Atma Vichara – Wer bin ich?
Arthur Osborne war einer der bekanntesten westlichen Schüler Sri Ramana Maharshis (1879 – 1950), des Weisen vom Berg Arunachala in Tiruvannamalai. Er veröffentlichte die erste vollständige Ramana-Biographie und die erste Sammlung seiner Werke in englischer Übersetzung.
„ATMA VICHARA – Wer bin ich?“
Arthur Osborne (1906 – 1970)
Geboren wurde er am 25. September 1906 in London. Er studierte in Oxford, doch die mechanische Art des Studierens enttäuschte ihn und konnte seine intensive Sinnsuche nicht befriedigen. In christlichen Kreisen suchte er nach spiritueller Führung, was wiederum enttäuschend für ihn blieb. Sein Wunsch war, Schriftsteller und Poet zu werden.
Nach seinem Studium arbeitete er für einige Jahre als Privatlehrer in Polen, wo er jedoch keine berufliche Perspektive zu erwarten hatte. In jener Zeit gelangte er an seinen persönlichen Tiefpunkt. In Katowice traf er auf Lucia, die er heiratete. Er fand Anstellung als Englischlehrer an einem College für Marine-Offiziere in Gdynia. In den folgenden Jahren wurden ihm 3 Kinder geboren: Catherine, Adam und Frania. Obwohl sich sein Leben wieder gefestigt hatte, war er immer noch unruhig und auf der Suche. Diese intensive Suche fand schließlich eine Richtung, als er auf den französischen Philosophen René Guenon (1886 – 1951) stieß, der, ähnlich wie das Advaita-Vedanta und Ramana Maharshi, die Einheit von allem Sein lehrte.
Arthur Osborne studierte sorgfältig Guenon’s Schriften
und übersetzte sein Werk “La Crise du Monde Modern” ins Englische (The Modern Crisis).
Ende der 1930-er Jahre fand Arthur Osborne in Bangkok an der Chulalongkorn University eine Anstellung als Englischlehrer. Die Familie siedelte nach Thailand (damals noch Siam) um. Anfang der 1940-er Jahre stieß er auf Schriften und Fotos von Ramana Maharshi, die ihn und Lucia tief beeindruckten. 1941 ergab sich für ihn die Gelegenheit, nach Indien zu reisen und dort nach einem Guru zu suchen, denn Guenon betonte, dass für den spirituellen Weg ein Guru vonnöten sei, doch ein solcher sei nur im Osten zu finden.
Einer aus der Guenon-Gruppe, der Sri Ramana besucht hatte, hatte jedoch von dort die Nachricht gebracht, dass der Maharshi kein Guru im üblichen Sinne sei, der Initiation (Einweihung, die offizielle Begründung der Meister-Schüler-Beziehung) und Führung gebe und es daher nicht lohnend sei, dorthin zu gehen. Deshalb reiste Arthur Osborne nicht zu Sri Ramana nach Tiruvannamalai. Er fand stattdessen einen Moslem- und Sufi-Meister (Murshid) und ließ sich von ihm einweihen, obwohl er von ihm nicht völlig überzeugt war. Später gab er diese Verbindung wieder auf. Inzwischen war der 2. Weltkrieg bis in die Nähe von Siam vorgedrungen. Arthur Osborne reiste alleine nach Bangkok zu seiner Arbeit zurück und ließ Frau und Kinder in Tiruvannamalai bei einem Freund, der sie in sein Haus aufnahm. So kam seine Familie einige Jahre vor ihm zu Sri Ramana.
1941 besetzten die Japaner Siam.
Die Europäer wurden zunächst unter Hausarrest gestellt, dann interniert. In der Zeit als die Post noch zugestellt wurde, erhielt er einen Brief von seiner Frau, die ihm schrieb, dass ihre Kinder Catherine und Adam zu Sri Ramana gegangen seien und ihn gebeten hätten, ihren Daddy heil zurückzubringen. Der Maharshi habe gelächelt und genickt. Das festigte ihn in dem Glauben, dass er aus allem heil herauskommen würde.
Während seines Aufenthaltes im Internierungslager beschäftigte er sich eingehend mit Astrologie und erstellte Horoskope für die Inhaftierten und deren Angehörige. Er schrieb sogar ein Buch darüber mit dem Titel “The Cosmology of the Stars”, doch es wurde nie veröffentlicht. Als er später zu Sri Ramana kam, gab er die Astrologie wieder auf. Es gab im Lager auch reichlich Zeit für spirituelle Übungen (Sadhana). Sri Ramana wurde die Zuflucht seines Strebens, obwohl er ihn noch nicht als seinen Guru betrachtete.
Während der vierjährigen Trennung hatten die Eheleute fast nichts voneinander gehört. 1945 ergaben sich die Japaner. Arthur Osborne war nach 3 ½ Jahren Gefangenschaft frei und reiste nach Tiruvannamalai. Seine erste Begegnung mit Sri Ramana war ernüchternd, denn er spürte zunächst an ihm keine besondere Ausstrahlung, und seine übernommene Meinung, dass er kein Guru sei, der praktische Führung gebe, verfestigte sich noch. Sri Ramana tat nichts, um seine Ansicht zu ändern.
