Das Leben ist ein Pilgerweg
„Jeder erfährt im Inneren seinen eigenen Weg. Da ist immer etwas Schwebendes dabei, weil ja alle Erkenntnis nicht ein in Stein gemeißelter Ausdruck ist, sondern eine Begegnung, ein Dialog. Es gibt keinen Automatismus und auch keine Landkarte für die Wahrheit. Der Weg nach innen ist auch der Weg in eine letzte Tiefe, die über mein eigenes Ich, über das Bewusstsein hinausführt. Eine letzte Tiefe, von der ich als Mönch, als Mensch sagen kann: Da bin ich zu Hause. Ich könnte auch sagen: Im Ewigen bin ich zu Hause.“
(Benediktinermönch Odilo Lechner)
Hans Helmut Lechner wurde am 25. Januar 1931 als einziges Kind eines Bankbeamten in München-Bogenhausen geboren. Er gehörte zu den bedeutendsten bayerischen Benediktinermönchen, die mit egoloser Beharrlichkeit und Gelassenheit das geistig-kulturelle Leben der Nachkriegsgeschichte von München und Umgebung wesentlich mitgeprägt haben. Wer diesem Mann persönlich begegnete, spürte die Aura eines großen Weisen. Bis 1946 besuchte Hans Helmut Lechner das berühmte humanistische Wilhelm-Gymnasium in der City von München, das seit über 450 Jahren Schüler zur geistigen Reife führt. Die letzten Gymnasialjahre verbrachte er im Gymnasium der Benediktinerabtei Metten (Kreis Deggendorf), wo Hans Helmut Lechner im Alter von 18 Jahren 1949 sein Abitur machte. Er studierte Philosophie und Theologie an den Universitäten München, Innsbruck und Würzburg. 1952 trat er als junger Mönch in die Benediktinerabtei von St. Bonifaz München, 1850 von König Ludwig I. gegründet, ein. 1956 wurde er von Kardinal Joseph Wendel (1901 – 1960) zum Priester geweiht. Fortan war Pater Odilo zunächst als Kaplan in der Stadtpfarrei St. Bonifaz tätig. 1961 setzte er seine Studien in Würzburg fort und wurde 1963 bei Professor Rudolf Berlinger zum Dr.phil. promoviert mit einer Dissertation über „Idee und Zeit in der Metaphysik Augustins“.
Im jungen Alter von 33 Jahren wurde er am 14. Juli 1964 durch Julius Kardinal Döpfner (1913 – 1976) zum 7. Abt von St. Bonifaz München und Kloster Andechs geweiht; er war während seiner langjährigen Amtszeit bis Juli 2003 der damals dienstälteste Abt sämtlicher Benediktinerklöster auf der Welt.
In seinem Buch
„Das Leben ist ein Pilgerweg – Unterwegs zu sich selbst“
(Ludwig-Verlag München 2009) wird der Leser Zeuge eines gelungenen, balancierten Lebens, wo trotz aller Höhen und Tiefen der Mensch und Mönch Odilo Lechner im Innersten seines Wesens seinen Heimatort gefunden hat gemäß der Aussage des berühmten Benediktiners Gregor d. Gr. (540 – 604): „Habitare secum!“ („Wohnen bei sich selbst!“).
Gregor der Große war offenbar der einzige Mystiker unter den Päpsten in der Geschichte, der schriftlich von seiner kosmischen Vision Zeugnis ablegte.
Das Sich-Sammeln und Wohnen in sich selbst sollte Lebensgestaltung sein, bei der ich, wo immer nur möglich, jede unnötige Zerstreuung und Ablenkung vermeide. Es geht um einen generellen Reinigungsprozess, so dass in der Stunde der Stille schon eine gewisse Vorarbeit geleistet ist, damit ich in dem momentanen Akt des Mich-Sammelns wirklich in die Tiefe komme. Gregor nennt das einfach Kontemplation.
Odilo Lechner war ein Mönch von besonderer Ausstrahlung. Wer zwei sehr frequentierte Klöster wie St. Bonifaz und Andechs über Jahrzehnte durch diverse Krisen hindurchgeführt hat, weiß vom konkreten Leben authentisch zu berichten. Er ist mit der täglichen Arbeit genauso vertraut wie mit dem Erfahrungsraum von Mystik & Spiritualität. Von weltflüchtigen pseudo-esoterischen Wegen distanziert er sich zu Recht.
