Lebenssinn im Fokus

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Lebenssinn im Fokus – Warum wir ständig suchen, was wir haben

Mein Leben hat keinen Sinn. Ich lebe, um zu arbeiten. Mir scheint das ganze Leben so beliebig, so austauschbar und langweilig. Oft sehne ich mich nach einem Zweck, den ich erfüllen kann, nach Zielen, die es wert sind, verfolgt zu werden. Wenn ich meinem Leben nur eine Richtung geben könnte…
Kennen Sie vielleicht solche Gedankenkarusselle des Zweifels?

Die Menschen sehnen sich immer mehr nach einem sinnerfüllten Leben, nach einer Berufung, nach einem Zweck in der Welt. Aber ist es überhaupt sinnvoll, so einen Wunsch zu äußern? Reicht es nicht aus, einfach nur Mensch zu sein? Fragen über Fragen und wenig Antworten weit und breit. Ich nähere mich dem großen Thema Sinn des Lebens aus einigen unterschiedlichen Perspektiven, wissend, dass dieses Thema zu groß ist, um in einem Artikel abgehandelt zu werden.

Nichts als Abgrund und leerer Raum

Ist es die Krise der Religionen, die den Menschen ihren Glauben nimmt und sie als Zufallsprodukt im Weltall sinnentleert um die Sonne kreisen lässt? Als Wesen an der Oberfläche der Erde fühlen wir uns ausgesperrt, verbannt aus dem Paradies des Innenraums, kein gotterfüllter Himmel, der uns umgibt und einbettet, nur grenzenloser Raum, der sich als Abgrund vor uns auftut. Kein Wunder also, wenn Menschen Halt im Leben suchen und auf Sinnsuche gehen.

Wir sind im Delta angekommen

Der Philosoph Peter Sloterdijk vergleicht unsere heutige Welt mit einem gigantischen Delta, in dem Ströme aus Strömungen ein Labyrinth bilden. Im Delta macht Strom und Stau keinen Unterschied mehr, alles läuft zusammen, alles fließt und staut zugleich. In dieser Situation verlieren wir die für uns so wichtigen Polaritäten aus den Augen. Sein und Werden vermischen sich zu einem homogen-diversen Brei aus Bedeutungslosigkeit.

Unterschiede werden immer schwerer wahrnehmbar. Das bringt uns Menschen in erhebliche Schwierigkeiten. Zu schnell kommt diese Alleinheit auf uns zu und fühlt sich ganz und gar nicht so an, wie die spirituell so erwünschte Einheit allen Seins. Es gibt eben einen Unterschied zwischen der wahren Einheit allen Seins und dem Einheitsozean der Beliebigkeiten. Eine Gesellschaft im Delta hat die besten Zeiten vorläufig hinter sich. Nun ist es für das Individuum erheblich schwieriger geworden, die eigene Einzigartigkeit wahrnehmbar darzustellen. Eine Deltaexistenz ist zur Sinnsuche gezwungen.

Komplexifizierung und andere Belastungen

Das Delta und seine Böswilligkeiten steigern sich zur Belastung für uns Menschen. Die Welt hat überdies noch den Entwicklungsprozess der Komplexifizierung für uns parat. Die Komplexität der Welt nimmt rasant zu. Was das für uns heißt, wird mit dem wenig attraktiven Akronym VUCA beschrieben. Unsere Lebensumwelt ist „volatil“, also voller Veränderungen, die sehr tiefgehend sind. Sie ist auch „uncertain“, also voller Unsicherheiten und Überraschungen, auf die wir uns nicht ausreichend vorbereiten können. Sie ist „complex“ und entzieht sich unserem logischen Verstand.

Richtig und falsch gehen ineinander über und unser rationaler Zugang zur Welt versagt zunehmend. Und letztlich ist unsere Umwelt auch noch „ambiguous“, also mehrdeutig, verschwommen, eben deltaartig. Für uns hat diese Komplexifizierung der Welt viele Auswirkungen. Zunächst ist es die Zunahme der Dichte um uns herum.

Nicht nur die Information wird dichter, es entsteht auch immer mehr Vielfalt auf engem Raum, die Geschwindigkeiten steigen an, die Kommunikation wird unbeherrschbar, Zusammenstöße und Konflikte nehmen zu und wirtschaftliches Handeln wird zum Hürdenlauf. Was in uns zum lautesten Ruf wird, ist der Wunsch nach Entlastung. Und wer auf Entlastung aus ist, der ist mitten in der Sinnsuche angekommen. Als schneller Wurf kann sich daraus eine Sinnformulierung ergeben: Der Sinn des Lebens ist es, eben nicht in Deckung zu gehen und sich vor der Komplexität der Welt zu verstecken. Sinn wird hier zum Mut, sich der vollen Lebendigkeit zustellen und die Welt anzunehmen wie sie ist.

