Mystik und Scholastik

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Mystik und Scholastik

Angelus Silesius
Der Brunnquell ist in uns

 „Du darfst zu Gott nicht schrein,
Der Brunnquell ist in Dir.
Stopft`s Du den Ausgang nicht,
Er flösse für und für.“

 Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren
Und nicht in Dir, so bleibst Du ewiglich verloren.“

 „Halt an, wo läufst Du hin, der Himmel ist in Dir.
Suchst Du Gott anderswo, Du fehlst ihn für und für.“

 „Mensch, geh nur in dich selbst!
Denn nach dem Stein der Weisen
Darf man nicht allererst in fremde Lande reisen.“

(Angelus Silesius, „Der Cherubinische Wandersmann“)

 

Vom Griechischen: „myein“ (= sich Augen und Mund schließen lassen) abgeleitet, meint Mystik das Eingeweihtwerden“ in einen Weg, der die unio mystica“, die wesenhaft erfahrene Eins-Werdung des menschlichen Selbst mit der göttlichen Wirklichkeit, zum Ziel hat.

 Mystik und Scholastik ist Religion im tiefsten Sinne, aber nicht Konfession.

Mystik entsteht innerhalb vorhandener Glaubenssysteme zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Entwicklung, nämlich dann, wenn deren tradierte Offenbarungsformen zu erstarren beginnen und dem religiösen Leben nur ungenügend Nahrung bietet. Genau an diesem Punkt befinden wir uns heute.

Der Mystiker unternimmt den großartigen Versuch, Unendlichkeit bereits im Endlichen zu erfassen und zu beschreiben.

Mystik und Scholastik verfolgen dasselbe Ziel: das Einswerden des menschlichen Bewusstseins mit dem Wesen Gottes; aber während die Scholastiker dieses Ziel erst im jenseitigen Leben für erreichbar halten, will mystische Gotteserfahrung die Überschreitung aller verstandesmäßigen Vermittlung schon in dem nicht-dualen Bereich von Diesseits und Jenseits ermöglichen.

Mystik ist nicht an konfessionelle Grenzen gebunden.

Johannes Scheffler (Angelus Silesius) wurde am 1. Weihnachtstag 25. Dezember 1624  in Breslau geboren. Studium der Medizin in Leyden und Studium der Schriften Jakob Böhmes, Jan van Ruysbroecks und anderer Mystiker. In Padua Promotion zum „Dr.phil. et med.“. Am 12. Juni 1653 trat der Lutheraner Scheffler in der Breslauer St.-Matthias-Kirche zur römisch-katholischen Kirche über und erhielt den Namen Johannes Angelus. Um Verwechslungen mit dem 1608 in Darmstadt gestorbenen gleichnamigen lutherischen Theologen Johannes Angelus zu entgehen, fügte Scheffler fortan in seinen Schriften die Bezeichnung „Silesius“ (der Schlesier) an.

Die Konversion Schefflers erregte großes Aufsehen. Als Hauptgrund für diesen Schritt dürfte man die Enttäuschung über die starre Haltung der lutherischen orthodoxen Geistlichkeit ansehen, wie sie in dem ausgesprochenen Publikationsverbot zum Ausdruck kam. In zahlreichen Rechtfertigungsschriften versuchte Angelus Silesius seinen Konfessionswechsel zu begründen.

Wichtiger für das Verständnis des mystischen Denkers sind jedoch die Textformen, die auch seinen literarischen Ruhm („Der Cherubinische Wandersmann“ u.v.a.) begründen: prägnante Sinnsprüche, Epigramme, auf wenige Zeilen komprimierte, pointierte Paradoxa, geschliffene Aussagen in These und Antithese.

Mystik und Scholastik – Hier tritt uns das Grundproblem mystischen Denkens in überzeugender Form gegenüber:

das Bedürfnis, anderen die eigenen inneren Erfahrungen mitzuteilen, stößt an die Grenzen der Ausdrucksfähigkeit und Mitteilbarkeit. Widersinn wird so zum Sinn. Widersprüche werden nicht nur aufgezeigt, sondern sie haben einen Hinter-Sinn, der den Weg zur Einheit weist, die hinter den Dingen steht. Durch Krankheit gezeichnet, vereinsamt und verbittert lebte Angelus Silesius bis zu seinem Tode am 9. Juli 1677 im Kreuzherrenstift von St. Matthias in Breslau.

22.12.2022
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist

www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de


Über Roland R. Ropers

Mystik und Scholastik Roland Ropers 2021

Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.

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Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle

von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu

Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.

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