Schön und sinnlich leben – auf kleinem Raum im Wald
Wir müssen bescheidener werden, weniger verbrauchen, ökologischer handeln und wieder lernen, uns an dem zu erfreuen, was uns die Natur an Schönheit bietet, statt den Genuss über den Umweg des Menschengemachten zu suchen. Das ist das Gebot der Stunde, denn sonst sind bald der Wald, Vogelgesang am Morgen, Schmetterlinge in der Sonne, ein klarer Bach, saubere Luft die Kostbarkeiten von gestern.
Es wird Zeit umzudenken. Und das tun schon viele. An allen Ecken gibt es Bewegungen, die Mut und Glauben machen, dass die Erde doch noch zu retten ist und sich die Wertvorstellungen von den in kapitalistischer Überproduktion hergestellten Dingen, die uns angeblich so gut tun, ab- und einem einfacheren, naturnahen Leben zuwenden.
Dass man dabei weit weniger entbehrt, als gewinnt, ist ein Gedanke, den man erst zulassen muss, damit er sich in der Praxis beweisen kann. Wohnen ist dabei ein Bereich, der sich wie kaum ein anderer, zwar persönlich und individuell gibt, dennoch in höchstem Maße abhängig ist von kulturell Überliefertem, Gewohnheiten, Statusvorstellungen und strukturellen Voraussetzungen.
Um so spannender ist es zur Zeit zu beobachten, wie sich die Vorstellung vom gutem Leben in vier Wänden ändert und Menschen sich neuen Wohnformen öffnen. Die Tiny-house-Bewegung mit seinem Anspruch, möglichst autark und beweglich auf kleinstem Raum zu wohnen, ist eine, minimalistisches Leben in sparsamst eingerichteten Wohnungen eine andere und in Mehrgenerationenhäusern und Gemeinschaftsgärten wird der Gedanke des Teilens und das Miteinander in gegenseitiger Hilfe neu belebt.
Das alles sind wunderbare Ansätze, die hinter den Kulissen des alltäglich Sichtbaren einen neuen Zeitgeist heraufbeschwören, der auch uns als typische Großstädter mitten in Berlin nicht unberührt ließ und uns umtrieb, etwas Neues auzuprobieren.
Raus aus der Stadt und hinein ins Landleben, das verlockte uns. Wir versprachen uns mit diesem Schritt mehr Unabhängigkeit und ein gesünderes und entspannteres Leben. Einmal entschlossen und offen für Eingebungen realisierte sich die Idee in kurzer Zeit.
Während eines Urlaubs fanden wir mitten im Wald in einer Ferienhaussiedlung in der Lüneburger Heide wie zufällig unser Traumhaus, eine halbvergessene Blockhütte in einem riesigen verwilderten Garten, der sich vom umgebenden Kiefernwald kaum unterschied. Braun und geduckt schien sie nur darauf gewartet zu haben, dass sich ihrer jemand annimmt und so entwickelte sie vor unserem inneren Auge ihre Qualitäten, verlockte uns, Lärm und Hektik, Streben und Konkurrieren, Aufgesetztheit und Künstlichkeit den Rücken zu kehren und uns bei „richtigen“ Arbeiten am Haus und im Garten zu erden.
Dass die Hütte mit ihren 34 qm Wohnraum und der kleinen Veranda zum dauerhaften Wohnen nicht geplant war, verunsicherte uns nur anfangs, als wir noch geprägt von übernommenen Mustern waren und uns den verwunderten Fragen und skeptischen Bemerkungen der Daheimgebliebenen stellen mussten.
Im Wald angekommen merkten wir schnell, dass Ansprüche dem Wandel unterliegen und klein nur ist, was man im Vergleich zu Größerem in der Nachbarschaft wahrnimmt. Beinahe allein war uns klein groß genug. Allerdings darf man sein Herz nicht an die Dinge hängen, denn Platz für Überflüssiges gibt es nicht.
