Ramesh und das Schwert
Kapitel 1- Der Korbflechter– Leseprobe aus dem Buch Das Geheimnis der 7 Lotosblüten
von Kalashatra Govinda
Nicht weit vom großen Fluss, auf dem staubigen, unfruchtbaren Boden des kleinen Dorfes vor der alten Stadt, schmiegten sich die Hütten der armen Handwerker aneinander, als ob sie sich gegenseitig stützen wollten.
Die rote Morgensonne weckte die Menschen; schon früh herrschte geschäftiges Treiben. Sobald man die Hand vor Augen sehen konnte, begannen die Tagelöhner, Näher, Färber und Korbflechter ihre Arbeit, denn Kerzenlicht war teuer, nur das Sonnenlicht war umsonst. In der kleinen Hütte des Korbflechters Ravi gebar seine Frau Ajala ein Kind. Und als der erste Strahl der Sonne das Haus berührte, kam das Kind zur Welt und tat seinen ersten Schrei, so als ob es nur auf die Sonne gewartet hätte. Ajala und Ravi betrachteten das Neugeborene voller Stolz. Ramesh sollte das Kind heißen, dem Gott Vishnu zu Ehren.
Ravi küsste seine Frau zärtlich auf die Stirn und sah mit Staunen und Freude auf seinen Sohn. Welch Glück! Gleich das erste Kind ein Sohn, der seine Linie fortsetzen würde. Gesund und kräftig war das Kind, kräftig seine Stimme, rot die Bäckchen und rund die Glieder. »Ramesh, mein Sohn«, flüsterte er und dankte den Göttern für das Geschenk.
Ravi war arm, doch nun war er durch seinen Sohn reich geworden. Und von nun an würde er sich doppelt anstrengen, damit es sein Sohn einmal besser habe als er. Auch sein Ramesh würde natürlich Korbflechter werden, doch vielleicht würde er einst eine große Werkstatt mit vielen Lehrlingen und Gesellen haben. Ravi träumte von einer großen Zukunft für sein Kind, wie es wohl alle Eltern tun.
Und wirklich schien mit dem Kind das Glück in die ärmliche Hütte eingezogen zu sein.
Die Arbeit ging dem Korbflechter leichter von der Hand, und seine Waren verkauften sich besser auf dem Markt. Vielleicht machte das glückliche Gesicht des Vaters auch die Kunden ein wenig glücklicher, und sie kauften gern, zumal die Körbe und anderen geflochtenen Waren von vollkommener Qualität waren.
Als Ramesh einen Monat alt war, gerade zum Neujahrsfest, zog ein blinder Wahrsager durch das kleine Dorf am Rande der großen Stadt. Und er kam direkt zum Hause Ravis, der vor seiner Hütte saß und Körbe flocht.
»Brahma segne dieses Haus!«, sprach der Blinde. »Hier ist ein Knabe geboren worden, und ich möchte euch sein Schicksal weissagen.«
Ravi sah den Alten mitleidig an und schüttelte den Kopf, denn er hielt nichts von der Wahrsagerei. Der Blinde sah seine ablehnende Geste nicht und trat näher. Und schon eilte Ajala mit dem Kind aus dem Haus und sprach zu ihrem Mann: »Ravi, mein Lieber, lass doch den Wahrsager sprechen – ich möchte das Schicksal meines Kindes erfahren!«
Ravi lächelte belustigt. »Nun gut, Alter. Was haben die Götter wohl mit meinem Sohn im Sinn?«
Auch der Blinde lächelte und trat näher. »Was die Götter planen, das weiß ich nicht. Doch im Herzen eines jeden Menschen steht sein Schicksal geschrieben. Und wenn meine Augen auch ihr Licht verloren haben, so sieht mein Herz umso klarer. Bringt mir den Knaben, auf dass ich ihn berühren kann.«
Eifrig hielt Ajala dem Wahrsager Ramesh entgegen, ein wenig ängstlich zwar, aber doch neugierig.
