Buddhas Botschaft – Sei dir selbst das Licht!
Der Überlieferung zufolge erblickte im Jahre 563 vor Christus in Lumbini – das liegt im heutigen Nepal nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu Indien – ein außergewöhnlicher Mensch das Licht dieser Welt, die er nachhaltig prägen sollte. Seine spirituellen Fußspuren weisen seit mehr als 25 Jahrhunderten Millionen von Suchern den Weg. Der Vater des neugeborenen Jungen – König Shuddhodana – nannte seinen Sohn Siddhartha. Dieser Name bedeutet so viel wie „Erfüllung“ oder „der erfüllte Wunsch“, denn Shuddhodana hatte sich nichts sehnlicher als einen Thronfolger gewünscht, in dessen Hände er sein Königreich eines Tages übergeben könnte. Nun schien dieser Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein…
Siddhartha Gautama (dies war sein Familienname) starb 483 vor Christus in Kushinagar (Indien). Durch das, was er zwischenzeitlich in den 80 Jahren seines irdischen Lebens bewirkte, ging er als Begründer einer der großen Weltreligionen in die Geschichte der Menschheit ein. Siddhartha Gautama gilt als der historische Buddha, da aus seiner Lehre der Buddhismus hervorging. Jedoch ist er bei weitem nicht der einzige Buddha…
Das Wort ‘Buddha’ bedeutet „Der Erwachte“. Es beschreibt also kein Individuum, sondern einen Zustand – den Zustand höchster Bewusstheit. Ein Buddha ist das vollends zur Entfaltung gebrachte Potenzial des Menschen. Laut Wikipedia ist ein Buddha „ein Wesen, das aus eigener Kraft die Reinheit und Vollkommenheit seines Geistes“ erkannt hat.
Der Buddha ist das klassische Sinnbild eines Erleuchteten. Auch in vielen westlichen Wohnzimmern, deren Bewohner keinerlei wirkliches Interesse an Religion oder Spiritualität verspüren, finden sich zahlreiche Buddha-Skulpturen. Sich zu derartigen Dingen hingezogen zu fühlen, erfordert keine tiefe Erkenntnis, denn sie lassen auch in denjenigen etwas anklingen, deren Intuition fast vollständig vom oberflächlichen Intellekt überschattet wird. Die Darstellung des subtil lächelnden, im Lotossitz ruhenden Buddhas erinnert uns an eine ursprüngliche Sehnsucht der Seele und erreicht unser Herz. Sie verkörpert die Seligkeit des Seins, die jeder in sich finden kann – vorausgesetzt, man hält intensiv und aufmerksam genug danach Ausschau.
Wie Siddhartha Gautama zum Buddha wurde
Es heißt, dass der König drei Astrologen einlud, weil er sich für deren Einschätzungen zur Zukunft des kleinen Prinzen interessierte. Zwei von ihnen sagten voraus, Siddhartha werde entweder als ein großer Herrscher oder als großer Weiser in die Geschichte eingehen. Der dritte Astrologe war sich sicher, dass er der Welt entsagen, den Weg der Innenschau beschreiten und Erleuchtung erlangen würde.
Shuddhodana war von dieser Möglichkeit ganz und gar nicht begeistert. Er fragte die Astrologen, wie er sicherstellen könne, dass sein Sohn das Erbe seines Reiches antreten würde. Sie sagten (sinngemäß): „Sorge dafür, dass er niemals das Leid und die Vergänglichkeit der Welt zu Gesicht bekommt. Dein Sohn ist mit einer solch außerordentlichen Intelligenz gesegnet, dass er sofort alles durchschauen und aufwachen wird, wenn sich ihm die Möglichkeit einer hinterfragenden Beobachtung bietet. Stelle sicher, dass er pausenlos von weltlichen Illusionen hypnotisiert bleibt, dann wird er deine Nachfolge antreten und ein gütiger Herrscher werden.“
Shuddhodana beherzigte diesen Rat. Er ließ einen eigenen Palast für seinen Sohn errichten. Er sorgte dafür, dass Siddhartha wohlbehütet aufwuchs, nur von schönen Dingen umgeben war und nichts vom Elend der Welt erfuhr, das sich außerhalb der Gitterstäbe des goldenen Käfigs abspielte. Nachts wurden Gärtner damit beauftragt, alle toten Blätter im Garten aufzusammeln und zu entfernen, um den kleinen Prinzen keinesfalls mit der Vergänglichkeit aller Phänomene zu konfrontieren und ihn folglich durch nichts zum Nachdenken anzuregen.
