Kairos, die Freude der erfüllten Zeit
Wir erleben weltweit ein völlig neues Zeitgeschehen, das jeder Erdenbürger mit Freude und Hoffnung willkommen heißen sollte.
„Fürchtet euch nicht!“ sprach der Engel zu den Hirten als die Geburt Jesu erwartet wurde. Diese weihnachtliche Botschaft lesen wir im Lukas-Evangeliun 2,10.
Und im Epheser-Brief des Apostels Paulus wird im 1. Kapitel das Loblied auf den Heilsplan Gottes gesungen.
Im Vers 10 die Worte: „Er hat beschlossen, die Fülle der Zeit heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist…“
Das griechische Wort „kairos“ steht für „die erfüllte Zeit“, die wir momentan erleben dürfen.
Vom Werden zum Sein
Spirituelles Leben ist zunächst ein Prozess der Entdeckung und Verwirklichung des wahren Wesens, das tief in uns verborgen ist.
„Das Reich Gottes ist inwendig in Euch!“ (Lukas 17, 21).
Der Weg zu dieser inneren ewig wirkenden kosmischen Ur-Quelle führt uns durch viele unangenehme Geröllschichten des Unterbewusstseins.
Der Prozess des Werdens verwandelt sich auf dem Weg des Vertrauens in das himmlische Geschenk des Seins, des ewigen Da-Seins im Hier und Jetzt. Die vorangegangene Aktivität des Glaubens gipfelt in der kairologischen Erfahrung von Gewissheit und tiefster Erkenntnis (griech.: gnosis), wo wir dann wie Jesus Christus sagen können:
„Ich bin!“ (Sanskrit: „Aham“)
Wir sind in der Gegenwart angekommen
Auf dem inneren, geistigen Weg gehen wir durch verschiedene Bereiche, die wir als Phänomene von Dunkelheit, von Verlassenheit, von Trauer, von Schuld, von Sucht, von Neid, von Hass, von Gier, von Feindseligkeit u.a. erleben. Es ist keine Lösung, sie zu verdrängen, aber es ist auch nicht hilfreich, sich mit jeder Blockade analytisch auseinanderzusetzen. Psychologie kann helfen, innerpsychische Vorgänge zu erkennen. Aber kein Psychotherapeut kann uns ganzheitlich, „holistisch“ heilen. Die eigentliche Heilung kommt erst aus der kosmischen Urquelle, die tiefer als der psychische Bereich in jedem von uns existent ist. Sich auf diese Quelle einzulassen, sie im Leben zuzulassen, in sie hineinzutauchen und ihrem Strom Raum zu geben – darin entfaltet sich die göttliche Heilkraft.
Im Zustand der erlösenden Heils-Gegenwart hört jeder Prozess, jedes Werden auf;
dann können wir sagen:
ich bin / wir sind
Der bekannte deutsche Dominikanermönch und Mystiker Meister Eckhart vermittelt uns in wenigen Worten das Geheimnis der Begegnung mit Gott in unserem Innersten:
„Gott ist uns nahe, aber wir sind Ihm fern. Gott ist drinnen — aber wir sind draußen. Gott ist unsere innere Heimat — aber wir sind uns selber Fremde. Du brauchst Gott nicht zu suchen. Er ist nicht ferner als vor der Tür deines Herzens: da steht Er und wartet und harrt, dass Er dich bereit finde, dass du Ihm auftust und Ihn einlässest. Du brauchst Ihn nicht von fernher zu rufen, sondern dich nur nach innen zu wenden: Gott wartet ungeduldiger als du, dass du dich Ihm öffnest; Ihn verlangt tausendmal dringender nach dir, als dich nach Ihm. Dein Auftun und sein Eingehen geschieht in einem Augen-blick. Willst du Gott ohne Vermittlung, unmittelbar erkennen, so musst du geradezu Er werden und Er du — so ganz eins, dass dies Er und Du eins werden und sind. Das Auge, womit Gott von dir gesehen wird, ist dasselbe Auge, womit Gott dich ansieht. Dein Aug und Gottes Aug ist ein Aug“.
