Missverständnis der Inneren Kind-Heilung

Innere Kind Heilung

Ein Missverständnis der Inneren Kind-Heilung

Das innere Kind ist ein Begriff, der den meisten auf ihrer Heilreise zumindest begegnet ist. Für viele wird er zentral auf die Reise und bekommt viel Raum und Aufmerksamkeit. All die fehlende Fürsorge und Zuwendung aus Kindertagen wird in ihrem Ausmaß und Symptomen deutlicher. Beim nicht mal all zu tiefen Studium des Themas steigt bei vielen der Schrecken auf – die verworrenen, schmerzhaften Erfahrungen des Lebens bekommen eine neue Ursache. Das Geflecht von Sinnverknüpfungen reißt auseinander und webt sich neu zusammen. Die Gefühlsbewegungen die lapidar erschienen, können nun schwerwiegend wirken und sich in dem neuen Licht wie furchteinflößende Schatten auftürmen. So entsteht bei den meisten unbewusst ein starker Drang nun diese Fürsorge nachzuholen. Eine ganze Industrie mit Büchern und Coaches und Techniken hat sich gebildet, um diese Heilung zu ermöglichen.

Dabei geht es natürlich erst einmal darum, diese verlorenen und verletzen Anteile aufzuspüren. Meist sind sie mit dicken Schutzpanzern abgeschirmt und nicht gleich erkenntlich. Wenn die Abwehrmechanismen nicht mehr mit Rechthaberei und Ablenkung genährt werden und durch die Kraft des Bewusstseins langsam wegfallen, werden die dahinter liegenden Verletzungen spürbarer. Oft heißt die Heilungsparole dann FÜHLEN. Und so schwanken viele zwischen dem Versuch diese ungewollten Erfahrungen zu durchfühlen und dem Versuch andere Erfahrungen zu ermöglichen. Ein neues Umfeld wird gesucht, Workshops werden besucht oder Gruppen zur Praxis einer Heiltechnik werden kreiert. Die Suche beginnt – nach Heilung, nach neuer Beziehungserfahrung, nach der erlösenden Antwort.

Die Welle verspiritualisierter Formeln

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KI unterstützt generiert

Auch mich hat diese Welle erfasst. Eigentlich war ich gerade mit meinem beginnenden Yogastudium begeisternd zufrieden. Doch bevor ich wusste, was um mich geschah, war ich mitten drin. Eine Begegnung reichte und die Tür zum inneren Kind war unwiederschließbar geöffnet. Etwas ließ mich jedoch vorsichtig sein. Irgendwas passte nicht ganz zusammen und ergab kein umfassendes zusammenhängendes Bild.

Ich sehe Menschen, die immer mehr im Namen des inneren Kindes voneinander fordern. Das Zusammensein dreht sich nun auf direkte Art und Weise um die Wünsche des Kindes. Zentral ist, dass sich das verletzte Kind gut und sicher fühlt. Neue Etiketten entstehen – Regeln für ein neues, “bewusstes” Zusammensein ohne Gewalt. Diese Regeln sind oft streng und bei Missachtung kommt es schnell zu Irritationen im Gruppengefüge mit symbolischen Fingerzeig. Unterschiedliche Ansichten zu den Regeln führen eher zu Kontaktabbrüchen aus Schutz vor dem ‘Gewalttätigen’ als zu wahrheitsfördernden Forschungsdialogen. Ein Wir-Sie-denken entsteht, wo sich Gleichdenkende einander in ihren Wahrnehmungen bestätigen. Das alles ist nicht unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich. Denn es kann mit Mitgefühlsidealen und weichen Duft von Räucherstäbchen sanft umhüllt werden.

Ich fühle mich unwohl und eingeschränkt. Dieses Zusammenkommen hilft mir weder in der Ermächtigung noch in der Beziehungsfähigkeit. Ich erlebe kaum Gruppenräume, die beide Extreme fördern – sowohl sanft, feinfühlig und einschließend als auch kraftvoll, direkt und konfrontierend sind. In kurz: wo die Lebensenergie in jeglicher Form hochfahren darf. Es pendelt sich in einem schrecklich Energie unterdrückenden Mittelmaß ein oder in einen der zwei Extreme. Dafür maßregeln und verbessern die Menschen sich gegenseitig. Sagt jemand ‘muss’ wird er daran erinnert, dass es doch dürfen heißt. Ist eine Person genervt oder aufgebracht, wird schnell die Luft im Gruppenfeld angehalten oder es kommt eine weitere verspiritualisierte Formel wie ‘Das darf jetzt auch sein.’ als Antwort. Unterdrückt jemand Wut, wird er ermutigt sie zum Ausdruck zu bringen, da ja jetzt alle gemeinsam auf dem Weg und offen dafür sind.