Natürlich konnte dies nicht auf Dauer funktionieren…
Die Geschichte erzählt, dass Siddhartha in seiner Jugend während eines Ausfluges außerhalb seines prunkvollen Palastes einem kranken Menschen begegnete und somit von der Unbeständigkeit körperlicher Gesundheit erfuhr. Er schlussfolgerte, dass auch sein eigener Körper erkranken kann. Daraufhin sah er eine Leiche und erkannte die Vergänglichkeit des körperlichen Lebens. Dies führte ihm gleichzeitig die Sterblichkeit seines eigenen Körpers vor Augen. Schließlich begegnete ihm ein Mönch, dessen Anblick ihn dazu inspirierte, ebenfalls allem Vergänglichen den Rücken zu kehren.
Nachdem Siddhartha das Leid und die ausnahmslose Unbeständigkeit von allem in dieser Welt bemerkt hatte, reflektierte er innerlich seine Beobachtungen. Ein unwiderstehlicher Wahrheitsdurst stieg aus seinem Herzen empor. Er kam zu der zweifelsfreien Feststellung, dass die Außenwelt offensichtlich niemals echte Sicherheit bieten kann, weil dort alles ständigen Veränderungen unterliegt. Weil er im Außen nicht fündig geworden war, beschloss er, auf der Suche nach dem Unvergänglichen sein eigenes Inneres zu erkunden. Noch nicht wissend, dass dies nichts mit äußeren Umständen zu tun hat, verließ er heimlich sein vertrautes Heim und führte fortan das Leben eines wandernden Asketen. Nachdem er jahrelang in Dörfern, Wäldern und Bergen zahlreiche weise Männer aufgesucht hatte, führte er seine geistige Forschungsreise allein weiter und wurde schließlich unter einem Baum in tiefer Meditation ‘erleuchtet’. Jener Baum wurde später als Bodhi-Baum bekannt (‘Bodhi’ bedeutet ‘Erwachen’).
Ein unvergleichlicher Pionier
Buddha war gewissermaßen einer der ersten Wissenschaftler, weil er so forschend vorging. Die Physiker der Neuzeit erforschen die Natur der Materie, also die Außenwelt. Der Buddha erforschte die Natur des Geistes, also die Innenwelt. Erstaunlicherweise kam er zu demselben Ergebnis wie heutige Forscher: Beide fanden nichts als Leere – Substanzlosigkeit. Materie erweist sich als leerer Raum, wenn wir genauer hinschauen. Zwischen den Atomen und auch innerhalb eines Atoms macht dieser leere Raum mindestens 99,9 % aus. Ebenso ist das Bewusstsein essenziell leer – formlos. Die Illusion einer persönlichen Identität entsteht bloß durch vorübergehende Gedanken, die keinerlei wirkliche Substanz haben. Im Grunde ist alles eine Fata Morgana. Aus der Ferne wirkt sie real, doch die Illusion wird entlarvt, sobald wir neugierig genug sind und sie ergründen.
Die Leere war einer der zentralen Eckpunkte von Buddhas revolutionärer Lehre. Er nannte die Leerheit aller Erscheinungen in seiner Sprache Shunyata. Die Abwesenheit einer persönlichen Identität bezeichnete Buddha als das Nicht-Selbst (in seiner Sprache Anatta). Ein weiterer wesentlicher Bestandteil seiner bahnbrechenden Botschaft war ‘Ananda’ – die aus der Selbsterkenntnis resultierende Seligkeit.
