Insel der Vögel und innere Weisheit

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voegel parrotsDie Insel der Vögel

In einem fernen Land, zu einer längst vergangenen Zeit, lebten einst auf einer kleinen grünen Insel, weit weg von jeglicher Zivilisation eine große Schar bunter Kanarienvögel.
Alle möglichen Farben und Formen konnte man hier entdecken. Es gab kleine und große Vögel, mit gesteiftem und einfarbigem Gefieder. Es waren so viele Tiere auf dieser Insel, dass es nur so wimmelte.

Das besondere aber waren nicht die verschiedenen Gefieder und auch nicht die Menge an Tieren. Nein, das Besondere war, dass keiner der Vögel fliegen konnte. Sie alle liefen geschäftig hin und her, legten sogar ziemlich immense Strecken zurück, scharrten in der Erde oder saßen fröhlich vor sich hin trällernd auf heruntergefallenen Ästen oder kleinen Sandhügeln.

Es gab weder einen Anführer, noch einen der wichtiger als die anderen gewesen wäre. Alle hatten die gleichen Rechte und Pflichten. Und allen ging es gut.

Wie sie auf diese Insel gekommen waren, wussten sie nicht.

Es interessierte sie auch nicht. Hier hatten sie es warm und schön. Und ausreichend Futter gab es hier auch für alle.
Eines Tages versammelten sich die Tiere um einen kleinen gelben Kanarienvogel, der eine merkwürdige Geschichte erzählte.
„Ich habe mich schon immer gefragt, was wir mit diesen Federarmen machen sollen. Sie scheinen zu nichts nütze zu sein. Man kann weder mit ihnen picken, noch scharren. Nun habe ich letzte Nacht etwas sehr seltsames geträumt. In diesem Traum sah ich, wie ein großer schwarzer Vogel diese Federarme ausbreitete, sie schnell hoch und runter bewegte und plötzlich, plötzlich hob er von der Erde ab und kreiste am Himmel.“

Die anderen Vögel lachten. „Was du dir immer ausdenkst, Koko! Hast du jemals einen schwarzen Vogel gesehen? Das gibt es nicht. Und dann dieses Federarme bewegen. Das ist sicher Fridolins neuester Balz-Tanz, den er seit drei Wochen einübt.“

Koko war verunsichert. „Als ich aufgewacht bin habe ich auch zuerst an Fridolin denken müssen. Doch irgendetwas lässt mich nicht mehr los. Dieser Traum war irgendwie anders als sonst. So klar und realistisch. Ja, jetzt weiß ich es wieder: Der schwarze Vogel sagte, er würde fliegen.“
„Fliegen?“ Fridolin, der seinen Namen gehört hatte, kam näher. „Nein, Koko! Das nennt man balzen!“
Die anderen kicherten und glucksten.

„Aber wenn einer eine Feder verliert, dann fliegt sie doch auch!“, verteidigte sich Koko.
„Ach Koko!“ Mecki kam zu ihm und legte ihm einen ihrer wunderschönen weiß-blauen Flügel um die Schulter. „Es war nur ein Traum! Vögel können nicht fliegen! Das ist ein uraltes Märchen. Wir sind viel zu schwer, um uns vom Wind in die Luft tragen zu lassen. Wenn es nicht so wäre, hätten wir alle es doch schon längst ausprobiert!“

Koko nickte traurig. Er wollte sich nicht noch lächerlicher machen, als sowieso schon geschehen und ließ sich sanft von seiner besten Freundin weg ziehen. Die anderen Vögel schnatterten noch eine Weile wild durcheinander und dann gingen auch sie wieder ihrer Wege.

In der kommenden Nacht träumte Koko wieder von dem schwarzen Vogel.

Er sah, wie dieser seine Federarme bewegte und schließlich hinauf in den klaren blauen Himmel stieg.
Als Koko aufwachte, versuchte er den Traum aus seinen Gedanken zu verscheuchen. Er würde sich nicht noch einmal so der Lächerlichkeit preisgeben, wie er es gestern gemacht hatte. Doch den ganzen langen Tag über, konnte er an nichts anderes denken. So sehr er sich auch bemühte.

Koko träumte auch in den kommenden Nächten von dem schwarzen Vogel, doch er sprach mit niemanden mehr darüber. In den letzten Tagen hatte er immer mal wieder versucht, einen seiner engsten Kameraden dazu zu befragen, doch alles was er hörte, waren die Worte „Märchen“ oder „Aberglaube“ und sogar „Blasphemie“.
Mecki schüttelte bereits ihren schönen Kopf, wenn er ansetzen wollte, irgendetwas in diese Richtung zu sagen und zog ihre langen Augenfedern weit nach oben.

Er war alleine mit diesem seltsamen Traum. Allein mit seinen Gedanken und Gefühlen.
Also begann er, angegorene Früchte zu fressen, die ihn berauschen und dann einen traumlosen Schlaf schenken sollten. Wenn er dann morgens erwachte, tat ihm alles weh. Er fühlte sich wie durch die Luft gewirbelt und durch Wasser gedreht. Er war traurig und wütend zugleich. Hätten die anderen ihm nicht wenigsten zuhören und ernst nehmen können, anstatt einfach alles als alte Märchen abzutun?

Koko wurde immer grantiger und unzufriedener.