Das Ideal, alles da sein zu lassen, macht jedoch noch niemanden wirklich fähig dies zu leben. Das Nervensystem spürt es, die Selbstreflektion und Ehrlichkeit fehlt. Ein klares Nein aus der Selbstverbindung oder einfach die Unterdrückung erstmal bewusst wahrzunehmen wäre in der Situation heilsamer als der Applaus einer idealabgetriffteten Gruppe.

In dem sogenannten neuen Miteinander erkenne ich meist nur neue Formen, jedoch keine neuen Inhalte. Die Dynamiken bleiben oftmals schlussendlich gleich. Das Miteinander bleibt von Konzepten mentaler Vorstellungen definiert, die irgendwann zu bröckeln beginnen. Die Gespräche haben nur das Thema gewechselt, jedoch nicht die Seinsebene von der aus gesprochen wird. Es wird eine Antwort im Außen gesucht und es gibt viele, viele Vorstellungen, was Heilung und Liebe bedeutet.

Vom Fragment zum Aspekt

So sehr enttäuschend es war, finde ich diese Phase wertvoll. Manche bleiben dort, manche ziehen weiter. Das Konzept des inneren Kindes kann dafür nichts. Es geht vielmehr um den Umgang damit. Der das-gleiche-in-grün-Effekt entsteht meiner Erkenntnis nach durch Missverständnisse und Fehlanwendungen.

Zum Beispiel sagen einige Experten für das innere Kind Thema, dass es immer da bleiben wird und schlichtweg Teil des Lebens ist. Dies zu akzeptieren wäre die Heilung. Dem stimme ich nicht zu. Das innere Kind ist ein Bild für einen abgespaltenen Anteil, für ein Fragment, das in Kindheitstagen entstand und deswegen gewisse Energien auf kindliche Weise ausdrückt. Da ist kein wirkliches Kind in uns. Es ist lediglich ein Bild, was helfen kann, um die Energie und den Abspaltungsmechanismus zu verstehen. Jedes Fragment kann integriert werden und wieder Teil des ganzen Sein. Das bedeutet, dass diese im Schatten Kreise drehende Energie wieder ein bewusster Teil werden kann. Aus dem abgespaltenen Fragment, der unbewusst wirkt und unkontrollierbar die Fäden zieht, wird zu einem integrierten Aspekt, der sich entwickelt und spontan als auch harmonisch ausdrückt.

Das ‘Spielerische’ lässt es praktisch greifbarer werden. Oft wird mit dem inneren Kind ein Verspieltheit erlebt. Diese Qualität war eventuell in einem strengen Elternhaus mit Leistungsorientierung als Überlebensstrategie abgespalten wurden. Innerhalb der Heilungsreise zu dem inneren Kind taucht diese nun wieder auf. An dem Punkt wird nun das Verspieltsein des Kindes kultiviert. Zuerst kann dies recht befreiend und belebend wirken. Doch auf Dauer und in kollektiver Bewegung entsteht eine Unausgeglichenheit und aktives Praktizieren von Unreife. Im Unbewussten kann sich festsetzen, dass alles wie ein tolles Spiel sein und Spaß machen sollte. Dies kann sich mit spirituellen Ideen vermischen. Und der Glaube kann entstehen, dass solange es sich so nicht dauerhaft anfühlt, würde das wahre Selbst noch nicht gelebt werden. Projekte, Beziehungen und Lebensziele ändern sich ständig und brechen schnell ab. Der Heilsuchende ist mitten ins Kind hineingerutscht und es gibt eine ganze Szene, die die Suche nach einer ewig fröhlichen, heilen Welt unterstützt. Das ist ein Ausagieren und praktizieren von Kindlichkeit, die dem seelischen Wesen durch würdelose Unterschätzung schmerzt. Es ist eine chronische Selbstverleugnung mit Blumen angemalt. Wir verkörperten Seelen können und wollen soviel mehr!

