Heilsame Raumgestaltung und die seelisch-geistige Erkraftung des Menschen
In unserer heutigen Zeit, in der der Mensch meist bei der physischen Ebene stehen bleibt, ist auch das Bauen auf die rein materiellen Notwendigkeiten ausgerichtet.
Doch hat nicht unsere moderne Bauweise ganz maßgeblich mit dem Abbau der menschlichen Gesundheit zu tun? Wie könnte der Mensch wieder zu heilsamen Architekturformen finden, die den Menschen erbauen und ihn zu Kräften kommen lassen?
Hierzu benötigt es als Grundlage ein Menschenbild,
das den Menschen nicht nur in seiner Physis sieht, sondern von seinem seelisch-geistigen Wesen ausgeht, welches in einer stetigen Entwicklung begriffen ist. Heinz Grill, spiritueller Lehrer und anthroposophischer Heilpraktiker hat eine besondere Art der Architektur entwickelt, die anstrebt, geistige Ideen mit irdischen Notwendigkeiten zu verbinden, also eine „Synthese von Spiritualität und Baukunst“ (1) zu entwickeln.
Diese Art der Architektur hat erfahrungsgemäß maßgeblichen Einfluss auf die Heilungsprozesse der verschiedenen Krankheiten. Menschen mit depressiven Stimmungen erleben beim morgendlichen Aufstehen eine größere Leichtigkeit, bei krebskranken Patienten wird die stagnierte Wärmebildung wieder angeregt und insgesamt zieht wieder mehr Lebendigkeit in das menschliche Gemüt, das stark unter den belastenden Zeitbedingungen mit wachsender Technisierung und Digitalisierung leidet.
Die Gestaltung heilsamer Räume – einige Kriterien
1) Zusammenhänge gestalten
In einer Welt, in der der Mensch durch seinen Intellekt die Dinge beständig zergliedert, ist die Gefahr groß, dass auch er selbst aus dem Zusammenhang fällt und den Blick für das Gesamte verliert und in der Folge die verschiedensten Krankheiten entwickelt.
Ein grundlegender Gedanke in der von Heinz Grill entwickelten Architektur ist jener, dass die Seele im Stillen mitrechnet und eine Stimmigkeit erlebt, wenn die Gleichung aufgeht (2). Selbst wenn der Mensch nicht immer bewusst die harmonische Wirkung wahrnimmt, so nimmt doch die Seele Anteil an dem Raum, in welchem sie sich befindet. Durch geometrische Konstruktionen kann ein harmonischer Zusammenhang zwischen dem Raum und den verschiedenen Gegenständen geschaffen werden.
Als Berechnungsgrundlage dient die Grundfläche des Raumes, die in einen Kreis verwandelt wird.
Ausgehend von diesem werden alle weiteren Raumformen gestaltet, in diesem Fall die Form eines Bettes.
Selbst bereits vorhandene Möbelstücke können durch bestimmte Berechnungen und abgestimmte Formen in eine Beziehung gebracht werden, sodass sich eine Form harmonisch an die nächste anschließt.
Auf der physischen Ebene kann man sagen, dass die verschiedenen Objekte Raum einnehmen und in der Folge weniger Raum vorhanden ist. Stehen diese jedoch untereinander in einem logischen Zusammenhang, so kann auf seelischer Ebene das Empfinden entstehen, dass sich das Räumliche erweitert: die Formen ergänzen und fördern sich gegenseitig.
2) Räume verbinden
Die physische Welt besteht aus klaren Formen, die sich von anderen abgrenzen. Die menschliche Seele jedoch trägt in sich die Gesetzmäßigkeit, dass sie sich mit der Umgebung verbinden möchte und danach strebt, die eigenen Grenzen immer mehr zu erweitern. Wie könnte der Mensch beim Konstruieren von Räumen diese Gesetzmäßigkeit berücksichtigen?
