
Weibliche Ur-Religiosität und ihre Bedeutung für die Zukunft
In vielen alten Kulturen spielten weibliche Gottheiten eine zentrale Rolle. Sie standen für Fruchtbarkeit, Naturverbundenheit und Erneuerung. Doch mit der Verbreitung patriarchaler Gesellschaftsstrukturen wurden sie immer mehr verdrängt. Statt zyklischer und naturbezogener Glaubensvorstellungen dominierten plötzlich männliche, monotheistische Religionen mit einem linearen Weltbild. Diese Veränderung hat nicht nur die Rolle der Frau in der Gesellschaft geschwächt, sondern auch unser Verhältnis zur Natur und zu spirituellen Werten verändert. Angesichts aktueller globaler Krisen stellt sich die Frage: Könnte die Wiederentdeckung weiblicher spiritueller Traditionen ein Schlüssel für eine nachhaltigere Zukunft sein?
Der Wandel der religiösen Strukturen
Archäologische Funde wie die Venus von Willendorf oder Darstellungen der “Großen Mutter” in vielen frühen Kulturen zeigen, dass weibliche Gottheiten einst weit verbreitet waren. Sie symbolisierten Fruchtbarkeit, Leben und den Kreislauf der Natur. Doch mit der Entstehung sesshafter Gesellschaften und der zunehmenden Macht von Kriegereliten gewannen männlich dominierte Glaubenssysteme an Einfluss.
Der Aufstieg der monotheistischen Religionen wie Judentum, Christentum und Islam verstärkte diese Entwicklung. Der Glaube an einen einzigen männlichen Gott verdrängte die Vielfalt spiritueller Traditionen, in denen das Weibliche eine zentrale Rolle spielte. Frauen wurden aus religiösen Ämtern ausgeschlossen, ihre spirituelle Autorität untergraben. Die Verfolgung von sogenannten “Hexen” im Mittelalter ist ein drastisches Beispiel dafür, wie weibliche Spiritualität unterdrückt wurde.
Vorurteile gegenüber weiblicher Spiritualität
Noch heute gibt es zahlreiche Vorurteile gegen weiblich geprägte spirituelle Praktiken. Sie werden oft als irrational, esoterisch oder unwissenschaftlich abgetan, ohne dass ihre tatsächlichen Ursprünge und Inhalte näher betrachtet werden. Dies führt dazu, dass viele wertvolle Traditionen und Erkenntnisse abgewertet oder verzerrt dargestellt werden.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass weibliche Spiritualität häufig auf einer ganzheitlichen Weltsicht basiert. Statt starrer Dogmen oder hierarchischer Strukturen legt sie den Fokus auf zyklische Prozesse, intuitive Weisheit und persönliche Erfahrung. Während patriarchale Religionen oft auf Kontrolle, Regeln und absolute Wahrheiten setzen, betont weibliche Religiosität die Vernetzung aller Dinge, den stetigen Wandel des Lebens und die Notwendigkeit der Harmonie zwischen Mensch und Natur.
Viele der heute existierenden Vorurteile entstanden durch gezielte Ausgrenzung und Dämonisierung weiblicher spiritueller Traditionen. Dies lässt sich beispielhaft an der Verfolgung von weisen Frauen und Heilerinnen im Mittelalter erkennen. Auch in der modernen Zeit werden Praktiken wie Kräuterkunde, Energiearbeit oder spirituelle Rituale oft in die Ecke der Esoterik oder des Aberglaubens gedrängt, obwohl sie auf jahrhundertealtem Wissen beruhen und in vielen Kulturen als wertvolle Formen der Heilung und Selbsterkenntnis gelten.
Durch die kritische Hinterfragung der Ressentiments und die Rückbesinnung auf weibliche spirituelle Traditionen kann ein bewussterer und respektvollerer Umgang mit alternativen religiösen und spirituellen Praktiken entstehen. Statt diese vorschnell abzulehnen, könnte es lohnend sein, sie als Teil eines umfassenderen Wissenssystems zu betrachten, das neue Perspektiven auf unsere Verbindung zur Welt und zu uns selbst eröffnet.
Ein Beispiel für diese Vorurteile ist die kommerzielle Darstellung von “modernen Hexen” in den Medien. Sie werden entweder als harmloser Trend für junge Frauen oder als unernstzunehmende Esoterikbewegung dargestellt. Dabei geht es in vielen heutigen spirituellen Bewegungen nicht um Spielerei, sondern um die bewusste Rückbesinnung auf alte, oft unterdrückte Wissensformen und Rituale.