Im Sinne von Reifung und seelischer Selbstermächtigung steht dazu im Gegensatz eine innere Integration des Verspieltseins als eine Qualität und Ausdruck von Lebensenergie. Zunächst spürt man sie auf diesem kindlichen Level, lernt es kennen. Vielleicht wird dies auch nach Außen ausgedrückt, doch ohne den inneren Fokus zu verlieren und mit einem bewussten Aufnehmen. Dann reift diese Energie, sie kann sich nun entwickeln. Die Verspieltheit reift von dem Stand eines Zweijährigen zu dem eines jungen Kindes, zu einem Jugendlichen, zu einem jungen Erwachsenen. Irgendwann ist die Verspieltheit voll ausgereift und nimmt die Form eines Erwachsenen an, der zum Beispiel seine Unternehmensführung oder Beziehung ‘spielt’. Dieses reife Spielen ergießt sich aus dem inneren Raum und kann ohne Probleme mit anderen Qualitäten wie Konfliktbegegnung oder Durchhaltevermögen gelebt werden.

Integration und Reifung als reale Möglichkeit

Bleibt diese Integration und Reifung als Möglichkeit unerkannt, kann sich der Heilende mit guten Heilungsabsichten mit viel zu wenig zufrieden geben und die wirkliche Heilung verpassen. Das innere Kind wird gehegt und gepflegt als sei es real und muss unbedingt aufrechthalten werden. An dem Punkt steht eine Heilungsszene, die unbemerkt Kleinheit und Abhängigkeit praktiziert statt das seelische Potential wieder freizulegen. Energie und Fokus fließen in eine undienliche Illusion, die unglaublich viel Zeit und Aufmerksamkeit verlangt. Und schlussendlich bleibt der Schmerz, denn die erlösende Antwort ist die innere Integration und nicht die nun anders kommunizierenden Mitmenschen.

Die innere Kindheilung hat einen ganz eigenen Rhythmus. Es muss nicht schnell gehen. Jedoch muss es auch nicht aussichtlos ewig sein. Oftmals kann Integration viel unkomplizierter und damit sich schneller vollziehen als unter undienlichen Vorstellungen als möglich erscheint. Dabei geht es nicht darum, dass innere Kind schnell zu transformieren, damit es weg ist. Es geht vielmehr darum, die Energie aus den Konzepten und Urteilen zu befreien, damit Leben wieder Leben sein kann und sich als dieses frei entwickeln kann.

16.02.2025
Sara Gnanzou
https://tiefbewegtblog.wordpress.com/

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Sara GnanzouTanoe-Gnanzou-Profil

Die Sehnsucht nach Lebendigkeit führte Sara Gnanzou zunächst zu Reisen durch die Welt, einem interdisziplinären Philosophiestudium und Tätigkeiten im Beratungs- und Choachingbereich. Seit 2020 widmet sie sich der spirituellen Lebensforschung. In Ihre Arbeit fließen neben tantrischem Wissen und westlicher Philosophie auch die Körper- und Traumaforschung mit ein. Durch das Teilen ihrer Forschungserkundungen durch Wort und Bild möchte sie unterstützend dazu inspirieren, das eigene Sein zu erforschen und die Lebendigkeit erblühen zu lassen.

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2 Kommentare

  1. Hallo, Danke für den Beitrag. Leider vermisse ich den konkreten Vorschlag wie es besser geht das Innere Kind zu integrieren als die Themen kindlich auszudrücken im erkennen. Auch einige konkrete Beispiele wie man das praktizieren kann (z.B. wenn man als Kind nicht gesehen wurde usw.) in anderer förderlicher Weise wäre doch hilfreich.Ungeachtet der Zeit wie lange das dauern kann.
    Alles Beste für Sie.
    Gerda

    • Liebe Gerda Buchner,
      die formulierten Themen nehme ich gerne als Inspiration für einen weiteren Artikel. Ich stimme zu, dass die direkte Praxis der Integration nach vertiefter Forschung und Auseinandersetzung fragt. Doch ich bitte um Verständnis, dass dies nicht alles in einem Artikel besprochen werden kann. Der Fokus in dem aktuellen Artikel galt zunächst der Inspiration, mehr Aufmerksamkeit für mögliche Missverständnisse zu kreieren.
      Danke für die Anmerkung und Auseinandersetzung mit den Beitrag! Viele Grüße, Sara

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