Buddha betonte außerdem unermüdlich die Notwendigkeit der bedingungslosen Liebe und des allumfassenden Mitgefühls. Das ist die zwangsläufige Konsequenz einer bewussten Lebensweise. Er behandelte Tiere ebenso rücksichtsvoll wie Menschen und wich unter keinen Umständen von seinem Prinzip der gewaltfreien Lebensführung ab.
Nirvana
Für das Endziel bzw. Resultat der meditativen Selbsterforschung prägte Siddhartha Gautama den Begriff Nirvana. Dieser Zustand beendet den Kreislauf der Wiedergeburten und bedeutet die Freiheit von allen physischen und psychischen Fesseln. Weil er wollte, dass jeder Mensch selbst erfährt, worauf er hinwies, hielt sich Siddhartha mit Beschreibungen von Nirvana zurück und sprach stattdessen lieber über die Methoden, die dorthin führen.
Einst wurde der große spirituelle Lehrer Ramana Maharshi gefragt: „Was ist das Nirvana des Buddha?“ … Er antwortete: „Der Verlust der Individualität. Im Nirvana gibt es nichts außer das selige reine Bewusstsein „Ich bin“.“
Dies kann jeder in tiefer Meditation erfahren. ‘Erleuchtung’ bedeutet, darin beständig verwurzelt zu sein, d. h. stets unter allen Umständen in der eigenen inneren Seligkeit bewusst gegründet zu bleiben. Damit ist keine intellektuelle Erinnerung gemeint. Ein immer wiederkehrender Gedanke wie „Ich bin reines Bewusstsein und nicht der Körper“ mag relativ hilfreich sein, hat mit Erleuchtung aber nichts zu tun.
Gedanken, die nicht der direkten Erfahrung entspringen, sind wirkungslos. Es geht nicht darum, sich gedanklich an eine Erfahrung aus der Vergangenheit zu erinnern, sondern die Wahrheit dieser Erfahrung ohne Unterbrechungen zu spüren – hier und jetzt.
Die Besonderheit seiner Botschaft
Der Buddha Siddhartha Gautama ist gewissermaßen der radikalste, konsequenteste und kompromissloseste Lehrer der Menschheitsgeschichte.
Im Gegensatz zu fast allen anderen großen Lehrern machte er absolut keine Zugeständnisse an das Ego oder den Verstand. Er sprach nie über Gott oder von einer individuellen Seele. Normalerweise ließ er sich auf diesbezügliche Fragen oder metaphysische Spekulationen und Diskussionen grundsätzlich überhaupt nicht ein. Eher selten erwähnte er die Beschaffenheit der Zustände nach dem Tod des Körpers. Sein Fokus lag im Hier und Jetzt. Sein Anliegen war es, all seinen Zuhörern die Möglichkeit aufzuzeigen, das Leid in diesem Augenblick restlos und endgültig zu überwinden.
Gautama bediente sich bevorzugt negativer (verneinender) Begriffe wie ‘Nicht-Selbst’ und ‘Leerheit’. Genau darin liegt seine Einzigartigkeit und beispiellose Genialität. Die meisten spirituellen Lehrer verwenden positive (bejahende) Begriffe wie ‘Fülle’, ‘Vollkommenheit’, ‘das Höchste’, ‘das Absolute’ oder ‘Gott’. Aus diesem Grund gilt der Buddhismus bei vielen, die ihn missverstehen, als lebensverneinend oder nihilistisch. Wer aber den wahren Grund für Buddhas Vorsicht und Zurückhaltung bei der Begriffswahl versteht, der versteht auch, dass seine Botschaft ganz und gar nicht lebensverneinend ist – im Gegenteil!
In der Tat war Buddha vollkommen lebensbejahend! Es ging ihm doch gerade darum, die innere Lebendigkeit und damit das wirkliche Leben so intensiv wie möglich zu genießen.
