VERANTWORTUNG heißt dem Leben antworten

Japan

Verantwortung heißt dem Leben antworten

Leben – Verantwortung als ein mehrstelliger Relations.begriff mit den Fragen nach dem WER, WAS, WANN, WOVOR, WESWEGEN + WOFÜR

1. Der Kern der Verantwortungs.relation besteht zweifel.los darin, dass jemand etwas verantwortet, d.h.: die Frage nach dem WER ist die Frage nach dem Verantwortungs.subjekt, nach dem Träger der Verantwortung.

Da ich für eine personale Ethik plädiere, ist für mich der Akteur der Verantwortung in der Regel stets eine individuelle Person.

Im Zeitalter globaler Fernwirkungs.verflechtungen jedoch kann ich mich freilich der wachsenden Komplexität und der Un.überschaubarkeit der zu verantwortenden Verhältnisse nicht ganz versperren, die ein einzelner nicht mehr verantwortlich bewältigen kann.

Ich misstraue aber dennoch allen kollektiven und institutionellen Akteuren als Subjekte der Verantwortung – also Unternehmen und Verbände, Gesellschaften, Staaten und Kirchen -, vor allem, wenn es um moralische Verantwortung geht.

2. WAS zu verantworten ist, ist das Objekt der Verantwortung,

in der Regel also eine bestimmte Handlung oder ein Verhalten, freilich auch Unterlassungen oder reine Sprechakte.

Es geht hier nicht um instinkt.gesteuertes, also ir.rationales, sondern um willens.gesteuertes und um vernunft.gesteuertes Handeln, weshalb sich nur der Mensch als Träger von Verantwortung erweist und ich weder das Verhalten der Tiere noch das kleiner Kinder oder Psychopathen moralisch und juridisch zur Rechenschaft ziehen kann.

3. Der besondere Charakter der Verantwortung ergibt sich nicht schon aus der Handlung selbst, sondern daraus, WOFÜR einer verantwortlich ist.

Das ist die Verantwortung als rein kausale Zurechnung begangener Taten oder Unterlassungen, die Bereitschaft also, für sein Tun und Lassen und deren Folgen einzustehen.

Das heißt:
Der Täter muss also für seine Tat antworten, er wird für deren Folgen verantwortlich und gegebenenfalls haftbar gemacht und muss hierfür gerade stehen.

Ein ganz anderer Begriff von Verantwortung jedoch, der nicht die quasi nachgereichte Rechnung für das Getane ist, betrifft die Determinierung des zu.Tuenden:

Was heißt das? Leben?

Hier fühle ich mich nicht primär für mein Verhalten und seine Folgen verantwortlich, sondern für die Sache oder Person, die auf mein Handeln Anspruch erhebt:

Etwas, z.B. das Wohlergehen, das Interesse oder das Schicksal anderer, ist in meine Hut, in meine Obhut, in meine Zuständig.keit oder Zurechnung gekommen, und dies bedeutet, dass meine Kontrolle DARÜBER zugleich meine Verpflichtung DAFÜR einschließt.

Hier ist man konfrontiert mit einem SEIN.SOLLEN des Objekts

– z.B. dem Aufbau einer neuen Unternehmens.struktur, der Verhinderung zunehmender Umwelt.verschmutzung oder dem millionenfachen Sterben hungernder Kinder –

UND mit einem TUN.SOLLEN des zur Sachwaltung berufenen Subjekts – z.B. des Führenden, der eine angst.freie Atmosphäre des Vertrauens schaffen soll, in der Arbeitsfreude, Leistungsbereitschaft und Motivation möglich sind und wo ausgeschlossen ist, dass bei den ihm Anvertrauten ein psychischer Scherbenhaufen aus Angst, Depression und innerer Emigration hinterlassen wird, oder z.B. der reichen Völker, die angesichts von Naturkatastrophen zu effektiver Hilfsbereitschaft aufgerufen sind. Hierher gehört auch das Verhältnis Mutter/Vater-Kind oder Arzt-Patient.

