Kontemplation als Torweg zur Wirklichkeit
Kontemplation (lat:. contemplatio, griech.: theoria) ist das Schauen in die objektfreie Wirklichkeit.
Meditation ist ein „In-die-Mitte-gehen“ (lat.: medium = Mitte), die Vorstufe zur Kontemplation.
Wirklichkeit (lat.: actualitas, engl: actuality) ist das, was wirkt und nicht objektivierbar ist.
Realität (lat.: realitas, engl.: reality) sind objektivierbare Teile der viel größeren Wirklichkeit.
„Erlebnis ist das Leben, wo Vergangenheit und Zukunft im Tanz der Wirklichkeit zur Gegenwart, zur immerwährenden Ankunft miteinander verschmelzen“.
(Roland R. Ropers)
Das höchste Ziel einer Bergwanderung ist immer der Gipfel (engl. peak) Je weiter ich emporsteige, um so mehr treten focussierbare Objekte in den Hintergrund, bis ich nur noch „offene Weite“ und „Leere“ erlebe – „peak-experience“.
Hier gibt es keine Gegen- und Widerstände mehr, keinen personalen Gott, sondern nur noch das Eintauchen in eine Subjekt-Objekt-Verschmelzung, das glückselige Erlebnis einer grenzenlosen Lebenswirklichkeit.
Der Gipfelweg ins Innerste Universum (tiefstes Selbst – nicht höchstes Selbst!) geht in die umgekehrte Richtung und ist das wichtigste Abenteuer des menschlichen Lebens.
Das lat. Adjektiv „altus“ hat die Doppelbedeutung von „hoch“ und „tief“.
Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit
(Sanskrit: Sat-Chit-Ananda).
Die 3 Elemente:
der Betrachter, das Betrachtete und die Betrachtung
verlieren urplötzlich im a-dualen Raum den Charakter illusionärer Trennung.
„Das Auge, mit dem ich Gott anschaue,
und das Auge, mit dem Gott mich anschaut,
ist ein und dasselbe Auge“
(Dominikanermönch & Mystiker Meister Eckhart, 1260 – 1326)
Der Sucher auf dem spirituellen Weg versucht, den Raum für das Mysterium der Leere zu öffnen. Und hier leisten die Poeten, die Wortkünstler der Poesie, die Schöpfer der Kunst einen unschätzbaren Beitrag.
Jeder Musiker, der ein Künstler ist, weiß um das Geheimnis der Leere, des Zwischenraums der Noten, wo das eigentliche musikalische Ereignis stattfindet.
Das Hindernis auf diesem Lebens-Weg ist der „horror vacui“, der Schrecken vor der Leere, vor dem Vakuum (engl.: void, Sanskrit: Sunyata).
Alle seriösen Kontemplations-Lehrer sind Weg-Begleiter in den Raum der Leere, der zugleich unendliche Fülle ist.
Wir wissen aus der Physik (gr.: physis bedeutet Natur, aber nicht Körper), dass die wesentliche Eigenschaft des Universums die Leere ist, und der materielle Anteil verschwindend gering ist. Wir haben uns heute von der Natur sehr weit entfernt. Das griechische Wort für „Körper“ ist „soma“.
Der Arzt (engl.: physician) und der Physiker (engl.: physicist) sollten sich vornehmlich mit der Natur beschäftigen und den Menschen an sein Zentrum, in seine Mitte zurückführen. Das engl.: Wort remedy für Arznei und Heilmittel ist das „Zurück-in-die-Mitte“.
In einer ständigen Vermeidungshaltung, die Leere als Lebensraum zu betreten, machen wir viele Experimente, die uns immer wieder in einer Manege von vielfältigen Täuschungen gefangen halten. Die englische Sprache gebraucht das Verb to avoid für vermeiden. Das bedeutet wörtlich „gegen die Leere“.