Er wollte dem Ego einfach keine noch so geringe Möglichkeit einer Identifikation geben. Das Ego ist am absoluten Nichts nicht interessiert. Somit gibt es keine Wünsche und keine Begierde mehr. Begierde ist das Hindernis! Sie verschleiert die immerwährende Seligkeit des einfachen Seins. Ob wir es wissen oder nicht – jeder Wunsch zielt letztendlich darauf ab, einen Zustand zu erlangen, der völlig frei von Wünschen ist. Jeder Wunsch will Zufriedenheit – und wahrhaftige Zufriedenheit ist die Abwesenheit aller Wünsche. Zufriedenheit bedeutet, dass nichts fehlt. Wenn nichts fehlt, muss nichts begehrt werden. Der Erfahrung muss nichts hinzugefügt werden, sie ist bereits perfekt.
Sowohl weltlicher Ehrgeiz als auch spirituelle Disziplin verfolgen das Ziel, etwas zu erreichen. Buddha durchschaute das. Seine wichtigste Empfehlung war also die völlige Begierdelosigkeit. Die meisten spirituellen Lehren halten hingegen ein subtiles Verlangen aufrecht. Sie raten uns: „Begehrt nichts in dieser Welt, sondern Gott! Sehnt euch nach der Vereinigung mit dem Göttlichen!“
Buddha ging darüber hinaus und sagte (sinngemäß): „Begehrt überhaupt nichts. Seid frei vom Verlangen.“
So offenbart sich die makellose Seligkeit, die von den Wünschen verschleiert wurde. Anhaftung verursacht bekanntlich Leid und das Ende der Anhaftung ist der Beginn wahrer Freiheit.
Man muss zunächst etwas Bestimmtes und dann später alles loslassen, um das zu finden, was nicht losgelassen werden und somit auch niemals verloren gehen kann.
Positive Worte wie ‘Gott’ oder ‘Fülle’ drücken eine Anwesenheit aus, die das Ego verführen und somit aufrechterhalten können. Es sagt beispielsweise „ICH werde mit Gott verschmelzen.“ oder „ICH bin die Fülle!“ Was immer das Ego errungen zu haben glaubt, führt zum Stolz. Es wird sich mit anderen vergleichen und gegebenenfalls überlegen fühlen. Das Ego ist wie ein Dieb, der keine Gelegenheit verstreichen lässt, sich alles Verfügbare unter den Nagel zu reißen. Buddha erkannte das. Daher bot er dem Ego nichts an. Er war stets auf der Hut, seine Hoffnungen nicht zu nähren und ihm keinerlei Halt zu ermöglichen. Buddhas negative Begriffswahl drückt keine Anwesenheit, sondern eine Abwesenheit aus – die Abwesenheit eines persönlichen Selbst und damit die Abwesenheit aller Grenzen! Kein Selbst (Ego) bedeutet: Keine Grenzen!
Insofern sind Alles und Nichts gleichbedeutend. Im Hinduismus wird darauf hingewiesen, dass alles das Selbst ist. Im Buddhismus wird darauf hingewiesen, dass es kein Selbst gibt. Beide Aussagen drücken dieselbe Einsicht aus. Wer sich selbst als nichts Besonderes erkennt, der erkennt sich selbst als alles.
Bhakti und Jnana
Es gibt zwar unzählige verschiedene religiöse Zeremonien und spirituelle Praktiken, jedoch kann man sie alle unter zwei grundlegenden Wegen zusammenfassen: Bhakti und Jnana. Bhakti ist der Weg der Liebe. Jnana ist der Weg der Weisheit. Bhakti ist Hingabe an Gott (in irgendeiner beliebigen Form). Jnana ist direkte Selbsterforschung. Bhakti führt uns nach außen, Jnana nach innen. Beide Wege enden in der tiefen Erkenntnis, dass es letztendlich weder außen noch innen gibt. Bhakti ist der Weg des Gebets und wird beispielsweise vom Christentum repräsentiert. Jnana ist der Weg der Meditation und wird z. B. vom Buddhismus repräsentiert.