Ramesh sah mit großen Augen den Alten an, doch er fürchtete sich nicht und lächelte. Als der Mann das Gesicht des Kindes berührte, strahlten seine blinden Augen.
»Großes Glück verheißt dieses Kind«, sprach er. »Zu Wohlstand und Ansehen wird er gelangen, doch all dies hat keine Bedeutung – denn Weisheit und Ruhm sind ihm bestimmt.«
Ravi verzog den Mund. »Übertreibst du nicht ein wenig, Alter? Du bist blind und siehst wohl nicht, wo du deine Kunst ausübst. Ich bin nur ein armer Korbflechter und werde dir gewiss keinen Vorschuss auf den künftigen Wohlstand meines Sohnes geben.« Ajala drückte verstohlen den Arm ihres Mannes und flüsterte ihm ins Ohr: »Beleidige den weisen Mann nicht! Weißt du denn gewiss, dass unser Kind nicht tatsächlich zu Großem berufen ist?«
»Ach was!«, sagte Ravi zu seiner Frau und sprach zu dem Blin- den: »Ja, gewiss, ein großer Korbflechter wird er werden, sich gar einen Palast flechten und eine Prinzessin heiraten, auf den Wolken fliegen und mit Lord Vishnu selbst beratschlagen …« Der Blinde lächelte und hob die Hand. »Seid beruhigt, guter Mann. Ich will keine Belohnung. Nur sollt Ihr wissen, dass Eurem Sohn nicht bestimmt ist, Euch nachzufolgen. Er wird nicht den ehrbaren Beruf des Korbflechters ausüben, so sehr Ihr Euch das auch wünschen mögt.«
Bisher war Ravi eher belustigt, doch nun loderte die Flamme der Wut in ihm auf.
»Du bist zu weit gegangen, Alter«, fauchte er. »Reichtum und Weisheit könnt ihr ihm gern voraussagen. Doch ich will nichts davon wissen, dass mein Sohn nicht mein Handwerk lernen soll, wie ich es von meinem Vater gelernt habe und wie dieser es schon von seinem Vater beigebracht bekam. So haben es die Götter bestimmt!«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Nicht du oder ich entscheiden über das Schicksal oder den Willen der Götter. Ich möchte Euch nur ans Herz legen, dass Ihr Eurem Sohn seinen schweren Weg nicht schwerer machen möget. Denn auch wenn ihm Reichtum, Ansehen und Weisheit vorherbestimmt sind, so wird er doch viele Hindernisse überwinden müssen. Seht Euch vor, dass Ihr nicht selbst eines dieser Hindernisse seid; es wäre nur zu Eurem Schaden.«
Ravi wurde zornig und hob die Hand zum Schlag, doch der Blinde richtete seine erloschenen Augen auf ihn, sodass er unwillkürlich im Schlag innehielt.
»Geht nun, Alter«, presste er hervor und wandte sich ab. Doch Ajala trat zu dem Blinden, flüsterte einen leisen Dank und drückte ihm eine kleine Münze in die Hand.
»Danke, mein Kind«, sprach der Alte und legte Ajala die Hand auf die Stirn und berührte dann auch die Stirn des Kindes. »Lebe wohl und gib deinem Kind die Kraft deiner Liebe mit auf den Weg, dann wird sich alles zum Guten wenden.«
Und mit festem Schritt wandte sich der Blinde ab und wanderte weiter auf der staubigen Straße zur großen Stadt.
Das Leben des Korbmachers ging seinen gewohnten Gang, und bald waren der Blinde und seine Prophezeiung vergessen. Nun, vielleicht nicht völlig: Ajala sah ihren Sohn von nun an möglicherweise noch ein wenig liebevoller an, und in ihrem Blick lag ein warmes Gefühl der freudigen Erwartung einer frohen Zukunft. Ravi hingegen begann ein wenig früher damit, seinen Sohn die Korbflechterei zu lehren, als er es ohne die Weissagung des Alten getan hätte.
