  • Meditation: Fördert Selbstbewusstsein und innere Ruhe, um impulsives Helfen zu reduzieren.

Helfen mit Balance und Bewusstsein

Helfen ist eine wertvolle menschliche Eigenschaft, doch es sollte aus einer Position der Stärke und des inneren Gleichgewichts heraus geschehen, nicht aus einem Bedürfnis nach Anerkennung. Das Helfersyndrom zeigt, wie leicht sich altruistisches Verhalten in eine ungesunde Dynamik verwandeln kann, wenn es von Selbstzweifeln und der Sucht nach Bestätigung getrieben wird.

Durch Selbstreflexion, Achtsamkeit und bewusste Praxis können wir lernen, auf eine Weise zu helfen, die anderen dient, ohne uns selbst zu schaden. Wie der Dalai Lama sagt:

„Wahre Liebe und Mitgefühl bedeuten, sich selbst zu lieben und zu respektieren, während man anderen hilft. Ohne Selbstfürsorge ist Helfen nicht nachhaltig.“

Das Ziel ist es, das Helfen als Ausdruck authentischen Mitgefühls zu leben – nicht als Flucht vor den eigenen Bedürfnissen oder als Ersatz für Selbstliebe.

17.01.2025
Heike Schonert
HP für Psychotherapie und Dipl.-Ök.

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Heike SchonertNaturkosmetik für den Alltag Heike Schonert

Heike Schonert, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Diplom- Ökonom. Als Autorin, Journalistin und Gestalterin dieses Magazins gibt sie ihr ganzes Herz und Wissen in diese Aufgabe.
Der große Erfolg des Magazins ist unermüdlicher Antrieb, dazu beizutragen, dieser Erde und all seinen Lebewesen ein lebens- und liebenswertes Umfeld zu bieten, das der Gemeinschaft und der Verbindung aller Lebewesen dient.

Ihr Motto ist: „Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, uns als Ganzheit begreifen und von dem Wunsch erfüllt sind, uns zu heilen und uns zu lieben, wie wir sind, werden wir diese Liebe an andere Menschen weiter geben und mit ihr wachsen.“

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