Mutterschaft gestern und heute

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Mutterschaft schwangere frau babyschuhe Mutterschaft gestern und heute

„In die Kleinen zu investieren bringt den größten wirtschaftlichen Nutzen“
James Heckman, Nobelpreisträger für Ökonomie

Es sollte einem der Atem gefrieren bei solch einer kalten Betrachtung. Doch wie absurd es tatsächlich ist, eine Beziehung zwischen Kindheit und Wirtschaft festzuschreiben, wird dem einen oder anderen womöglich gar nicht mehr auffallen. Denn der Zeitgeist hat bereits alle sozialen Verhältnisse ökonomisiert – das Alter, die Pflege, die Mutterschaft, die Kindheit und unser Denken sind vorbildlich dafür geschult. Pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern, dass die Deutsche Wettbewerbsfähigkeit entscheidend durch die weibliche Arbeitskraft gesichert wird, dass eine möglichst kurze Babypause für die Frau finanzielle Unabhängigkeit und eine bessere Altersabsicherung ermöglichen. Und selbstverständlich würden die Weichen für spätere Bildungserfolge in den institutionellen Kindertagesstätten gestellt.

Die frühe Kindheit wird also im 21. Jahrhundert in der gesellschaftlichen Diskussion vor allem durch eine arbeitsmarkt- und bildungspolitische Perspektive definiert.

Die propagierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird als „wichtiger Bestandteil für den Wohlstand des Landes“ (Franziska Giffey, 2018) eingefordert. Und die ehemalige Familienministerin von der Leyen hat zu Beginn dieses Jahrtausends keinen Hehl aus ihrem Vorhaben gemacht, Mütter wieder zügig in den Beruf zurück zu führen. Der Rechtsanspruch auf eine Kitaplatz (2013) und die Forderung nach 24h – Kitas unterstreichen den einseitigen und vor allem nur dem Verstand geschuldeten Blickwinkel, alles Handeln sei vom Arbeitsmarkt abhängig.

Inwieweit eine frühe Fremdbetreuung den Grundbedürfnissen von Mutter und Kind entspricht und wie komplex heute Bedürfnisse, Wünsche und Notwendigkeiten in sehr individuellen familiären Verhältnissen geklärt werden müssen, bleibt in der öffentlichen Debatte unerwähnt.
Die Ökonomisierung der Politik wird kaum mehr in Frage gestellt.

Ebenso wenig das deutsche Frauen- und Mutterbild, das Selbsterfüllung vorrangig im beruflichen Kontext sieht.

Ein vermeintlich breiter gesellschaftlicher Konsens über das Idealbild der berufstätigen Mutter und den frühen Kita-Eintritt der Kleinsten macht uns glauben, dass institutionelle Fremdbetreuung die einzige Möglichkeit für die Selbstverwirklichung der Frau sei.

Thesen, wie „es sei nicht vertretbar, dass eine Mutter ihren geliebten Beruf, ihre schöpferische Ausdrucksmöglichkeit aufgebe“ (Höher, 2010) oder die deutsche Hausfrau sei „Deutschlands fürchterlichstes Investitionsdebakel“ (Mayer, 2006) verdeutlichen, dass einem wahren Verständnis vom Wesen der Mutterschaft (Mänken, Spirit Online 4. Juni 2021) sich noch viel entgegen stellt. Solange unerkannt selbst Stiftungen – wie die Bertelsmann Stiftung – gezielt die Meinungsführerschaft bei der frühkindlichen Entwicklung anstreben, um Konzerninteressen durchzusetzen (Tagesschau.de, 2015), wird die ökonomische Einseitigkeit unserer gesellschaftlichen Entwicklung gar nicht bewusst. Wir denken, was andere vordenken… ?

Wie sehr Denken und Handeln einer Generation in die kulturelle Entwicklung des Menschen eingebettet sind, zeigt uns die Historie der Mutterschaft, in der diese naturgegebene Aufgabe mal mehr, mal weniger gewürdigt und Fremdbetreuung seit jeher eine abwechselnd wichtige oder untergeordnete Rolle gespielt hat. Im Folgenden möchte ich gerne auf einige Beispiele hinweisen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Bereits im alten Babylon übernahmen Ammen die Betreuung von Säuglingen bis zum Alter von drei Jahren, während im Alten Ägypten der Mutterschaft ein hohes gesellschaftliches Ansehen gebührte, vielleicht weil die Frauen damals innerhalb der Öffentlichkeit oft hohe Positionen innehatten.