Ein Raum besteht aus festen Abgrenzungen, die ihn von einem anderen Raum trennen. Indem nun in diesen Raum verschiedene Öffnungen gestaltet werden, beispielsweise durch ein Glaselement zu einem anderen Raum, wird die feste Begrenzung zum Teil aufgelöst und es entsteht eine Beziehung zwischen den Räumen, die trotzdem weiterhin differenziert in ihrer individuellen Gestaltung erhalten bleiben. Das Licht kann durch die Räume fließen und der Mensch erlebt sich selbst als nicht mehr so stark auf den physischen Körper begrenzt.
Die schwungvollen Sitzgelegenheiten im Essraum laden den Menschen förmlich ein, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.
Die menschlichen Sinne benötigen anregende, ästhetische Formen, an denen sie sich erfreuen können. Ist der Raum so gestaltet, dass sich keine scharfen Kanten und Ecken finden, sondern diese abgerundet oder abgeschrägt sind, so kann der Blick an den verschiedenen Formen entlang gleiten, ohne einen Bewegungsabbruch zu erleben. Das Licht wird in den verschiedenen abgestuften Schattierungen erlebt, nicht nur in einem scharfen Gegensatz zwischen Licht und Schatten.
3) Die Empfindung der Raumestiefe
Farben wirken unmittelbar auf das menschliche Seelenleben. Während ein Blauton ein Gefühl von Tiefe und Ruhe vermittelt und die Fähigkeit der Konzentration fördert, wirkt ein zartes Rosa aufnehmend und umhüllend. Bei der Raumgestaltung kann nun die Frage gestellt werden, welche Wirkung erzeugt werden soll. Ist es ein Essraum, in welchem der Mensch durch das in Beziehung treten zu den Nahrungsmitteln in seinen Sinnen angeregt oder ein Seminarraum, in welchem gedankliche Arbeit gefördert werden soll? Gleichzeitig kommen die gestalteten Formen noch intensiver in ihrer Tiefenwirkung zur Geltung.
Das ästhetische mediterrane Wandgemälde eröffnet eine Tiefenwirkung und wirkt mit den nach oben strebenden Zypressen zugleich aufrichtend auf den Menschen.
Eine weitere Möglichkeit, die Sinne anzusprechen und eine vertiefte Verbindung anzuregen ist das Element des Wandreliefs. Während bereits ein Wandgemälde mit entsprechenden harmonischen Formen und Motiven erhebend wirken kann, erscheint ein Relief durch seine Dreidimensionalität noch lebendiger und greifbarer. Das Auge kann sich an der Plastizität erfreuen und es entsteht eine vertiefte Verbindung mit dem Raum.
4) Bleibende Werte und das Anregen der Schöpferkräfte
Am Anfang eines Projektes steht zunächst die Idee. Diese kann durch verschiedene Fragestellungen immer weiter konkretisiert werden, bis sie in die Umsetzung gelangt. Wenn sich der Mensch nun mutig in diese Prozesse hineinbegibt, ohne schnell etwas zu kopieren und schematisch zu wiederholen, sondern sich eigenständige Vorstellungen zur Sache bildet, lebt in dem Erschaffenen etwas von diesem Menschen weiter. Dies könnte man auch als einen bleibenden Wert bezeichnen, der in der Weltenschöpfung erhalten bleibt, während die Materie einen vergänglichen Wert darstellt.
Indem sich der Mensch in diesen so gestalteten Räumen aufhält, wird er leise daran erinnert, selbst ein ebensolches Potential an Schaffenskraft in sich zu tragen. Gerade in unserer Zeit, in der der Mensch das Vertrauen in die eigene Gedanken-Schöpferkraft verloren hat, trägt dies eine große Heilmöglichkeit inne.
5) Heilsames Formerleben durch Betrachtungsübungen
Diese Möglichkeit der gesundenden Prozesse wird noch gesteigert, wenn der Mensch die Formen aktiv in die Betrachtung führt.
