400 Millionen Tonnen Plastik überfluten – jedes Jahr – unsere Welt
Plastik ist allgegenwärtig und kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken. Wir nutzen Plastik für lebensrettende medizinische Geräte, für Kleidung, Spielzeug und Kosmetik genauso wie in industriellen und landwirtschaftlichen Produkten. Wir wissen auch schon seit langem, welch wachsendes Risiko Plastikmüll in der Umwelt, auf Deponien und in den Weltmeeren darstellt.
Mehr und mehr wird deutlich, wie sehr Plastik entlang des gesamten Lebenszyklus von der Produktion über die Nutzung bis zur Entsorgung die menschliche Gesundheit bedroht. Plastikpartikel und die bei der Plastikherstellung verwendeten giftigen Chemikalien finden sich in unserer Atemluft, in unserem Trinkwasser und im Boden. Dies schädigt das Immun- und Reproduktionssystem, Leber und Nieren, und es kann sogar Krebs erzeugen.
Obwohl das Bewusstsein für die Umwelt- und Gesundheitsschäden durch Plastik wächst,
erleben wir einen Boom bei der Plastikproduktion. Dieser Trend wird auch in Zukunft anhalten, wenn die Expansionspläne der Industrie – angetrieben von billigem „gefracktem“ Erdgas – nicht gestoppt werden.
Allein in den USA plant die Plastikindustrie, ihre Produktion in den nächsten Jahren noch um 30 Prozent zu steigern. Tatsächlich werden 99 Prozent des Plastiks aus fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas hergestellt.
Die klimaschädlichen Emissionen entlang des gesamten Lebenszyklus von Plastik sind enorm.
Mittlerweile beginnen Regierungen wenigstens an einigen Stellen, den Plastikverbrauch zu regulieren, u.a. durch Verbote von Einwegplastikartikeln. Aber solange wir nicht die Plastikproduktion an sich drosseln, greifen diese Ansätze zu kurz. Aufwändige Marketing und Werbekampagnen der Industrie suggerieren uns, dass ein Leben ohne Plastik nicht möglich sei, und schieben die Verantwortung für die Plastikkrise von den Plastikproduzenten auf die Verbraucherinnen und Verbraucher – also auf uns alle.
Doch bessere Mülltrennung und Recycling allein werden das Problem nicht lösen.
Ganz im Gegenteil: Der Handel mit Plastikmüll ist ein boomendes Geschäft. Denn wir exportieren einen Großteil unseres Plastikmülls (und die damit einhergehenden negativen Umwelt- und Gesundheitsfolgen) nach Südostasien. Viele der Länder dort haben keine oder nur unzureichende Abfallentsorgungssysteme. Der Plastikmüll landet so letztendlich in der Umwelt und vor allem auch in den Meeren.
Dennoch sind wir zuversichtlich: Noch nie war das Plastikthema so weit oben auf der politischen Agenda, noch nie haben sich so viele Menschen in globalen Bewegungen wie „Break Free From Plastic“ organisiert.
Überall auf der Welt entstehen Initiativen für eine „Zero-Waste“ Politik in Städten und Gemeinden.
Ihnen allen ist gemeinsam: Sie wollen das Problem an der Wurzel packen und an Lösungen und Alternativen arbeiten. Eine Welt ohne Plastikverschmutzung ist eine Vision, für die es sich lohnt zu streiten. Denn Plastik ist ein Thema, das jeden und jede von uns etwas angeht und bewegt. Wir haben gerade erst begonnen, die gewaltigen Dimensionen dieser Krise zu begreifen. Für ein Umsteuern braucht es fundiertes Wissen über die Ursachen, die Akteure sowie die Auswirkungen der Plastikkrise. Mit unserem Plastikatlas wollen wir genau das bieten.
Wir wünschen viele Erkenntnisse beim Durchblättern und Lesen – und neue Lust zum politischen und persönlichen Handeln!
Weltweit werden über 400 Millionen Tonnen Plastik im Jahr produziert. Auf Verpackungen entfällt mehr als ein Drittel aller hergestellten Kunststoffe.
Platz 1: Coca-Cola mit einer globalen Jahresproduktion von Einweg-Plastikflaschen von 88 000 000 000! Aneinander gereiht reichen die 31 Mal von der Erde bis zum Mond und wieder zurück. Das entspricht einer Produktion von 167 000 Flaschen pro Minute.
Viele in Kunststoffen enthaltene Chemikalien haben Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen.
Die Folgen können langfristig und gravierend sein:
- Hyperaktivität/ADHS,
- niedrigerer IQ,
- Asthma, frühe Pubertät,
- Entwicklungsstörungen beim Embryo,
- Schilddrüsenerkrankungen,
- Brustkrebs,
- Diabetes,
- Fettleibigkeit,
- Unfruchtbarkeit,
- Prostatakrebs,
- niedrige Spermienzahl
Verwendet eine Frau Wegwerf-Menstruationsprodukte, kommt sie knapp vier Jahrzehnte lang mit problematischen Kunststoffen in Kontakt.
Wie viel Plastik auf Äckern landet, ist wenig erforscht. Dabei ist die Verschmutzung an Land zwischen vier- und 23-mal höher als im Meer. Schätzungen ergeben, dass von den weltweit mehr als 400 Millionen Tonnen Plastik, die jährlich produziert werden, etwa ein Drittel in unterschiedlicher Form in Böden und Binnengewässern landet.