Auch Nofretete stillte ihre Säuglinge selbst und war damit sicher ein kraftvolles weibliches Vorbild für selbstverständlich gelebte Mutterschaft.

Noch im antiken Griechenland genossen Mütter Wertschätzung und Ansehen und betreuten mit Unterstützung von Bediensteten ihre Kinder selbst. Nach und nach jedoch wurde das Stillen an die Sklavinnen im Haus übergeben, da man diese Aufgabe zunehmend als verwerflich betrachtete.

Ein ähnlicher Kulturwandel ist in der Geschichte des Römischen Reiches zu beobachten. Während in der altrömischen Zeit Frauen gemeinsam mit ihren Kinder lebten und sie erzogen, ging man in der Kaiserzeit dazu über, Haussklavinnen als Ammen einzusetzen. Die Frauen verloren dabei den Kontakt zu ihren Kindern. Das Interesse, Kinder zu bekommen, nahm drastisch ab. Der drohende Untergang des Reiches konnte erst mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion (330 n. Chr.) aufgehalten werden. Familie und der Schutz des Lebens wurden zum sinngebenden Lebensinhalt und die Mütter übernahmen wieder zunehmend selbst die Betreuung ihrer Kinder.

Der europäische Adel, der seine Expansion durch Kinderreichtum sicherte, nahm wieder die Hilfe von Ammen in Anspruch.

In Italien des 14. bis 16. Jahrhunderts entwickelte sich sogar ein ausgeprägtes Landammenwesen und die Arbeitskraft der Frau konnte so auch im Handwerk genutzt werden. Auch in Frankreich und in England des 18. Jahrhunderts gaben Mütter, die im Handwerk tätig waren, ihre Säuglinge während der ersten vier Jahre zu Ammen aufs Land. Die Folgen waren dramatisch: hohe Kindersterblichkeit und stark sinkende Geburtenraten.

Erst durch Rousseaus Schriften und vor allem durch seinen Erziehungsroman „Émile“, das meistgelesene Erziehungsbuch der Weltliteratur, wurde die Kindheit zu etwas Kostbarem und Schützenswertem. Denn nur in der Kindheit könnten die Grundlagen für ein glückliches Leben gelegt werden. Rousseau als Wegbereiter der Aufklärung hat die Menschen wieder an die Schöpfung und ihre natürliche Herkunft erinnert: „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers der Dinge hervorgeht; alles verdirbt unter den Menschen.“

Stets würden die Erwachsenen den Erwachsenen im Kind suchen und nie daran denken, was der Mensch vorher sei: ein Kind. Ein Mensch also, der eine ganz eigene Art habe zu sehen, zu denken und zu empfinden. Ein Mensch, der von Natur aus gut sei und dessen Welt sich nicht einfach so in die Welt der Erwachsenen übersetzen lasse. Rousseau entwickelte für die Hauptfigur seines Romans ein ganz sensibles Verständnis. Das war neu. Und so geht „Émile“ nicht nur als radikaler Perspektivwechsel in die Geschichte der Pädagogik ein, denn Erziehung wird jetzt erstmalig aus der Sicht des Kindes und zum Wohle des Kindes betrachtet, sondern wird zur Inspirationsquelle der Pädagogik schlechthin.

Rousseaus Anerkennung der frühen Kindheit und damit der Mutterschaft entwickelte eine sichtbare Gegenbewegung zum vorherrschenden Landammenwesen.

Alleine in England, wo die Lebensverhältnisse durch den Beginn der Industrialisierung sich tiefgreifend umgestalteten, wurden bereits in den Jahrzehnten nach „Émile“ etwa 200 Abhandlungen über Erziehung veröffentlicht, allesamt von Rousseau beeinflusst. Seine geistige Wirkung reichte bis in die USA, wo Mütter ihre Kinder nun möglichst „natürlich“ aufwachsen ließen, statt – wie bis dahin üblich – die Kinder möglichst rasch zu einer aufrechten Körperhaltung zu bringen. Und selbst große Reformpädagogen wie Pestalozzi und Maria Montessori bezogen sich auf Rousseau.

