Beruf und Berufung für Hochsensible

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Beruf-Berufung-fuer-Hochsensible-g1Kr4Ozfoac-Brooke Cagle-unsplashBeruf und Berufung für Hochsensible

Worauf besonders feinfühlige Personen bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes achten sollten

Du bist aber sensibel!“
Nun sei halt nicht so empfindlich!“
„Du solltest dir ein dickes Fell zulegen und dir nicht alles so zu Herzen nehmen.“

Sätze und Äußerungen wie diese stehen an der Tagesordnung, wenn man hochsensibel ist – auch im Berufsleben.
Wie Sie sich denken können, gehören solche Sätze nicht unbedingt zu den Dingen, die einem als hochsensitive Person helfen, sich gut zu fühlen. Schon gar nicht am Arbeitsplatz, dort, wo man durchschnittlich 1400 Tage im Jahr verbringt.
Eine meiner Vorgesetzten meinte gar einmal zu mir, ich solle doch meine Hochempfindlichkeit in den Griff bekommen.
Geschätzte 15 -20% der Bevölkerung gelten als hochsensitiv bzw. hochsensibel.

Manchmal werden sie auch hyperempfindlich oder hochempfindlich genannt.

Der Schweizer Patrice Wyrsch, Betriebsökonom und Doktorand an der Universität in Bern mit Schwerpunkt auf Hochsensitivität im Unternehmenskontext spricht von Neurosensitivität.

Ich mag am liebsten den Begriff Wahrnehmungsbegabung.
Er fasst für mich am besten zusammen, worum es bei dem Phänomen Hochsensibilität geht:
Wahrnehmung und Begabung.

Hochsensible Menschen nehmen differenzierter wahr, ihr Nervensystem ermöglicht ihnen,

mehr Reize und Sinneseindrücke „hereinzulassen“. Somit spüren, fühlen, merken sie meist viel mehr als ihr Umfeld. Der Thalamus, der als Filter im Gehirn fungiert, scheint bei hochsensitiven Personen mehr Reize als wichtig einzustufen; d.h., dass Hochsensible viel eher satt an Eindrücken sind und deshalb oftmals rascher überreizt und erschöpfter sind. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass ihr Gehirn viel mehr aufnehmen kann, deshalb auch mehr verarbeiten und sortieren muss.

Hinzu kommen oftmals eine differenziertere Sinneswahrnehmung und eine ausgeprägte Intuition.

Hochsensible verfügen über eine Vielzahl an Potenzialen und Ressourcen, die jedes Miteinander, ganz besonders aber das Arbeitsumfeld bereichern:

  • erhöhte Kreativität,
  • innovatives Querdenkertum,
  • hohe soziale Kompetenz,
  • ausgeprägte Empathie,
  • ein feines Gespür für Stimmungen und Unausgesprochenes.

Hochsensible denken ganzheitlich und vorausschauend, sie sind fähig, Probleme und Konflikte konstruktiv und nachhaltig zu lösen.

Was bedeutet dies für Hochsensibilität im Unternehmenskontext bzw. im täglichen Arbeitsleben?

Hochsensible haben häufig ein bewegtes Arbeitsleben in verschiedenen Sparten – auch deshalb, weil ihre Bedürfnisse zu oft nicht mit bestimmten Gegebenheiten vereinbar sind. Oftmals ist es so, dass besonders feinfühlige Personen erst spät von ihrer Hochsensibilität erfahren und merken, dass sie sich seit Jahren angepasst haben. Angepasst an Arbeitsbedingungen, die ihnen nicht oder wenig entsprechen. Diese Anpassung führt oftmals zu stressbedingten Erscheinungen und sogar Erkrankungen, in dessen Verlauf sie sich beruflich um- und neu orientieren (müssen).

Aber auch, wenn scheinbar alles gut läuft im Job haben hochsensible Mitarbeiter und Kollegen oftmals das Gefühl, am falschen Platz zu sein. Es fehlen Sinnhaftigkeit, Gerechtigkeit und Fairness und vor allem Verständnis für ihre Art der Wahrnehmung.

