Das wahre Sein aus der Advaita-Sicht

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Das wahre Sein aus der Advaita-Sicht

Was ist das wahre Sein? Die Antwort hängt davon ab, wer die Frage beantwortet.
Es spielt keine Rolle, was genau Du tust. Es kommt darauf an, wer Du bist. Wer bist Du für Dich als Dein eigenes „Ich“? Wie erlebst Du Dein „Ich“?

Ist Dein Ich-Gefühl komprimiert, geschrumpft, unterdrückt durch negative Emotionen, Komplexe und Gedanken? Oder ist es umgekehrt offen, weit und frei und schwebt – über dem Verstand – in den unerreichbaren Höhen göttlicher Glückseligkeit, Weisheit und Reinheit?

Wenn Dein Wesen als „Ich“ wahr, weit und frei ist und sich über dem Niveau des operativen Verstandes und des subtilen (Astral-)Körpers in göttlichen Sphären befindet, dann kann so ein „Ich bin“-Sein Gott berühren und völlige Befreiung erlangen.

Deine körperlichen, sprachlichen und mentalen Handlungen, (d.h. Deine Worte, Emotionen und Gedanken) sind Deinem originären Wesen untergeordnet. Dein grundlegendes Sein ist als wahres „Ich“, als „Ich bin“ primär.

Sein ist wichtiger als Tun

Handeln und Karma entstehen aus dem Sein. Handlungen (Körper, Sprache, Verstand) sind die Manifestation von Karma bei gewöhnlichen Menschen.

Wenn dies geschieht, bedeutet dies, dass Deine scheinbar manifeste Subjektivität Dein wahres Wesen unterdrückt, weil die nicht gereinigt, nicht entdeckt und nicht erwacht ist. Und vor allem: weil Du Dir dessen nicht bewusst bist.

Im Fall von Heiligen und Jnanis (erleuchteten Weisen) manifestieren sich Handlungen als göttliches Spiel. Ihre wahre Subjektivität, ihr tatsächliches Wesen als „Ich“ wird so offenbar als erwacht, gereinigt und leuchtend.

In der Tradition des Sanatana Dharma, insbesondere im Advaita Vedanta und im Shivaismus, hat dieses Sein seine eigenen Begriffe – Atman und Brahman bzw. Prakasha und Vimarsha.

Die leuchtende Leere und die Kraft des Bewusstseins

Prakasha ist die leere, leuchtende Essenz Deines Seins. Vimarsha ist die Energie dieses Seins, mit anderen Worten die Kraft des Bewusstseins.

Ein Yogi ist sein ganzes Leben lang damit beschäftigt, seine Bewusstseinskraft, seine Seinsenergie – Vimarsha Shakti – zu entwickeln.

Wenn Dein Wesen falsch ist, werden auch Deine Handlungen, Gedanken und Worte falsch sein. Es ist, als ob eine betrunkene Person versucht, gute Dinge zu tun, beispielsweise ein Geschäft aufzumachen oder ein Haus zu bauen.

Sie wird keinen Erfolg haben, weil ihr Selbstbewusstsein als „Ego“ verzerrt ist.

Das Sein bestimmt das Karma und das Schicksal

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Dein Wesen als Person, als Ego, erschafft Deine Identität und Deinen kausalen und feinstofflichen Körper. Es erschafft all Deine Talente, kognitiven, willensmäßigen und emotionalen Fähigkeiten und deren neuronale Vernetzungen im physischen Gehirn.

Dein Sein, Deine Wahrnehmung von Dir selbst als „Ich bin“ kann entweder wahr oder falsch, oder teilweise wahr und teilweise falsch, d. h. gemischt sein.

Wenn Dein Wesen völlig wahr ist, bist Du ein lebender Buddha. Also jemand, der sich selbst als das Absolute (Brahman), erkannt hat. Du bist dann ein Jnani (ein Weiser).

Wenn Dein Sein nicht wahr ist, befindest Du Dich in einer Illusion, in Maya. Deine Grundüberzeugungen halten Dich in diesen Illusionen gefangen.

Karma schubst Dich herum, dominiert Dich und Du bist in seiner Sklaverei.