Die anderen fingen an, ihm aus dem Weg zu gehen und so wurde er immer trauriger und wütender und sogar krank. Seinen Traum, den er zwar immer noch jede Nacht träumte, hatte er tief in sein Unterbewusstsein geschoben.
Pick war der Erste, der ihn besuchen kam und erschrak ganz fürchterlich, als er sah, wie schlecht es Koko ging. Er rief nach Mecki und Lui, und gemeinsam trugen sie ihn auf die Krankenstation, auf die andere Seite der Insel.

Eigentlich handelte es sich nicht im eigentlichen Sinne um eine Krankenstation. Es war lediglich die andere Seite der Insel, auf die kranke und sterbende Tiere hingebracht wurden, um die restlichen nicht anzustecken. Es gab niemanden, der sich um die kranken Vögel kümmerte. Im Gegenteil, alle waren froh, so weit wie möglich von diesem Ort entfernt sein zu können, da von dort merkwürdige Geräusche drangen, die einem das Federfell erzittern ließen.

Pick, der als der Mutigste unter ihnen galt, schickte Mecki und Lui weg und blieb noch eine Weile bei Koko, um ihm Wasser zu bringen und zu füttern. Als es dunkel wurde, machte aber auch er sich auf den Weg. So mutig war er dann halt doch nicht.
Koko bekam kaum etwas um ihn herum mit. Das klare Wasser und das gute Futter, das Pick ihm gegeben hatte, waren eine wahre Wohltat gewesen und so schlief Koko stundenlang, wälzte sich im feinen Sand und stöhnte immer wieder das Wort „fliegen“ vor sich hin.

Als er endlich wieder aufwachte, fühlte er sich so gut, dass er zuerst glaubte, gestorben zu sein. Nichts tat ihm mehr weh und er fühlte sich auch längst nicht mehr so traurig und mürrisch.
Es brauchte ein wenig, bis er verstand, wo sie ihn hingebracht hatten. Im Sand fand er die Gerippe unendlich vieler verstorbener Vögel und ihm wurde ganz anders.

Die alte Traurigkeit krabbelte heimlich wieder in ihm hoch und drohte ihn zu übermannen.

Was war nur passiert? Konnte das alles wirklich nur mit diesem verrückten Traum zusammenhängen? War er nun tatsächlich verrückt? Übergeschnappt? Oder warum sonst ließ ihn dieser seltsame Traum nicht mehr los?
Koko setzte sich in den Sand und blickte hinaus auf das Meer mit seinen weichen Wellen.
Es dauerte gar nicht so lange, bis ihm klar wurde, dass dieser Traum einfach zu ihm gehörte. Was auch immer er bedeutete, er Koko, würde es schon herausfinden. Egal, was die anderen sagten oder von ihm hielten. Schlimmer als die letzten Wochen, in denen er sich tagtäglich an den vergorenen Früchten berauscht, sich krank und schrecklich gefühlt hatte, konnte es ja nicht werden.

Er rollte sich zusammen und wartete auf den Schlaf. Diesmal würde er ganz genau aufpassen und den schwarzen Vogel fragen, was das alles zu bedeuten hatte.
Als Koko wieder aufwachte, lächelte er.
In nur wenigen Stunden hatte er den Dreh raus und flog zurück auf die andere Seite der Insel zu seinen Freunden, um ihnen zu zeigen, welch wunderbares Geheimnis er in sich entdeckt hatte.

Wir alle tragen ein Wissen in uns, unsere innere Weisheit, unsere Intuition.

Und nur allzu oft verdrängen wir diese, weil die Menschen um uns herum nichts damit anzufangen wissen, sich davon bedroht oder überfordert fühlen. Oder weil es uns selbst ganz ähnlich geht. Doch das, was in uns lebt, was zu uns gehört, können wir niemals gänzlich verdrängen. Solange wird es unterdrücken und nicht leben, werden wir krank. Sind wir nicht wir selbst.

Jeder von uns trägt seine ganz persönlichen Fähigkeiten, seine zu entdeckenden Geheimnisse mit sich, die zu zeigen und zu leben, uns alle bereichern!
Was es braucht? Mut! Mut wir selbst zu sein. Und eine Stille, in der wir diesen Mut finden, um der inneren Stimme zu lauschen, die das Geheimnis lüftet.

Frage dich:

  • Was ist tief in mir verborgen, das schon lange darauf wartet gesehen, gehört und gelebt zu werden?
  • Was spüre ich in mir, von dem ich weiß, dass es zu mir gehört, von dem ich weiß, dass ich es bin, die/der es zum Leben erwecken muss?
  • Wer oder was hindert mich daran in die Stille zu gehen und mit meinem Innersten in Kontakt zu treten?
  • Wovor habe ich Angst?
  • Was ist das Schlimmste, das passieren könnte, wenn ich mich selbst lebe, mir und meiner Intuition vertraue?
  • Was ist das Beste, das passieren könnte, wenn ich es wage, ich selbst zu sein?

24.10.2021
Namasté!
Heike Erbertz


Heike ErbertzFoto-Heike-Erbertz
„Schon immer habe ich „um die Ecke“ gedacht und war sehr feinfühlig, konnte die inneren Themen der Menschen, ihre „inneren Kinder“ wahrnehmen. Mein Weg führte von der Pädagogik zur Therapie und zur Gesundheit, weiter zur Spiritualität und wieder zurück. Mich faszinieren Zusammenhänge, das große Ganze genauso, wie das kleinste Detail.
Zufriedenheit bedeutet für mich, Balance im sich immer wandelnden Rhythmus der Natur, im ewigen Werden.“
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