Die Suche nach Gott – Henri Nouwen und die Rastlosigkeit einer spirituellen Seele
Die Suche nach Gott am Beispiel des spirituellen Lehrers Henri Nouwen – ein moderner Klassiker der inneren Ruhelosigkeit. Er verbindet Biografie, Mystik, Psychologie und spirituelle Erfahrung zu einer klaren Frage: Warum suchen so viele Menschen Gott – und warum finden so wenige Frieden?
Die Suche nach Gott beschreibt die menschliche Sehnsucht nach Sinn, Halt und innerer Gegenwart. Sie ist weniger eine Frage des Glaubens, sondern ein Weg der Bewusstheit: Gott wird nicht gefunden, indem man ihn sucht, sondern indem man lernt, in sich selbst Raum zu schaffen.
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Henri Nouwen: Ein Mensch, der Gott wollte – und sich selbst verlor
Henri Jozef Machiel Nouwen (1932–1996) war einer der großen spirituellen Autoren des 20. Jahrhunderts. Priester, Psychologe, Professor in Yale und Harvard – doch was äußerlich wie eine glänzende Biografie wirkt, war innerlich ein brennender Konflikt.
Er war ein Mensch, dessen Suche nach Gott zugleich eine Flucht vor sich selbst war.
35 Bücher, zahllose Vorträge, Reisen, Engagements für soziale Projekte, psychologische Seelsorge: Nouwen wirkte wie ein Mann, der in jedem Augenblick beweisen wollte, dass Gott ihn sieht – und dass er selbst endlich ankommen darf.
Seine Texte berühren, weil sie etwas aussprechen, das so viele spirituelle Menschen kennen:
Die rastlose Sehnsucht nach einem Gott, den man spürt, aber nicht greifen kann.
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Sieben Monate Stille – und ein Koan, das alles hätte verändern können
Sein bewegendstes Werk „Ich hörte auf die Stille“ (The Genesee Diary) dokumentiert sieben Monate, die er 1974 im Trappistenkloster Genesee verbrachte.
Dort begegnete er einem Mann, der sein Leben verändern sollte: Abt John Eudes Bamberger, Psychiater, Psychotherapeut und spiritueller Lehrer.
Auf Seite 65 steht jenes Koan, das Nouwen eigentlich hätte retten können:
„Ich bin die Herrlichkeit Gottes.“
Ein Satz, der alles wendet.
Nicht der Mensch sucht Gott.
Gott sucht Raum im Menschen.
John Eudes erklärt:
„Sie sind der Ort, den Gott sich zur Wohnung auserwählt hat – der topos tou theou.“
Das geistliche Leben sei nichts anderes als der Versuch, diesen inneren Raum zu öffnen, damit Gott wohnen kann.
Ruhe – nicht Rennen.
Innensein – nicht Leistung.
Gegenwart – nicht Aktivismus.
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Die Wahrheit, die Nouwen nicht halten konnte
Und doch: Nouwen konnte diese Wahrheit nicht in sein Leben integrieren.
Seine Ruhelosigkeit, sein Druck, seine Sehnsucht nach Anerkennung, seine Angst, übersehen zu werden – all das blieb. Biografien zeigen einen Menschen, der ständig erschöpft war, ständig aufbrach, ständig suchte und zugleich ständig davonlief.
Viele seiner Bestseller wirken rückblickend wie Hilferufe eines Mannes, der zwar über Gott schrieb, aber nicht in Gott ruhte.
Seine Spiritualität war ehrlich – aber nicht heil.
Spirituelle Ruhelosigkeit – warum suchen wir Gott, wenn wir nicht bei uns sind?
Nouwens Leben stellt eine Frage in den Mittelpunkt:
Kann man Gott finden, solange man vor sich selbst davonläuft?
Spirituelle Rastlosigkeit entsteht, wenn…
-
wir glauben, Gott sei „draußen“ statt „drinnen“
-
wir uns nicht genügen
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wir spirituelle Leistung erbringen wollen
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wir innere Wunden überdecken
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wir Gott etwas beweisen möchten
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wir unser Sein nicht halten können
Die Suche nach Gott wird dann zu einer Form spiritueller Selbstoptimierung.
Und wer sich selbst optimiert, kann nicht in Gott ruhen.
Innere Psychodynamik: Die Wunde, die sich nach Gott sehnt

