Warum ist Gott unsichtbar? – Die spirituelle Bedeutung der Gottes-Schau

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Warum ist Gott unsichtbar? – Die spirituelle Bedeutung der Gottes-Schau

Weil das Göttliche nicht als Objekt erfasst werden kann, sondern als Bewusstseins- und Liebeserfahrung geschaut wird. Gott entzieht sich dem Blick, um als inneres Licht, als Erfahrung der Gegenwart, wahrgenommen zu werden – jenseits von Form, aber mitten im Leben.


Ein uraltes Rätsel: Die Sehnsucht, Gott zu sehen

„Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“
(1 Korinther 13, 12)

Die Frage, warum Gott unsichtbar ist, begleitet die Menschheit seit Beginn des religiösen Bewusstseins. Schon Kinder stellen sie – und oft bleibt sie auch im Erwachsenenalter offen. Wäre Gott sichtbar, so denken viele, wäre alles einfacher: kein Streit über Religionen, keine Zweifel, keine Unsicherheit.

Doch die Antwort, die man seit Jahrhunderten hört, lautet: Gott kann man nicht sehen.
Er ist kein Ding in der Welt, kein Teil der Schöpfung, sondern ihr Ursprung. Wenn Gott sichtbar wäre, wäre er nicht Gott – sondern Geschöpf.

Unsichtbarkeit als göttliche Notwendigkeit

Die Unsichtbarkeit Gottes ist kein Mangel, sondern Bedingung seiner Wirklichkeit.
Ein sichtbarer Gott wäre begrenzt, teilhaftig, erklärbar.
Doch das Göttliche entzieht sich dem Zugriff der Sinne, weil es der Grund alles Sichtbaren ist.

Wie eine Holzfigur ihren Schnitzer nie sehen kann, weil sie Teil seiner Schöpfung ist, so übersteigt das Leben und Bewusstsein Gottes jede menschliche Wahrnehmung.

Trotzdem bleibt die Sehnsucht, ihn zu schauen, in uns wach – sie ist Ausdruck unserer inneren Erinnerung an den Ursprung.

Die Sehnsucht des Menschen nach Sichtbarkeit

Der Psalmdichter bringt diese Sehnsucht in unvergessliche Worte:

„Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, nach dir.“
(Psalm 42, 2–3)

Auch in alten Gebeten anderer Kulturen klingt dieselbe Bitte:

„Oh, mögest Du Dich nicht vor Deinem Sohn verbergen …“

Diese Sehnsucht ist nicht kindisch, sondern zutiefst menschlich. Sie entspringt dem Drang, das Göttliche nicht nur zu glauben, sondern zu erfahren – eine Bewegung, die in allen spirituellen Wegen lebendig bleibt.

👉 Lies dazu auch An Gott glauben – warum wir suchen, hoffen und vertrauen.

Mystische Wege zur Gottes-Erfahrung

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Viele Mystikerinnen und Mystiker beschrieben Momente der Gottesschau:
Zustände jenseits gewöhnlicher Wahrnehmung, in denen sich die göttliche Gegenwart unmittelbar zeigte.

Der amerikanische Psychiater und Theologe Walter Pahnke versuchte in den 1960er-Jahren, solche Erfahrungen wissenschaftlich zu erforschen. Beim berühmten „Karfreitags-Experiment“ an der Harvard-Universität untersuchte er, ob psychedelische Substanzen wie Psilocybin mystische Zustände hervorrufen können.

Für einige Teilnehmer wurde diese Erfahrung zu einem Schlüsselmoment ihres Lebens. Sie berichteten von Licht, Einheit und grenzenloser Liebe – Wahrnehmungen, die auch ohne Drogen in tiefer Meditation oder Ekstase beschrieben werden.

Der Versuch zeigte: Das Bewusstsein selbst ist das Tor zum Göttlichen.
Mystik ist kein Halluzinieren, sondern ein Erwachen zu einer erweiterten Realität.

👉 Vertiefend dazu: Wie ist Gott entstanden?


Jacques Lusseyran – der Blinde, der das Licht sah

Der französische Autor Jacques Lusseyran verlor als Kind sein Augenlicht – und lernte, auf neue Weise zu „sehen“.
In seinem Buch Das wiedergefundene Licht beschreibt er, wie er innerlich eine Welt aus Farben, Strahlen und lebendigem Licht erfuhr.

„Ich sah eine Welt, die ganz in Licht getaucht war, die durch das Licht und vom Licht her lebte … Mein Blindsein war keine Dunkelheit, sondern eine Verwandlung der Wahrnehmung.“

Für Lusseyran waren Gott, Licht und Leben eins.
Das Licht war für ihn nicht außerhalb, sondern in allem – ein Bewusstsein, das alles durchdringt.

Seine Erfahrung öffnet einen neuen Blick auf die Unsichtbarkeit Gottes:
Nicht die Augen sehen, sondern das Herz erkennt.

Wahrnehmung und Wirklichkeit – Philosophie der Unsichtbarkeit

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein schrieb:

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Doch Spiritualität antwortet:

„Wovon man nicht sprechen kann, das muss man erfahren.“

Unsere Sinne täuschen uns oft in die Oberflächen der Welt hinein.
Doch wer tiefer schaut, erkennt: Alles Sichtbare verweist auf das Unsichtbare – auf Bewusstsein, auf Sinn, auf das Göttliche selbst.

Wir sehen also nicht Gott – wir sehen Spuren seiner Gegenwart.
Das Sichtbare ist der Schatten des Unsichtbaren.

Vom Glauben zum Schauen

Der Glaube ist kein Ersatz für Sehen, sondern dessen Vorbereitung.
Er schärft die Wahrnehmung für die leisen Spuren des Heiligen in der Welt.

Wie Paulus sagt:

„Jetzt schauen wir in einem Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“

Gott bleibt unsichtbar, weil er in uns sichtbar werden will – als Bewusstsein, als Liebe, als Licht.
So gesehen ist Unsichtbarkeit kein Fehlen, sondern Vollendung:
Das Göttliche zeigt sich, indem es uns zum Sehen verwandelt.

Fazit: Unsichtbarkeit als Einladung

Die Unsichtbarkeit Gottes ist keine Abwesenheit, sondern eine Einladung zum Erwachen.
Sie fordert uns auf, tiefer zu sehen – jenseits der Formen, hin zur lebendigen Gegenwart des Lichts.

Wer lernt, mit dem inneren Auge zu schauen, erfährt:
Das Unsichtbare ist die Quelle des Sichtbaren.
Gott wirkt in allem – still, aber unübersehbar.


Lesetipp zum Thema:
An Gott glauben – warum wir suchen, hoffen und vertrauen
Ein vertiefender Blick auf die Verbindung zwischen Bewusstsein, Spiritualität und Glaube.

 


Über den Autor

Roland Ropers
Theologe, Sprachphilosoph und Mystiker. Er verbindet westliche und östliche Weisheitstraditionen, um das Bewusstsein des Göttlichen im Alltag verständlich zu machen.


© Spirit Online – Themenserie „Glaube & Gott“
Teil der Serie: Glaube und Bewusstsein – Die neue Sicht auf Gott


26.08.2021
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

 


Roland-Ropers-Portrait-2021Über Roland R. Ropers

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
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