Der kleine Ramesh stellte sich in allen Dingen geschickt an, war ein wenig neugieriger und wissensdurstiger als andere Kinder.
Und so erlernte er die Anfänge des Handwerks seines Vaters spielend leicht. Von der großen Zukunft, die ihm vorausgesagt worden war, war bei dem dreijährigen Knaben nichts zu bemerken. Die Geschäfte des Korbflechters liefen indes nicht sonderlich gut. Im Vergleich zu der Zeit gleich nach der Geburt seines Sohnes, die der Höhepunkt im Leben der armen Handwerkerfamilie gewesen war, liefen sie sogar außerordentlich schlecht. Damals war Ravi noch voller Hoffnungen gewesen; doch diese hatten sich zerschlagen. Er verkaufte immer weniger auf dem Markt. An der Qualität seiner Körbe lag es sicherlich nicht. Doch sei es, dass es zu viele Korbflechter oder nicht genug Bedarf nach den Waren des Korbflechters gab: Das Geld war knapp, und mitunter war das Essen kaum ausreichend, um die ganze Familie satt zu bekommen.
Ajala litt am meisten darunter. Zweimal schon war sie schwanger geworden, doch zweimal war das Kind in ihrem Bauch gestorben. Und als Ramesh fünf Jahre alt war, wurde Ajala krank.
Ravi machte sich große Sorgen. Er kramte das wenige Ersparte aus dem Versteck unter der Bettstatt und holte einen Arzt. Der kam nur unwillig und erst, als Ravi ihm das Geld gezeigt hatte. Der Arzt blieb nicht lang. Er fühlte den Puls, sah in Ajalas Augen und tastete ihren Bauch ab. Als er aufstand und sich an Ravi wandte, erschien ein Schimmer des Mitleids auf seinem Gesicht. Er legte Ravi eine Hand auf die Schulter und sprach:
»Ravi, du musst nun Kraft haben. Leider kann ich nichts mehr tun. Deine Frau wird noch in dieser Woche sterben.« Und er nahm nur eine kleine Münze von Ravis Geld.
Ravi blieb am Bett seiner Frau, versuchte ihr Tee einzuflößen, trocknete ihren Schweiß, der dann und wann in Strömen floss. Der kleine Ramesh wollte helfen. Doch der Vater duldete es nicht und vertrieb ihn vom Lager seiner Mutter. Obwohl Ramesh nicht verstand, was geschah, so ahnte er es doch und war voller Angst.
Am dritten Tag erwachte Ajala aus ihrem tiefen Schlaf.
Zum ersten Mal seit vielen Tagen sprach sie wieder, doch ihre Stimme war schwach, und es schien Ravi, als spräche seine Frau bereits aus der jenseitigen Welt. »Ravi, mein lieber Mann«, sprach die Sterbende. »Bete für mich, dass ich eine gute Wiedergeburt haben möge. Und achte auf unseren kleinen Ramesh. Vergiss nicht den Wahrsager. Unser Kind wird einen besonderen Weg gehen. Gib ihm all deine Liebe, da ich sie nun nicht mehr geben kann.«
Ravi liefen die Tränen wie Bäche die Wangen hinab. Ramesh klammerte sich an das Bein seines Vaters. »Pita, lass Maan nicht sterben!«
Ravi strich seinem Sohn über das Haar, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Sein Herz war ganz bei seiner Frau. So saß er noch drei Stunden, dann öffnete Ajala ein letztes Mal ihre Augen; sie blickte umher, als würde sie nach etwas suchen. »Ramesh …«, flüsterte sie. Mit einem tiefen Stöhnen atmete sie aus, und ihre Seele verließ ihren Körper.