Wir sehen, dass die Kulturgeschichte der Menschheit eben auch die Beziehungskultur der Menschen untereinander prägt. Aufklärung, Französische Revolution, Industrialisierung und damit Aufstieg des Bürgertums ermöglichten eine geistige Freiheit und damit einen erweiterten Blick auf die Möglichkeiten des Menschen und auf die Kindheit an sich. Griechen und Römer dachten noch, nicht die Zeit als Kind sei entscheidend für die Persönlichkeitsentwicklung, sondern das Jugendalter.

Und auch im Mittelalter hatte man dem ersten Lebensabschnitt kaum Bedeutung beigemessen. Kinder halfen den Erwachsenen bei einfachen Tätigkeiten und waren symbiotischer Teil der Gemeinschaft und getragen von den Vorbildern und Werten ihrer Familien, in denen sie lebten. Sie galten jedoch nicht als schützenswerte Individuen mit eigenen Talenten, Interessen und Gedanken. Der Gedanke an die Individualität des Menschen ist noch nicht so alt und Ursache und Folge eines wachsenden Bewusstseins der Menschheit, das auch das Rollenverständnis der Mutterschaft und letztendlich das individuelle Ergreifen dieser damit verbundenen Erwartungen und Aufgaben immer mehr beeinflusst.

Der Aufstieg des Bürgertums veränderte auch den Blick auf die Bildung der eigenen Kinder.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum zweiten Weltkrieg war es in gehobenen Schichten wieder üblich, Kinderfrauen einzustellen, die dann aber im Haus mit wohnten und sich ganz individuell um die Kinder kümmerten. Nicht selten gab es auch Hauslehrer. Die Bürgerlichen Lebensformen, die die Arbeit im Haus von der außer Haus trennten, nahmen zu. Die Hausfrau war geboren, die ihre Arbeit der Pflege und Regeneration der Lebenskräfte widmete, nicht selten in Form der Pflege eines schönen Hauses, der Pflege von Kunst und Kultur und dem gesellschaftlichen Beisammensein. Sie wurde zur Hüterin der Innenwelten, der Seelennahrung.

Sie hielt den Raum für die Entwicklung der Kinder und für die Begegnungen innerhalb und außerhalb der Familie. Ihre Arbeit war nun weniger den existentiellen Bedürfnissen gewidmet als den sozialen Bedürfnissen. Der zunehmende Wohlstand ermöglichte Bildung, Kultur und Bewusstsein – doch mit allen Schattenaspekten dieser Freiheit, die in den goldenen Zwanzigern und daraus folgend die Dekadenz und den Zerfall der kapitalistischen Ordnung sichtbar machten. Fragen zu einer geistigen Identität des Menschen wurden lauter… Spiritismus, Esoterik, die Geschichte der Theosophischen Gesellschaft und Steiners Anthroposophie sind hier einzuordnen.

Die Ideologisierung und politische Instrumentalisierung der Mutter zu Zeiten des Nationalsozialismus scheint mir persönlich die Konsequenz einer Verirrung in der zunehmende Sehnsucht nach dem reinen Göttlichen – die Mutterschaft als „Erhalterin der arischen Rasse“ ein dämonisches Zerrbild der Sehnsucht nach dem „neuen Menschen“. Worte wie „Mutterliebe“, „Aufopferung“ und „Hingabe“ sind objektiv betrachtet Seelenqualitäten und bezeichnen lediglich – wenn auch etwas pathetisch – die seelischen Aspekte dieser Arbeit. In ihrer einseitigen Überfrachtung und Idealisierung zu einem totalitären Lebensentwurf allerdings wird der politische Wille offensichtlich. Die Mutter als Instrument eines krankhaften Wahns arischer Rassenpolitik. Doch von einem totalitären Lebensentwurf der Frau sind wir auch heute im 21. Jahrhundert nicht weit entfernt.

Die Mutter als Instrument einer krankhaften ökonomischen Wachstumsideologie?

Ohne zu bewerten, ob die kulturellen Entwicklungen die Frau ins Haus „zurück drängten“ oder das Verhältnis von Mutter und Kind einfach nur in ein anderes Licht stellten, haben Aufklärung und Romantik dazu beigetragen, dass der seelischen Ebene im Mutter-Kind-Verhältnis durch Bindung, Einfluss und Verantwortung mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dem historischen Rückblick ist zu entnehmen, dass die Mutterschaft immer wieder zwischen den beiden Polaritäten Hingabe und Selbstbetreuung einerseits und der Widmung anderer, oft existentieller Tätigkeiten und Fremdbetreuung andererseits Ausdruck fand. Eine kindgerechte Entwicklung war dabei nicht das Motiv, sondern vielmehr die Erhaltung der persönlichen oder der politischen Existenz.