Ich bin der Überzeugung, ein jeder müsste sich zunehmend dafür sensibilisieren, dass einem faktischen „IST“ und einer bloßen Vor.Gegebenheit (das ist die Situation) ein SOLL und ein apodiktisches Müssen (das ist meine Antwort) korrespondiert.

Und dies heißt einzusehen, dass in den Dingen selbst, in den menschlichen Angelegenheiten und in den Situationen, in der Zukunft, in unserem Berufsumfeld und in unserem gesamten Macht.radius ein Anspruch, eine Verpflichtung und ein Aufforderungs.gebot stecken, hic et nunc tätig werden zu sollen und sich in die moralische Pflicht genommen zu sehen – zu ant.worten.

Solche Verantwortung nenne ich GEHORSAM GEGENÜBER EINEM GESOLLTEN, und gerade sie hat Hans Jonas als FÜRSORGE.verantwortung, als Erhaltungs. und Zukunfts.verantwortung in seinem epochalen Werk „Das Prinzip Verantwortung“ so grandios und meisterhaft thematisiert. Für ihn ist Verantwortung „die als Pflicht anerkannte Sorge um ein anderes Sein, die bei Bedrohung seiner Verletzlich.keit zur Besorgnis wird.“

Zur Verdeutlichung des Gesagten hatte Jonas auf das uns Aller.vertrauteste verwiesen, nämlich auf das Neu.geborene, dessen bloßes Atmen ein SOLL an die Umwelt richtet, nämlich dahingehend, sich seiner anzunehmen. Das Kind ist der Ur.gegenstand der Verantwortung – und die Ur.Verantwortung elterlicher Für.sorge hat doch jeder von uns an sich selbst erfahren, sonst existierte er nicht.

4. Es mag zwischenzeitlich deutlich geworden sein, dass Verantwortung eigentlich nur dann sinn.voll wahrgenommen wird, wenn man sich darüber im klaren ist,

WESWEGEN man mit bestimmten Handlungen und Verhaltensweisen bestimmte Folgen herbeiführen kann, andere jedoch strikt vermeiden soll.

Dieses WESWEGEN kann im Letzten sicherlich nur im Rückgriff auf Werte begründet werden, die als normative Orientierungs.konzepte gewisse Klassen von Handlungen auszeichnen, die es anzustreben, die es zu befürworten oder vorzuziehen gilt.

Letzte Maxime der Verantwortung oder höchstes ethisches Gut könnte beispielsweise das „gute Leben aller“ sein oder aber die Erhaltung, die Entfaltung und Förderung des eigenen und fremden „personalen Lebens“.

Ich verstehe hier „PERSONALES LEBEN“ als Leben in allen seinen Dimensionen, nämlich als physisches und psychisches, soziales und emotionales, sittliches und religiöses, musisches, materielles und ökonomisches, sich entfaltendes und reifendes, intellektuelles und ideelles Leben. Und solches Leben ist doch heute unbestritten das, wonach alle streben.

Daraus ließe sich ein Postulat formulieren, das gelingendes Leben für jeden garantiert insofern, als jeder tun darf, wonach ihm ist, wobei er allerdings Einschränkung und Grenze seines Tuns im gleichermaßen berechtigten Anspruch des andern erfährt. Das ist, meine ich, eine leb.bare Ethik, deren Maxime ich so formuliere:

Handle und entscheide stets so, dass du durch dein Handeln und Entscheiden das personale Leben in deiner Person ebenso wie auch in der Person eines jeden anderen Menschen eher mehrst und förderst denn minderst oder beschränkst oder verunmöglichst.

Diese Maxime gilt auch im Sinne Kants, denn wer menschliche Würde verletzt, mindert zweifelsfrei eigenes und fremdes personales Leben.

5. Hinsichtlich der Frage, WANN Verantwortung eintritt, etwa erst,

wenn nach vollbrachter Tat auch die Folgen greifbar sind, oder bereits, wenn im Rahmen der Handlungs.planung die Folgen im voraus abseh.bar und beurteil.bar antizipiert werden können, bin ich der Meinung, dass eine Ethik der Zukunfts.verantwortung, dass eine prospektive Verantwortungs.ethik Not tut.