Die verborgene göttliche Quelle öffnet sich in vielfältigen Formen und gießt sich in verschiedenen Heilsgestalten und Heilsmomenten der Menschheitsgeschichte aus. Wenn der Schleier unserer Verblendung und Unwissenheit (Sanskrit: „Avidya“) von uns genommen ist, erkennen wir die sich immer wieder ereignenden kairologischen Augenblicke, wenn gleichsam die Zeit erfüllt ist. Nicht zu verwechseln mit chronologischen, uhrzeitlichen Geschehnissen und Abläufen.
Der Geist ist die Dynamik, der die verborgene göttliche Quelle aktiviert, und die Kraft, welche die Quelle zu einem Leben spendenden Organ macht. Der Geist bringt die Perichorese hervor: die Durchdringung von Kosmos und Mensch. Der Geist ist gleichzeitig die verbindende und die hinaustreibende Kraft, die Energie der göttlichen Fruchtbarkeit, die weibliche Dimension im Göttlichen, die gebärende, belebende, bewahrende Mütterlichkeit im Göttlichen.
Weg zum Urgrund
Jesus wie alle großen spirituellen Meister haben den Schülern einen Weg gezeigt (chinesisch: TAO). Keine Lehre, keine dogmatischen Strukturen, keine Moralvorschriften. Der Meister fordert aber das volle Vertrauen auf den Weg ein.
Weg und Leben sind etymosophisch eng miteinander verknüpft; lat.: via (Weg) und vita (Leben); frz.: la vie (Leben) und la voie (Weg). Es ist völlig gleichgültig, gleicher-maßen werthaltig, ob ich mich auf einem christlichen, buddhistischen, hinduistischen Pfad u.a. fortbewege. Der Weg ist das Ziel – der Weg hat weder einen Anfang noch ein Ende; andernfalls wäre er von der Polarität Geburt & Tod begrenzt. Der Weg ist ewiges Leben, jenseits aller Dualität. Wenn jemand vom Zentrum des Lebens distanziert ist, spricht man oft von weg sein, meint aber abwegig sein.
Lao Tse : Kapitel 14 im Tao Te King
Schau, er kann nicht gesehen werden – er ist flüchtig.
Lausche, er kann nicht gehört werden – er ist geräuschlos.
Greife zu, er kann nicht gehalten werden – er ist unfassbar.
Diese drei können nicht festgehalten werden.
Sie verschmelzen zu einem.
Wenn er aufsteigt, erglitztert er nicht.
Wenn er herabsteigt, verdunkelt er nicht.
Wie ein endloser Faden, ohne Namen.
Kehrt er ins Nichts zurück.
Die formlose Form.
Das bildlose Abbild.
Er entschwindet und schäumt hervor.
Stehe ihm gegenüber, und Du siehst nicht sein Antlitz.
Folge ihm, und Du siehst nicht seinen Rücken.
Verweile mit dem Weg der alten Zeit.
In seiner Gegenwart werden wir gewahr.
Den uralten Anfang zu kennen, das ist das Wesen des Weges.
Das 14. Kapitel des Tao Te King beschreibt auf geradezu geniale Weise das Geheimnis des Weges. Lao Tse umreißt, was TAO nicht ist. Kenntnis vom TAO kann man nicht mit Hilfe der Sinne erlangen: man kann es nicht sehen, hören oder anfassen. Es hat seinen Sitz im intuitiven Bewusstsein Weltliche Ereignisse treten immer wieder in sich stets wiederholenden Zyklen auf, und Anhänger des TAO lernen, diesen Kreislauf zu durchschauen und zu transzendieren.
Jeder, der auf dem Weg ist, spürt den Ursprung der eigenen Existenz.
28.11.2024
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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