Frauenbild und patriarchalische Strukturen der Kirche

Frauengesicht

Frauenbild und patriarchalische Strukturen der Kirche

Die Rolle der Frau in der biblischen Geschichte und der frühen Kirche ist ein Thema, das oft aus männlicher Perspektive betrachtet und interpretiert wurde. Um ein ausgewogeneres Bild zu erhalten, ist es wichtig, diese Geschichte aus der Sicht der Frau zu betrachten. Hier ein Beitrag, der versucht, diese weibliche Perspektive einzunehmen:

Die vergessenen Stimmen: Frauen in der biblischen Geschichte und der frühen Kirche

Als Frauen in der biblischen Geschichte und der frühen Kirche waren wir oft präsent, aber selten hörbar. Unsere Geschichten wurden erzählt, aber oft durch die Linse männlicher Autoren und Interpreten gefiltert. Wir waren Zeuginnen, Jüngerinnen, Prophetinnen und Leiterinnen, doch unsere Rollen wurden im Laufe der Zeit oft marginalisiert oder umgedeutet. Lasst uns einen Blick auf unsere Geschichte werfen, wie wir sie erlebt haben könnten.

Maria Magdalena: Die verschwiegene Apostolin

Ich, Maria aus Magdala, war eine der treuesten Anhängerinnen Jesu. Ich folgte ihm von Galiläa bis nach Jerusalem, stand unter seinem Kreuz, als viele andere geflohen waren, und war die erste, die den auferstandenen Christus sah. Jesus hatte mich von “sieben Dämonen” befreit – vielleicht eine Krankheit, vielleicht eine spirituelle Befreiung. Was auch immer es war, es veränderte mein Leben, und ich widmete mich ganz seiner Botschaft.

Doch wie wurde meine Geschichte überliefert? Jahrhunderte später verwechselte man mich mit einer namenlosen Sünderin, machte mich zur reuigen Prostituierten. Meine Rolle als Zeugin der Auferstehung, als “Apostolin der Apostel”, wie mich einige frühe Kirchenväter nannten, wurde in den Hintergrund gedrängt. Warum? War es, weil ich eine Frau war? Weil meine Botschaft zu radikal war?

In einigen gnostischen Schriften, wie dem Evangelium der Maria, wird meine besondere Nähe zu Jesus beschrieben. Ich erhielt Offenbarungen, die selbst den männlichen Aposteln verborgen blieben. Doch diese Texte wurden aus dem offiziellen Kanon ausgeschlossen. Unsere Stimmen, die Stimmen der Frauen, wurden zum Schweigen gebracht.

Eva: Von der Lebensspenderin zur Sünderin

Ich, Eva, wurde als “Mutter alles Lebendigen” geschaffen. Ich war Adams Gefährtin, ihm ebenbürtig zur Seite gestellt. Doch wie wurde meine Geschichte interpretiert? Ich wurde zur Verführerin, zur Ursache des Sündenfalls. Meine Neugier, mein Streben nach Erkenntnis wurde als Ungehorsam gedeutet.

Diese Interpretation hatte weitreichende Folgen für alle Frauen nach mir. Sie wurde benutzt, um die Unterordnung der Frau zu rechtfertigen, um uns als schwach und anfällig für Sünde darzustellen. Aber war es nicht auch Stärke, nach Wissen zu streben? War es nicht auch Adam, der von der Frucht aß?

Die namenlosen Frauen

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Viele von uns blieben namenlos in den biblischen Geschichten. Die Frau am Brunnen, die Ehebrecherin, die Witwe von Nain – unsere Identitäten wurden auf unsere Rollen oder unsere vermeintlichen Sünden reduziert. Doch auch wir hatten Geschichten zu erzählen, Weisheiten zu teilen.

Die Frau am Brunnen war eine der ersten, die Jesus als Messias erkannte und seine Botschaft in ihrem Dorf verbreitete. Die Ehebrecherin zeigte uns die Macht der Vergebung und die Heuchelei derer, die schnell zur Verurteilung bereit sind. Die Witwe von Nain erinnert uns daran, dass Jesu Mitgefühl besonders den Ausgegrenzten und Verletzlichen galt.

Frauen in Führungsrollen: Die vergessenen Leiterinnen

In den frühen christlichen Gemeinden spielten wir Frauen oft wichtige Rollen. Paulus erwähnt in seinen Briefen Frauen wie Phoebe, eine Diakonin, und Junia, die er als “hervorragend unter den Aposteln” bezeichnet. Priscilla wird vor ihrem Mann Aquila genannt, was auf ihre Bedeutung in der Gemeinde hinweist.

Doch im Laufe der Zeit wurden unsere Rollen zunehmend eingeschränkt. Die Kirche, die einst revolutionär in ihrer Einbeziehung von Frauen war, begann, uns aus Führungspositionen zu verdrängen. Unsere Stimmen wurden leiser, unsere Beiträge marginalisiert.

Der Kampf um Anerkennung

Über die Jahrhunderte hinweg kämpften wir Frauen um Anerkennung und Gleichberechtigung in der Kirche. Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen und Theresa von Avila fanden Wege, ihre Stimmen hörbar zu machen, oft indem sie ihre Visionen und Lehren als direkt von Gott empfangen darstellten.