Ravi stürzte mit einem Aufschrei zu Boden und rollte sich in seinem Schmerz zusammen, wie ein Mungo. »Ajala, Ajala …«, wiederholte er voller Verzweiflung wieder und wieder, bis er die Besinnung verlor.
Das Leben in der kleinen Hütte des Korbflechters war fortan vom Schatten des Todes verdunkelt.
Ramesh weinte nachts um seine Mutter – und des Tages über seinen Vater, der seinen Schmerz erst in kalter Stille, dann in heißer Wut lebte. Der Verlust der liebenden und geliebten Mutter lastete schwer auf dem Herzen des kleinen Jungen, doch bald schon wurde die Lieblosigkeit des Vaters die noch schwerere Last. Immer häufiger wurde Ramesh gescholten oder überhaupt nicht beachtet, so als wäre er ein körperloser Geist. Und oft ging er mit schmerzendem Bauch, ohne Essen, zu Bett.
Als der Vater sein Leid zunehmend im Trunk zu vergessen suchte, wurde alles noch schlimmer. Lallend und wirre, wilde Lieder singend torkelte er lange nach Sonnenuntergang ins Haus, wo Ramesh hungrig und angstvoll wach lag. Die anderen Kinder lachten über Ravi und auch über Ramesh, seinen stillen Sohn; denn Ramesh sprach kaum ein Wort. Zunächst war Ramesh verwirrt und traurig, doch immer mehr begann er, sich seines Vaters zu schämen. Aus Scham wurde allmählich Verachtung und schließlich Wut.
Vater schlug ihn das erste Mal, als Ramesh ihn fragte, warum er denn so sei, warum er trinke und schreie und sich zum Gespött der anderen mache. Von dem Tage an wurde er immer häufiger geschlagen, meist wegen Nichtigkeiten und nicht selten sogar ohne Anlass. Ramesh begann, seinen Vater zu hassen. Der Schatten auf seiner Seele war zu nachtschwarzem Stein geronnen.
So vergingen die Jahre voller Unglück und Schmerz. Das Leben erschien Ramesh – und wohl auch Ravi – wie ein hoffnungsloser, unwegsamer Sumpf in einem dichten Nebel, aus dem kein Weg hinaus, sondern alle Pfade nur immer noch tiefer hineinführten.
Als Ramesh neun Jahre alt war und sein Vater ihn eines Tages wieder einmal wegen einer Nichtigkeit verprügelte,
beschloss er das Haus, das ihm schon lange kein Heim mehr war, zu verlassen und fortzulaufen. Er dachte nicht daran, wohin. Nur fort. Und so schlich sich Ramesh im Morgengrauen, während sein Vater noch trunken vom billigen Wein schlief, aus dem Haus seiner Eltern und machte sich auf den Weg in die große Stadt.
Seine Füße bluteten schon vom stundenlangen Wandern, als er die ersten prachtvollen Gärten der Reichen am Rande der Stadt erblickte. Ramesh konnte sich an den Wundern nicht satt sehen – die farbenprächtigen, duftenden Blumen, die alten Bäume und die kleinen, mit Lotosblumen geschmückten Teiche … Hier müssen wohl die Götter wohnen, dachte Ramesh.
Unbedingt wollte er das saftige, grüne Gras unter seinen wunden Füßen spüren. Keiner der »Götter« war zu sehen, nur ein paar stolze Pfauen schritten in weiter Entfernung durch den Garten. Ramesh blickte nochmals um sich, doch da niemand zugegen war, stieg er heimlich über die niedrige Mauer in das Wunderland. Das Gras war noch weicher, als er es sich vorgestellt hatte. Wie wäre es wohl, auf diesem wunderbaren, grünen Teppich zu liegen? Ramesh war müde und hungrig.