Der Mensch ist meist von zu vielen Informationen überladen und in seiner gesunden Außenwahrnehmung geschwächt. In den heutzutage so häufigen depressiven Stimmungen und psychischen Erkrankungen kreist der Mensch mit seinen Gedanken um sich selbst und seine Probleme und versinkt immer mehr in eine eigene verschattete Innenwelt. Indem bewusst in verschiedenen Momenten die Wahrnehmung nach außen gelenkt wird, beispielsweise die verschiedenen architektonischen Formen betrachtet werden und dies mit einer Frage nach der Wirkung der Form begleitet wird, bekommt der Mensch einen Abstand zu sich selbst. Der Sinnesprozess, der sonst unbewusst vonstattengeht, wird bewusst vom Menschen geführt und das Interesse, das mit der Zeit für die Außenwelt erwacht, richtet ihn auf und bringt ein neues Licht hinzu.
Durch diese menschliche Aktivität entsteht eine Beziehung zum Objekt und rückwirkend empfindet sich der Mensch selbst wieder zentrierter und geordneter. Er erlebt sich selbst in seiner eigenen Körperform bewusster und steht gleichzeitig in einer geordneten Beziehung um Umfeld.
Fotos: Urheberrecht Lisa Quispe Ureta
(1) Heinz Grill (2008): „Die Idee der Synthese von Spiritualität und Baukunst“, Niefern-Öschelbronn: Lammers-Koll-Verlag
(2) Architektur nach Heinz Grill – Hausführung im Spazio d’Incontro (17.09.2009, Minute 4:18), YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=z5ymZl77CGw
Die Fotos zeigen verschiedene Räumlichkeiten im Projekt der Sonnenoase in Lundo, Italien.
Mehr Infos unter: www.yoga-und-synthese.de.
30.05.2023
Lisa Quispe Ureta
Lisa Quispe Ureta
Heilpädagogin und Waldorflehrerin Lisa Quispe Ureta, Jahrgang 1987 strebt danach, durch universell gültige Gesetzmäßigkeiten und Ideen in eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Leben und den oftmals herausfordernden Umständen zu gehen und dadurch die bisher bestehenden Situationen Stück für Stück zu verwandeln und zu erheben. Ihre jahrelange Erfahrung in der Pädagogik und Heilpädagogik und sowohl das Studium der Anthroposophie Rudolf Steiners als auch des von Heinz Grill entwickelten Neuen Yogawillens und dessen Hintergründe regten sie an, vor knapp zwei Jahren gemeinsam mit anderen Menschen ein Kulturprojekt in Italien, Piemont zu gründen, die sogenannte „Villa Angela“ und dort Menschen einen Ort zu bieten, an welchem sie neue Perspektiven und Kulturbausteine für die Zukunft entwickeln können. Die pädagogisch-therapeutische Arbeit richtet sich an zum Teil traumatisierte, depressiv gestimmte oder psychisch erkrankte Menschen, die im Moment keinen Sinn mehr im Leben entdecken können. Um aus dem Teufelskreis des um-sich-selbst-Kreisens auszubrechen ist es notwendig, eine gute Außenwahrnehmung zu entwickeln. Der eigene Lebensauftrag steht immer in Zusammenhang mit einem größeren Ganzen, mit der gesamten Weltensituation, die erforscht werden möchte, um im Folgenden den eigenen Platz darin zu finden. Das eigene Tun einem Gesamten zu widmen vermittelt einen höheren Sinn und auf diese Weise erleben beide Bereiche, derjenige der individuellen Entwicklung und jener der Gemeinschaftsbildung eine sinnvolle Einordnung. Neben der Begleitung pädagogisch-therapeutischer Aufenthalte in der Villa Angela richtet sie gemeinsam mit ihrem Mann Lorenzo Quispe Ureta Kurse zu verschiedenen Themen aus. Im Sinne des Ausspruches von Rudolf Steiner „Jede Erziehung ist Selbsterziehung“ geht es in allen Kursen darum, wie der einzelne Mensch so an sich arbeiten kann, dass er aufbauend und erkraftend auf sein Umfeld wirken kann, sei es im Thema der Pädagogik, der Ernährung oder allgemein in der Begegnung und dem Zusammenwirken mit anderen Menschen.
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