Fehler und Irrtum – Dominanzkultur von richtig oder falsch
Am 18. März 2020 erklärte die Deutsche Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel: „CORONA ist die größte Herausforderung nach dem 2. Weltkrieg!“ Der Dissens zwischen den Wissenshaftlern wird täglich größer – das Volk befindet sich in einem Orientierungsvakuum. Wir leben in einer Welt, die niemals frei von Fehlern und Irrtümern sein wird. „Errare humanum est“ (Irren ist menschlich), sagten verschiedene römische Philosophen. Die Suche nach Fehlern wird tagtäglich komplizierter und zeitaufwendiger. Gleichwohl ist die Bewertung von richtig und falsch eine primär subjektive Angelegenheit.
Der persische Sufi-Mystiker Rumi formulierte im 13. Jahrhundert: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort begegnen wir uns!“
In diversen Sprachen wird das Wort Fehler auch als Irrtum und Defekt bezeichnet.
Englisch: fault, error, defect, mistake; französisch: faute, erreur; ital.: errore, sbaglio, difetto.
Das häufig gebrauchte englische Wort „mistake“ bedeutet ursprünglich, etwas Fehlerhaftes nehmen. Something is missing – einiges fehlt. Fehler führen zu Missverständnissen (engl: misunderstanding).
„Aus Fehlern wird man klug!“, sagt ein deutsches Sprichwort. Aber man verlangt nach der Korrektur, der gemeinsamen Richtigstellung. Genau dieser Prozess des gemeinsamen (Präfix: con, cor) Dialogs über mögliche Fehler findet in der Regel kaum statt. Es wird zu schnell ein Fehl(er)-urteil gefällt – in der Schulzeit mit entsprechenden Benotungen, die vielen in traumatischer Erinnerung geblieben sind. Wie oft haben wir die Worte von strengen Lehrern gehört: „Falsch! Setzen!“ Kannst Du nicht einmal etwas richtig machen!“
Das Universum urteilt nicht! Welch eine Freude und Zuversicht!
Wir müssen uns wieder auf den Weg zu einem Ort machen, wo es ein „entweder – oder“ nicht gibt, wo nicht gerichtet wird.
Fehler sind erstaunlicherweise nicht immer Fehler. Der englische Mediziner und Bakteriologe Alexander Fleming (1881 – 1955) war im Sommer 1928 in Ferienlaune. An seinem letzten Arbeitstag hatte er eine Agarplatte mit Staphylokokken beimpft und dann einen Fehler gemacht, dem man keinem Schüler und Studenten vor den Sommerferien verziehen hätte. Dr. Fleming hatte seinen Arbeitsplatz nicht, wie es sich gehört, ordentlich aufgeräumt.
Die Folge: nach Rückkehr aus dem Urlaub war alles verschimmelt. Doch was war das erstaunliche Ergebnis seiner Schlamperei: Fleming hatte gesehen, dass auf dem Nährboden ein Schimmelpilz (Penicillium notatum) gewachsen war und dass sich in der Nachbarschaft des Pilzes die Bakterien nicht vermehrt hatten. So hatte er das Penicillin gefunden, und sein Fehler wurde belohnt. Er wurde geadelt und erhielt im Jahr 1945 den Nobelpreis für Medizin.
Hätte der Italiener Christoph Kolumbus (1451 – 1506) keinen Navigations-Fehler gemacht, hätte er den Seeweg nach Indien entdeckt und wäre nicht am 12. Oktober 1492 auf den heutigen Bahamas/USA gelandet. Die Menschen, die er bei seiner Ankunft auf den heute westindischen Inseln in der Karibik antraf, nannte er Indianer. Zur Unterscheidung der Inder (engl.: Indians), nennt man die Rothäute „Red Indians“, heute in der Regel „Native Americans“ oder „Natives“. 500 Jahre vor Kolumbus war bereits der Wikinger Leif Eriksson auf dem amerikanischen Kontinent gelandet. Den Seeweg nach Indien hatte der Portugiese Vasco da Gama (1469 – 1524) entdeckt, der am 20. Mai 1498 den Subkontinent an der Malabarküste erreichte.
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Unser hoch-technologisches Zeitalter hat unsere Gesellschaft weltweit dahin geführt, dass Fehler tödlich sind – sei es beim Autofahren oder in der Betreibung von Atomkraftwerken.
Wir sollten dringend folgende Worte aus unserem Vokabular streichen:
richtig, falsch, gut, schlecht, normal, unnormal, kompetent, inkompetent u.a.m.. Man hat untersucht und festgestellt, dass es eine Korrelation zwischen oben genannten Worten und Gewalt gibt. In Dominanzkulturen wird durch die Bewertungen von richtig und/oder falsch Macht über andere ausgeübt.
Wie der persische Mystiker Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207 – 1273) so wunderbar sagt, gibt es einen Ort der tiefsten Begegnung in völliger Urteilsfreiheit; dort ist Leben, dort nehmen wir Prozesse wahr und formulieren alles in einer offenen, lebendigen, angstfreien Sprache, die nichts und niemanden festschreibt, die immer wieder neu den Menschen sieht und nicht das, was er tut und was andere tun als richtig oder falsch bewerten.
Im 39. Kapitel des „Tao Te King“ von Lao Tse lesen wir:
„Die folgenden Dinge aus uralter Zeit entstehen aus dem Einen:
Der Himmel ist ungeteilt und klar.
Die Erde ist ungeteilt und fest.
Der Geist ist ungeteilt und stark.
Das Tal ist ungeteilt und voll.
Die zehntausend Dinge sind ungeteilt und lebendig.
Könige und Herrscher sind ungeteilt, und das Land verhält sich recht.
Sie alle sind kraft des ungeteilten Seins.
Die Klarheit des Himmels verhindert sein Herabstürzen.
Die Festigkeit der Erde verhindert ihr Zerbersten.
Die Stärke des Geistes verhindert sein Ausschöpfen.
Die Fülle des Tals verhindert sein Austrocknen.
Das Wachsen der zehntausend Dinge verhindert ihr Vergehen.
Die Führung durch Könige und Herrscher verhindert das Untergehen des Landes.
Daher ist das Demütige die Wurzel des Erhabenen.
Das Tiefe ist die Grundlage des Hohen.
Prinzen und Herrscher betrachten sich selbst als ‚verwaist’, ‚verwitwet’ und ‚unwürdig’.
Sind sie nicht von der Demut abhängig?
Allzu viel Erfolg ist nicht von Vorteil.
Klimpere nicht wie Jade.
Und dröhne nicht wie ein Steinhammer.“
27.05.2021
Roland R. Ropers
www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
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