Deshalb ist es für hochsensible Personen ganz besonders wichtig, ihre eigenen Bedürfnisse zu kennen und sie auch wertzuschätzen.
So, wie eine meiner Klientinnen einmal fragte, funktioniert es nicht:

Kann ich mir diese sensible Seite vielleicht abtrainieren? Ich möchte nicht auffallen, mich einfügen und einfach dazugehören.

Da haben wir es wieder – das angepasst sein wollen.

Wie wäre es denn mit folgendem Gedanken: Vielleicht hat es einen Grund, weshalb sehr feinfühlige Menschen sich nicht ohne weiteres einfügen. Einfügen in eine Gesellschaft und eine Arbeitswelt, in der es häufig nur noch um Profit, Macht und immer noch mehr davon geht.
Vielleicht ist es an der Zeit, zu hinterfragen. Zeit für Arbeitsmodelle, in denen es wieder mehr um den einzelnen geht. Zeit für eine Arbeitswelt, in der Achtsamkeit und Menschlichkeit im Vordergrund stehen.

Das Potenzial der Diversität in Unternehmen,

dazu gehören auch die Ressourcen hochsensibler Mitarbeiter, liegt weitgehend brach. Wie überaus schade!
Denn so, wie es in dem Blogbeitrag von Patrice Wyrsch so treffend nachzulesen ist:

«Menschen sind wie Puzzle-Teile, unregelmäßig geformt. In der Vergangenheit haben Unternehmen Mitarbeitende gebeten, ihre Unregelmäßigkeiten zu beseitigen, da es einfacher ist, Menschen zusammenzufügen, wenn sie alle perfekte Rechtecke sind. Dafür mussten die Mitarbeitenden ihre Unterschiede zu Hause lassen – Unterschiede, die Unternehmen jedoch benötigen, um innovativ zu sein»

Glücklich jene Unternehmen und Organisationen, die die Potenziale ihrer hochsensiblen Mitarbeiter zu schätzen wissen!

Wie achten hochsensible Menschen nun im Arbeitsumfeld gut auf sich?

Die eigene Intuition schärfen und auf Körpersignale achten.
Fragen Sie sich, ob sie ein gutes Bauchgefühl haben, wenn sie zur Arbeit fahren. Fühlt es sich richtig an oder hangeln Sie sich von einem Wochenende, von einem Urlaub zum nächsten? Auch wer über einen längeren Zeitraum schlecht schläft, oft an Infekten und Erkältungen, an Migräne und psychosomatischen Beschwerden leidet, sollte sich fragen, ob der Körper die Konflikte und Probleme am Arbeitsplatz „austrägt.“

Die eigenen Werte und Glaubenssätze kennen und hinterfragen

Mögen Sie Ihre Arbeit? Entspricht Sie Ihren Werten und Ihren Vorstellungen? Gehen Sie nach einem Arbeitstag sinnerfüllt nach Hause oder haben Sie Dienst nach Vorschrift gemacht?
Nehmen Sie sich Zeit und listen einmal all die Dinge, Werte und Bedürfnisse auf, die Ihnen zu erfüllen wichtig sind.

Die persönlichen Grenzen kennen und Nein sagen lernen

Diese beiden gehen Hand in Hand und sind entscheidend dafür, wie nah Sie wirklich bei sich und ihren eigenen hochsensiblen Bedürfnissen sind.
Für hochsensible Menschen ist es oftmals eine Herausforderung, besser auf sich selbst als auf alle anderen zu achten. Mit Ihrer herausragenden Empathie können Sie Gefühle und Bedürfnisse der anderen wie die eigenen wahrnehmen.
Machen Sie sich in Entscheidungssituationen bewusst, wo Ihre Grenzen liegen. Erbeten Sie sich Bedenkzeit. Mit etwas Übung wird es Ihnen immer besser gelingen, für sich selbst zu sorgen.