Und die wird sich nicht damit begnügen dürfen, nur die Fragen aufzugreifen, die schon in der Gegenwart gestellt sind, vielmehr muss sie vorausschauend fragen, was die Menschheit der fernen Zukunft wird bewältigen müssen bzw. was heute getan, unterlassen und geplant werden muss, damit künftige Generationen menschen.würdig diesen Planeten noch werden bewohnen können.

6. Konstitutiv für den Begriff ist, WOVOR jemand eine Handlung verantworten muss.

Ich nenne eine Handvoll von Instanzen, die hier in Frage kommen können. Das mögen Arbeitgeber, Dienstherren und Standesorganisationen sein, ferner die Gesellschaft oder öffentliche Meinung, die Familie, Kollegen, Verwandte und Freunde, der Mit.mensch, das Recht, Gott oder ein höheres Wesen oder die Institution einer Kirche mit ihrem Normenkodex und den zu internalisierenden Glaubensinhalten, last but not least das PERSÖNLICHE GEWISSEN.

Wiewohl im Namen des Gewissens die brutalsten und verabscheuungs.würdigsten Untaten begangen wurden – von der Vielfalt der Kriege bis zu den Folterungen von Ketzern, Häretikern und Hexen oder den Rücksichtslosigkeiten des Alltags und liebloser Gleichgültigkeit gegen andere -, man gibt dennoch in der Ethikdiskussion heute zu,

dass in der Tat das GEWISSEN

die LETZTE und ENTSCHEIDENDE INSTANZ FÜR DIE VERANTWORTUNG sei.

Ich bin der festen Überzeugung, dass gerade das Postulat einer verantworteten Macht sich nicht und insbesondere nicht ausschließlich orientieren darf an gesellschaftlichen Wert.vorgaben wie Leistung und Erfolg, Karriere und Reichtum, Profilierung und Status.denken, sondern dass es sich rück.verlängern lassen muss in ein sittliches Wert.gefüge, das in freier Entscheidung im personalen Gewissen internalisiert wurde und zur handlungs.leitenden Maxime geworden ist.

Ich plädiere daher für permanente konstruktive Gewissens.bildung, denn für mich ist Gewissen nicht einfach automatisch Vor.gegebenes und Statisches, sondern etwas Auf.gegebenes und Dynamisches, d.h. Gewissen „ist“ nicht, sondern es „wird“ und es fordert stets neu und jeden Tag und stündlich und sekündlich als lebens.langer Prozess Orientierung an sittlichen Werten und Normen ein. Gewissen als innerer Seismo.graph für sittlich Wertiges bedarf ständiger Entwicklung und sorgfältig.liebevoller Pflege.

Ich lege deshalb größten Wert auf eine ganz markante Differenzierung:

• hier das persönliche Gewissen als subjektives Bewusst.sein von Gut und Böse, als klares Wissen um sittliche Werte und Normen, als innerer Seismo.graph für sittlich Wertiges, d.h. Gewissen als psychische Instanz, in der die handlungs.leitenden Werte eines Menschen verankert sind

• dort das sog. ÜBER-ICH als die mehr oder minder un.kritische Übernahme systemischer Normen aus Elternhaus, Schule, Staat, Gesellschaft oder Kirche. Im Über-Ich wurden seit der frühen Kindheit – erstmals über die als Vor.bild und Leit.bild empfundene Eltern.instanz mit dem entsprechendem Autoritäts.anspruch – Werte, Wertungen, Normen, Gebote und Verbote meist un.kritisch und oft unter Druck internalisiert. Deshalb erlebt man ein solches Gewissen als innere Kontroll.instanz, als „Bewusstsein eines inneren Gerichtshofs“ (Kant) und oftmals als bohrend.mahnende und strafende Stimme einer nach innen verlegten ur.sprünglich äußeren Autorität.