Doch dann hatte er am Kartikai-Fest (Lichtfest auf dem Arunachala) ein Erlebnis:
“Eine große Menschenmenge war zum Fest herbeigeströmt und wir saßen auf dem Hof vor der Halle. Bhagavan hatte sich auf seiner Couch zurückgelehnt und ich saß vor ihm in der vordersten Reihe. Da setzte er sich aufrecht, sah mich an und seine sich verengenden Augen durchbohrten mich bis ins Innerste mit einer Intensität, die ich nicht beschreiben kann. Es war, als würden sie sagen: ‚Du bist belehrt worden.
Warum hast du nicht verwirklicht?’ Und dann Stille, eine Tiefe des Friedens, eine unbeschreibliche Leichtigkeit und Glückseligkeit. Danach begann die Liebe für Bhagavan in meinem Herzen zu wachsen und ich spürte seine Macht und Schönheit. Am nächsten Morgen, als ich vor ihm in der Halle saß, versuchte ich zum ersten Mal, seiner Lehre zu folgen und Vichara, ‚wer bin ich?’ zu üben. Ich dachte, ich selbst hätte mich dazu entschlossen. Ich begriff zunächst nicht, dass es die Initiation seines Blicks war, die mich belebt und meine Einstellung geändert hatte.”
Von da an saß Arthur Osborne täglich bei Sri Ramana in der Halle.
sprachen nicht viel miteinander, doch er spürte die machtvolle schweigende Führung seines neuen Meisters. Ende 1948 war für ihn die beständige physische Nähe des Gurus nicht mehr nötig. Er fand in Madras Anstellung als Assistent des Herausgebers einer Zeitung. Danach kam er nur noch am Wochenende und im Urlaub nach Tiruvannamalai.
Als Sri Ramana am 14. April 1950 an Krebs starb, waren die Devotees untröstlich über den Verlust. Aber Arthur Osborne konnte unmittelbar die Wahrheit entdecken, dass Sri Ramana, wie zu Lebzeiten, gegenwärtig blieb und sich nichts an der inneren Führung geändert hatte.
Im Jahr 1956 hatte er das Erlebnis des “ersten Erwachens der Wirklichkeit”, wie er es nannte. Zur selben Zeit machte auch Lucia eine ähnliche Erfahrung.
Arthur Osborne besuchte den Ashram auch nach dem Tod von Ramana Maharshi.
Im Jahr 1953 hatte er die Stelle eines Schulrektors in Kalkutta ange-nommen. In dieser Zeit begann seine intensive schriftstellerische Tätigkeit. Er schrieb die erste vollständige Ramana-Biografie “Ramana Maharshi and the Path auf Self-Knowledge”, die 1954 erschien. Daraufhin übersetzte er die Werke Sri Ramanas (“Collected Works”), verfasste eine Zusammenstellung von Gesprächen (“The Teachings of Bhagavan Sri Ramana Maharshi in His Own Words”) und gründete 1964 zusammen mit Sri V. Ganesan (Sri Ramanas Großneffe) die Ashram-Zeitschrift “The Mountain Path”, wofür er zahlreiche Editorials schrieb. Es folgte “The Incredible Sai Baba” (eine Biografie über Sai Baba), “The Rhythm of History” und “Buddhism and Christianity in the Light of Hinduism”. Auch verfasste er Gedichte, die seine spirituelle Erfahrung zum Ausdruck bringen.
Nach seinem Tod fand seine älteste Tochter Catherine in einem alten Koffer unveröffentlichte Manuskripte, darunter auch seine Autobiografie. Sie übergab das Material dem Ramanashram, der es unter dem Titel “My Life And Quest” veröffentlichte. So hatte sich – selbst über seinen Tod hinaus – sein früher Wunsch, Schriftsteller und Poet zu werden, doch noch erfüllt. – 1958 zog sich Arthur Osborne endgültig aus dem beruflichen Leben zurück. Die Familie ließ sich in Tiruvannamalai nieder. Es folgte eine Phase intensiver spiritueller Praxis der Selbsterforschung. Da zunehmend Besucher nach Tiruvannamalai kamen, erkannten er und Lucia ihre neue Aufgabe darin, sich ihnen zu widmen und ihnen von Sri Ramana zu erzählen und seine Lehre zu erklären.
Am 8. Mai 1970 starb Arthur Osborne im Alter von 64 Jahren in Bangalore. 
Er wurde im Garten seines Hauses in Tiruvannamalai begraben.
Der englische Benediktinermönch & Mystiker Bede Griffiths (1906 – 1993) war 3 Monate nach Arthur Osborne am 17. Dezember 1906 in Walton-on-Thames, 25 km süd-westlich von London geboren. Auch er hatte in Oxford studiert.
Erst Ende der 1950-er Jahre sind sich Bede Griffiths und Arthur Osborne in Indien begegnet und haben viele Gespräche über Sri Ramana Maharshi geführt. Davon hatte mir Dom Bede wiederholt ausführlich erzählt.
Ich selbst bin wiederholt in Tiruvannamalai (200 km süd-westlich von Chennai, ehemals Madras) gewesen.
13.02.2025
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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