Den vielfach gebrauchten Spruch: „Der Weg ist das Ziel!“
konnte Altabt Odilo nicht unterschreiben: „Es ist zwar wichtig, dass wir auf dem Weg sind, aber ich kann sinnvollerweise nur den Weg gehen, wenn ich ein Ziel wähle. Das Unterwegssein, im alltäglichen wie im spirituellen Sinn, braucht ein Ziel, auf das wir zugehen. Jesus Christus ist nicht nur die Wahrheit des Lebens, er ist auch der Weg. Auf dem Pilgerweg des Lebens kommt es darauf an, ein Hörender, ein Suchender, ein Fragender zu bleiben. Viele Menschen verpassen ihr Leben, weil sie an einer Illusion festhalten.“
Der deutsche Komponist und Musikpädagoge, Ehrenbürger der Stadt München, Carl Orff (1895 – 1982), ist in der „Schmerzhaften Kapelle“ der Klosterkirche von Andechs begraben. Odilo Lechner hatte im April 1982 für den 4mal verheirateten Münchner das Requiem und die Begräbnisfeier gehalten. Das war nur möglich, weil die 3 vorangegangenen Ehen des berühmten Künstlers lediglich standesamtlich geschlossen waren, nur die letzte war auch eine kirchliche Trauung.
Den „1. Jahrestag der Neuen Deutschen Einheit“ feierten wir am 3. Oktober 1991 zusammen dem Benediktinermönch und Mystiker Dom Bede Griffiths und Abt Odilo in der Münchner Abtei St. Bonifaz, wo 800 Personen versammelt waren. Ein unvergessliches Ereignis, von dem noch heute einige begeistert erzählen.
Am 12. Oktober 1996 präsentierten wir im Kloster Andechs in Anwesenheit von Abt Odilo und unter Mitwirkung von Jesuitenpater und Gandhi-Preisträgers Professor Dr.Dr. Michael A. Windey (1921 – 2009), Hyderabad/Indien, die deutsche Erstausgabe des epochalen Griffiths-Werkes „UNTEILBARER GEIST – Quelle der Heiligen Schriften“, wozu Abt Odilo kommentierte:
„Anhand der von Bede Griffiths zusammengestellten Texte können wir, von ihm geleitet, uns demütig auf die Suche nach den Spuren des einen Gottesgeistes in den Religionen der Welt machen.“
Altabt Odilo war ein Mensch, der auf leisen Sohlen Erstaunliches geleistet und bewegt hat. Meine Begegnungen mit diesem wunder-baren Mann haben mich stets bereichert.
Mit großem Interesse und viel Freude las Abt Odilo jeden Monat das in Wien erscheinende Magazin „KIRCHE IN“, insbesondere meine Mystik-Kolumnen.
Altabt Odilo starb nach kurzer schwerer Krankheit am 3. November 2017 in seiner Klosterzelle von St. Bonifaz in München. Die erste Ausgabe des Buchs „MYSTIKER unserer ZEIT im PORTRÄT“ hatte er noch genau studieren können und bedankte sich spontan voller Begeisterung handschriftlich: „…ein bewegendes Buch!“.
Wenige Tage vor seinem Tod erschien am 23. Oktober 2017 das Buch „Engel an meiner Seite“.
In einem unserer Gespräche sagte er mir:
„Das Leben ist nie ein fertiger Entwurf. Es gibt keinen Masterplan, nach dem man sein Leben ein für alle Mal gestalten kann. Es entwickelt sich in der Begegnung und im Gespräch mit anderen. Man kann sich auf keine allgemeinen Rezepte berufen, weil die Menschen verschieden sind und eben auch entwicklungsfähig. Es kommt darauf an herauszufinden, was in einem Menschen steckt, welche Eignung und Neigung er hat. Wie kann er sich entfalten und wachsen? Man sollte sich von einem Menschen überraschen lassen und entdecken, welches Potenzial in ihm steckt. Der französische Philosoph Gabriel Marcel hat einmal gesagt, wer von seinem Gegenüber nichts erwartet, schlägt ihn mit Unfruchtbarkeit. Einen Menschen lieben bedeutet dagegen, etwas Unsagbares und Unvorhehsehbares von ihm zu erwarten.“
22.08.2024
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.