Doch selbst als wir Heilige und Kirchenlehrerinnen wurden, blieben uns die höchsten Ämter in der Kirche verschlossen. Die Priesterweihe, das Bischofsamt, das Papstamt – all dies blieb uns verwehrt, oft mit der Begründung, Jesus habe nur Männer als Apostel berufen. Aber war das wirklich sein Wille? Oder war es die Interpretation einer zunehmend patriarchalischen Kirche?

Die Wiederentdeckung unserer Geschichte

In den letzten Jahrzehnten hat eine Neubewertung unserer Rollen begonnen. Feministische Theologinnen haben begonnen, die biblischen Texte neu zu lesen und zu interpretieren. Sie haben die vergessenen und unterdrückten Geschichten von Frauen wieder ans Licht gebracht.

Maria Magdalena wurde 2016 von Papst Franziskus offiziell zur “Apostolin der Apostel” erklärt – eine späte Anerkennung ihrer wahren Bedeutung. Die Diskussion über Frauen im Priesteramt und in anderen Führungspositionen der Kirche ist wieder aufgeflammt.

Doch der Weg zur vollen Gleichberechtigung ist noch lang. Viele Kirchen halten an traditionellen Rollenbildern fest, rechtfertigen den Ausschluss von Frauen aus bestimmten Ämtern mit einer selektiven Interpretation der Schrift und der Tradition.

Unser Erbe und unsere Zukunft

Als Frauen in der biblischen Geschichte und der frühen Kirche hinterlassen wir ein reiches Erbe. Wir waren Prophetinnen wie Debora und Hulda, die Gottes Wort verkündeten. Wir waren Richterinnen wie Debora, die Recht sprachen und Armeen führten. Wir waren Jüngerinnen wie Maria und Martha, die Jesus nachfolgten und von ihm lernten.

Wir waren die ersten, die den auferstandenen Christus sahen und seine Botschaft verkündeten. Wir waren Diakoninnen, Lehrerinnen und Leiterinnen in den frühen Gemeinden. Unsere Geschichten sind ein Zeugnis dafür, dass Gott Frauen beruft und befähigt, in allen Bereichen des geistlichen und gemeinschaftlichen Lebens zu dienen.

Heute fordern wir eine Kirche, die dieses Erbe anerkennt und würdigt. Eine Kirche, die Frauen in allen Ämtern und auf allen Ebenen willkommen heißt. Eine Kirche, die die Gaben und Berufungen von Frauen ebenso wertschätzt wie die von Männern.

Wir fordern eine Neubewertung der biblischen und kirchlichen Geschichte aus weiblicher Perspektive. Wir wollen, dass unsere Stimmen gehört werden – nicht nur als Fußnoten oder Ausnahmen, sondern als integraler Bestandteil der christlichen Tradition.

Schlussgedanken

Die Geschichte der Frauen in der Bibel und der frühen Kirche ist eine Geschichte von Stärke, Glauben und Ausdauer. Es ist eine Geschichte von Frauen, die trotz Unterdrückung und Marginalisierung ihren Glauben lebten und ihre Gemeinschaften prägten.

Indem wir diese Geschichte aus weiblicher Perspektive betrachten, gewinnen wir ein vollständigeres Bild der biblischen und kirchlichen Tradition. Wir sehen, dass Frauen von Anfang an eine zentrale Rolle in der Verbreitung und Gestaltung des christlichen Glaubens spielten.

Die Herausforderung für die heutige Kirche besteht darin, dieses reiche Erbe anzuerkennen und darauf aufzubauen. Es geht darum, eine Kirche zu schaffen, die die Gaben und Berufungen aller ihrer Mitglieder – Männer und Frauen gleichermaßen – wertschätzt und nutzt.

Unsere Stimmen, lange zum Schweigen gebracht, erheben sich wieder. Wir erzählen unsere Geschichten neu, interpretieren die alten Texte mit frischen Augen und fordern unseren rechtmäßigen Platz in der Kirche und in der Welt. Wir sind nicht nur Randfiguren in der Geschichte des Glaubens – wir sind zentrale Akteurinnen, Trägerinnen der göttlichen Botschaft, Mitgestalterinnen der Kirche Christi.

Möge unsere Geschichte gehört werden. Möge unser Erbe gewürdigt werden. Und möge die Kirche der Zukunft ein Ort sein, an dem alle – Frauen und Männer – ihre von Gott gegebenen Gaben voll entfalten können.

09.10.2023
Heike Schonert
HP für Psychotherapie und Dipl.-Ök.

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Heike Schonert, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Diplom- Ökonom. Als Autorin, Journalistin und Gestalterin dieses Magazins gibt sie ihr ganzes Herz und Wissen in diese Aufgabe.
Der große Erfolg des Magazins ist unermüdlicher Antrieb, dazu beizutragen, dieser Erde und all seinen Lebewesen ein lebens- und liebenswertes Umfeld zu bieten, das der Gemeinschaft und der Verbindung aller Lebewesen dient.

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