Schöpfungsgeschichten und das Weibliche
In vielen Kulturen gibt es Schöpfungsmythen, in denen eine weibliche Gottheit oder eine Urmutter das Leben erschafft. Diese Mythen zeigen eine Weltanschauung, in der Geburt, Erneuerung und die Natur eine zentrale Rolle spielen.
Die Hopi-Mythen erzählen von der Spinnenfrau, die die Menschen aus Ton formte und ihnen das Leben einhauchte. Die australischen Aborigines verehren die Regenbogenschlange als eine weibliche Schöpferkraft, die Flüsse und Lebensräume entstehen ließ. In afrikanischen Traditionen gibt es Göttinnen wie Oshun, die als Mutterfigur für Fruchtbarkeit und Leben steht. Solche Mythen zeigen, dass viele Kulturen eine spirituelle Verbindung zur Natur und zum Weiblichen hatten, bevor patriarchale Systeme diese Vorstellungen verdrängten.
Hexenkult und moderne Schamaninnen
In den letzten Jahrzehnten erlebt die weibliche Spiritualität eine Wiedergeburt. Frauen, die sich als Hexen oder Schamaninnen bezeichnen, greifen auf altes Wissen zurück, um sich mit der Natur und ihrer eigenen Kraft zu verbinden.
Der moderne Hexenkult hat wenig mit den negativen Klischees zu tun, die über Jahrhunderte verbreitet wurden. Er basiert auf Naturverbundenheit, Kräuterkunde, Heilpraktiken und der Arbeit mit den Elementen. Rituale, Meditation und Mondzyklen spielen eine wichtige Rolle. Statt Dogmen zu folgen, geht es um individuelle Selbstermächtigung und den respektvollen Umgang mit der Umwelt.
Auch der Schamanismus gewinnt an Bedeutung. In vielen Kulturen war der Schamanismus eine spirituelle Praxis, bei der die Vermittlung zwischen der physischen und der geistigen Welt im Zentrum stand. Heute entdecken viele Frauen schamanische Rituale für sich – sei es durch Trommelreisen, Pflanzenmedizin oder Ahnenarbeit. Moderne Schamaninnen kombinieren traditionelles Wissen mit zeitgemäßen Methoden der Heilung und Selbsterkenntnis.
Eine Alternative zu patriarchalen Glaubenssystemen
Die Rückbesinnung auf weibliche spirituelle Traditionen bedeutet nicht, einfach alte Göttinnen wiederzuentdecken. Es geht darum, ein neues Gleichgewicht in unserem Denken und Handeln zu finden. Weibliche Spiritualität betont den Kreislauf des Lebens, die Verbindung zur Natur und die persönliche Erfahrung als Quelle der Weisheit.
Im Gegensatz dazu haben patriarchale Glaubenssysteme oft eine Trennung zwischen Mensch und Natur, Körper und Geist sowie Mann und Frau geschaffen. Diese Trennung spiegelt sich auch in unserer heutigen Gesellschaft wider, in der Wirtschaft, Politik und Umwelt oft als voneinander getrennte Bereiche betrachtet werden. Eine Rückkehr zu einem ganzheitlichen Weltbild könnte helfen, viele der heutigen Krisen besser zu verstehen und nachhaltigere Lösungen zu finden.
Fazit
Weibliche Ur-Religiosität ist mehr als eine historische Randnotiz – sie könnte eine Inspiration für die Zukunft sein. Die bewusste Auseinandersetzung mit alten spirituellen Traditionen eröffnet neue Perspektiven für unsere Gesellschaft. Statt uns weiter von der Natur und von ganzheitlichen Denkweisen zu entfremden, könnten wir von diesen alten Weisheiten lernen. Eine Zukunft, in der Spiritualität nicht mehr durch starre Hierarchien und Dogmen geprägt ist, sondern durch ein tieferes Verständnis von Verbundenheit, könnte der Schlüssel für eine nachhaltigere und gerechtere Welt sein.
11.03.2025
Heike Schonert
HP für Psychotherapie und Dipl.-Ök.
Alle Beiträge der Autorin auf Spirit OnlineHeike Schonert
Heike Schonert, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Diplom- Ökonom. Als Autorin, Journalistin und Gestalterin dieses Magazins gibt sie ihr ganzes Herz und Wissen in diese Aufgabe.
Der große Erfolg des Magazins ist unermüdlicher Antrieb, dazu beizutragen, dieser Erde und all seinen Lebewesen ein lebens- und liebenswertes Umfeld zu bieten, das der Gemeinschaft und der Verbindung aller Lebewesen dient.
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