Wenn Dein Wesen noch nicht wahr ist, Du aber aufrichtig danach strebst, es zu erwecken und zu reinigen, damit es wahr wird, bist Du ein Yogi. Dann bist Du ein aufrichtiger Sucher nach Gott, Erleuchtung und Befreiung.

Dein „Ich“ ist ursprünglich rein und spontan perfekt

Aber das Paradoxe ist, dass Dein wahres Wesen als „Ich“ immer schon da ist und immer rein und spontan vollkommen ist.

Man kann es nicht durch Anstrengung erschaffen, es irgendwie korrigieren, verbessern oder etwas hinzufügen.

Dennoch kann es Dir entweder bekannt sein oder eben noch nicht. In diesem „Ich bin“-Zustand kann man sich also bewusst oder unbewusst befinden.

Deine Grundüberzeugungen, die auf Unwissenheit (Avidya) über Dein wahres Wesen basieren, hindern Dich daran, in diesem Zustand zu sein.

Solche Grundüberzeugungen ersetzen Dein Sein als „Ich bin“ durch vergangene Erfahrungen (also Dein Karma), die aus mentalen Abdrücken (Samskaras) und Impulsen (Vasanas) bestehen, die Dich zum Handeln antreiben.

Deshalb braucht man Glauben, Selbstdisziplin sowie Praxis und noch mal Praxis, jahrelang. Damit sich Dein Sein und Deine Wahrnehmung von Dir selbst als „Ich bin“ verändern.

Früher oder später wird zuerst die Unwissenheit verschwinden, dann das Karma, und das wahre Wesen als „Ich bin“ wird zum Vorschein kommen.

Die Heiligen haben uns alles dafür gegeben: wertvolle Lehren, Texte und Methoden, Kultur und Religion, Mythologie und Yoga.

„Atma Vichara“ und „Aham Brahmasmi“

Du kannst Atma Vichara praktizieren (die Methode wurde im Artikel über Atma Vichara auf Spirit Online und auch unter https://de.advayta.org im Abschnitt „Basispraktiken“ beschrieben). In der Advaita-Siddha-Tradition gibt es auch die Methode der mentalen Wiederholung von „Aham Brahmasmi“ („Ich bin das Absolute“) sowie viele andere tiefe Praktiken, die zum Verständnis der höchsten Realität durch die eigene Erfahrung führen.

Nachdem man eine Übertragung von einem spirituellen Meister erhalten hat, sollte man diesen Weg jahrelang aufrichtig und zielstrebig verfolgen, und das Ergebnis wird zweifellos kommen.

Die Methoden der Heiligen und Siddhas sind sehr wertvoll, wenn man sie von einem Meister durch Samaya (spirituelle Verbindung) richtig annimmt.

Man wird überrascht sein, wie tief man sein Sein wirklich entdecken kann.
Dein „Ich bin“-Wesen wird erwachen und strahlen. Und das ist das Wertvollste, Großartigste und Kostbarste, was es in diesem Leben gibt.
Gott ist in Dir.

09.04.2024
Swami Vishnudevananda Giri
https://de.advayta.org

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Swami Vishnudevananda Giri Swami Vishnudevananda Giri

Swami Vishnudevananda Giri (Swami Vishnudev) ist ein spiritueller Lehrer in den Traditionen des Advaita Vedanta und des Yogas, ein Sadhu, ein realisierter Meister und Jnani in der Linie des Advaita Vedanta, Philosoph, Theologe und Schriftsteller. Er stammt aus der yogischen Tradition des Sahajayana, des natürlichen Weges der Siddhas, er ist Linienhalter einiger Übertragungslinien des Yogas der Siddhas und spiritueller Meister für viele Schüler in Ost- und Westeuropa, den USA und Indien. Er wurde 1967 in der Ukraine geboren.

Seine spirituelle Praxis und Meditation begannen im Alter von 6 Jahren von selbst, indem er sich intuitiv auf Erinnerungen aus der Vergangenheit stützte. Er hat den Sanatana Dharma als seinen religiösen Weg im Alter von 19 Jahren angenommen. Er absolvierte einige intensive Retreats, deren längstes fast 3 Jahre andauerte. Als Resultat dieses letzten Retreats in den Jahren 1993-1995 erreichte er Samadhi und Realisation.
https://de.advayta.org 

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