Suche nach Entlastung als Sinnillusion

Den Wunsch zur Entlastung kann man uns nicht übelnehmen. Ob Glaubenskrise, Delta oder Komplexifizierung, all das sind Belastungen, die uns an unsere Grenzen bringen. Wenn Menschen ihre Sinnsuche in einer neuen Einfachheit beginnen, scheint das auf den ersten Blick „sinnvoll“. Die Wege dazu sind vielfältig und widersprüchlich.

Suchen die einen Zuflucht im Konsum, so wählen die anderen eine neue Form der temporären Armut und nehmen Auszeiten in Klöstern und Aschrams. Das sind sozusagen Räume geringster Dichte, die uns Möglichkeiten zum Innehalten bieten. Letztlich aber sind das alles nur Sauerstoffzelte für Verzweifelte, die kurze Erholung bieten, um am Ende wieder voller Kraft und Energie ins Delta der dichten Welt zu hüpfen. Wer also den Folgen des Fortschritts und des Reichtums über den Gegenpol des Rückschrittes und der Armut entkommen will, findest sich bald im eigenen Elend wieder.

Nachhaltige Entwicklung als Sinnkonzept

Die kritische Situation unseres Planeten bietet uns ebenso ein buntes Portfolio zur Sinndefinition. Sind die letzten Jahrhunderte durch eine zunehmende Entfremdung der Menschen von ihrer natürlichen Umwelt geprägt, so ist heute ein Wunsch zu einer neuen Integration in die Natur zu erkennen. Bislang konnten die Menschen ihr Dasein trotz extremer Expansion von der Natur unbeeinflusst durchziehen. Doch der Glaube an die Nebenwirkungsfreiheit unseres Handelns hat sich zerschlagen.

Wir haben bemerkt, dass die Natur uns unsere Eingriffe übel nimmt und sich auf ihre Art aktiv zu wehren beginnt. Weil viele das Ende der Ökosysteme in bekannter Form vorhersehen, ist die Rettung des Planeten Erde zum Sinnkonzept aufgestiegen.  Es geht dabei um eine Möglichkeit der Fortsetzung unseres Daseins und unseres wirtschaftlichen Handelns, in einer Form, die mit den natürlichen Systemen vereinbar ist. Die Communities der „nachhaltigen Entwicklung“ wachsen und bieten vielen Menschen „sinnvolle“ Betätigungsfelder und neue Orientierungspunkte an. Das Ziel ist die Verhinderung des feuerwerksartigen Verbrauchs aller natürlichen Ressourcen und die Zerstörung der Ökosysteme mit negativen Auswirkungen für viele nachkommende Generationen.

Fluch des Fortschritts – Lebenssinn im Fokus

Die kritische Situation für uns können wir noch aus einer anderen Perspektive beleuchten. Wir leben in einer Welt, die ein Wort zum Credo erklärt hat: Fortschritt. Daraus hat sich eine Gesellschaft entwickelt, die den Fortschrittsgedanken von den Dingen auch auf den Menschen übertragen hat. Heute besteht laut Peter Sloterdijk Fortschrittspflicht für jeden Menschen. „Du musst Dein Leben ändern“ und zum übenden, ständig lernenden Wesen werden.

Nur dann bist Du Mensch. Auch hier scheint mir der Ausweg der Suche nach dem Sinn und Zweck des Lebens eine Illusion zu sein. Ein Mensch, der seine Berufung nicht gefunden hat, der keine Lebensvision und kein persönliches Mission Statement entwickelt hat, der kann nicht glücklich sein. So oder so ähnlich tönt es aus den Lagern der Lebenscoaches, die uns überfluten. Ich erlaube mir diese kritische Formulierung, weil ich in gewisser Weise auch zu dieser Gattung gehöre. Aber können wir auf der Suche nach unserem einzigartigen Zweck im Leben, unserem Zweck der Existenz, daran vorbeisehen, dass wir damit wiederum der Expansion freien Raum geben?

Wie kann in einer so dichten Welt, soviel egomanische Einzigartigkeit Platz finden? „Wer >zu sich< gekommen ist, kann die Sorge um die Rechtfertigung des eigenen Daseins fallen lassen. Er >existiert<, indem er sich nimmt, wie er ist, und sich gibt, wie er will, jenseits von Konsequenz und Inkonsequenz“ (Peter Sloterdijk)

Werden und Sein im Widerstreit – Lebenssinn im Fokus

Mein letzter Gedankengang kreist um den Widerspruch des Lebens schlechthin: Sein und Werden, Verändern und Bewahren. Sind wir schon durch unser Sein genug und können wir der Fortschrittspflicht trotzen? Oder müssen wir ständig etwas werden, etwas, das morgen besser ist als heute? Auch wenn wir uns der spirituellen Entwicklung hingeben, ist es eine Geburt des Fortschrittgedankens. Es geht auch dabei nur ums Werden.