Diese Tatsache ist deutlich erkennbar an den Lehren von Jesus Christus und Gautama Buddha. Jesus ist eine Verkörperung der Liebe. Buddha verkörpert Weisheit. Essenziell besteht hier keine Differenz, aber auf der Oberfläche ist der Unterschied unübersehbar. Jesus hat sich sehr poetisch ausgedrückt, seine Worte sind wunderschön. Sie richten sich an das Herz. Den Verstand werden sie nur verwirren. Kaum jemand drückte sich so wundervoll aus wie Jesus. Aber er fordert Vertrauen, mit seinen bloßen Worten kann er einen Atheisten nicht überzeugen. Buddhas Ausdrucksweise und Argumentation ist sehr logisch und pragmatisch. Sie bietet dem Verstand keine Angriffspunkte. Buddha kann auch den skeptischsten Verstand mit seiner messerscharfen Logik niederringen. Aber Buddha beschränkte sich nicht auf Logik. Wenn der Verstand geschlagen ist, gehen wir über die Logik hinaus.
Die letzten Worte von Jesus Christus auf der Erde erzeugen bei einem Herzensmenschen Gänsehaut. Sie lauteten: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“
Buddhas letzte Worte sind ebenfalls ungeheuer kraftvoll, aber ganz andersartig. Sein vertrautester Schüler Ananda bat den Meister um eine abschließende Botschaft, während er im Sterben lag. Buddha sprach: „Seid euch selbst ein Licht.“
Jesus sagte: „Kommet her zu mir – alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.“ Offenbar lädt er seine Verehrer ein, in ihm Zuflucht zu suchen, sich in seiner göttlichen Umarmung geborgen zu fühlen (Bhakti). Buddha wollte kein Erlöser sein. Er sagte: „Niemand rettet uns, außer wir selbst. Niemand kann und niemand darf das. Wir müssen selbst den Weg gehen.“
Wer Buddha anbetete, den wies er vehement ab: Lass mich in Ruhe! Erlöse dich selbst! Ich kann dir den Weg zeigen, denn ich fühle dein Leid und möchte dir helfen. Aber du musst selbst losgehen. (Jnana)
Nach seiner Erleuchtung lebte Buddha zunächst schweigend und war unschlüssig, ob er seine Erkenntnis durch Worte an seine Mitmenschen vermitteln sollte. Aus reinem Mitgefühl heraus entschied er sich schließlich dafür. Er wusste, dass die meisten Menschen ihn nicht verstehen würden. Das gilt bis heute. Doch er wusste auch, dass sich die Mühe schon dann lohnen würde, wenn durch seine Inspiration nur ein einziger weiterer Mensch sein Leid überwinden könnte. Mit jedem einzelnen erblühenden Baum nimmt die Schönheit des gesamten Waldes zu. Jeder bewusste Mensch leistet einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung der gesamten Menschheit.
Das Ende der Suche
Bhakti und Jnana – Hingabe und Selbsterforschung – führen zum selben Ziel. Sie sind zwei Flüsse, die in dasselbe Meer münden. Nur die jeweiligen Gedanken, die uns zu diesem Zustand führen, unterscheiden sich voneinander. Jnana beginnt im Grunde schon mit Gedankenfreiheit und bringt uns dazu, direkt in der ureigenen Seligkeit zu verweilen, sich unabhängig von allen Umständen intensiv lebendig zu fühlen.
Bhakti besteht darin, zu Gott zu sagen: „Du bist alles und ich bin nichts.“ Man gibt seine Machtlosigkeit (als Mensch) zu und ordnet die eigene Person vollkommen unter. Dies tötet das Ego ebenso (bzw. offenbart es als nicht-existent). Bhakti beginnt zwar mit Gedanken an Gott, aber sobald man sich vollkommen hingegeben hat und nur noch pures Vertrauen da ist, enden auch diese Gedanken. Dieselbe Seligkeit bleibt übrig. Glück und Liebe sind identisch.