Dort unter dem Baum lagen herrliche, grüngelbe Früchte, die einen köstlichen Duft verströmten. Ramesh hatte noch nie dergleichen gekostet. Ob er eine versuchen sollte? Der Baum hing ja voller Früchte; die Götter konnten doch wohl kaum etwas dagegen haben, wenn er eine von denen aß, die der Baum ohnehin abgeworfen hatte? Verstohlen hob Ramesh eine auf und biss vorsichtig hinein. Oh, diese Süße! Und in ihrer Mitte lag ein wundersamer Stein! Ramesh saugte auch noch die kleinsten Fruchtreste vom Kern und steckte den »Stein« in seine Tasche, bevor eine große Müdigkeit über ihn kam. Und so schlief Ramesh, der Sohn des Korbmachers, im Schatten des Mangobaumes im Garten der Götter ein.
Ein schmerzhafter Tritt weckte ihn aus wohligen Träumen, und im ersten Moment glaubte er, sein ganzes Abenteuer nur geträumt zu haben.
Doch ein weiterer Tritt weckte ihn vollends.
»Was tust du hier, du Wicht?« Ein großer und sehr dicker Mann in einem weiten Gewand aus kostbarem Stoff, mit einem langen Stock in der Hand, schrie Ramesh an und versetzte ihm einen weiteren Tritt. Das musste wohl einer der »Götter« sein, dachte Ramesh und kniete vor ihm nieder, die Stirn zu Boden senkend. Ein harter Stockhieb traf seinen Rücken, sodass er laut aufschrie.
»Willst du meinen Herrn etwa bestehlen, du nichtswürdige Kreatur?«, schrie der Koloss – offenbar doch kein Gott – und schlug mit seinem Stock erbarmungslos auf Ramesh ein.
»Ach Herr, ich wollte nichts stehlen«, weinte Ramesh. »Nur eine zu Boden gefallene Frucht …« Weitere Stockhiebe prasselten auf ihn ein, begleitet von Flüchen.
»Die Bäume meines Herrn wolltest du also plündern! Zeig, was du gestohlen hast.« Er packte Ramesh am Arm und riss ihn hoch, griff nach Rameshs kleinem Stoffbeutel und schüttelte ihn triumphierend. Er schlug Ramesh mit der flachen Hand ins Gesicht. »Du hast noch einmal Glück gehabt, dass ich den Aufseher nicht hole. Nun mach, dass du fortkommst!«
Weinend wollte Ramesh seinen Beutel aufheben, doch ein Tritt beförderte ihn wieder zu Boden.
Er rappelte sich auf; ihm wurde fast schwarz vor Augen, und er taumelte auf die Mauer zu.
»Wohin willst du, kleiner Dieb?«, schrie der Mann. Ramesh rannte los; zwei Stockschläge trafen ihn noch, dann war er über die Mauer und lag auf der staubigen Straße.
»Fort mit dir! Und lass dich nur nie wieder erwischen! Muss ich über die Mauer steigen, wirst du es bereuen!«
Mühsam kam Ramesh auf die Beine und taumelte halb bewusstlos die Straße entlang. Er wusste nicht, wohin er lief; nur weg von den Schlägen … Und er lief immer weiter, bis er schließlich zu seiner großen Überraschung wieder genau dort angelangt war, wo seine Reise an diesem Morgen begonnen hatte: vor dem Haus seines Vaters.
Die Sonne ging blutrot unter. Ramesh wagte es nicht, das Haus zu betreten. Aber er konnte nicht mehr weiter. Schließlich umfing ihn gnädig die Bewusstlosigkeit, und er sank im Schmutz der Straße zu Boden.
Als er erwachte, lag er in seinem Bett, sein Vater Ravi an seiner Seite, mit sorgenvollem Blick und Tränen in den Augen.
»Ramesh, mein Sohn, ich fürchtete schon, dich verloren zu haben.« Er strich Ramesh durch das Haar. »Wer hat dir das angetan? Dein Rücken war voller Blut. Wer hat es gewagt, dich zu schlagen …« Dann, als ihm zu Bewusstsein kam, dass er selbst Ramesh oft genug verprügelt hatte, schlug er die Hände vor sein Gesicht und weinte, wie er seit dem Tode Ajalas nicht mehr geweint hatte. Und von diesem Tage an wurde Ramesh nie wieder von seinem Vater geschlagen.