Wir wollen etwas erreichen, die Erleuchtung vielleicht oder einfach nur etwas mehr vom Glück. Morgen aber soll es besser sein als heute. Dabei predigen es die Weisen der Weltgeschichte seit ewiger Zeit: Wir können Erfüllung nur im Augenblick, im wahren Sein finden. Der bedeutendste Weisheitslehrer der Gegenwart, Eckhart Tolle, sieht gerade darin den einzigen und wahren Sinn des Lebens: Das Jetzt bedingungslos anzunehmen, ohne jeden Wunsch nach einer anderen, vielleicht besseren Situation – einem anderen Jetzt. Der Sinn ist somit im absoluten Sein zu finden, im Erwachen des Bewusstseins. Das Werden kann nur etwas Äußeres sein, vielleicht etwas, das sich nützlich für uns und für andere erweist, letztlich aber bedeutungslos bleibt. Daraus können wir nur eine einzige Konsequenz ziehen: Unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem geht an dieser Sinndefinition gnadenlos vorbei. Alle ihre Angebote an uns führen zur Sinnentleerung.

Gelöster und nicht gelöster Widerspruch

Der ganzheitliche Denker Gregg Braden meint: „Ein Mensch muss sich für eine neue Art des Seins entscheiden und dies in der Gegenwart anderer leben, damit es bezeugt wird und in das kollektive Muster eingehen kann“.  Welchen Schluss wir daraus auch immer ziehen wollen, eines steht fest: Der Widerspruch zwischen Sein und Werden beginnt sich im Delta aufzulösen. Wir verlieren die Unterscheidbarkeit. Gelöst aber ist der Widerspruch nicht. Auch wenn die semantische Spielerei: „wir werden was wir sind“ uns das glauben machen möchte. Für uns in der westlichen Welt wird es noch eine Synthese von Werden und Sein brauchen und die Suche nach dieser Synthese kann der Sinn unseres Lebens sein.

Aller Sinn ist in der Liebe zu finden

Mein abschließender Versuch einer Sinndefinition ist zugegeben vage und schwer fassbar. Ich beginne mit einer Frage: „Wie kommt die Liebe in die Welt? Am Anfang war das Wort, dann ward reines Licht, am Ende wird reine Liebe sein. Wir Menschen sind gleichzeitig Schöpfung und Schöpfer im Universum. Aber was erschaffen wir? In einem Universum der Allwissenheit, der Gleichzeitig- und Raumlosigkeit ist alles schon da. Was bleibt uns noch, das wir erschaffen könnten?

Unser Leben als Schöpfer ergäbe keinen Sinn, wären wir nicht Schöpfer einer neuen Qualität, die erst durch uns in die Welt kommt. Warum bringt das Universum Leben hervor? Warum gibt es Wesen in der Formenwelt, die fühlen können? Welchen Sinn hat das? Eckhart Tolle meint dazu, dass das Universum sich über uns Menschen selbst wahrnehmen lernt. Wir haben darin also eine wichtige Entwicklungsfunktion. Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass wir Menschen und alle anderen Lebewesen, mit unseren Herzen das Fühlen in die Welt bringen.

Und was erhalten wir, wenn wir alles Fühlen der Welt verbinden und auf die Suche nach der Essenz gehen? Ich sehe darin die Liebe. Es bedarf fühlender Wesen mit Herzen, um aus dem reinen Licht, aus dem wir entsprungen sind, die Qualität der universellen Liebe in die Welt zu bringen. Wir Menschen sind wichtig, damit das Universum die Liebe kennenlernt, damit die Alleinheit, der universelle Geist, das Fühlen lernt und Liebe hervorbringen kann. Vielleicht ist es so einfach.“ (Zitat aus „Take Five – Die fünf Schlüssel zu mehr Lebendigkeit und innerer Stärke, Edition Summerhill, 2016 – LINK). Wenn ja, dann ist genau das der Sinn des Lebens. Und weil wir ein Herz haben, haben wir Sinn. Das ist das Ende der Suche.

Herzlich, Ihr Heinz Peter Wallner

(c)  Heinz Peter Wallner

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Der Autor Dr. Heinz Peter WallnerLebenssinn im Fokus Dr. Heinz Peter Wallner

… und es bringt innerlich Stille, wenn der Flow einsetzt. Gute Texte entstehen dabei nur, wenn ich im Fluss des Lebens bin, wenn ein Widerspruch …
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