Wenn ich etwas vermeide, dann gehe ich der Leere aus dem Weg und bleibe im Materiellen. Die Erfahrung, engl.: experience, führt zum Erlebnis. Das lat. Verb experire hat ein hoch bedeutsames Doppelpräfix „ex“ (heraus) und „per“ (hindurch), „ire“ (gehen). Wir müssen heraus- und hindurchgehen, um zum mit Worten nicht ausdrückbaren Erlebnis vorzudringen.
Die Leere sorgt für das Kontinuum (lat.: contenere = zusammen-halten),
den Zusammenhalt des nur im a-dualen Raum erfahrbaren ewigen Lebens, wo die Polarität von Geburt und Tod nicht aufgehoben, aber transzendiert wird.
Ich habe hierfür den Begriff „transcendentia oppositorum“ in die Sprache eingeführt, womit ich die Überschreitung der Polarität zum Ausdruck bringen möchte, nicht aber deren Zusammenfall, das wäre „coincidentia oppositorum“.
Wer die heiligen Schriften der Weisen, der Weg-Weiser, verinnerlicht hat, weiß um das große Geheimnis der nur in der absoluten, von allem losgelösten Leere erfahrbaren Wirklichkeit. Dogmatische Glaubenssätze und Rituale diversester Formen haben am höchsten und tiefsten Gipfelpunkt zugleich keinen Platz mehr.
In der Leere gibt es weder Besitz noch Verlust – nur noch die befreiende Wirkung des TAO.
Der berühmte Prolog des Johannes-Evangeliums:
„Im Anfang war das Wort…“ heißt in der chinesischen Übersetzung: „Im Anfang war das TAO…“
Im indischen Kulturkreis spricht man von „shabda“ (Klang),
„Im Anfang war der Klang…“
Der taoistische Weise Chuang-Tzu (ca. 369 – 286 vor Chr.) hat uns einen wunderbaren Text hinterlassen, der das Geheimnis des Lebens zum Ausdruck bringt:
„Die Besten unter den Alten hatten keine Angst,
wenn sie allein standen mit ihren Ansichten.
Keine Bravourstücke. Keine Pläne.
Wenn sie scheiterten, grämten sie sich nicht.
Wenn sie Erfolg hatten,
beglückwünschten sie sich nicht selber.
Sie klopften Klippen ab und wurden dabei nicht schwindelig.
Sie tauchten im Wasser und wurden dabei nicht nass.
Sie gingen durchs Feuer und verbrannten nicht.
Ihre Richtschnur war TAO.
Die Besten unter den Alten schliefen traumlos
und wachten ohne Besorgnis auf.
Ihre Speise war einfach. Sie atmeten tief.
Die Besten unter den Alten hingen nicht am Leben
und fürchteten nicht den Tod.
Ohne Jubel betraten sie die Lebensbühne
und verließen sie ohne Widerstreben.
Leichte Ankunft, leichter Abgang.
Sie vergaßen nicht, woher sie kamen,
und fragten nicht, wohin sie gehen würden,
und sie bahnten sich nicht grimmig
einen Weg durchs Leben.
Sie nahmen alles, wie es kam. Völlig heiter.
Nahmen auch den Tod an. Ohne Jammern.
Und gingen fort, dort hin, nach drüben.
Sie lehnten sich nicht gegen TAO auf
und versuchten auch nicht, mit Menschenkunst
TAO den Weg zu ebnen.
Ein unabhängiger Geist.