Glückseligkeit ist keine objektive Erfahrung und keine Emotion. Sie kann nicht durch vorübergehende Erfahrungen erschaffen werden. Nichts und niemand kann uns glücklich machen. Ewige Glückseligkeit ist unsere Natur.
Die Ironie der menschlichen Existenz besteht darin, dass gerade die Suche nach dem Glück das Glück verhüllt. Sobald die Suche endet, enthüllt sich der ewige Schatz. Wenn wir aufhören, nach dem zu suchen, was wir nicht haben, und endlich voller Achtsamkeit innehalten, dann entdecken wir, dass das, was wir in uns tragen, genug ist. Es ist voll und ganz ausreichend. Mehr brauchen wir nicht. Darüber hinaus stellen wir fest, dass es schon immer da war, unterhalb aller nach außen gerichteten Wünsche. Es ist das pure Leben, das reine Bewusstsein. Es ist das, was wir selbst schon immer waren, hier und jetzt sind und immer sein werden, bis in alle Ewigkeit. Nichts ist so wertvoll, nichts ist von vergleichbarer Bedeutung, weil es als unser wahres Selbst das Einzige ist, was uns niemals genommen werden kann.
Was Buddha kann, kannst auch Du!
Im Hinduismus wird der Buddha Siddhartha Gautama (ebenso wie bspw. Krishna) als eine Inkarnation Gottes verehrt. Buddha selbst war ein Hindu, aber ich bin mir sicher, dass er mit dieser Sichtweise nicht einverstanden wäre. Im Buddhismus wird Buddha nicht als Gott angesehen, sondern als ein menschliches Vorbild. Durch sein Vermächtnis fühlen sich Buddhisten ermutigt, selbst ‘Buddhaschaft’ zu erlangen. Sie wissen, dass die ‘Buddhanatur’ in jedem Wesen verborgen liegt, ohne Ausnahme und Einschränkung.
Diese makellos reine Essenz wartet auf ihre Entdeckung und Entfaltung. Sie ist jederzeit bereit, in voller Pracht zu erblühen. So unscheinbar ein Samenkorn auch sein mag, aus ihm kann ein majestätischer Baum heranwachsen, der vielen Lebewesen Schatten spendet, ihnen Nahrung und Schutz bietet und damit ihr Dasein durch seine Präsenz erleichtert.
Unter all den gläubigen Christen, die ich kenne, wagt es kaum einer zu sagen: „Ich möchte selbst werden wie Christus.“ oder gar „Ich will selbst zu einem Christus werden!“ Diese Möglichkeit wird meist übersehen, obwohl seit vielen Jahrhunderten christliche Mystiker wie bspw. Meister Eckhart immer wieder ausdrücklich daran erinnern, dass in uns allen das strahlende ‘Christusbewusstsein’ schlummert. Es ist identisch mit der ‘Buddhanatur’. Das sind bloß zwei unterschiedliche Bezeichnungen für den höchstmöglichen Zustand – mehr noch, für das reine Sein, das allen Zuständen gleichermaßen zugrunde liegt und immer unberührt bleibt.
Die meisten Christen halten es für unmöglich, selbst wie Christus zu werden. Die bloße Überlegung wird als blasphemisch abgetan. Die Trennung zwischen Mensch und Gott soll aufrechterhalten werden – womit sie beide begrenzt bleiben. Jesus wird oftmals als der vermeintlich einzige Sohn Gottes auf ein Podest der Unantastbarkeit gestellt, während seine Verehrer das Selbstbild eines elenden Sünders mit sich herumschleppen. Das ist eine erhebliche Einschränkung.
