Ich bin der Tempel des Geistes
Jeder Mensch ist ein templum spirituale, ein vom kosmischen Geist erfüllter Tempel.
Im Neuen Testament lesen wir im 1. Korinther-Brief 6,19:
„Wisst Ihr nicht, dass Euer Leib
ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“
Der spirituelle Weg hat mit dem lateinischen Wort spiritus = Geist zu tun, griechisch: pneuma; , zu unterscheiden von einer Seelen-Wanderung; lat. anima = Seele, griechisch: psyché
Es vollzieht sich heute ein Transformations-Prozess, der Verwandlung und Neuwerdung bedeutet. Und damit einher geht ein Bewusstseinssprung im Menschen, der ihm den Sinn seines Lebens immer tiefer zu erkennen ermöglicht: die Befreiung des Geistes ist das Ziel jeder Tätigkeit, die Erlangung von Moksha (Sanskrit: Befreiung zum Sein). Alles wird um des Atman, um des Geistes willen getan, und dieser bedeutet grenzenlose Freiheit. Er wird eben erst freigesetzt, wenn er sich von allen denkbaren Begrenzungen befreit. Der Weg zur Freiheit ist selbst frei. Sich an die eigene Freiheit zu klammern, ist eine andere Art der Bindung, die wir zerbrechen müssen.
Das Sanskritwort Ananda bedeutet Glückseligkeit, lateinisch beatitudo. Die Glückseligkeit in der christlichen Terminologie, ist das letzte Ziel der menschlichen Existenz und des ganzen Universums.
Befreiung setzt einen Erkenntnisweg voraus, der nicht nur ein Akt des Verstandes ist.
Es geht nicht darum, einen Gegenstand, ein Objekt einem Subjekt nahe zu bringen, sondern der Erkenntnisvorgang ist ein ontologischer Prozess, durch den das Sein zu dem wird, was es ist, indem es erkannt wird. Und so bedeutet Denken nicht, sich Erklärungen über die Wirklichkeit auszudenken oder Hypothesen darüber aufzustellen. Denken heißt vielmehr, die Wirklichkeit sein lassen, verwirklichen.
Das echte Denken sagt uns nicht, wie die Dinge sind, indem es sie sozusagen in unserem Geist nachahmt. Das wahre Denken lässt die Dinge sein oder werden, indem es sie denkt. Sein heißt Sprechen, schöpferische Rede, das Wort sich selbst ausdrücken, offenbaren lassen. Die eigentliche Aufgabe der Kontemplation besteht darin, uns dorthin zu führen, wo das Wort spricht und nicht gesprochen wird. Das lat. Wort „contemplatio“ entspricht dem griech. Wort „theoria“ (die Wesensschau ohne Objekt, ohne ein Gegenüber – das reine Schauen in die Wirklichkeit).
Es ist ein Aufsteigen zu dem Shabda-Brahman (Sanskrit: die Welt des Klanges), dem Absoluten Wort. Der innerste Sinn des Klanges ist der eigentliche Shabda, der sich mit erleuchtender Kraft (Sanskrit: Shakti) aus dem Unbewegten, Ewigen erhebt. Wenn sein Gefährt, das gesprochene Wort, in innerlich und äußerlich vollkommener Weise erklingt, versetzt es die innere Kraft in Schwingung, die dann in der Lage ist, Einsicht bis hin zur Erleuchtung zu vermitteln.
Der Befreiungsweg in der Gegenwart verleiht uns die Perspektive einer fast vergessenen kosmologischen Weltsicht, die uns Dimensionen der Wirklichkeit offenbart, die unter den erdrückenden Schichten der Geschichte, der Politik, der Wirtschaft, der Technologie und den unheilvollen pseudo-religiösen Angeboten fast vergraben wurden.
Der Wohnort Gottes oder auch Brahman, Tao, Nirvana u.a. liegt im Innersten jedes Menschen verborgen.
Kontemplative Spiritualität zeigt die mannigfaltigen Möglichkeiten auf, wie man sich mit Vertrauen auf den religiösen Rückweg in das eigene Zuhause, den Urgrund, die Urquelle, begeben kann, ohne von dogmatischen, konfessionell gebundenen Lehrmeinungen gefesselt zu sein. Es geht um eine geistige Befreiung, bei der Immanenz und Transzendenz Hochzeit feiern.
„Kontemplation ist das Erwachen zur
göttlichen Gegenwart im Herzen jedes
Menschen und im ganzen Universum.
Kontemplation ist:
Erkenntnis im Zustand der Liebe.“
(Mönch & Mystiker Bede Griffiths)
***
„Der Weise sucht, was in ihm ist,
der Tor, was außerhalb.“
(Konfuzius)
In der Kontemplation erkennt man, dass das ganze Universum ein einziges Ganzes ist,
dass alles vom Gesetz der gegenseitigen Abhängigkeit gelenkt wird und jeder ein Gefühl für das soziale Verflochtensein entwickeln, sein wahres Wesen erkennen und die Suche nach dem illusorischen Glück aufgeben sollte. Das echte Glück, die wahre Freiheit, liegt im Bewusstsein der Vergänglichkeit, dem Respekt und Verständnis für das Leben und für sich selbst.