Löst man sich nicht von dieser Prägung – später ist es die Abhängigkeit vom Ehemann, von der Partei, vom Chef und Unternehmen, vom Staatsapparat oder von einer Kirche -, was heißt, dass man stets von Identifikations.beziehungen abhängig ist, dann ist man hochgradig fremd.gesteuert und wagt keine selbständigen Entscheidungen, schon gar nicht solche, die einen in Widerspruch zu den Bezugs.personen oder Bezugs.systemen bringen könnten.

Rasch wird man hier zum rückgrat.losen Ja-Sager in der ständigen Angst, durch Zuwendungs.entzug bestraft zu werden. Die in der Kindheit eingeübte bedingungs.lose Unter.ordnung unter eine Autorität signalisiert den Verlust eigener Würde, und solche Menschen lassen sich leicht ver.zwecken, ver.mitteln, also zum Mittel degradieren – sie sind un.kritische Werkzeuge einer über.geordneten Macht, sei es einer Staatsideologie oder einer institutionalisierten Glaubens.gemeinschaft.

Ich nenne ein solches Gewissen als starres Über-Ich ein funktionales, ein autoritäres oder ideologisiertes Gewissen, das eine Person dazu bringt, un.kritisch die System.interessen zu exekutieren, wobei die eigene Verantwortung, die Prüfung der Umstände und der menschlich un.mittelbare Eindruck einer Situation zum Schweigen gebracht werden zugunsten der Unter.ordnung unter eine politische, kirchliche oder ökonomische Instanz:

Verantwortung, Zurechnung und Haftung sind hier nicht im Gewissen als einem Wert.bewusstsein festgemacht, sondern im System.

Ich glaube, im Blick auf dieses Gewissen werden die Schändlichkeiten innerhalb der Menschheits.geschichte, die – angeblich im Namen des Gewissens – verbrochen wurden, „versteh.bar“ – das ist beispielsweise die Befehls.hörigkeit, die auf Menschen schießen lässt, wie das Gesetz es befiehlt.

Oftmals sind die Mächtigen, die Macht.gierigen und Karrieristen solche verantwortungs.losen System.agenten.

Es gibt sie zahlreich in den Führungs.etagen, und sie sind reine Interessen.vollzieher, die stets heteronom durch das System und deren Interessen und Ziele gesteuert sind.

Mit anderen Worten:

Sie haben sich die Normen und Werte des Systems als ihrer Über.Ich.Kollektiv.person und un.bestrittenen Autorität psychisch so zu eigen gemacht, also internalisiert, dass sie ihre Fremd.orientierung kaum mehr bemerken. Ihre individuellen Interessen und Orientierungen, ihre Bedürfnisse und Emotionen stellen sie in den Dienst der kollektivierten Lebens.welt des Systems, so dass sie gleichsam ein Leben aus zweiter Hand leben, ohne dies wahrzunehmen.

Überdies sind solche Menschen oftmals Pragmatiker machiavellistischer Prägung, indem sie sagen: hinter ein faktisches Interesse wird nicht zurückgefragt, d.h. ausreichender Legitimierungs.grund ist nur das gewollte Ziel an sich und die Erreichung des Zieles, das Ergebnis, der Erfolg, m.a.W.: es geht nur darum, im Resultat die Legitimation der Mittel zu finden – in der Regel ist das Un.moral.

Ich hoffe, ein bisschen Klarheit in Begriff und Wirklichkeit von Verantwortung gebracht zu haben.

19. Februar 2013
(c) Dr. Bernhard A. Grimm
Autor

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188_Grimm Dr. phil. Bernhard A. Grimm

ist Philosoph, Theologe und Althistoriker und beschäftigt sich – nach seiner Tätigkeit in Lehre und Forschung an der Universität München und im Management eines mittelständischen Unternehmens – seit 25 Jahren als selbständiger Dozent in Seminaren, Kolloquien, Vorträgen und Publikationen mit Fragen der Persönlichkeitsbildung, Führungsethik, Sinnfindung, Wertorientierung (Logotheorie) und Spiritualität. Er ist Autor von sieben Sachbüchern (so z.B. „Ethik des Führens“, „Macht und Verantwortung“, „Die Frau – der bessere Mensch“, „Lust auf Leben – Leben braucht Sinn“, „Älter wird man in jedem Alter“).

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