Viele Christen sehnen sich danach, Christus zu treffen, bemühen sich aber nicht darum, nach seiner Lehre zu leben – obwohl er uns aufgefordert hat, einander zu lieben, wie er uns liebt. Buddhisten sind weniger daran interessiert, dem Buddha zu begegnen. Sie wollen stattdessen selbst Buddhas werden. Mein Eindruck ist, dass im Christentum Christus selbst im Mittelpunkt steht, im Buddhismus hingegen weniger der Buddha selbst, sondern seine Lehre. Man könnte auch sagen: Im Christentum ist es üblich, den Botschafter anzubeten, während man sich im Buddhismus eher an der Botschaft orientiert.
Im Christentum wird die Verantwortung an Christus abgegeben. Im Buddhismus legt man Wert auf Eigenverantwortung… „Sei dir selbst ein Licht!“
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass auch Jesus sagte: „Ihr seid das Licht der Welt!“
Buddha und Jesus haben gleichermaßen unter Beweis gestellt, dass vollkommene und bedingungslose Glückseligkeit für einen Menschen tatsächlich möglich ist. Viele weitere Menschen dienen als lebende Beweise für die grenzenlosen Möglichkeiten, die sich uns allen bieten.
Für den skeptischen Verstand gibt es wohl keinen unanfechtbaren Beweis dafür, dass es Buddha und Jesus wirklich gegeben hat. Historiker halten ihre tatsächliche Existenz für sehr wahrscheinlich, aber für greifbare und unbestreitbare Belege ist seit ihrer bereichernden Präsenz auf Erden einfach zu viel Zeit vergangen – seit Buddha 2.500 und seit Jesus 2.000 Jahre.
In diesem Fall möge man sich vor Augen führen, dass es auch in der weitaus jüngeren Geschichte unserer Spezies lebendige Beispiele für die Möglichkeit der höchsten Glückseligkeit gibt – Ramana Maharshi und Anandamayi Ma, um nur zwei fantastische Wesen aus dem 20. Jahrhundert zu nennen. Ihre Existenz ist bestens dokumentiert und unzweifelhaft, es gibt etliche Fotografien, Videoaufnahmen und auch heute noch viele Zeitzeugen, die uns ihre zuverlässigen Berichte zur Verfügung stellen. Sie beweisen, dass es möglich ist.
Erkenne es selbst
Christen betonen die Bedeutung des Glaubens. Zweifel sind nicht erwünscht. Sie werden verurteilt, verteufelt. Aber Zweifel sind durchaus nützlich. Mit ihnen beginnt jede Forschungsreise. Buddha rief nicht zum Glauben auf, er betrachtete ihn sogar als Hindernis. Seine Lehre ist kein Glaubenssystem und keine Theorie, weshalb man den Buddhismus eigentlich kaum als Religion bezeichnen kann. Er teilte lediglich seine Erfahrung. Mit der folgenden diesbezüglichen Geschichte möchte ich meine Ausführungen abschließen…
Einst kam ein Mann zu Buddha und fragte ihn, ob es einen Gott gibt. Buddha antwortete: „Ja.“
Daraufhin traf ein weiterer Mann ein und stellte dem unvergleichlichen Meister dieselbe Frage: „Gibt es Gott?“ Buddha entgegnete: „Nein.“
Später tauchte ein dritter Mann auf und stellte die Frage. Diesmal antwortete Buddha nicht, sondern schloss die Augen und saß nur schweigend da, völlig regungslos. Der Mann tat es ihm gleich. Nach einer Weile öffneten beide die Augen und der Mann sagte zu Buddha: „Danke für die Antwort!“ Er verneigte sich und ging.
Buddhas Schüler Ananda hatte das alles beobachtet und war verständlicherweise verwirrt. Er fragte seinen Lehrer, weshalb er auf dieselbe Frage dreimal unterschiedlich reagiert hatte und weshalb der letzte Gast sich für seine Antwort bedankt hatte, obwohl er gar nichts zu ihm gesagt hatte…
Buddha erklärte ihm, dass er beim ersten Besucher gespürt habe, dass dieser ein überzeugter Atheist war. Um seinen Glauben (denn auch der Glaube, dass Gott nicht existiert, ist nur ein Glaube) zu zerstören, bejahte er seine Frage.