Für die eigenen hochsensiblen Bedürfnisse einstehen und kommunizieren

Wenn Sie unzufrieden an Ihrem Arbeitsplatz sind, hilft nur eines:
Sich äußern. Wenn Sie nicht offen über Ihre Sinnesbegabung sprechen möchten, legen Sie sich Wörter und Sätze zurecht, mit denen Sie dem Gegenüber beschreiben, wie es Ihnen mit der Situation geht, was Sie stört, was Ihnen Sorgen bereitet.
Was liegt innerhalb des Unternehmens, in dem Sie tätig sind, im Bereich des Möglichen?
Standortwechsel? Stunden reduzieren? Gleitzeit? Öfter kurze Pausen anstatt eine lange? Kurz eine Runde um den Block gehen?
Überlegen Sie sich Strategien und Lösungen, mit denen Sie und Ihre Vorgesetzten und Kollegen gut leben können.

In der Freizeit Ausgleiche schaffen

Hochsensible können in der Natur, im Wald, am Wasser sehr gut Kraft tanken und sich erden. Bewegen Sie sich so oft es geht draußen, nehmen Sie sich Zeit für sich und Ihre hochsensiblen Bedürfnisse. Je weniger Reize Sie in Ihrer Freizeit zu verarbeiten haben, umso mehr Kraft können Sie tanken. Genug Schlaf und Ruhepausen sind ebenso wichtig.

Was aber, wenn dies alles nicht mehr hilft?

Fragen Sie sich ernstlich, ob Sie an einem Platz arbeiten möchten, der Ihnen wertvolle Kraft und Energie stiehlt. Ein Job, der Ihnen den Schlaf raubt, Sie am Sonntag Abend mit Bauchweh an die bevorstehende Arbeitswoche denken lässt, wird Sie immer unglücklicher werden und längerfristig krank machen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung und aus der Arbeit mit meinen Klient*innen, wie schwer es ist, einen Arbeitsplatzwechsel ins Auge zu fassen. (Finanzielle) Sicherheit aufgeben, die Komfortzone verlassen, sich verändern…all dies macht Angst und ist für einen Hochsensiblen schwer zu ertragen.
Aber was ist die Alternative? Stressbedingte Symptome und Krankheiten, latente Unzufriedenheit, oftmals sogar Resignation.

Hochsensible haben so viele Talente und Begabungen, ihre feinfühlige Wahrnehmung wird gebraucht – seien Sie mutig und befreien Sie sich von krank machenden und ungeliebten Strukturen.

Viele Hochsensible machen sich selbstständig, leben so ihren Traum und ihre Berufung.

Manchmal ist es aus verschiedenen Gründen aber gar nicht möglich oder nötig, sich auf das Abenteuer Selbstständigkeit einzulassen. Oftmals genügen Korrekturen, kleine Änderungen oder das bloße Sich-bewusst-machen, wo man steht und wo man hin möchte, um Prozesse anzustoßen.
Wichtig ist nur, sich dann auf den Weg zu machen.
Nochmal: Seien Sie mutig, es lohnt sich, versprochen!

Und nehmen Sie sich folgenden Satz eines weisen Mannes zu Herzen:

„Dort, wo deine Talente und Begabungen auf die Bedürfnisse der Welt treffen, dort liegt deine Berufung.“

Und die kann in einer beglücklichenden Festanstellung ebenso liegen wie in einer freiberuflichen Selbstständigkeit.

Beruf und Berufung für Hochsensible

12.08.2019
Ilona Kofler
Spezialisiert auf Hochsensibilität und bietet dir durch individuelles Coaching, Vorträge, Seminare und Workshops Unterstützung
www.koflercoaching.com
Foto Quelle: https://unsplash.com/photos/g1Kr4Ozfoac

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Ilona-Kofler

Ilona Kofler
ist spezialisiert auf Hochsensibilität.
Nach 27 langen unglücklichen Berufsjahren im Dienstleistungssektor und im Buchhandel folge ich nach „Entdeckung“ meiner Hochsensibilität meiner wahren Berufung:
Menschen auf dem Weg zu sich selbst und zu mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu begleiten.
Meine feinfühlige Wahrnehmungsbegabung und hochsensible Intuition ermöglicht mir einen feinfühligen, empathischen und trotzdem objektiven Blick auf meine Klient*innen.
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