Mit Beginn der Psychologie als Wissenschaft Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Seele des Menschen zum Forschungsobjekt und die kindliche Entwicklung zum Fokus der Entwicklungspsychologie. Jetzt sind wir angekommen in einer Gegenwart, in der die menschliche Seele als sozialisierbar erkannt, ihre Prägungen nicht selten als Hindernis für ein gelingendes Leben gesehen werden. Die Offenheit unserer Seele für Würdigung und Manipulation wird bewusst. Die politische Indoktrination ist eine der Konsequenzen dieses Wissens. Mutterschaft wurde und wird politisiert. Mit Hilfe des Mutterkreuzes, der Gleichstellung der Frau zum Wiederaufbau der Wirtschaft, wie in der DDR geschehen, oder durch eine Krippenoffensive, die Mütter zwangsemanzipiert. Denn die finanzielle Ausbeutung der Mutterschaft als Phänomen der industriellen Entwicklung ermöglicht eine Manipulation der weiblichen Arbeitskraft in nie gekanntem Ausmaß.

Den Arbeitsmarkt als Tor zur Glückseligkeit zu fokussieren, offenbart uns die krankhaften Grundlagen unserer neoliberalen Wirtschaftsideologie, die den ganzheitlichen Zusammenhang der Geschlechter und ihrer polaren Ausdrucksformen zerrissen, missachtet und letztendlich ausgehöhlt hat. Die soziale Absurdität der Kleinfamilie ist nur eine Konsequenz davon, die Mütter nicht selten in den gefräßigen Rachen eines verirrten Kapitalismus zieht.

Doch Mütter stehen an der Schwelle zu einer bewussten Mutterschaft.

Eine Mutterschaft, die sich ihrem Einfluss und der Verantwortung für die kommende Generation bewusst ist.

Eine Mutterschaft, die Frauen aus sich heraus Fragen stellen lässt, Fragen zu ihrer eigenen Mütterlichkeit sowie zu den Aspekten einer gesunden, kindgerechten, bedürfnisorientierten Entwicklung des Kindes. Wir sind im Zeitalter einer individuellen und bewussten Seelenentwicklung.

Das gilt für Mütter und Kinder. Auch wenn wir gesellschaftlich (noch) nicht fähig sind, das Wesen der Mutterschaft zu erkennen und zu würdigen, und der Eltern- und Familienarbeit eine ebenso hohe Aufmerksamkeit zu schenken wie der Erwerbsarbeit, können wir mehr und mehr SELBST unsere Werte und unseren Fokus bestimmen. Mütter lernen ganz unabhängig von politischen Rahmenbedingungen und manipulativen Narrativen ihren eigenen Weg zwischen Hingabe, Selbstfürsorge und innerem Wachstum zu gehen. Inneres Wachstum, innere Entwicklung geschieht im Kontext von Schicksal und Karma sehr oft über die eigenen Kinder. Denn die Fragen, die heute die Kinder an uns herantragen, sind unsere große Chance. Sie sind das Tor in die NEUE ZEIT.

03.08.2021
Sabine Mänken

Alle Beiträge der Autorin auf Spirit Online

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!!!Neuerscheinung!!!
Mütter der Neuen Zeit
von Sabine Mänken

Selbstbestimmt Mutter sein
Die Fremdbetreuung bereits von Kleinstkindern scheint das »Normale« zu sein. Sie wird uns als notwendige Förderung des Kindes suggeriert. Doch ist dies wirklich die Ultima Ratio? Dieses Buch stellt die Erfahrungen und Beobachtungen von jungen Müttern in den Vordergrund, die ihre Kinder in den ersten Jahren selbst betreuen. Sie folgen ihrer inneren Stimme, ganz im Bewusstsein ihrer Aufgabe und des finanziellen Verzichtes. Sachinformationen zwischen den biographischen Berichten ergänzen die komplexe Thematik der Selbstbetreuung….
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Sabine MaenkenSabine Mänken
ist Mutter von drei Kindern und Nonna einer Enkeltochter, Dipl. Volkswirtin und Seelenwegbegleiterin auf Grundlage der biographischen Rhythmen, freie Autorin und Netzwerkerin. Sie hält Vorträge und Retreats.
Von 2017 bis 2019 war sie stellv. Vorsitzende des Verbandes Familienarbeit.
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