Mikroplastikpartikel gelangen auch in Form von Klärschlamm auf Ackerflächen. Der wird überall in Europa als Dünger eingesetzt.
Die Landwirtschaft der EU landet bei dem Verbrauch dieses Kunststoffes auf Platz sechs, weltweit sind es pro Jahr etwa 6,5 Millionen Tonnen.
Plastik heizt das Klima an
Mobilität, Energie, Landwirtschaft: Geht es um den Klimawandel, werden oft diese drei Bereiche genannt. Die Kunststoffproduktion bleibt außen vor – zu Unrecht. Das gemeinnützige Center for International Environmental Law (Zentrum für Internationales Umweltrecht, kurz CIEL) hat berechnet, dass allein die Produktion von Kunststoffen bis 2050 bei den derzeitigen und prognostizierten Wachstumsraten einen Ausstoß von 52,5 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalent verursachen könnte.
Zusammen mit den Emissionen aus der Verbrennung von Kunststoffabfällen erhöht sich diese Summe auf mehr als 56 Gigatonnen.
Mit anderen Worten: Kunststoffe allein könnten zwischen zehn und 13 Prozent des gesamten Kohlenstoffbudgets verbrauchen, das wir einhalten müssen, um die 1,5-Grad-Zielmarke zu erreichen.
Plastik im Meer
Ein Großteil des Plastiks wird über Flüsse in die Meere geschleust. So zeigt beispielsweise der Rhein eine durchschnittliche Belastung mit Mikroplastik von rund 893 000 Partikeln pro Quadratkilometer. Besonders stark konzentriert ist diese Belastung in den Zuflüssen. Eine Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung schätzt, dass der Plastikeintrag von Flüssen nicht gleichmäßig verteilt ist, sondern hauptsächlich aus zehn großen Flüssen in die Weltmeere gelangt. Der Großteil stammt aus asiatischen Flüssen.
Deutschland steht auf Platz eins der größten europäischen Plastikproduzenten und -verarbeiter. Europa ist der zweitgrößte Plastikproduzent der Welt nach China. Hinzu kommt, dass Deutschland einen großen Teil des Plastikmülls nicht selbst recycelt, sondern in Drittländer
exportiert, meist nach Asien. Dort wird der Müll häufig verbrannt oder er landet, wenn nicht auf Deponien, im Meer.
Für 54 der 120 Arten mariner Säugetiere, die auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) geführt
werden, ist dokumentiert, dass sie Meeresmüll aufnehmen oder sich in ihm verstricken.
Bei einem Monitoring der Basstölpelkolonie auf Helgoland kam zutage, dass 97 Prozent der Nester Kunststoffe enthalten, vor allem Reste von Fischernetzen, Leinen und Schnüre, aber auch Taue und Verpackungen. Auf Helgoland ist jeder dritte verletzte oder tote Basstölpel in Plastik verstrickt. Ihre Sterblichkeit erhöht sich um das Zwei- bis Fünffache.
Die Aktivitäten der Plastik-Lobby
Der durch das Fracking ausgelöste Schiefergasboom in den USA befeuert die globale Erwärmung. Die Fracking-Gase werden aber auch als Grundstoff zur Herstellung von Plastik verwendet. Der Konzern Ineos ist der größte Plastikproduzent Europas. Für den Weg des Gases nach Europa hat er eine eigene Infrastruktur errichtet.
Ineos wurde 1998 von Jim Ratcliffe gegründet. Der Chemieingenieur ist der reichste Mann Großbritanniens. Er plant, die Plastikproduktion in Europa weiter auszubauen.
Die 2018 verabschiedete Kunststoffstrategie der EU wurde vielfach als zu unkonkret kritisiert. Womöglich ist das dem Lobbydruck der Industrie geschuldet.
Abfall-Entsorgung
Die Recycling-Quote gilt in Deutschland als vorbildlich. Sie beziffert aber nur den Beginn des Prozesses, nicht dessen Ende. Offiziell sind die Recyclingquoten in Deutschland relativ hoch. Im Jahr 2016 lagen sie bei 45 Prozent. Sie täuschen jedoch darüber hinweg, dass sie sich lediglich auf die Anlieferung bei einem Recyclingunternehmen, nicht aber auf den wirklich recycelten Output beziehen.
Nimmt man die Gesamtmenge der anfallenden gebrauchten Kunststoffprodukte – im Fachjargon „Post-Consumer“ genannt – als Grundlage, wird in Deutschland nur etwa 15,6 Prozent zu Rezyclat verarbeitet. 7,8 Prozent sind mit Neukunststoff vergleichbar. Diese Menge wiederum macht 2,8 Prozent der in Deutschland verarbeiteten Kunststoffprodukte aus.
Von einer Kreislaufwirtschaft kann kaum gesprochen werden.
Ersterscheinung: 7. Juni 2019 Heinrich Böll Stiftung
Hier können Sie den
Plastikatlas – Daten und Fakten über eine Welt voller Kunstoff
>>> als PDF -Datei kostenfrei herunterladen <<<
10.06.2019
Uwe Taschow
Spirit Online
Danke für den wichtigen Artikel, es braucht diese Art der Infos, damit immer mehr Menschen “aufwachen” (und da schließe ich mich mit ein).