Wenn die Gedanken gedacht sind,
dann ist seine Stirn wieder klar und das Antlitz heiter.“
Zwei wesentliche Fragen, mit denen sich der Mensch in seinem illusionären Projektionsgefängnis von Vergangenheit und Zukunft ständig beschäftigt, lauten:
„Woher komme ich?“ und „Wohin gehe ich?“
Dies sind durchaus berechtigte Fragen, die einer irreführenden Tradition von Erziehung und Ausbildung entstammen. Aus der Beobachtung der uns umgebenden Natur wissen wir, dass der Wachstums- und Reifeprozess ein zyklisches und stets wieder-kehrendes Geschehen ist, wohingegen sich speziell der abendländische Mensch ein linear-orientiertes Lebensmuster geschaffen hat, welches mit keinem kosmischen Gesetz in Einklang zu bringen ist. In dieser linear determinierten Fortschrittsgläubigkeit, die in eine beängstigende Distanz vom eigentlichen Zentrum des Lebens in eine periphere Welt der Sensationen und Illusionen zu entrücken scheint, wird die glückseligmachende Erfahrung von Augenblick und Gegenwart zur Rarität. Jede tiefgreifende und innerlich bereichernde Begegnung mit dem Leben, das sich ausschließlich und ewig im Hier und Jetzt vollzieht, ist stets eine Angelegenheit des Augenblicks, der Präsenz und gleichzeitigen Abwesenheit von Vergangenheit und Zukunft.
Die Vernachlässigung der Herzensbildung zugunsten eines übertriebenen Gehirn-Trainings, wo lediglich Informationen wie auf einer Datenbank abrufbar gespeichert werden, hat den Verlust einer Lebensweisheit zur Folge, die ursprünglich aus dem Zentrum der Gegenwärtigkeit, der Verinnerlichung, der Erinnerung aus der Schatzkammer des Herzens gespeist wird. Wir überbeanspruchen unsere computerähnlichen Hirnaktivitäten und forcieren das Lebenstempo in bereits unerträglicher Weise.
Geradezu ziel- und sinnlos werden wir einem Kräfte- und Machtspiel von materiellen Verlockungen ausgesetzt, die uns in zunehmendem Maße den Zugang zum innersten Zentrum vorsätzlich versperren.
Der Mensch sucht in dieser orientierungsverarmten Gesellschaft nach dem Sinn des Lebens, nach der Existenz Gottes. Seit Jahren bemühen sich viele spirituelle Meister – leider sind nur wenige authentisch – um die Vermittlung von „Leere & Fülle“, von „Weg & Erleuchtung/Erwachen“.
Tod und Auferstehung vollziehen sich ständig im Hier und Jetzt, das Leben ist kein Spekulationsobjekt einer imaginären Zukunft, sondern das Füllhorn des Augenblicks, aus dem Entwicklung und Entfaltung von innen her geschehen.
In meinen „Open-Air-Spiritualität-Seminaren” im Naturparadies Bernried am Starnberger See biete ich zusammen mit Carmen Berger den Kontemplations-Weg regelmäßig an.
www.Kardiosophie-Network.de
Roland R. Ropers
Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher, Buchautor und Publizist
www.KARDIOSOPHIE-NETWORK.de
Über Roland R. Ropers
Roland R. Ropers geb. 1945, Religionsphilosoph, spiritueller Sprachforscher,
Begründer der Etymosophie, Buchautor und Publizist, autorisierter Kontemplationslehrer, weltweite Seminar- und Vortragstätigkeit.
Es ist ein uraltes Geheimnis, dass die stille Einkehr in der Natur zum tiefgreifenden Heil-Sein führt.
>>> zum Autorenprofil
Buch Tipp:
Kardiosophie
Weg-Weiser zur kosmischen Ur-Quelle
von Roland R. Ropers und
Andrea Fessmann, Dorothea J. May, Dr. med. Christiane May-Ropers, Helga Simon-Wagenbach, Prof. Dr. phil. Irmela Neu
Die intellektuelle Kopflastigkeit, die über Jahrhunderte mit dem Begriff des französischen Philosophen René Descartes (1596 – 1650) „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) verbunden war, erfordert für den Menschen der Zukunft eine neue Ausrichtung auf die Kraft und Weisheit des Herzens, die mit dem von Roland R. Ropers in die Welt gebrachten Wortes „KARDIOSOPHIE“ verbunden ist. Bereits Antoine de Saint-Exupéry beglückte uns mit seiner Erkenntnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Der Autor und die sechs Co-Autorinnen beleuchten aus ihrem individuellen Erfahrungsreichtum die Vielfalt von Wissen und Weisheit aus dem Großraum des Herzens.
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