Das absichtslose Beobachten und Geschehenlassen des nicht manipulierbaren kosmischen Atems (Inspiration) ist das tiefste Geheimnis der Kontemplation. Der Mensch ist gewohnt, in alle Lebensprozesse aktiv einzugreifen, und er übersieht dabei, wie er immer mehr versäumt, dem Wirken der kosmischen Natur, dem Urgrund und der Quelle unseres Daseins genügend Raum zu geben. Nur allzu häufig wird der Vorgang des Luftholens mit Atmung verwechselt. In- und Exhalation sind nicht gleichbedeutend mit Atmung, mit Inspiration.
Der weitläufige Bereich der Spiritualität – keine abgehobene, entrückte Weltfremdheit ! – hat ganz konkret mit dem Atmen zu tun (lat.: spirare). Der Atmungsprozess vollzieht sich unbewusst, wenngleich das absichtslose Beobachten dieses spirituellen Geschehens allerhöchste Aufmerksamkeit erfordert. Wenn ES atmet, vollzieht sich im Menschen der Transformationsschritt vom Haben zum Sein, vom Tun zum Lassen, vom Ego zum höheren Selbst, was man im Sanskrit mit „Atman“ bezeichnet.
Unsere deutsche Sprache ist indogermanischen Ursprungs und hat das Wort Atem unmittelbar dem Sanskritwort Atman entlehnt. Der berühmte Inder und Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi ist den meisten Menschen ein Begriff. Gandhi war ein überragender Geist – maha (groß) und atman (Geist). Beim Atmen geht es letztlich darum, den uns innewohnenden Heiligen Geist zu erfahren, die Anwesenheit der Immanenz Gottes, den Himmel auf Erden, das Königreich im Hier und Jetzt.
Atmen ist ein liebevolles Geschehenlassen der sich ständig verändernden Situation
des ewigen Lebens, jenseits der bestehenden Polarität und Dualität von Geburt und Tod. Der indische Poet und Nobelpreisträger für Literatur Rabindranath Tagore (1861 – 1941) kleidet den göttlichen Atem-Rhythmus in wunderbare Worte:
„Geburt und Tod, beides
des Lebens Spiel erhält –
wie beim Gehen der Fuß,
einmal erhoben, wieder fällt.“
Aus spiritueller Sicht wird in der Kontemplation die Annäherung an den inneren Lebens-Kern durch absichtslose Achtsamkeit auf das Aus- und Einatmen erreicht. J.W. von Goethe würde dies als „Stirb und werde!“ bezeichnen.
Kontemplation (griechisch: theoria = die Wesensschau) ist eine nicht-aktive Aktivität, die höchste Form von gegenwärtigem Wachsein.
Und diese spirituelle Erfahrung des göttlichen Wesensgrundes oder der Buddha-Natur heißt:
„Nicht mehr ich atme, sondern ES atmet.“
Christlich ausgedrückt (Brief an die Galater 2,20) würde man sagen:
„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“
Das ist der Weg vom aktiven In- und Exhalieren zum Atmen, zum passiven Inspiriert-Werden.
Niemand sagt: „ich inspiriere“, denn es heißt:
„ich werde inspiriert“ (engl.: „I am inspired“).
Kontemplation und Aktion sind nicht voneinander zu trennen, sondern bedingen sich einander in ihrer permanenten, zum inneren und äußeren Gleichgewicht orientierten Balancetätigkeit.
Der indische Poet Rabindranath Tagore (1861 – 1941), der im Jahre 1913 den Nobelpreis für Literatur erhielt, machte einst beim Anblick eines Sonnenaufgangs über den Baumwipfeln von Kalkutta eine tiefe Glückseligkeits-Erfahrung (Sanskrit: Ananda) und berichtete davon seinem Freund C.F. Andrews in einem Brief:
„Während ich den Sonnenaufgang beobachtete, schien sich plötzlich ein Schleier von meinen Augen zu heben. Ich fand die Welt in unbeschreibliche Herrlichkeit gehüllt, mit ihren Wellen der Freude und Schönheit, die sich überall brachen. Die dichte Wolke der Sorge, die oft auf meinem Herzen lag, wurde vom Licht der Welt durchbrochen, das überall leuchtete. Es gab nichts und niemanden, die ich in jenem Augenblick nicht liebte. Ich stand auf der Veranda und beobachtete die Kulis, die die Straße entlang eilten. Ihre Bewegungen, ihre Gestalt, ihre Mienen erschienen mir seltsam wunderbar, als ob sie sich wie Wellen im großen Ozean der Welt bewegten. Als einer der jungen Männer seine Hand auf die Schulter eines anderen legte, war dies ein bemerkenswertes Ereignis für mich. Ich schien in der Ganzheit meiner Vision Zeuge der Bewegungen des Körpers der ganzen Menschheit zu werden und den Takt der Musik und den Rhythmus des mystischen Tanzes zu spüren.“
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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