Beim zweiten Mann hatte Buddha gespürt, dass dieser einen festen Glauben an Gott pflegte. Auch er war voreingenommen. Eine Überzeugung jeder Art kann uns daran hindern, die Wahrheit, die jenseits aller Meinungen liegt, zu erfahren und glasklar zu erkennen. Wieder beabsichtigte Buddha, den Glauben zu zerschmettern und verneinte deshalb die Existenz Gottes.
Nun wird vielleicht deutlich, weshalb der spirituelle Lehrer Osho Buddha als den „größten Zerstörer aller Zeiten“ bezeichnete.
Der dritte Mann war ohne Glaubensvorstellungen und Vorurteile gekommen. Buddha hatte gespürt, dass er ihn im Gegensatz zu den ersten beiden Männern nicht aufgesucht hatte, um von ihm eine Bestätigung für seinen Glauben oder Unglauben zu erhalten. Dieser Mann war offenherzig. Er war unschuldig wie ein kleines Kind und wollte einfach nur die Wahrheit kennenlernen. Deshalb war er bereit, es selbst herauszufinden und dann nicht mehr zu glauben, sondern zu wissen – basierend auf direkter, unmittelbarer Erfahrung. Nur so können alle Zweifel beseitigt werden. Die Dunkelheit verschwindet nicht, wenn wir an Licht glauben oder nur an das Wort „Licht“ denken. Die Dunkelheit verschwindet, wenn wir das Licht anknipsen.
Buddha antwortete diesem Mann also nicht mit Worten, sondern zeigte ihm die Methode, die zur Antwort führt. Er führte sie ihm einfach vor und der Mann folgte seinem Beispiel. Wie erwähnt ist der Buddha keine übergeordnete Gottheit, sondern ein Wegweiser, ein Vorbild. Seine Methode ist Meditation – totale Wachsamkeit, Aufmerksamkeit, Bewusstheit. Dazu ist jeder fähig! Denn das bewusste Sein ist unser aller Selbst. Wir sind nie davon getrennt, es ist immer sofort verfügbar.
Schließlich bedankte sich der Mann für die wortlose Antwort, die er mit offenem Herzen empfangen hatte. Es wurde nichts über das Resultat gesagt, denn was gefunden wird, kann nicht mit Worten beschrieben werden. Wenn man sich geduldig, vorurteilsfrei, ohne jegliche Erwartungen nach innen wendet und intensiv aufmerksam ist, dann findet man ‘etwas’, das jenseits aller Worte liegt. Der Mann ging zutiefst zufrieden davon.
26.09.2024
Simon Bartholomé
Kontakt: simon.bartholome@yahoo.de
Simon Bartholomé
ist Autor, als Referent für Vorträge und Seminare tätig, dies bisher vorrangig zum Thema ‘Tod‘ für Hospizvereine.
Er verfasste vier Bücher zum Thema, die allesamt veröffentlicht wurden: „Über Gott und die Welt“ (2015), „Du bist Bewusstsein!“ (2016), „Wer bin ich? Die Essenz der Spiritualität“ (2017) und „Die ewige Vollkommenheit des Seins“ (2022).
Sein Herzensbedürfnis besteht darin, seine Mitmenschen daran zu erinnern, wer sie wirklich sind, damit sie furchtlos und glücklich leben können.
Wir weisen aus rechtlichen Gründen darauf hin, dass bei keiner der aufgeführten Leistungen oder Formulierungen der Eindruck erweckt wird, dass hier ein Heilungsversprechen zugrunde liegt bzw. Linderung oder Verbesserung eines Krankheitszustandes garantiert oder versprochen wird. Alle Inhalte des Magazins sind kein Ersatz für eine Diagnose oder Behandlung durch einen Arzt, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker. |
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