Opfergabe an der Eiche

karl-franz-woodn

Opfergabe an der Eiche karl franz woodnDie Opfergabe an der Eiche

Ich erhob den Blick, um die wunderbare Eiche zu bewundern. Sie ihrerseits, wölbte ihr Kronendach auf und atmete ein Oval des klaren, blauen Himmels ein.
Ich trat näher und ihre scharfkantigen Blätter raschelten und zerschnitten das herabfallende Gold der Sonne. Ein Splitterregen von gleißendem Licht fiel auf mich herab.
Ich konnte mir keinen noch einladenderen Rastplatz vorstellen und so setzte ich mich in ihren Schatten.

Dann durchforstete ich meinen Rucksack wie ein emsiges kleines Tier.
Ich holte einige Trockenfrüchte, Nüsse und kandierten Ingwer (für meinen kratzenden Hals) hervor.
Es schien angemessen und höflich mein Essen mit ihr zu teilen. Als Zeichen meiner Wertschätzung suchte ich eine saftige Feige aus und sah mich nach einem einladenden Platz um, an den ich sie legen konnte.
Ein kleiner Baumstumpf stand ganz in der Nähe der Eiche.

Als ich ihn untersuchte, stellte ich fest, dass er innen ganz hohl war, der perfekte Briefkasten für meine Opfergabe.
Ich ließ die Feige in die geheimnisvolle, samtige Weichheit fallen und fragte mich, was wohl daraus werden würde. Ein Eichhörnchen oder eine Maus würde den saftigen, kleinen Leckerbissen sicher bald finden.

Es war erst, als ich zu meinem Platz zurück gekehrt war, dass ich die Gegenwart einer gänzlich anderen Form spürte.
Abgestumpft durch Erziehung wie ich es war, sahen meine Augen nur die äußere Ebene der Realität.
So forschte ich stattdessen mit meinem anderen, immer noch neugierigen und unbefangenen dritten Auge, um herauszufinden was für ein Wesen es war, das sich für meine Opfergabe interessierte.

Durch dieses Tun, anerkannte ich und öffnete mich für die summende, vibrierende Ebene, die verborgen lag und von der ich umgeben wurde.

Die umliegenden, noch unausgereiften Kornfelder, die ich zuvor kaum eines oberflächlichen Blickes gewürdigt hatte, bauschten sich zu einem Meer aus grünen Samtkissen auf. Mitten darin stieg die Eiche wie eine Boje an die Oberfläche empor. Ihre Wurzeln waren um sie herum versammelt und bildeten eine einladende Insel, die auf der wogenden Kornfelddecke wie auf einem Ozean schwamm.
Ich setzte mich in das gekräuselte Refugium zwischen ihre Wurzeln um zu meditieren.
Ich folgten den starken Wurzeln bis sie in die fette, torfige Erde eintauchten. Dort breiteten sie sich aus und hielten die Erde unter ihr behutsam aber stark wie eine Schale umfasst und verjüngten sich dann zu feingliedrigen Haarwurzeln.

Ganz zum Schluss lösten sie ihre Form vollkommen auf und verschmolzen in friedlicher Symbiose mit Mutter Erde.

Ich verbannte Denken zu Gunsten von Staunen und wandte meine Aufmerksamkeit dem hohlen Baumstamm zu. Im selben Moment wurde mir ein kurzer Augenblick geschenkt, in dem ich eine schlichte jedoch beglückende Freude wahrnehmen durfte, die nicht vom Baumstumpf selbst, sondern von dem umgebenden Blattwerk ausging.

Die Energie war stark und hell; in schnellen Kaskaden sprühte sie vor gespannter Erwartung.
Sie durchschauerte mich wie silberne Seide im Wind.
Ich war zugleich freudig erregt und verblüfft. Was war die Ursache dieser wunderbar sinnlichen Kakophonie?
Meine Wahrnehmung wurde vorübergehend von dieser Frage getrübt.
Aber ich konnte noch immer ‘sehen’.

Da war etwas ganz in meiner Nähe und es leuchtete. Ich konnte es kaum glauben, aber es war mein eigener Rucksack. Das zerschlissene alte Segeltuch wurde von innen durch ein hell gelbes Licht erleuchtet.
Plötzlich wurde mir klar worauf die aufgeregte Begeisterung gerichtet war.

Es war der kandierte Ingwer. Der kleine Plastik Behälter leuchtete wie ein Topf von feinstem Feengold durch den Stoff meines Rucksacks hindurch.
Was für mich Medizin war (obgleich eine sehr schmackhafte), war für dieses Elementarwesen etwas Entzückendes und zugleich Köstliches.

Ich öffnete den Rucksack und nahm eins von den zuckrigen Würfeln heraus. Auf dem Weg zum Baumstumpf fragte ich mich, was den Ingwer wohl so verlockend machte. War es das kräftige Aroma? Am meisten aber, faszinierte mich die Frage, auf welche Art ein Elementarwesen so etwas zu sich nahm?

In dem Moment als ich das Ingwerstückchen in die zweckdienliche Höhle fallen ließ, warf ich einen flüchtigen Blick nach oben.
Da sah ich sie.
Sie hatte ein kantiges Gesicht mit hohen Wangenknochen und einer spitzen Nase.
Ihre Augen waren jedoch das Bestechendste von allem.
Sie sahen wie mandelförmige Seen von dunklem Honig aus, in deren Mitte erwartungsvolle schwarzglänzende Ovale leuchteten.
Der übrige Teil von ihr war von dem umgebenden Blattwerk nicht zu unterscheiden.
Sie hatte mir einen Blick auf ihr Gesicht erlaubt, mehr aber nicht.

Ich kehrte zu meinem Sitzplatz unter der Eiche zurück. Ich konnte noch immer die leuchtende Energie, die von meiner Opfergabe im Baumstumpf ausstrahlte, sehen.
Nahmen diese erstaunlichen Naturwesen Nahrung auf diese Weise wahr?
War leuchtende Energie für sie ein schmackhafter Leckerbissen?

13.05.2018
© Carl Franz
Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Wider
www.themindofmishka.weebly.com

Alle Beiträge des Autors auf Spirit Online

ranz-Carl-WiderCarl Franz

Der Autor und Künstler lebt auf dem Land im wunderschönen Yorkshire, England.
Er ist Reiki Meister und Traumdeuter, liebt Katzen und die Kommunikation mit der Natur.
Seine Werke erscheinen regelmäßig in der lokalen Zeitschrift “Howden Matters” und auch in Online-Zeitschriften.
[weiterlesen …]

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*