Auch nicht, nachdem wir die Veranda in den Wohnraum integriert und eine überdachte Terrasse angebaut hatten. Die Einrichtung muss sich auf das beschränken, was notwendig ist und das Leben angenehm macht.
In unserem Fall zwei Sessel neben dem Kaminofen, ein großer alter Schrank, eine Kommode, Tisch, Stuhl, spartanisches Schlafzimmer, schmale Küchenzeile, kleines Bad. Aber es reicht, macht wenig Arbeit, bindet keine Aufmerksamkeit und der große Garten ist erweiterter Wohnraum mit lauschigen Ecken, Bänken und Liegen.
Dann ist der Himmel unser Dach, wie es in einem alten Kinderlied so schön heißt.
Aber auch an den kalten Tagen, an denen wir viel drinnen sind, stört uns die geringe Größe unseres Zuhauses nicht, das vom Ofen, den wir mit dem Holz aus den Wäldern um uns herum heizen, schnell erwärmt wird. Dann tröstet die heimelige Atmosphäre am Feuer und das Bewusstsein, im unendlichen Universum unter den riesigen Kiefern sich irgendwie sehr verloren und doch gleichzeitig auch wohl geborgen in dem sich gegen die Weite der Welt winzig ausmachenden Holzhaus zu wissen.
Die Seele kann zur Ruhe kommen und wird empfänglich für all das Schöne, das uns in der Natur umgibt. Dann genügt sie nicht einfach, sie bereichert mit poetischer Kraft und zeigt uns, dass wir wirklich nur sie haben und alles, was Menschen hervorbringen und erfinden, um sich vor ihr und ihrer Urgewalt zu schützen, nichtig ist.
Wir haben uns mit diesem Leben einen Wunsch erfüllt, der sicher in vielerlei Hinsicht Ansprüche an die stellt, die ihn umsetzen möchten. Ob es ums Heizen, um harte Gartenarbeit, um den Verzicht auf Ablenkung und schnelle Zerstreuung, um die Abgeschiedenheit, die völlige Dunkelheit in der Nacht geht, oder um so profane Dinge wie die Unmöglichkeit, auch noch einen Kühlschrank aufzustellen oder im Bad ein Handwaschbecken unterzubringen.
Aber es ist kein dekadenter Traum für Besserverdiener.
Wohnen auf dem Land, besonders in einem kleinen Haus, ist preisgünstig und auch mit einem einfachen Job oder wie bei uns mit zwei Teilzeitbeschäftigungen, zu finanzieren. Und wenn man sich dann noch aufs Tauschen, Selbermachen, auf die Selbstversorgung mit lebensmitteln aus dem eigenen Garten oder gesammelt in Wald und Feld verlegt, erfährt man, dass sich auch mit wenig Geld schön und sinnlich leben lässt.
Die Natur vor der Tür, Zeit und Ruhe, um sich selbst kennenzulernen und zu entdecken, worum es im Leben eigentlich geht, sind für uns der größte Luxus.
www.waldwandel.com
www.shop.neueerde.de/…/Waldwandel.html
Anja Mertens
zog 2015 in ein kleines Blockhaus im Wald in der Lüneburger Heide, wo sie mit Mann und Hund lebt. Dort entstand ihr Buch “Waldwandel”, das den dort gelebten Alltag beschreibt und versucht, eine ganz persönliche Antwort auf existentielle Lebensfragen des Menschen in der modernen Gesellschaft zu finden.
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Danke für den Artikel, der ich nachdenklich macht. ich bin vor 2 Jahren (nachdem ich IMMER und gerne in der Großstadt gelebt hatte) aufs Land gezogen Und, ich staune selber: Es gefällt mir gut hier. Der Bezug zum Artikel ist, dass ich mittlerweile hier auch ein 20 m2 großes/ kleines Gartenhäuschen habe, das ich als Arbeits- und Schreibort als Autorin einfach liebe. Ja, es ist alles einfach dort, aber / und: ich blühe auf dort.