Neben der theologisch-mystischen Ebene war Nouwen ein Mensch mit einer empfindsamen, verletzlichen Seele.
Eine Seele, die viel wahrnahm – aber wenig tragen konnte.
In seinem letzten Tagebuch schreibt er:
„Warum bist du so rastlos, so ängstlich, so unruhig, warum fühlst du dich so allein?“
Diese Worte treffen etwas Existenzielles:
Spirituelle Sehnsucht entsteht dort, wo die Seele ihre eigene Wunde erkennt.
Die Suche nach Gott wird zur Suche nach Halt.
Nach einem Ursprung, der nicht zerbricht.
Nach einer Liebe, die trägt, wenn niemand sonst trägt.
Die Gefahr der „heiligen“ Erschöpfung
Viele spirituelle Menschen kennen die Dynamik, die Nouwen zerstörte:
-
ständig helfen wollen
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immer verfügbar sein
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sich selbst vergessen
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keine Grenzen setzen
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spirituell brennen – ohne inneres Fundament
Nouwen glaubte, Gott brauche seine Rastlosigkeit.
Doch Gott braucht keine Helden.
Gott braucht Räume.
Gott wird dort erfahrbar, wo du dir erlaubst, zu sein.
Das Koan für unser Leben: „Ich bin die Herrlichkeit Gottes“
Dieser Satz ist nicht spirituelle Lyrik.
Er ist ontologische Wahrheit.
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Gott ist kein Objekt
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Gott ist keine Belohnung
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Gott ist keine Reaktion
-
Gott ist nicht „draußen“
Gott ist Wesen in uns.
Die Suche endet, wenn der Mensch aufhört zu fliehen.
Gott wird nicht gefunden – Gott wird zugelassen
Henri Nouwens Tod durch Herzversagen – nur 64 Jahre alt – wirkt wie das Symbol einer Seele, die niemals zur Ruhe fand.
Doch in seinen letzten Aufzeichnungen entdeckt man seinen wahren Schlüssel:
„Ich weiß, dass ich nur in Gottes Gegenwart verweilen muss. Aber alles in mir lehnt sich dagegen auf.“
Die Suche nach Gott scheitert nicht daran, dass Gott fehlt.
Sie scheitert daran, dass wir uns selbst nicht aushalten.
Was wir heute von Nouwen lernen können
Die Suche nach Gott ist weniger Weg als Wendung:
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Nicht mehr fliehen.
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Sich selbst aushalten.
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Wahrnehmen statt beweisen.
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Gegenwart statt Leistung.
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Raum schaffen statt rennen.
Denn Gott wird nicht gefunden.
Gott wird erfahren.
FAQ – Die Suche nach Gott
Warum suchen Menschen Gott?
Weil die Seele nach Sinn, Liebe und innerer Zugehörigkeit ruft – oft lange bevor wir es verstehen.
Kann man Gott durch Praxis finden?
Praxis öffnet Räume, aber Gott selbst entsteht nicht durch Tun. Er wird spürbar durch Bewusstsein.
Warum fühlen sich spirituelle Menschen oft rastlos?
Weil die Seele mehr ahnt, als das Ego halten kann.
Wie erfährt man Gott im Alltag?
Indem man den Kampf beendet und in die innere Gegenwart zurückkehrt.
Poetische Schlussnote
Gott ist kein fernes Licht.
Er ist der stille Raum in dir, den du so selten betrittst.
Nicht der Weg führt zu Gott,
sondern das Anhalten.
Wer rennt, übersieht ihn.
Wer innehält, wird gefunden.
Artikel aktualisiert
08.11.2025
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:

Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.



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