Die Wunden auf Rameshs Rücken verheilten, und sogar die Wunden in den Seelen der kleinen Familie begannen langsam zu heilen.
Ravi hörte zwar nicht mit dem Trinken auf, doch er war nie mehr besinnungslos betrunken. Er schalt Ramesh, wenn er Fehler machte, doch seine Worte waren nicht mehr voller Wut und Gewalt. Obwohl Rameshs Leben dadurch einfacher wurde, hegte er doch einen geheimen Traum: Er wollte reich werden, er wollte einen Göttergarten besitzen und über Diener gebieten. Er malte sich dieses innere Bild immer bunter aus – er stellte sich vor, wie er in reichen Gewändern durch den Garten wandelte, die köstlichsten Früchte von seinen Bäumen pflückte und wie er seinen Dienern befahl, das herabgefallene Obst auf die Mauer zu legen, damit müde Wanderer es genießen konnten. Nie dürfte ein Diener einen armen Jungen schlagen, der sich in den Garten verirrt hatte. Und sollte tatsächlich eines Tages so ein Junge in den Garten kommen, so würde er ihn reich bewirten und ihm Geschenke mit auf den Weg geben …
Solchermaßen wiederholten sich seine Träume Tag für Tag, und mit jedem Mal wurde die Begierde stärker. Und mit der Begierde wuchs der Entschluss, niemals, wie sein Vater, Korbflechter zu werden.
Was würde Vater wohl sagen, der immer stärker in ihn drang, das Handwerk nun ernsthaft zu erlernen? Ramesh fürchtete sich vor dem Augenblick, da er dem Vater seinen Entschluss mitteilen musste. Und dieser Augenblick kam schon sehr bald. Vater wurde wütend, wie Ramesh es erwartet hatte. Auch Schläge hatte er erwartet, doch obwohl Ravi die Hand zum Schlag erhob, schlug er nicht zu. »Warum? Warum? Warum?«, schrie er nur.
»Weil ich reich werden will!«, schrie Ramesh zurück.
Seinem Vater blieb der Mund offen stehen, und auf seinen Wangen zeigten sich rote Flecken.
Dann lachte er laut auf, schlug sich die Hand vor den Kopf und stürzte aus dem Haus. Erst spät nachts torkelte er wieder zurück, nach langer Zeit erstmals wieder sehr betrunken. Er trat neben Rameshs Lager. Ramesh befürchtete, dass es die Schläge, die ihm zuvor erspart geblieben waren, nun doppelt setzen würde. Doch sein Vater sah ihn nur ernst an und sprach mit weinschwerer Zunge: »Nun, mein Sohn; reich willst du also werden und nicht wie dein Vater und dein Großvater und dessen Vater Körbe flechten.
Nun – ich kann dir keinen Reichtum geben und weiß auch nicht, wie du ihn erlangen kannst. Doch morgen wirst du einen anderen Weg gehen, als die Götter ihn dir vorgezeichnet haben: Du wirst Karulas, des Schmiedes Lehrling. Magst du dir dort dein Glück schmieden!«
Ohne weitere Worte wandte sich Ravi ab, fiel auf sein Bett und war sofort eingeschlafen. Ramesh dagegen lag noch lange wach und dachte über die Worte des Vaters nach.
Ende der Leseprobe aus dem Buch Das Geheimnis der 7 Lotosblüten von Kalashatra Govinda
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Zum Buch31.12.2021
Kalashatra Govinda
Kalashatra Govinda
Ausgebildet in der altindischen Yogaphilosophie hat sich Kalashatra Govinda besonders durch seine erfolgreichen Publikationen zu den Themen Chakras und Tantra einen Namen gemacht.
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